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Besprechung der evangelischen DDR-Landeskirchen

17. August 1966
Einzelinformation Nr. 610/66 über die zentrale Besprechung der Evangelischen Landeskirchen in der DDR und Meinungen einiger Kirchenführer zu kirchenpolitischen Problemen

Am 3.8.1966 fand in Berlin eine zentrale Besprechung aller Evangelischen Landeskirchen statt, wobei alle Landeskirchen – außer Sachsen und Thüringen – durch einen Oberkirchenrat vertreten waren.

Im Mittelpunkt dieser Besprechung standen Probleme der Seelsorge an Wehrpflichtigen und die Ablehnung der Regierung der DDR zur Durchführung der 5. Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes 1969 in Weimar.1

Im Zusammenhang mit der sogenannten Handreichung zur Seelsorge an Wehrpflichtigen wurde von Oberkirchenrat Behm/Berlin2 eingeschätzt, dass dieses Dokument besonders im Monat Juni 1966 im kirchlichen Bereich »große Wellen« geschlagen habe.3 Durch die ablehnende Haltung des Staates zur »Handreichung« seien in den einzelnen Landeskirchen umfangreiche Diskussionen entstanden.4 Es hätten auch mehrere kirchliche Konferenzen stattgefunden, ohne jedoch innerkirchlich eine Klärung dieser Probleme herbeizuführen.

Konsistorialrat Stolpe/Berlin5 – Beauftragter der Konferenz der Bischöfe und Kirchenleitungen in der DDR für Fragen der Militärseelsorge –, der am Zustandekommen der »Handreichung« führend beteiligt war, führte während der zentralen Besprechung der Evangelischen Landeskirchen in der DDR aus, zur »Handreichung« sei staatlicherseits »noch keine Reaktion feststellbar«. Es sei anzunehmen, dass man »staatlicherseits abwarten wolle«, welche »praktischen Auswirkungen« sich zeigen würden. Bis jetzt habe man nur feststellen können, dass eine von einem Superintendenten – Stolpe nannte dabei keinen Namen – einberufene Rüste6 mit Kirchenältesten über die »Handreichung« staatlicherseits schärfste Reaktion ausgelöst habe.

Stolpe gab weiter bekannt, er habe versucht, Baueinheiten7 in Müncheberg und Luckau (ständiger Standort Garz)8 aufzusuchen, was ihm jedoch nicht gelungen sei. Die Stimmung in diesen Baueinheiten sei schlecht; es würden laufend Reibereien wegen des Einsatzes an militärischen Anlagen auftreten. Nachdem alle Eingaben der Bausoldaten zwecklos gewesen seien, müsse in Kürze mit Arbeitsverweigerungen gerechnet werden. Dabei sei nach Meinung von Stolpe eine Verhaftung von fünf bis zehn Bausoldaten möglich. Die Situation würde nach einem solchen Vorkommnis »kritisch«.

Im weiteren Verlauf der Besprechung unterrichtete Oberkirchenrat, Kars/Dessau9 (Landeskirche Anhalt) die Tagungsteilnehmer davon, in Zerbst seien vom Rat des Kreises alle Geistlichen zu einer Aussprache über die »Handreichung« eingeladen worden. Das Landeskirchenamt habe jedoch die »Anweisung« gegeben, nicht zu der Aussprache zu erscheinen.

In der weiteren Diskussion wurde zum Ausdruck gebracht, kirchlicherseits werde allgemein die »Hoffnung gehegt«, dass vonseiten des Staates »nichts weiter geschieht«. Vermutlich habe die Regierung kein Interesse daran, ein »großes Feuer anzuzünden, da sie auf allen Gebieten Schwierigkeiten habe«.

Mit »großer Spannung« erwarte die Kirche eine vom Obersten Militärgericht eingeleitete Grundsatzentscheidung über die strafrechtliche Eingliederung der Gelöbnis- und der Befehlsverweigerung. Es wurde eingeschätzt, dass man mit einer »Gleichstellung« der Gelöbnis- und der Befehlsverweigerung rechnen müsse.10 Sollte eine solche Entscheidung erfolgen, müsse von der Kirche untersucht werden, inwieweit das Problem des Handelns bzw. der Unternehmensdelikte dabei eine Rolle spiele.

Im weiteren Verlauf der Besprechung unternahm Oberkirchenrat Heidler/Berlin11 den Versuch, die anwesenden Personen gegen die Entscheidung der Regierung der DDR betreffs der Ablehnung der 5. Vollversammlung in Weimar 1969 zu beeinflussen.

Zunächst gab Heidler einen Abriss über die Vorbereitungen der 5. Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes, die in Weimar stattfinden sollte:

Der Präsident des Lutherischen Weltbundes, Schiotz,12 habe am 16.3.1966 bei seinem DDR-Besuch dem Staatssekretär für Kirchenfragen, Seigewasser,13 16 schriftlich fixierte Vorbedingungen zur Durchführung der 5. Vollversammlung in Weimar vorgetragen. Damals habe Seigewasser grundsätzlich einer solchen Vollversammlung in Weimar zugestimmt. Auf die Frage von Schiotz, ob Seigewasser für diese Zustimmung autorisiert sei, habe Seigewasser bejahend geantwortet. Da die Zustimmung der staatlichen Stellen der DDR in der darauffolgenden Zeit in nicht schriftlicher Form übersandt worden wäre, seien auch keine aktiven Vorbereitungen getroffen worden. Eine schriftliche Zustimmung wäre zwar vom Staatssekretär Seigewasser bis Mitte April 1966 zugesagt worden, jedoch sei sie nicht erfolgt. Als Staatssekretär Seigewasser anlässlich des Geburtstages von Karl Barth14 in Genf gewesen sei, habe der Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes, Dr. Appel,15 Seigewasser ebenfalls um einen schriftlichen Bescheid gebeten. Die Verzögerung habe Staatssekretär Seigewasser damals mit technischen Schwierigkeiten erklärt. Im Juni 1966 habe Staatssekretär Seigewasser bei einer weiteren Anfrage von Oberkirchenrat Heidler geäußert, er betrachte die dauernden Fragen als ein Misstrauen. Dann sei plötzlich am 18.7.1966 vom Generalsekretariat aus Genf die Absage der DDR nach Belgrad durchgegeben worden, wo vom 17.7. bis 23.7.1966 die Sitzung des Exekutivkomitees des Lutherischen Weltbundes stattfand. In Belgrad hätte man bereits mit dem Ausbleiben einer schriftlichen Zusage gerechnet und deshalb schon eine Absage des Lutherischen Weltbundes vorbereitet.

Die Begründung der Regierung der DDR für die Absage der 5. Vollversammlung in Weimar sei von den Teilnehmern der Belgrader Konferenz nicht verstanden worden. Im Exekutivkomitee sei man der Meinung gewesen, dass einer Weltorganisation keine Absage aus innerdeutschen Gründen erteilt werden könne.

Von Teilnehmern der Exekutivtagung in Belgrad sei eingeschätzt worden, die Politik von Staatssekretär Seigewasser habe Schiffbruch erlitten.

Heidler führte weiter aus, der Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes habe dem Staatssekretär eine schriftliche Stellungnahme übermittelt und darin sein Bedauern über die Absage ausgesprochen. Weiterhin habe sich der Lutherische Weltbund in einer Meldung seines Pressedienstes von den Gründen der Absage distanziert. Es sei nun beschlossen worden, die 5. Vollversammlung in Afrika oder Südamerika stattfinden zu lassen. (Eine Abschrift dieser Meldung im »Ökumenischen Pressedienst« befindet sich in der Anlage.)

Der Berliner Oberkirchenrat Behm bezeichnete im Anschluss an die Berichterstattung von Heidler die Absage für die 5. Vollversammlung als einen »massiven Teil der Gesamtmaßnahmen zur Verschärfung des Verhältnisses Kirche–Staat«. Auf derselben Ebene liege der Lizenzentzug für das EKD-Blatt in der DDR16 und die Zurückweisung westdeutscher Gäste bei kirchlichen Zentraltagungen in der Hauptstadt der DDR. An den Grenzübergängen seien schon verschiedene Referenten und Spezialboten zurückgewiesen worden. Das alles würde bedeuten, dass die Kirche als »Brücke zu Westdeutschland« unerwünscht sei. Weitere Rückwirkungen des derzeitigen Kurses der Regierung der DDR gegenüber den Landeskirchen würden sich vermutlich bei der EKD-Synode 1967 und den Reformationsfeiern im nächsten Jahr ergeben.17

Über die derzeitige Haltung Bischof Krummachers/Greifswald18 zu aktuellen kirchenpolitischen Fragen wurde Folgendes bekannt:

Krummacher bedrücke sehr stark, dass Bischof Scharf19 von der DDR-Regierung weiterhin nicht als Bischof anerkannt werde und keine Genehmigung zur Einreise in die DDR erhalte. Da Krummacher stark mit der Landeskirche Berlin-Brandenburg verbunden sei, bedrücke ihn ferner, dass staatlicherseits die Beziehungen zur Landeskirche Berlin-Brandenburg abgebrochen seien und die Landeskirche selbst ein Bild der »inneren Zerrissenheit« biete, woran bis jetzt jeder Gedanke an einen Bischofsverweser gescheitert sei.20

Über die Begleitumstände seiner eigenen Wahl zum Vorsitzenden der sogenannten Konferenz der Bischöfe und Kirchenleitungen in der DDR21 zeige sich Krummacher sehr verärgert. (keine einstimmige Wahl und Ignorierung dieser Funktion durch den Staat.)22

Eine weitere Frage, die Krummacher sehr beschäftige, sei das Verbot des EKD-Amtsblattes in der DDR. Darin sehe Krummacher eine weitere Maßnahme, mit der die »Nichtanerkennung der EKD« durch die DDR zum Ausdruck gebracht werden solle. Krummacher plane eine Umstellung dieses Blattes, wie z. B. neuer Kopf und breiterer Kreis von Mitarbeitern und Beiträgen (von Karl Kleinschmidt23 z. B.). Er erhoffe damit eine neue Lizenz.

Bischof Krummacher setze große Hoffnungen auf die Person und die Tätigkeit von Oberkirchenrat Pabst.24 Er erhofft sich eine »stillschweigende Anerkennung« von Pabst als ökumenischen Beauftragten der EKD für die Landeskirchen in der DDR. Damit plane Krummacher eine Unterwanderung der DDR-Haltung zur EKD.

Die Information darf im Interesse der Sicherheit der Quelle nicht öffentliche ausgewertet werden.

Anlage zur Information Nr. 610/66

[Absage der DDR an den Lutherischen Weltbund]

Auszug aus dem »Ökumenischen Pressedienst« vom 21. Juli 1966

LWB-Vollversammlung 1969 kann nicht in Weimar stattfinden

(Belgrad) – Mit Bedauern hat das gegenwärtig in Belgrad tagende Exekutiv-Komitee des Lutherischen Weltbundes die Mitteilung der DDR-Regierung zur Kenntnis genommen, dass entgegen den bisherigen Absprachen die Fünfte Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes 1969 nicht in Weimar stattfinden kann. Der Staatssekretär für Kirchenfragen in der DDR, Hans Seigewasser, hat in einem Schreiben den Weltbund davon unterrichtet, dass es die DDR »nicht für zweckmäßig« halte, die nächste LWB-Vollversammlung in der DDR durchzuführen.

Das Exekutiv-Komitee des Weltbundes, der 72 Mitgliedskirchen in rund 40 Ländern in allen Kontinenten vereint, hat sofort Verhandlungen über einen anderen Tagungsort aufgenommen.

Der Lutherische Weltbund bedauert die Entscheidung der DDR-Regierung um so mehr, als sein Beschluss, die nächste Vollversammlung in der DDR abzuhalten, mit der Hoffnung verbunden war, einen Beitrag zur Entspannung und Verständigung zwischen den Völkern und Menschen zu leisten.

Der Weltbund hatte im März aufgrund einer Einladung der deutschen LWB-Mitgliedskirchen und aufgrund von Zusicherungen der DDR-Regierung Weimar als Tagungsort der Vollversammlung 1969 bekanntgegeben.

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