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Bevorstehende Bischofswahl in Berlin-Brandenburg

8. Januar 1966
Einzelinformation Nr. 21/66 über die Synode der Landeskirche Berlin-Brandenburg vom 15. bis 17.2.1966 und die Neuwahl des Bischofs

Dem MfS wurde bekannt, dass der Verwalter des Bischofsamtes der evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg, Generalsuperintendent Jacob,1 die Absicht hatte, in einem Gespräch mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen Seigewasser2 folgende Auffassungen darzulegen:

Der Gesundheitszustand von Bischof Dibelius3 habe sich außerordentlich verschlechtert, sodass sich die nächste Synode der Landeskirche Berlin-Brandenburg, die in der Zeit vom 15. bis 17.2.1966 in Westberlin und in der Hauptstadt der DDR stattfinden soll, u. a. mit der Bischofsnachfolge von Dibelius beschäftigten wird.4 Jacob wollte in diesem Zusammenhang den Staatssekretär für Kirchenfragen Seigewasser davon unterrichten, dass die führenden Kreise der Landeskirche sowie er selbst erwarten, dass Präses Scharf5 von den Synodalen beider Teilsynoden zum neuen Bischof von Berlin-Brandenburg gewählt wird. Nach Meinung von Generalsuperintendent Jacob würde Scharf für den Fall seiner Wahl zum Bischof ein loyales Verhalten gegenüber der DDR an den Tag legen. Man hoffe in führenden kirchlichen Kreisen, dass Scharf als Bischof die Einreise in die Hauptstadt der DDR von der Regierung der DDR gestattet würde und er nach und nach seine alten Rechte, die er vor dem 13.8.1961 wahrgenommen habe, erhält.

(Dieses Gespräch mit Staatssekretär Seigewasser fand am 7.1.1966 statt, wobei nach bisherigen Feststellungen Jacob die oben dargelegten Auffassungen auch vertreten hat.)

Wie durch das MfS bereits in einer früheren Information mitgeteilt wurde, ist die Wahl von Präses Scharf zum Bischof von Berlin-Brandenburg bereits auf der illegalen Sitzung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am 3. und 4. Mai 1965 in Wien beschlossen worden.6

Von der Wahl Präses Scharf zum Bischof von Berlin-Brandenburg hängt ab, ob er weiter als Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschland fungieren kann. In führenden kirchlichen Kreisen wird eingeschätzt, dass durch die Denkschrift der EKD zur Oder-Neiße-Grenze und ihre positive Kommentierung in den Presseorganen der DDR eine günstige Atmosphäre für eine solche Wahl vorhanden ist.7

Für eine Durchsetzung der Wahl von Präses Scharf zum Bischof trifft Generalsuperintendent Jacob bereits jetzt schon Vorbereitungen. So findet u. a. vom 26. bis 28.1.1966 in Bad Saarow eine sehr interne und außerordentliche Sitzung der Kirchenleitung von Berlin-Brandenburg statt, in der prinzipiell über die entstandene Lage und über weitere Maßnahmen beraten werden soll.8

Aus Kreisen von Synodalen der Hauptstadt der DDR wurde im Zusammenhang mit der bevorstehenden Synode bekannt, dass eine Wahl Scharfs zum neuen Bischof kaum für möglich gehalten wird. Angeblich hätte er selbst in Westberlin wenig Chancen, da die CDU-Mitglieder unter den Westberliner Synodalen Scharf als Brandt-Anhänger9 bezeichnen und seine Wahl deshalb ablehnen. Andererseits hätten die Synodalen der DDR Bedenken, weil er als Bischof seine Gemeinden in der DDR nicht besuchen könne.

In den Kreisen der Synodalen der DDR halte man den Präsidenten der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union Hildebrandt10 und den Präses der Provinzialsynode von Berlin-Brandenburg und Vizepräses der EKD-Synode Figur11 als die aussichtsreicheren Kandidaten. Dabei wird die Ansicht vertreten, vor allem Figur habe Talent und »Mut« und sei geachtet. Er habe deshalb auch die größeren Aussichten als z. B. Generalsuperintendent Jacob, Cottbus, gewählt zu werden. (Figur und Hildebrandt sind als äußerst reaktionäre Kräfte bekannt.)

Die Ansicht, Präses Scharf habe nur geringe Aussichten, gewählt zu werden, begründen diese Synodalen damit, es sei am vorteilhaftesten, einen Bischof zu wählen, der Bürger der DDR ist und die Möglichkeit erhält, zu Amtshandlungen nach Westberlin und Westdeutschland zu fahren. Dabei wird das Beispiel des Erzbischof Bengsch12 angeführt, der die Genehmigung zu Amtshandlungen in Westberlin und Westdeutschland erhalten habe.

Die Information darf im Interesse der Sicherheit der Quelle nicht öffentlich ausgewertet werden.

  1. Zum nächsten Dokument Einreise des »Spiegel«-Redakteurs Karlheinz Vater

    8. Januar 1966
    Einzelinformation Nr. 22/66 über die Einreise des »Spiegel«-Redakteurs Vater, Karlheinz, als angebliches Mitglied der Hamburger Philharmonie, in die DDR

  2. Zum vorherigen Dokument Suizid des Vizepräsidenten des Erfindungs- und Patentamts

    6. Januar 1966
    Einzelinformation Nr. 15/66 über den Selbstmord des Vizepräsidenten des Amtes für Erfindungs- und Patentwesen Gerhard Rudolph am 5.1.1966