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Fahnenflucht in Berlin-Treptow

23. April 1966
Einzelinformation Nr. 319/66 über eine Gruppenfahnenflucht aus dem GR 37, 1. Grenzbrigade, im Abschnitt Berlin-Treptow, Puschkinallee am 22.4.1966

Am 22.4.1966 in der Zeit von 15.00 Uhr bis 22.00 Uhr waren Postenführer Soldat [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1944, NVA seit 4.5.1965, ledig, Posten Soldat [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1945, NVA seit 1.11.1965, ledig, zur Sicherung der Staatsgrenze im Abschnitt Berlin-Treptow, Puschkinallee eingesetzt. Gegen 20.20 Uhr fiel die Sprechanlage des Grenzmeldenetzes zwischen Lohmühlenplatz und Puschkinallee aus. Durch den Posten am Görlitzer Bahndamm (Nachbarposten links der Puschkinallee) wurde daraufhin MfS: das Signal »Offizier zur Grenze« geschossen.

Nachdem der Zugführer beim Posten am Görlitzer Bahndamm eingetroffen war, veranlasste er über den diensthabenden Offizier im Führungspunkt die Überprüfung der Grenzmeldeanlage. Gegen 21.25 Uhr trafen die mit der Überprüfung beauftragten Unteroffizier Hebig1 und Soldat [Name 3] am Posten Puschkinallee ein. Dabei stellten sie fest, dass der Postenturm unbesetzt und die Drahtverbindung des Sprechgerätes willkürlich unterbrochen war. Auf Westberliner Seite bemerkte Unteroffizier Hebig unmittelbar an der pioniertechnischen Anlage fünf bis sechs Personen. Daraufhin verließ er den Postenturm und gab vier Schuss aus seiner MPi senkrecht in die Luft ab (»Offizier zur Grenze«). Unmittelbar danach wurden von Westberliner Seite aus ca. 15 Schuss aus einer MPi auf den NVA-Postenturm abgegeben, wodurch die Scheibe des Postenturms zersplitterte. Außerdem wurden fünf weitere Einschüsse festgestellt. Die Schützen wurden dabei nicht erkannt. Unteroffizier Hebig übernahm anschließend die Sicherung bis zum Eintreffen des Führungsoffiziers der Kompanie.

Die gemeinsame Kontrolle ergab, dass die Posten [Name 1] und [Name 2] unter Mitnahme ihrer MPi mit je 60 Schuss Munition, einer Leuchtpistole und einem Fernglas kurz nach 21.00 Uhr nach Westberlin fahnenflüchtig geworden waren. Die Fahnenflüchtigen hatten sich vom Gelände des VEB OLW Treptow eine Bank beschafft, mit deren Hilfe sie die pioniertechnischen Anlagen überkletterten. Der im Abschnitt eingesetzte Diensthund befand sich im Hundezwinger und schlug nicht an. Bei einer gedeckten Kontrolle durch Offiziere der Kompanie in der Zeit von 20.30 bis 21.00 Uhr befanden sich beide Posten noch im Grenzabschnitt und versahen ihren Dienst entsprechend den gegebenen Weisungen.

Zur Person:

[Name 1] befand sich seit dem 20.10.1965 im GR 37 und versah einen durchschnittlichen Dienst, ohne besonders in Erscheinung zu treten. Der Vater ist Mitglied der SED und Bürgermeister und Abgeordneter in [Ort], Saalkreis. Die Mutter ist Verkäuferin.

[Name 2] war seit dem 2.12.1965 als Posten an der Staatsgrenze eingesetzt. Er verrichtete einen durchschnittlichen Dienst. Von seiner Arbeitsstelle und Verhalten im Wohngebiet wurde [Name 2] positiv beurteilt. Bis zu seiner Fahnenflucht wurden ebenfalls keine negativen Faktoren bekannt. Die Eltern des [Name 2] sind Rentner.

Die durchgeführten Maßnahmen, u. a. Spindkontrollen, ergaben bisher keine Anhaltspunkte auf eine vorbereitete oder seit langem organisierte Fahnenflucht. [Name 2] hatte ab 23.4.1966 Urlaub und seine Reisetasche bereits gepackt. [Name 1] hatte noch 120 MDN in seinem Spind.

Durch das MfS werden weitere Untersuchungen zur Ermittlung der Ursachen und näheren Umstände und Zusammenhänge der Fahnenflucht geführt.

Weiter wurden Maßnahmen zur näheren Aufklärung des provokatorischen Schusswaffengebrauchs von Westberliner Territorium aus eingeleitet.

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    27. April 1966
    Einzelinformation Nr. 325/66 über den Rundsprechfunkverkehr der Volkspolizeikreisämter und der Kreisleitungen der SED

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    23. April 1966
    Abschluss-Bericht Nr. 318/66 über den Verlauf der 1. Besuchsperiode vom 7.4. bis 20.4.1966 des 4. Passierscheinabkommens (Ostern)