Bischof Krummacher über Wehrpflichtigen-Seelsorge
14. April 1966
Einzelinformation Nr. 285/66 über Äußerungen von Bischof Krummacher zur »Handreichung zur Seelsorge an Wehrpflichtigen«
Dem MfS wurde intern bekannt, dass Bischof Krummacher1 in vertraulichen Gesprächen mit einigen leitenden kirchlichen Amtsträgern des Konsistorialbezirkes Greifswald mehrfach seine Ansichten zur »Handreichung zur Seelsorge an Wehrpflichtigen«2 darlegte.
Krummacher betonte in diesen Gesprächen u. a., die »Handreichung« sei nur für die Seelsorger und nicht für die Soldaten der NVA bestimmt.3 Es zeichne sich jedoch ab, dass »der Staat« trotzdem in diesem Dokument eine »Aggression« sehe. Besonders habe er diese Erfahrungen während eines im März 1966 in Halle stattgefundenen Gesprächs zwischen Vertretern der Regierung der DDR – u. a. Staatssekretär Seigewasser4 und Admiral Verner5 – und Bischof Mitzenheim6 und ihm – Krummacher – sammeln müssen. Dieses Gespräch sei nach Ansicht Krummachers »folgenschwer«, da den Vertretern der Kirche eine Fülle von Vorwürfen gemacht worden seien, wie: die Kirche besitze eine westliche Konzeption, die »Handreichung« stelle eine Basis für eine organisierte Wehrdienstverweigerung dar und enthalte persönliche Beleidigungen gegen die Staatsorgane der DDR.7
Besonders bestürzt zeigte sich Krummacher über angebliche Äußerungen des Militäroberstaatsanwaltes, die Bischöfe wären die intellektuellen Urheber der »Handreichung« und könnten deswegen belangt werden.
Krummacher betonte in vertraulichen Gesprächen, er habe die Bischöfe der Evangelischen Landeskirchen der DDR vor Beginn der EKD-Teilsynode in Potsdam8 zusammengerufen und ihnen den »Ernst« der Situation im Zusammenhang mit der »Handreichung« erläutert. Er habe den Bischöfen den Vorschlag unterbreitet, am Charakter der »Handreichung« festzuhalten und stets so zu argumentieren, dass sie kein politisches Dokument darstelle.
Krummacher vertrat weiter die Ansicht, die »Öffentlichkeit« sei durch Äußerungen von CDU-Vertretern wie Klages,9 Heyl10 und Bertinetti,11 die auf das Bestehen der »Handreichung« hingewiesen hätten, »hellhörig« geworden. Auch seien im »Pfarrerblatt« und in der »Neuen Zeit« Veröffentlichungen erfolgt, die dazu beigetragen hätten, die »Öffentlichkeit« zu informieren.12
In dieser Situation sei es notwendig, so äußerte Krummacher, dass nun auch der »Westen« »aufgeklärt« werden müsse. Er wünsche jedoch keine »westliche Pressekampagne«. Er halte es aber für notwendig, dass solche Äußerungen wie die von Admiral Verner über die Erziehung der NVA-Angehörigen zum unbändigen Hass gegenüber dem Feind, mit völligem Nachdruck bekämpft werden. Der Opfertod Christi habe den Hass besiegt.
Krummacher sprach sich weiter dafür aus, die Gruppe der jungen christlichen Soldaten seelsorgerlich zu betreuen und ihnen zu diesem Zweck die Gemeindehäuser und Wohnungen in den Standorten zu öffnen. Diese von ihm vertretenen Ansichten sollten bei Durchführung mit dazu beitragen, die Erziehung zum Hass gegenüber dem Feind auszuschalten.
Bischof Krummacher erläuterte, er orientiere aber auch deshalb auf die Betreuung von Soldaten, um nicht in den Ruf zu gelangen, sich nur für die radikalen Wehrdienstverweigerer einzusetzen.
Als weitere zentrale Aufgabe solle auch die Betreuung der Bausoldaten fortgesetzt werden.13
Im weiteren Verlauf der vertraulichen Gespräche begründete Krummacher die Verlegung der Baueinheiten aus Prenzlau und Stralsund in andere Orte damit, die Armee wolle den kirchlichen Einfluss in diesen Städten ausschalten.14 Es sei aber notwendig, die Gewissensfragen in den Baueinheiten, wie Gelöbnis und Einsatz militärischen Anlagen, seitens der Kirche weiterhin ernsthaft zu prüfen. In diesem Zusammenhang forderte Krummacher, in Zukunft mehr sogenannte Situationsbedingtheiten zu berücksichtigen.
Bischof Krummacher wertete es als Erfolg der Evangelischen Kirche, dass im Ergebnis der bisherigen Maßnahmen für die Bausoldaten keine Teilnahme mehr an den militärischen Übungen erfolge. Es sei einzuschätzen, dass die Baueinheiten unter den gegebenen Verhältnissen die Möglichkeit geben, die Form eines »christlichen Friedensdienstes« mit großem Ausstrahlungsvermögen zu schaffen.
Trotzdem müsse die Kirche auch den Weg der radikalen Wehrdienstverweigerer, wie bei Vikar Werner/Dessau,15 respektieren. Die Kirche werde auch diesen Menschen in den Gefängnissen helfen, obwohl dazu zurzeit objektiv noch keine Möglichkeiten gegeben seien. Deshalb soll man dieser Menschen in den Fürbitten gedenken. Die Fürbitte bezeichnete Krummacher als eine ungeheure innere, äußere und propagandistische Kraft.
Bischof Krummacher vertrat weiterhin die Meinung, dem Staate sei nicht an der Herbeiführung von Konflikten mit der Kirche gelegen. Das sei seiner Meinung nach durch die Genehmigung der Teilnahme des Präsidenten des Lutherischen Weltbundes, des Generalssekretärs des Ökumenischen Rates der Kirchen und des Generalsekretärs der Konferenz europäischer Kirchen an der Teilsynode in Potsdam-Babelsberg bestätigt worden.
Der Staat habe aber auch im Falle der Bischofswahl in der Landeskirche Berlin-Brandenburg klar gesehen, dass die Kirche ihren Weg gerade gehe.16
Nach Ansicht Bischof Krummachers sei jedem Gespräch zwischen kirchlichen Amtsträgern und Vertretern des Staatsapparates großes Gewicht beizumessen. Der Verlauf dieser Gespräche werde nach bisherigen »Erfahrungen nach oben« gemeldet. Bischof Krummacher ließ durchblicken, er sei daran interessiert, dass seine Person bei den staatlichen Organen der DDR in kein »falsches Licht« komme.
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