Desertion zweier Transportpolizisten in Berlin
29. März 1966
Einzelinformation Nr. 247/66 über eine Desertion von zwei Angehörigen der Transportpolizei auf dem für den öffentlichen Verkehr stillgelegten U-Bahnhof Nordbahnhof am 26.3.1966
Am 26.3.1966, in der Zeit von 7.00 Uhr bis 8.20 Uhr, desertierten die zur Sicherung des U-Bahnhofes Nordbahnhof eingesetzten Angehörigen der Transportpolizei, Postenführer Hauptwachmeister [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] .942, VP seit 12.4.1960, Revier Friedrichstraße seit 1.9.1963, FDJ-Gruppenorganisator und Posten Oberwachtmeister [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat]1943, Revier Friedrichstraße seit 9.2.1964, unter Mitnahme ihrer Waffen und Munition nach Westberlin.
Beide hatten am 26.3.1966, um 6.45 Uhr, ihren Dienst auf dem U-Bahnhof Nordbahnhof angetreten. Gegen 10.00 Uhr wurde das Fehlen der oben genannten Posten festgestellt.
Nach den bisherigen Untersuchungen erfolgte die Desertion mit einer U-Bahn der Linie C, die in Richtung Wedding fuhr. Die U-Bahn wurde angehalten, beide stiegen zu und fuhren mit nach Westberlin.
Bereits am 25.3.1966 hatte [Name 1] beim stellvertretenden Diensthabenden ersucht, mit [Name 2] zusammen seinen Dienst zu verrichten, da er mit ihm noch Vorbereitungen für ein Vergnügen besprechen müsse ([Name 2] war stellvertretender FDJ-Gruppenorganisator). Entgegen den bestehenden Weisungen gab der stellvertretende Diensthabende bereits am Vortag dem [Name 1] bekannt, dass er seinem Wunsch entsprechend am 26.3.1966 mit [Name 2] auf dem U-Bahnhof Nordbahnhof eingesetzt wird.
Die weiteren Untersuchungen ergaben, dass die Desertion von beiden Beteiligten bereits seit längerer Zeit vorbereitet worden war. [Name 1] und [Name 2] haben am 20.3.1966 ihre Fernsehgeräte an den Vater bzw. an eine im gleichen Hause wohnende Bekannte verschenkt. Am 23.3.1966 verkaufte [Name 2] seine Luftmatratze und am 25.3.1966 hob er von seinen Sparbüchern die restlichen Guthaben ab.
[Name 1] und [Name 2] kannten sich bereits seit 1964. Zwischen beiden bestand ein sehr enges freundschaftliches Verhältnis, in dem [Name 2] offensichtlich den Ton angab. Im Juli 1965 waren sie gemeinsam in Bulgarien; 1966 unternahmen sie gemeinsam Reisen in den Harz und zur Leipziger Messe.1 In Bezug auf den starken Einfluss des [Name 2] auf [Name 1] gibt es Anzeichen, dass beide in homosexueller Beziehung zueinander standen.
In der Dienstdurchführung zeigten [Name 2] und [Name 1] durchschnittliche, teilweise auch gute Leistungen. [Name 1] verhielt sich im Kollektiv äußerst kameradschaftlich. In politischen Diskussionen bezog er jedoch keine klare Stellung und wich konkreten Fragen aus. [Name 2] zeigte wenig Interesse am Dienst. In den Auseinandersetzungen über politische Probleme führte er wiederholt negative Diskussionen, insbesondere hinsichtlich einer Verherrlichung der westlichen Lebensverhältnisse.
Bei Haussuchungen wurden in den Wohnungen der beiden Deserteure u. a. Postkartenfotos westlicher Schauspieler mit Originalunterschrift und Kosmetikerzeugnisse sowie Genussmittel westlicher Herkunft sichergestellt.
Die Ursachen und näheren Zusammenhänge der Desertion werden durch das MfS weiter untersucht.