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Einreise von US-Bürgern mit neuen Personalausweisen (1)

10. Oktober 1966
Einzelinformation Nr. 750/66 über die Einreise amerikanischer Bürger mit neuen Personalausweisen (Identity Card)

[Faksimile von Blatt 7–10]

Von den Kontrollkräften der Grenzübergangsstelle Friedrich-/Zimmerstraße wurde festgestellt, dass seit 9. September 1966 in einigen Fällen USA-Bürger bei ihrer Einreise in die Hauptstadt der DDR statt der bis dahin benutzten Diplomatenpässe neue Ausweise (Identity Cards) vorzeigten. Diese neuen, den Kontrollkräften bisher unbekannten Ausweise sind nicht identisch mit den Militärkennkarten der USA, Englands und Frankreichs. Als ausstellende Behörde ist die Alliierte Kommandantur1 – US Element – angegeben. Angaben über die Stellung der Inhaber dieser neuen Ausweise, über seine Staatsangehörigkeit, seine Dienstverhältnisse gehen daraus nicht hervor. Es heißt darin lediglich, dass der Inhaber »Anspruch auf den Schutz hat, der Mitgliedern der Alliierten Streitkräfte nach alliierten Gesetzen, die in Berlin Gültigkeit haben, zusteht.«

Den Inhabern dieser neuen Personalausweise wurde von den Kontrollkräften beim Passieren der Grenzübergangsstelle Friedrich-/Zimmerstraße erklärt, dass dieses Dokument nur anerkannt werde, wenn sie entweder wie in der Vergangenheit ein von uns anerkanntes Dokument vorweisen (Diplomatenpass oder Militärkennkarte) oder sich der ordentlichen Grenzkontrolle (Pass-, Zollkontrolle, Pflichtumtausch)2 unterziehen. In keinem Falle wurden jedoch die Inhaber derartiger neuer Personalausweise zurückgewiesen. Im Gegenteil wurde einigen solcher amerikanischen Staatsbürger die Ein- bzw. Ausreise ohne Schwierigkeiten gestattet, weil sie durch frühere Ein- und Ausreisen mit Diplomatenpass als amerikanische Diplomaten bekannt waren.

Das trifft z. B. auf die USA-Bürger Livingston, Gerald,3 geboren 17.11.1927, Diplomaten-Pass-Nr. 15139 (ein- und ausgereist am 9. und 10.9.1966, 19.9.1966), Polansky, Sol,4 geboren 7.11.1926, Protokollchef der amerikanischen Verwaltung, Diplomaten-Pass-Nr. 25243 (ein- und ausgereist 9., 12., 19.9. und 3.10.[1966]), Holomany, Matild,5 geboren 25.8.1912, Diplomaten-Pass X 006425 (ein- und ausgereist 15.9., 16.9.1966), zu.

So wurde Polansky bei seiner Einreise am 3.10.1966, 11.00 Uhr, als er mit diesem neuen Ausweis einreisen wollte, abermals erklärt, dass er dann die ordentliche Grenzkontrolle passieren müsse. Daraufhin zeigte P. seinen Diplomaten-Pass (mit dem er früher regelmäßig einreiste) vor und konnte ohne Behinderung einreisen. Bei seiner Ausreise am gleichen Tage zeigte er von sich aus beide Dokumente zugleich und konnte ebenfalls ungehindert passieren.

In anderen Fällen, in denen die USA-Bürger nicht bekannt waren und mit den neuen Ausweisen einreisen wollten (am 19.9.[1966] der amerikanische Staatsbürger Jäger, George6 in Zivil mit dem Pkw VW A 27731 und zwei namentlich nicht bekannte USA-Staatsbürger in Zivil mit dem Pkw AM 8917), wurden diese Personen darauf aufmerksam gemacht, dass sie sich der ordentlichen Grenzkontrolle unterziehen müssen. Jäger verlangte daraufhin einen sowjetischen Offizier zu sprechen. Ihm wurde mitgeteilt, dass er dann bis zum Eintreffen eines sowjetischen Offiziers warten müsse, er aber bis dahin seinen Pkw zur Seite fahren müsste, um den Verkehr nicht zu blockieren. Dieser Bitte kam er nicht nach, sondern fuhr aus eigenem Entschluss nach Westberlin zurück. Die beiden anderen namentlich nicht bekannten USA-Bürger fuhren nach der Aufforderung, sich der ordentlichen Grenzkontrolle zu unterziehen, ebenfalls nach Westberlin zurück, mit dem Hinweis, die sowjetische Botschaft darüber zu informieren.

In allen Fällen weigerten sich die USA-Bürger, die neuen Personalausweise zur Passkontrolle zu übergeben. (Das in der Anlage beigefügte Muster ist aufgrund visueller Beobachtungen nachgestaltet worden.)

Von der USA-Bürgerin Holomany7 wurde bei ihrer Einreise am 15.9.1966 auf die Frage, warum sie nicht mit ihrem Diplomatenpass reise, sondern diesen neuen Ausweis benutze, geantwortet, dass zwischen den alliierten Streitkräften eine Vereinbarung getroffen wurde, nicht mehr den Diplomatenpass, den sie noch besitzt, sondern den neuen Personalausweis zu zeigen. Darüber wisse ein Herr Milko8 (phonetisch) von der sowjetischen Botschaft Bescheid. Es handle sich bei den USA-Bürgern mit diesen neuen Ausweisen um Diplomaten. Bei ihrer Einreise am 19.9. erklärte die Holomany, dass sie annehme, dass ein solches Dokument der sowjetischen Botschaft übergeben wurde. Genaue Auskunft darüber könne Livingston geben.

Am gleichen Tage erklärte Livingston, dass ein solches Dokument noch nicht übergeben worden sei, er sich aber dafür einsetzen wolle, dass dies noch im Laufe der Woche geschieht. (bis zum jetzigen Zeitpunkt ist uns nichts von der Übergabe eines solchen Dokuments bekannt geworden.)

Die von amerikanischer Seite in Westberlin geäußerten Behauptungen, die Maßnahmen der DDR an der GÜST Friedrich-/Zimmerstraße stellten eine Diskriminierung und Behinderung und vor allem auch eine Benachteiligung gegenüber den englischen und französischen Besatzungsmitgliedern dar, die angeblich seit mehr als 15 Jahren derartige Dokumente benutzen und dabei keinerlei Schwierigkeiten hätten, entsprechen in keiner Weise den Tatsachen.

Wie dem MfS zuverlässig bekannt ist, besitzt z. B. die englische Besatzungsmacht ähnliche Identitätsnachweise, die sich jedoch durch folgende Merkmale wesentlich von den neuen amerikanischen Personalausweisen unterscheiden:

  • Ausstellende Behörde ist die britische Militärregierung in Westberlin (Military Gouvernement Berlin, British Sector);

  • Aus dem Dokument geht hervor, dass der Inhaber bei der britischen Militärregierung angestellt ist;

  • In den Identitätsausweisen ist die Nummer des Passes des Inhabers eingetragen.

Außerdem wurden diese britischen Identitätskarten seit dem 13.8.19619 in noch keinem Falle benutzt, um in die Hauptstadt der DDR einzureisen. Das gleiche trifft auf die französische Besatzungsmacht zu. Sowohl die britischen als auch die französischen Diplomaten weisen sich ordnungsgemäß mit ihren Diplomatenpässen aus.

Auch die Erklärung Polanskys, er sei bei der Einreise in die Hauptstadt der DDR behindert worden und die Kontrollkräfte hätten ihn nicht einreisen lassen, ist – wie bereits durch die Schilderung des Gegenteils bewiesen ist – nicht zutreffend.

Da es sich um Testversuche handelt und die Einführung dieser neuen Dokumente den für die Ein- und Ausreise und Kontrolle gültigen Anweisungen und Bestimmungen widerspricht, haben die Kontrollorgane wie dargelegt gehandelt, ohne die USA-Bürger zurückzuweisen.

Nach der Erstinformation des MfS über diesen Sachverhalt gab es keine weiteren anders gelagerten Fälle.10

Aufgrund des Inhalts dieser neueingeführten Personalausweise wäre eine Anerkennung dieser neuen Ausweise geeignet nachzuweisen, dass der Vier-Mächte-Status Berlin und alliierte Rechtsnormen, einschließlich der einseitig von den drei Westmächten nach der Spaltung Berlins erlassenen Normen, als für ganz Berlin gültig von DDR-Seite stillschweigend akzeptiert würde. Das ist auch offensichtlich der Grund für die Herausgabe dieser neuen Ausweise, die als Testversuche einzuschätzen sind, die staatlichen Hoheitsrechte der DDR zu negieren. Da diese Personalausweise durch ihren Inhalt eine Rechtsauffassung betonen, die der DDR entgegensteht, können sie unseres Erachtens weder als Pass noch Diplomatenpass oder Militärpapiere zur Identifizierung von Angehörigen der amerikanischen Besatzungsmacht dienen und damit nicht für das Betreten der Hauptstadt der DDR berechtigen.

Von amerikanischer Seite erfolgen keinerlei Verlautbarungen über die Einführung dieses neuen Personaldokumentes, wie sie rechtens entweder gegenüber dem MfAA der DDR oder der Stadtkommandantur Berlin hätte geschehen müssen.

Trotz der wiederholten Hinweise von USA-Diplomaten, dass die Botschaft der Sowjetunion über diese Neuregelung informiert werde, geschah aber auch dies offensichtlich nicht, da die zuständigen DDR-Organe von sowjetischer Seite keine derartigen Hinweise erhielten.

So wurde z. B. auch in einem Artikel der »Frankfurter Allgemeine Zeitung« vom 14.9.1966 betont, dass »in aller Stille« das Verfahren für die amerikanischen Zivilbeamten, die dienstlich oder privat in den Ostsektor fahren, vereinfacht worden sei.11 Im gleichen Artikel wurde jedoch unter Hinweis auf die »Viermächteverantwortung« spekuliert, »dass diese Änderung nicht ohne Kenntnis der Sowjets vorgenommen worden« und deshalb auch von politischem Interesse sei.

Es müsste entschieden werden, wie bei dieser in vorliegender Information geschilderten Praxis seitens der Amerikaner in Zukunft weiter verfahren werden soll:

  • sollen die mit diesen neuen amerikanischen Personalausweisen einreisenden USA-Bürger genauso abgefertigt werden wie die USA-Bürger mit Diplomaten-Pässen oder wie Militärangehörige in Zivil mit Militärkennkarte;

  • soll in diesen Fällen auf die ordnungsgemäße Grenzkontrolle bestanden werden.12

Nach unserer Auffassung ist es vom Standpunkt der Gewährleistung der Sicherheit unbedingt notwendig zu verhindern, dass mit Hilfe eines derart nichts aussagenden Dokumentes, wie es der neue Personalausweis der amerikanischen Kommandantur darstellt, möglich wird, faktisch mit bestimmten Kontrollbefreiungen in die Hauptstadt der DDR ein- und auszureisen und diese Kontrollbefreiungen zu missbrauchen.

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    10. Oktober 1966
    Einzelinformation Nr. 755/66 über die Festnahme des US-Bürgers [Name, Vorname] am 7.10.1966

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    9. Oktober 1966
    Einzelinformation Nr. 751/66 über Vorkommnisse mit Jugendlichen während des Volksfestes anlässlich des 17. Jahrestages der DDR in der Karl-Marx-Allee in Berlin