Beabsichtigte DDR-Reise eines US-amerikanischen Theologen
7. September 1966
Einzelinformation Nr. 671/66 über die beabsichtigte Reise des Professors für Christliche Ethik am Princeton Theological Seminary/USA, Charles West, in die DDR in der Zeit vom 9. bis 22.9.1966
Dem MfS wurde bekannt, dass Prof. West, Charles,1 geboren 3.2.1921, Beruf: Missionar, evangelischer Theologe, USA-Bürger, tätig:
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bis 1950 – Missionar in China
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1950 – Mitarbeiter der Gossner Mission2 in Mainz-Kastel/3Westdeutschland
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1951 – Mitarbeiter der Gossner Mission in Westberlin
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1954 – Stellvertretender Direktor der Studentenabteilung des Weltkirchenrates und stellvertretender Direktor des Ökumenischen Instituts Bossey/Schweiz
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1961 – Professor am Theologischen Seminar in Princeton/USA
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1964 – Direktor der Ökumenischen Hochschule in Bossey (gemeinsam mit Prof. Wolf4 und Dr. N. Nissiotis)5
beabsichtigt, in der Zeit vom 9. bis 22.9.1966 eine Studienreise durch die DDR zu unternehmen.
West wurde von Carl Ordnung/CDU,6 dem nationalen Sekretär der Prager Christlichen Friedenskonferenz7 in der DDR während der Konferenz »Kirche und Gesellschaft«, die in der Zeit vom 12. bis 26.7.1966 in Genf/Schweiz stattfand, eingeladen. (Inwieweit diese Einladung mit den entsprechenden Organen der DDR abgestimmt wurde, ist dem MfS nicht bekannt.)
Für die Reise in die DDR ist folgendes Programm geplant:
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9.9.1966 – Einreise in die DDR, Gespräch mit Pfarrer Bassarak8 und Carl Ordnung und Teilnahme an einer Konferenz des Ökumenischen Instituts der Evangelischen Kirche in der DDR (Leitung Pastor Althausen/Berlin)9
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10.9.1966 – Teilnahme an einer Sitzung der Abrüstungskommission der Prager Christlichen Friedenskonferenz der DDR in Berlin
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11. bis 12.9.1966 – Aufenthalt bei Pfarrer Willibald Jacob/Cottbus10
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13. bis 14.9.1966 – Aufenthalt in Dresden, Gespräch mit Pfarrer Feurich,11 danach in Eberswalde Gespräch mit Generalsuperintendent Schönherr/Eberswalde12
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15. bis 16.9.1966 – Teilnahme an der Regionalkonferenz der Prager Christlichen Friedenskonferenz in der DDR in Berlin
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17. bis 18.9.1966 – Aufenthalt in Magdeburg, Gespräch mit Pfarrer Orphal13 (ehemaliger Leiter der Geschäftsstelle der Evangelischen Studentengemeinde Berlin)
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19. bis 20.9.1966 – Aufenthalt in Jena (geplant war ein Gespräch mit Studentenpfarrer Klaus-Peter Hertzsch,14 der jedoch aus Zeitgründen abgesagt hat)
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21.9.1966 – Gespräch im Staatssekretariat für Kirchenfragen mit Staatssekretär Seigewasser15
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22.9.1966 – Abreise nach Frankfurt/Main
Charles West wurde allgemein bekannt durch sein negatives Auftreten in Tagungen der Prager Christlichen Friedenskonferenz.
Dem MfS wurde zur Person des Charles West im Zusammenhang mit seinem politisch negativen Auftreten u. a. Folgendes bekannt:
Charles West ist einer der qualifiziertesten klerikalen Fachmänner der Vereinigten Staaten für Probleme der sozialistischen Länder. In dieser Eigenschaft, begünstigt durch die enge Freundschaft mit John Foster Dulles,16 war Charles West jahrelang ein wichtiger Berater des USA-Präsidenten Kennedy17 in protestantischen Fragen und hat jetzt eine ähnliche Funktion im Beraterkreis von Präsident Johnson18 inne.
Durch seine bisherigen Funktionen hatte West die Möglichkeit, umfangreiche Sachkenntnis in kirchenpolitischen Fragen zu erlangen.
Seine theologische Laufbahn begann als Missionar der presbyterianischen Kirche der USA in der Volksrepublik China. In dieser Zeit gab West unter dem Pseudonym »Barnabas« u. a. das Buch »Christliche Verkündigung im kommunistischen China« (Kaiser-Verlag München 1961) heraus. In diesem Buch empfiehlt er zum antikommunistischen Kampf Folgendes:
»Es gibt immer noch Wege, die Schneide des kommunistischen Schwertes so umzubiegen, dass es weniger unbarmherzig schneidet, ja sogar solche, mit deren Hilfe die vom Kommunismus beherrschte Gesellschaft durchsetzt werden könne.«
»Der Kommunismus muss auf tausenderlei praktische Weise durch rechtes Denken und Tun aus dem Felde geschlagen werden. Es genügt nicht, ihm zu widerstehen.«19
In den Folgerungen kommt West zu der Feststellung:
»Es gibt natürlich einen Punkt, an dem ein Christ möglicherweise entscheidet, dass er, um Gott zu gehorchen, gegen die Regierung Stellung nehmen und zum aktiven Revolutionär in einer Untergrundbewegung oder durch öffentliche prophetische Anklage zum Märtyrer werden muss.«20
1950 wurde West in Westdeutschland und Westberlin bei der Gossner Mission eingesetzt. Die Gossner Mission wurde nach 1945 reorganisiert und vor allem für die Industrie-Seelsorge umgestellt. (Für die DDR wurde ein besonderer Zweig der Gossner Mission geschaffen, der einerseits für die Industrie-Seelsorge in sozialistischen Großbetrieben bestimmt war und andererseits Kontakte in die anderen sozialistischen Länder eröffnen sollte.)
1951 wurde West nach Westberlin versetzt. Offiziell lehrte er an der Kirchlichen Hochschule Westberlin Christliche Ethik, benutzte jedoch die Hauptzeit zum Aufbau von Kontakten in der DDR. Besonders enge Verbindungen bestehen zu Pfarrer Johannes Hamel,21 Naumburg, Missionsdirektor Gerhard Brennecke,22 Berlin, dem Leiter der Geschäftsstelle der Gossner Mission in der Hauptstadt der DDR, Schottstädt,23 Generalsuperintendent Jacob,24 Cottbus und anderen.
1953 wurde West als Beigeordneter Direktor an das Ökumenische Institut Bossey/Schweiz versetzt. Er hatte aber in Berlin die Voraussetzungen für den nachfolgenden Einsatz weiterer amerikanischer Staatsbürger als Vertreter ökumenischer Institutionen in Westberlin geschaffen, wie z. B. Harvey Cox25 und Robert Starbuck,26 die die von West geschaffenen Kontakte in die DDR weiterführen.
In Bossey konzentrierte sich West weiter auf die Ostarbeit. Ein Ergebnis seiner Arbeit war die Veröffentlichung des Standardwerkes »Communism and the Theologians« (Der Kommunismus und die Theologen) (London 1958).27 Damit promovierte er an der Universität Yale/USA.
1961 wurde West als Professor an das Theologische Seminar in Princeton/USA berufen.
1964 nahm er erstmalig an der II. Allchristlichen Friedensversammlung28 in Prag teil. In einem von ihm verfassten 14-seitigen geheimen Memorandum für die amerikanische Regierung entwickelte er eine Konzeption über eine grundlegende Veränderung der Prager Christlichen Friedenskonferenz. Er schrieb darin, dass »die Bewegung der Christlichen Friedenskonferenz das Ende einer Entwicklungsstufe erreicht hat. Es kann wie bisher nicht weitergehen«.29
Er machte Ausführungen, von denen er schrieb, dass darin »die gesunde Entwicklung der PCF …« projektiert würde. Er äußerte, »die Christliche Friedenskonferenz müsste die Konzentration auf Frieden verlassen«. Sie müsse sich in eine »Studienbewegung« umwandeln. Ihr Anspruch müsse »bescheidener werden«. »Sie dürfe nicht versuchen, repräsentativ zu handeln …« »Ihre Führer dürfen keine Telegramme und Resolutionen in ihrem Namen formulieren.«
In diesem Memorandum beschimpfte er die Vertreter der Russisch-Orthodoxen Kirche als »byzantinisch«, die ungarische Gruppe als »miserabelste« und »nicht repräsentativ«. Außerdem seien »aus den meisten östlichen Ländern Opportunisten, unterwürfige Typen, Halbkirchenvolk und andere fragwürdige Typen gekommen«. West verlangte eine andere Zusammensetzung der Konferenz und ihre Umwandlung in folgender Richtung:
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Umbildung entsprechend den Forderungen des Weltkirchenrates,
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eine personelle Zusammensetzung, die »vertrauenswürdig vom Standpunkt der Kirchen in Ost und West« zu sein hätte,
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in Bezug auf die »ostdeutsche« Delegation eine Einbeziehung solcher Personen wie Pfarrer Hamel, Bischof Noth,30 Bischof Jänicke31 usw., die als reaktionär bekannt sind, und dafür den Ausschluss positiver DDR-Teilnehmer.
Er äußerte wörtlich:
»Die Christliche Friedenskonferenz schuf Kontakte mit Gruppen Ostdeutschlands – Bund Evangelischer Pfarrer,32 Christlich-demokratische Union – die bestimmt sind, die Kirche durch ihre eigenen Mitglieder zu unterminieren. Hromádka33 selbst hat Ostdeutschland besucht unter diesen fragwürdigen Aspekten.« »Die Zugehörigkeit dieser ›Linken‹ zur Christlichen Friedenskonferenz steht nicht in Übereinstimmung mit dem Charakter der Konferenz insgesamt.«
Seit einiger Zeit ist Charles West – neben seinen anderen Funktionen – an der Harvard-Universität in Boston/USA tätig. Dort wurden in den vergangenen Jahren alle USA-Theologen ausgebildet, die zum speziellen Einsatz nach Westberlin geschickt wurden, um sich hier für den kirchlichen Einsatz in den östlichen Ländern praktische Erfahrungen zu erwerben.
West gehört zum engsten Freundeskreis von Visser’t Hooft34 und Carson Blake35 – dem ehemaligen und dem jetzigen Generalsekretär des Weltkirchenrates. Für seinen Freund Visser’t Hooft gab er 1963 die Zeitschrift »The Sufficiency of God« (London 1963) heraus.36
Zweimal war West gemeinsam mit US-Kirchendelegationen unter Leitung von Dr. Fey,37 den Vorsitzenden des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen, in der Sowjetunion.