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Äußerungen aus kirchlichen Kreisen zum Dialog SED–SPD

10. Juni 1966
Einzelinformation Nr. 447/66 über Äußerungen aus kirchlichen Kreisen zum Dialog SED – SPD und über eine »Annäherung im geteilten Deutschland«

Dem MfS wurde bekannt, dass im April 1966 in Berlin ein vertrauliches Gespräch zwischen dem Präsidenten des lutherischen Kirchenamtes Keller-Hüschemenger1 (Hannover) und den evangelischen Bischöfen Mitzenheim2 (Eisenach), Beste3 (Schwerin) und Noth4 (Dresden) stattfand, in dessen Verlauf es u. a. zu einem Gedankenaustausch über den Briefwechsel SED – SPD kam.5

Keller-Hüschemenger vertrat dabei die Meinung, es sei für den »Westen« als »Triumph« zu werten, dass die SED »gezwungen« worden sei, die »harte Fragestellung« des SPD-Briefes zu veröffentlichen. Leitende kirchliche Kreise Westdeutschlands erhofften sich vom Briefwechsel, es würde etwas ins »Rutschen kommen«, was die »bedrückte Lage der Bevölkerung in der DDR« erleichtern werde. Allerdings sei von einem unmittelbaren Gespräch der Parteien nichts zu erwarten.

Die Bischöfe Beste und Noth brachten zum Ausdruck, im Zusammenhang mit dem Briefwechsel habe sich wiederum die Schwäche und Fragwürdigkeit der CDU in der DDR gezeigt. Weil es die SED nicht wünsche, habe in der DDR kein Presseorgan der CDU den Briefwechsel abgedruckt. Damit sei bewiesen, dass sich die CDU »im Fahrwasser der SED« befände. Beste und Noth äußerten die Ansicht, aus dem Briefwechsel würden sich keine konkreten Ergebnisse abzeichnen.

Wie dem MfS weiter inoffiziell bekannt wurde, beabsichtigt der Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands, u. a. unter Ausnutzung des Dialogs SED – SPD, Scharf6 (Westberlin) als Bischof von Berlin-Brandenburg aufzuwerten mit dem Ziel, für Scharf von der Regierung der DDR eine Genehmigung zur Einreise zu erhalten.7

Aus diesen Erwägungen heraus bereite die »Kammer für öffentliche Verantwortung des Rates der EKD«8 – die auch die Denkschrift der EKD9 zur Oder-Neiße-Grenze ausgearbeitet hat – eine Stellungnahme der EKD zum Dialog zwischen SED und SPD vor. Es sei beabsichtigt, in dieser Stellungnahme den Dialog zu begrüßen und ihn mit den bisherigen kirchlichen Bemühungen in der gesamten Denkschrift zur Oder-Neiße-Grenze in Zusammenhang zu bringen.10 Nach weiteren Erwägungen der »Kammer für öffentliche Verantwortung« wolle sich die evangelische Kirche in Deutschland bereiterklären, die Räume der EKD in Hannover-Herrenhausen für Gespräche zwischen der SED und der SPD zur Verfügung zu stellen, falls die SED von dem Angebot Westdeutschlands hinsichtlich des freien Geleits der SED-Mitglieder nicht Gebrauch machen sollte.11

Ebenfalls mit dem Ziel, Scharf aufzuwerten, beabsichtige der Rat der EKD, demnächst in propagandistischer Form einen offiziellen Schritt gegen das Bestehen des Alliierten Reisebüros (Travel Board)12 in Westberlin zu unternehmen.13

Aus dem gleichen Grunde sei der Rat der EKD geneigt, etwas zu tun, um die Aufnahme der DDR in die UNO14 zu unterstützen.

Dem MfS wurde ferner bekannt, dass die Gossner Mission15 in Westdeutschland eine schriftliche Stellungnahme zum Problem des Dialogs an den SPD-Vorstand gesandt hat. Dieser Stellungnahme wurde auf Initiative des Leiters der Gossner Mission in Westdeutschland, Pfarrer Horst Symanowski/Mainz-Kastel16 sowie des Leiters der Vereinigung der Industriepfarrer in Westdeutschland, Pfarrer Hans Mohn/Hamburg,17 [Straße 1 Nr.] von dem sogenannten Mainz-Kasteler-Konvent am 16.4.1966 zugestimmt.18

(Bei Symanowski handelt es sich um den Organisator der Industriearbeit der Evangelischen Kirche in beiden deutschen Staaten, Seine Tätigkeit – besonders als Leiter des sogenannten Industrieseminars Mainz-Kastel – besteht darin, junge Theologen für den Einsatz als Arbeiter in der Industrie auszubilden, wobei der Einfluss der Evangelischen Kirche unter den Arbeitern ausgedehnt werden soll. Gleichzeitig würden damit die revolutionären Kräfte isoliert und revisionistische Theorien über Klassenversöhnung unter den Arbeitern verbreitet.)

Eine Abschrift dieser Stellungnahme an den SPD-Vorstand wurde Pfarrer Schottstädt,19 Berlin, [Straße 2, Nr.], zugestellt. Schottstädt ist Leiter der Gossner Mission in der DDR und führt eine parallel zu Pfarrer Symanowski ausgerichtete Tätigkeit in der DDR durch.

Das Schreiben hat folgenden Wortlaut:

»Sehr geehrte Damen und Herren!

Vierzig ehemalige Teilnehmer des Seminars für kirchlichen Dienst in der Industriegesellschaft – Sozial-Industrie-Arbeiter- und Gemeindepfarrer – haben sich auf ihrem diesjährigen Konvent im Beienrode mit dem Briefwechsel zwischen der SED und Ihrer Partei beschäftigt. Als eine Gruppe, die sich seit Jahren mit dem politischen, ökumenischen und sozialen Fragen der deutschen Gegenwart auseinandersetzt, bejahen wir diesen Briefwechsel ausdrücklich. Wir danken dem Vorstand der SPD dafür, dass er die ersten beiden Briefe der SED so eingehend beantwortet hat. In einer Zeit, in der es sich nicht von selbst versteht, dass man politischen Gegnern und Andersdenkenden sachlich begegnet, ist Ihre Bereitschaft zum Gespräch mit der SED besonders hoch zu schätzen. Wir bitten Sie dringend, das begonnene Gespräch nicht abreißen zu lassen, sondern alles zu tun, es zu vertiefen und auszuweiten. Zugleich möchten wir den Vorstand der Partei darum bitten, die für unsere Begriffe bisher unzureichend beantworteten Fragen der SED einer nüchternen Prüfung zu unterziehen.

In Ihrem ersten Antwortschreiben stellen Sie die menschlichen Probleme des geteilten Deutschlands heraus. Sie machen aber nicht ausreichend deutlich, wie Sie sich die Neugestaltung Deutschlands denken und mit welchen politischen Mitteln Sie dieses Ziel zu erreichen hoffen.

Unser Arbeitskreis ist überzeugt, dass das Beharren auf den Grenzen von 1937,20 das Instrument der Notstandsgesetzgebung21 und das von der Regierung angestrebte Verfügungsrecht über Atomwaffen keine dazu geeigneten Mittel sind.22 Aus unserer Arbeit, die größere Veranstaltungen ebenso umfasst wie das persönliche Gespräch, wissen wir, dass in unserem Volk eine Antwort gerade auf diese Probleme erwartet wird.

Wir bitten Sie deshalb: Geben Sie den Menschen in der Bundesrepublik und in Ostdeutschland klare Vorstellungen von einer Deutschlandpolitik, die zur Verständigung und schließlich zum Zusammenleben der getrennten Teile führen kann.«

Diese Information darf aus Gründen der Sicherheit der Quelle nicht publizistisch ausgewertet werden.

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