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Fahnenflucht eines Offiziers der Grenzkompanie Berka

26. August 1966
Einzelinformation Nr. 632/66 über die Fahnenflucht eines Offiziers der Grenzkompanie Berka, GR Eisenach am 23.8.1966

Am 23.8.1966, gegen 22.00 Uhr, fuhr der Unterleutnant [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1940, wohnhaft Eisenach, [Straße, Nr.], NVA seit 10.2.1958, Mitglied der SED und FDJ, verheiratet, mit dem Kraftfahrer Soldat [Name 2] und dem Begleitposten Soldat [Name 3] zur Postenkontrolle im Abschnitt Schachtbrücke1 im Bereich der Kompanie Berka. Nach der Kontrolle der Grenzposten Gefreiter [Name 4]/Gefreiter [Name 5] fuhren sie in Richtung Schachtbrücke weiter.

In Höhe des im Abschnitt gelegenen Bahndamms ließ [Name 1] das Fahrzeug halten. Anschließend entfernte er sich mit dem Bemerken, eine gedeckte Postenkontrolle durchführen zu wollen. Die Begleitposten ließ er im Kfz zurück. Da [Name 1] jedoch bis gegen 2.15 Uhr nicht zurück war (er hatte sich gegen 0.15 Uhr von seinen Begleitern getrennt), verständigten sie die Kompanie vom Sachverhalt.

Im Zuge der sofort eingeleiteten Grenzalarme wurde festgestellt, dass ca. 300 m rechts vom Bahnhof Berka die Drahtsperre an einer Gasse freund- und feindwärts durchschnitten war. Feindwärts der Sperre wurden der Kampfanzug, die MPi, 30 Schuss Munition und die leere Pistolentasche des [Name 1] sowie eine Kombizange aufgefunden.

[Name 1] war seit dem 10.2.1958 Angehöriger der NVA, seit dem 27.8.1965 befand er sich im Grenzeinsatz. [Name 1] hatte die Offiziersschule der Grenztruppen mit guten Ergebnissen absolviert; er wurde als einer der besten Lehrgangsteilnehmer eingeschätzt. Zuletzt war [Name 1] als Stellvertreter für Politarbeit in der Kompanie Berlin eingesetzt, wo er bisher ebenfalls eine gute Arbeit leistete. Infolge charakterlicher Unausgeglichenheit trat er wiederholt ungeduldig auf und ging in seinen Forderungen über die Zielstellung hinaus.

Über mögliche Faktoren, die mit zu der Fahnenflucht des [Name 1] geführt haben können, wurde bisher Folgendes bekannt:

Unter falscher Auslegung der Anordnung 11/66 des MfNV (Konterpropaganda)2 nahm er am 18.6.1966 aus eigener Initiative Kontakt mit BGS-Angehörigen auf. In Auswertung dieses Vorkommnisses wurde er am 4.7.1966 vor dem Kollektiv gerügt, worüber er sehr verärgert war.

In seiner Ehe gab es wiederholt Auseinandersetzungen, weil er vermutlich intime Verbindungen zu einer anderen Frau unterhielt. Am 21.8.1966 kam es wiederum zu einer ehelichen Auseinandersetzung, weil er bei einer Tanzveranstaltung eine westdeutsche Bürgerin kennengelernt hatte, mit der er, entgegen dem Wunsch seiner Frau, tanzte und Brüderschaft trank. Auf die Vorhaltungen seiner Frau erklärte er, »er mache das nicht mehr lange mit«, ohne jedoch die ausdrückliche Frage seiner Frau zu beantworten, was er damit meine.

[Name 1] unterhielt einen festen Kontakt zu seiner Schwester in Westdeutschland. Außer Briefen wurden auch Pakete empfangen. Die Schwester war Ende Juni 1966 zu Besuch in der DDR. Offizielles Besuchsziel war die Mutter in Bad Sulza, [Kreis] Apolda. Bei der Anreise hielt sich die Schwester einen Tag bei [Name 1] in Eisenach auf. Anschließend kam [Name 1] mit ihr wiederholt bei seiner Mutter in Bad Sulza zusammen.

Während seines Jahresurlaubs vom 6.7. bis 4.8.1966 traf er sich in Magdeburg und bei seiner Mutter in Bad Sulza mit seiner zu Besuch in der DDR weilenden Tante aus Westdeutschland.

Die Ehefrau des [Name 1] ist stellvertretende Kaderleiterin beim VEB Kraftverkehr Eisenach und wird als zuverlässige Mitarbeiterin eingeschätzt.

Die weiteren Untersuchungen zur Aufklärung der näheren Ursachen und Zusammenhänge der Fahnenflucht werden durch eine Kommission der NVA unter Mitarbeit des MfS geführt.

  1. Zum nächsten Dokument NVA-Angehörige skandieren NS-Parolen in Oelsnitz

    31. August 1966
    Einzelinformation Nr. 640/66 über Ausschreitungen durch Angehörige der Grenzkompanie Posseck, 10. GR Plauen, am 17.8.1966

  2. Zum vorherigen Dokument Fahnenflucht mit tödlichem Ende bei Nettgau

    23. August 1966
    Einzelinformation Nr. 627/66 über eine verhinderte Fahnenflucht im Bereich der Grenzkompanie Nettgau, GR Beetzendorf, am 19.8.1966 mit tödlichem Ausgang für den Deserteur