Einreiseerlaubnis für Schriftseller Heinar Kipphardt
5. Mai 1966
Einzelinformation Nr. 354/66 über die Einreiseerlaubnis in die Hauptstadt der DDR für den Schriftsteller/Dramatiker Dr. med. Kipphardt, Heinar
Dem MfS wurde bekannt, dass sich Leitungsmitglieder des Berliner Ensembles, besonders Helene Weigel,1 der Chefdramaturg Joachim Tenschert,2 der Chefregisseur Manfred Wekwerth3 und der Schauspieler Ernst Busch4 nachdrücklich für eine ständige ungehinderte Einreise des 1959 republikflüchtig gewordenen Kipphardt,5 ehemaliger Dramaturg am Deutschen Theater in Berlin, in die Hauptstadt der DDR einsetzen.
Von den genannten Personen wurde ein dementsprechendes Ansinnen in schriftlicher Form an die Stadtkommandantur Berlin, Genosse Generalmajor Poppe,6 gerichtet.
In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass Kipphardt aufgrund seines bisherigen politischen Verhaltens besonders während seines Aufenthaltes in der Hauptstadt der DDR am 24.12.1965 die Einreise gesperrt worden war.
Kipphardt war, nachdem er 1948 in Westdeutschland zum Dr. med. promoviert hatte, 1949 in die DDR übergesiedelt. Von 1949 bis 1950 war K. als Assistenzarzt an der Nervenklinik der Charité in Berlin beschäftigt, von wo er 1950 als Dramaturg zum Deutschen Theater überwechselte. 1953 wurde er mit dem Nationalpreis III. Klasse ausgezeichnet. Im Januar 1959 schloss er mit dem Schauspielhaus Düsseldorf einen Vertrag als Dramaturg über sechs Monate ab. Im Oktober 1959 verließ er illegal die DDR und ist seitdem als freischaffender Schriftsteller und Dramatiker in Westdeutschland, Wohnsitz München-Untermenzing, Goteboldstraße 54, tätig.
Aus der Zeit der Tätigkeit am Deutschen Theater ist über Kipphardt u. a. bekannt, dass er mit zu den Wortführern der gegen die Kulturpolitik der DDR auftretenden Kulturschaffenden gehörte. So versuchte er z. B. gemeinsam mit dem Schriftsteller und Dramaturgen am Deutschen Theater Peter Hacks7 die vonseiten der Partei 1958/59 an Langhoff8 – damals Intendant am Deutschen Theater – geübte Kritik auszunutzen, um Langhoff für die Durchsetzung ihrer kulturpolitischen Auffassungen zu gewinnen. Kipphardt – und auch Hacks – zeigten sich außerordentlich verärgert, als sich Langhoff zum damaligen Zeitpunkt von ihren Auffassungen distanzierte und die Kritik der Partei als berechtigt anerkannte.
In der Folgezeit lehnte Kipphardt jede Einflussnahme bzw. Anregung des ZK der SED ab und negierte offen die führende Rolle der Partei.
Maßgeblich durch seine Haltung mit hervorgerufen, entwickelte sich 1958/59 die zum Teil öffentliche Theaterdiskussion.9 Dabei beharrte er auf seinem gegen die Kulturpolitik der DDR gerichteten Standpunkt. In diesem Zusammenhang gab er wiederholt prinzipienlose, gegen die Kulturpolitik der Partei gerichteten Erklärungen ab. Die an ihm geübte Kritik wurde negiert.
Mit dieser Haltung und anderen Erscheinungen verletzte Kipphardt laufend die Parteidisziplin und inspirierte andere politisch-schwankende und feindliche Kräfte, so dass am Deutschen Theater wiederholt mit ihm politische Auseinandersetzungen geführt werden mussten.
Eine Auswertung dieser Vorfälle im Deutschen Theater führte dazu, dass der Vertrag mit Kipphardt 1959 nicht mehr verlängert wurde. Danach bezeichnete sich Kipphardt wiederholt als »Abschussobjekt« der Partei.
Diese Vorkommnisse insgesamt – zu denen Dr. K. niemals eine parteiliche Stellungnahme bezogen hat – führten offensichtlich mit zu seiner Republikflucht im Oktober 1959.
In einem Parteiverfahren am 1.12.1959 wurde Kipphardt aus der SED ausgeschlossen.
Kipphardt steht in Westdeutschland Kreisen linksliberaler Intellektueller sehr nahe. Er schrieb in den letzten Jahren eine Reihe als progressiv zu bewertende Theaterstücke, die auch in der DDR aufgeführt werden. So haben das Berliner Ensemble und das Theater in Rostock das Schauspiel »In der Sache J. Robert Oppenheimer«10 im Spielplan. Außerdem stehen die antifaschistischen Stücke des Kipphardt »Der Hund des Generals«11 und »Joel Brand«12 im Repertoire der Bühnen Leipzig und Schwerin.
Zum Zwecke der Teilnahme an den Uraufführungen seiner Werke erhielt Kipphardt ab März 1965 mehrmals die Genehmigung zur Einreise in die Hauptstadt der DDR und am 20.12.1965 nach Schwerin.
Im Zusammenhang mit diesen Besuchen in der Hauptstadt der DDR bzw. in Schwerin wurde festgestellt, dass er erneut Verbindungen zu solchen Personen herzustellen bzw. enger zu gestalten versuchte, die eine direkte ablehnende oder indifferente Haltung besonders zur Kulturpolitik der DDR einnehmen. Vor allem nutzte er seine Besuche dazu aus, seine Verbindung zu Stefan Heym13 weiter zu festigen.
Ein »Ergebnis« dieser engen Verbindung zu Heym ist z. B., dass Kipphardt und Heym gemeinsam mit anderen westdeutschen Schriftstellern am 13.10.1965 anlässlich der Frankfurter Buchmesse an einem Podiumsgespräch über »Zweimal deutsche Literatur« teilnahmen, das über Fernsehen und Rundfunk in Westdeutschland übertragen wurde. Die Teilnahme Heyms an diesem Podiumsgespräch war durch K. in Westdeutschland ermöglicht worden. Kipphardt vertrat dabei die Ansicht, es gebe nur eine gemeinsame deutsche Literatur, da es auch nur eine deutsche Sprache gebe; das Theater und die Literatur der DDR unterliege aber in der Gegenwart einem »Wirklichkeitsverlust«. Seine politische Grundhaltung ging dabei u. a. auch aus der These hervor, der Marxismus unterliege gegenwärtig einer »allgemeinen Krise« und sei revisionsbedürftig.
Unter Missbrauch seiner Einreisegenehmigung am 20.12.1965 nach Schwerin zur Teilnahme an der Erstaufführung seines Schauspiels »Joel Brand« traf Kipphardt wiederum mit Heym in dessen Wohnung zusammen. Offensichtlich in Kenntnis der Sachlage erklärte sich Kipphardt bereit, sich dafür einzusetzen, dass ein Artikel von Stefan Heym über das Thema »Bundesdeutsche Reflektionen« in der Münchner Abendzeitung doch nicht erscheinen solle. (Heym hatte diesen Artikel aufgrund der an ihm geübten Kritik zurückgezogen.)14
Zur Aufrechterhaltung dieser Verbindungen, besonders zu Heym, beauftragte Kipphardt in einigen Fällen auch Mittelsmänner.
Aus diesen aufgezeigten Gründen wurde entsprechend den zentralen Festlegungen ab 24.12.1966 die Einreise für Kipphardt in die Hauptstadt der DDR gesperrt.
In den Abendstunden des 6.4.1966 ersuchte Kipphardt erstmalig nach der ausgesprochenen Einreisesperre an der GÜST Bahnhof Friedrichstraße um Einreise in die Hauptstadt der DDR mit Tagespassierschein. Dort wurde er von einigen Mitgliedern des Berliner Ensembles – u. a. von Ernst Busch, Joachim Tenschert und Manfred Wekwerth – erwartet. (Angeblich war Kipphardt von diesen Personen anlässlich eines Zusammentreffens zur Beisetzung Erwin Piscators15 in Westberlin zu einem Besuch des Berliner Ensembles eingeladen worden.)
Da den Mitgliedern des Berliner Ensembles die Wartezeit nach der mit Kipphardt vereinbarten Zeit zu lang erschien, erkundigten sie sich bei den Grenzkontrollkräften nach seinem Verbleib. Da von ihnen jedoch verschiedene Grenzkontrollkräfte angesprochen wurden, die über die Sachlage nicht informiert waren, erhielten sie bis zur Einholung genauer Erkundigungen unterschiedliche Auskünfte, die im Wesentlichen beinhalteten, dass sich Kipphardt nicht auf der GÜST befände bzw. dass er bereits nach Westberlin zurückgefahren sei.
Offensichtlich waren die genannten Personen zu diesem Zeitpunkt durch einen anderen Besucher aber bereits davon informiert, dass sich Kipphardt auf der GÜST befand. Aufgrund dieser Kenntnisse und der unterschiedlichen Auskünfte über den Verbleib Kipphardts äußerten sich die anwesenden Mitglieder des Berliner Ensembles ungehalten über die Abfertigungsmethoden beim Grenzübergang. Dabei kam es zu unbeherrschten und außerordentlich lautstarken Äußerungen des Schauspielers Ernst Busch gegen die Grenzsicherungsorgane, die von einem größeren, an der Abfertigung befindlichen Personenkreis mitgehört wurden.
Zur Vermeidung weiterer Zwischenfälle durch die an der GÜST wartenden Personen und unter Berücksichtigung dessen, dass Kipphardt persönlich durch die Leitung des Berliner Ensembles zum Besuch einer Vorstellung seines Stückes eingeladen worden war, wurde entschieden, ihm am 6.4.1966 ausnahmsweise in die Hauptstadt der DDR mit Tagespassierschein einreisen zu lassen. Dabei wurde jedoch die bestehende Einreisesperre nicht aufgehoben.
Nach diesem Zeitpunkt hat K. nicht wieder versucht, in die Hauptstadt der DDR einzureisen.
Da die Einreisesperre für Kipphardt nicht aufgehoben wird, ist es notwendig, dass die Personen, die sich ständig um eine Einreisegenehmigung für ihn bemühen, aufgeklärt werden, dass die Einreise des K. nicht erwünscht ist.