Abhören der Kommunikation von Polizei und SED-Kreisleitungen
27. April 1966
Einzelinformation Nr. 325/66 über den Rundsprechfunkverkehr der Volkspolizeikreisämter und der Kreisleitungen der SED
Dem MfS ist bekannt, dass die Volkspolizeikreisämter gemeinsam mit den Kreisleitungen der SED auf den UKW-Frequenzen von 41,0 bis 41,65 MHz Rundspruchstationen zu den Bürgermeistern in den Gemeinden und den Parteisekretären der Industrie und Landwirtschaft unterhalten. Die Sendungen dieser UKW-Rundspruchstationen sind noch in einer Entfernung von 70 bis 80 km mit guter Lautstärke hörbar.
Im Zusammenhang damit stellte das MfS fest, dass für den Gegner Möglichkeiten bestehen, die besonders in den Grenzkreisen und grenznahen Kreisen auf den bekannten UKW-Frequenzen geführten Gespräche abzuhören. Das betrifft im Wesentlichen die auf beiliegender Karte rot markierten Kreise.
Wie dem MfS dazu weiter bekannt wurde, ist, offensichtlich mit in Erkenntnis dieser Möglichkeiten, die Funkaufklärungstätigkeit insbesondere im westzonalen Vorfeld außerordentlich verstärkt worden mit dem Ziel, den Funkverkehr der DDR aufzuzeichnen und daraus Informationen zu gewinnen. Derartige Feststellungen treffen auch für Westberlin zu.
Die dem Gegner aus dem Rundspruchdienst bekannt gewordenen Informationen werden sofort ausgewertet und an interessierende Stellen in Westdeutschland weitervermittelt. So wurden z. B. vom VPKA Erfurt gesendete Mitteilungen über bestimmte Maßnahmen in einem Fahndungsvorgang kurze Zeit später von Funkstellen des westdeutschen Zolls mit konkreten Verhaltensmaßnahmen für die westdeutschen Zöllner wiederholt.
Bei den Durchsagen über den Rundspruchdienst wird jedoch nicht in jedem Falle diesem Umstand Rechnung getragen, dass von westzonalen bzw. Westberliner Gebiet aus die Möglichkeit des Abhörens dieser Gespräche besteht. Aus den dem MfS vorliegenden Informationen über den Inhalt derartiger Durchsagen ist vielmehr ersichtlich, dass der Gegner auf diesem Wege auch interne Informationen erlangen kann.
So wurden z. B. von einigen Funkstationen grenznaher Kreise an Bürgermeister Hinweise gegeben, aus denen der Stand des Luftschutzes in bestimmten Kreisen, Städten und Gemeinden klar zu erkennen war. Dabei wurde die Einschätzung des Rates über die Arbeit der örtlichen Organe zur Organisierung des Luftschutzes in den Städten und Gemeinden übermittelt, wobei darauf verwiesen wurde, dass die Arbeit bestimmte Mängel aufwies, keine arbeitsfähigen Luftschutzkomitees bestehen und Schulungen nur ungenügend durchgeführt werden.
In einem anderen Fall wurden ausführlich die Aufgaben für die Erfüllung des Kampfauftrages »Soldat auf Zeit«1 durchgegeben.
Weiter wurden Fahndungsmaßnahmen gesendet, wobei auch Namen und kleinere Personalien der betreffenden Personen genannt wurden.
Eine andere Durchsage beinhaltete konkrete Aufgabenstellungen zum Wettbewerb anlässlich des 20. Jahrestages der SED2 und nannte verschiedene Planschuldner.
Ferner wurden Durchführungshinweise für Massenkontrollen der ABI, konkrete Zahlen der Planerfüllung bzw. -nichterfüllung landwirtschaftlicher Produkte und ähnliches gesendet.
Zu beachten ist weiter, dass das Rundspruchnetz ständig von jeder angeschlossenen Station des betreffenden Kreises abgehört werden kann. Beim Empfang der Gespräche wird jedoch nicht in allen Gemeinden dem Umstand Rechnung getragen, dass auf diesem Funknetz interne, nicht für die allgemeine Öffentlichkeit bestimmte Informationen gesendet werden. Zum Teil sind die Funkgeräte auch so aufgestellt, dass in den betreffenden Dienststellen anwesende Bürger die Durchsagen mithören können.
Infolge der verstärkten Abhörtätigkeit des Rundspruchfunkverkehrs durch den Gegner erachtet es das MfS für zweckmäßig, die Volkspolizeikreisämter, besonders in den auf der beiliegenden Karte rot markierten Kreisen, auf diese Möglichkeit hinzuweisen. Die für den Rundspruchdienst vorgesehenen Texte sollten deshalb gewissenhaft geprüft werden, um die Übermittlung interner, den Gegner interessierender Hinweise weitgehendst auszuschließen.3
Der Genosse Erich Honecker4 wurde durch das MfS gleichfalls informiert, wobei ihm vorgeschlagen wurde, eventuelle analoge Maßnahmen für die Kreisleitungen der SED festzulegen.
Dem MfS ist bekannt, dass auch durch Funksprechstationen in Westberlin und Westdeutschland – entlang der Staatsgrenze – häufig Mitteilungen mit vollem Wortlaut ohne Chiffre übermittelt werden, deren Kenntnis für die Sicherheitsorgane der DDR nützlich wäre. (z. B. gesendete Dauerfahndungen, Einzelfahndungen, Anfragen im zentralen Strafregister und Durchsagen, die für die Bearbeitung von Rückkehrern und Zuwanderern und des gesamten grenzüberschreitenden Verkehrs von Bedeutung sind.)
Die Aufzeichnung derartiger Funksprüche und die entsprechende Auswertung für alle Sicherheitsorgane ist bereits entsprechend der Bedeutung im MfS veranlasst worden. Eine noch bessere und zielgerichtetere Ausnutzung dieser Informationsquellen wäre jedoch nur durch den Einsatz einer größeren Anzahl von Funkern mit entsprechenden Geräten möglich. Um den dazu notwendigen ökonomischen Aufwand jedoch auf ein Minimum zu beschränken, wird vorgeschlagen, auf der Grundlage konkreter Vereinbarungen, die Volkspolizei mit in dieses Überwachungssystem einzubeziehen. Der Einsatz der Volkspolizei könnte dabei vornehmlich in den funkverkehrsarmen Zeiten erfolgen, sodass die Lösung der spezifischen Aufgaben der Nachrichtenkräfte dadurch nicht beeinträchtigt würde.
Es wird gebeten, diesen Vorschlag zu überprüfen und bei prinzipieller Zustimmung einen Verantwortlichen zu benennen, der gemeinsam mit dem Verantwortlichen des MfS die Möglichkeiten der organisatorischen Durchführung dieser Aufgaben untersucht. Im Ergebnis dessen könnten dann entsprechende gemeinsame Vereinbarungen getroffen werden.