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Fehler von NVA-Offizieren bei Ernteeinsätzen

21. September 1966
Einzelinformation Nr. 710/66 über das besondere Vorkommnis im Erntekommando der 5. Grenzbrigade in der LPG Wiebendorf, Kreis Hagenow, und über ähnliche Erscheinungen im Erntekommando der 8. MSD im VEG Dreschvitz, [Kreis] Rügen

Die vom MfS geführten Untersuchungen zum besonderen Vorkommnis im Erntekommando der 5. Grenzbrigade in der LPG Wiebendorf, Kreis Hagenow haben folgendes Ergebnis:

Auf Befehl des Kommandeurs der 5. Grenzbrigade, Oberstleutnant Eydam,1 wurde am 12. September 1966 aus Angehörigen der Grenzregimenter Beetzendorf, Gardelegen und Salzwedel sowie des Grenzausbildungsregiments Glöwen ein Erntekommando von 150 Soldaten und Unteroffizieren zusammengestellt, welches im Kreis Hagenow zur Bergung der Hackfrüchte eingesetzt wurde. Entsprechend einer zwischen dem Brigadekommandeur und dem Chef der Grenztruppen bestehenden Vereinbarung wurden für diesen Einsatz vorwiegend Soldaten und Unteroffiziere bestimmt, die gegenwärtig aus verschiedenen Gründen nicht unmittelbar in der Linie eingesetzt sind bzw. die im Herbst 1966 aus dem Dienst in der NVA entlassen werden sollen. Es wurde bekannt, dass sowohl die Soldaten als auch die verantwortlichen Offiziere nur mangelhaft in ihre Aufgaben eingewiesen wurden. Die zu diesem Einsatz befohlenen Offiziere kannten auch ihre Soldaten und Unterführer nicht, was sich während des Einsatzes ebenfalls negativ auswirkte.

Unter Führung des Oberleutnant Arndt2 vom Grenzausbildungsregiment 5 in Glöwen wurden 100 Soldaten des Kommandos zur Arbeit in der LPG Wiebendorf befohlen, wo am 13.9.1966 gegen 13.00 Uhr die Arbeit aufgenommen wurde. Oberleutnant Arndt schätzte ein, bis zu diesem Zeitpunkt habe eine solche Stimmung vorgeherrscht, mit den zur Verfügung stehenden Kräften könnten die geforderten Aufgaben gelöst werden.

Neben organisatorischen Mängeln in Bezug auf Unterbringung und Verpflegung traten jedoch solche Erscheinungen zutage, dass bei Arbeitsbeginn sowohl die Offiziere als auch die Soldaten nicht über die zu erfüllende Norm und die Vergütungssätze unterrichtet waren. Vom zentralen Erntestab unter Leitung des Major Fuchs/3Militärbezirk III war festgelegt worden, dass beim Sammeln von 60 Kiepen4 Kartoffeln pro Soldat eine Sollerfüllung von 100 % erreicht sei. Die Vergütung für diese Leistungen sollte zu 75 % an die NVA abgeführt werden, die restlichen 25 % (gleich 3,50 MDN) sollten an die Soldaten zur Auszahlung gelangen. Da selbst dem Vorsitzenden und dem Buchhalter der LPG Wiebendorf diese Norm, auf die örtlichen Verhältnisse übertragen, zu hoch erschien, vereinbarten dieselben mit Oberleutnant Arndt, die Soldaten am 13.9.1966 ohne Norm arbeiten zu lassen und anhand der geleisteten Arbeit die Norm für die nächsten Tage festzulegen. Oberleutnant Arndt informierte seine Untergebenen daraufhin allgemein dahingehend, sie sollten erst einmal arbeiten, über die Norm würde man sich später unterhalten. Dadurch arbeitete das Erntekommando am 13.9.1966 ohne jeglichen materiellen Anreiz und erzielte unbefriedigende Ergebnisse. Oberleutnant Arndt drohte daraufhin wiederholt mit »Maßnahmen durch den Militärstaatsanwalt«, falls am nächsten Tage die Arbeitsleistungen nicht besser würden.

In den Vormittagsstunden des 14.9.[1966] wurde eine vorbildliche Arbeit geleistet, worüber der LPG-Vorstand seine Befriedigung zum Ausdruck brachte. Dabei lag jedoch die Höchstleistung einiger Soldaten, die an landwirtschaftliche Arbeiten gewöhnt waren, in fünfstündiger Arbeit bei 24 Kiepen pro Person. Zu diesem Zeitpunkt bestand noch immer Unklarheit über die zu erfüllende Norm. Gegen 14.00 Uhr des gleichen Tages wurden Major Hennig5 und Hauptmann Geilhuhn6 vom Erntestab des Kreises Hagenow beauftragt, den Soldaten auf dem Acker die Normfragen zu erläutern. Dies erfolgte, ohne dass sich diese vorher mit dem LPG-Vorstand konsultiert hatten. So kam es seitens dieser Offiziere wiederum zu widersprüchlichen Angaben, indem zunächst erklärt wurde, 60 Kiepen seien 100 %. Später wurde bekanntgegeben, die Norm sei mit 55 Kiepen pro Mann festgelegt worden. Da diese Norm entsprechend der gegebenen Verhältnisse unreal war und zu dem die Vergütung an die Soldaten in Form progressiv gestaffelter Prämien nicht ausreichend erläutert wurde, entstand unter den Angehörigen der Kompanie Unruhe und Unzufriedenheit. Die Soldaten erkannten, dass sie bei gleicher oder erhöhter Arbeitsintensität wie am Vormittag kaum 75 % der Norm erfüllen könnten und dadurch keine Prämien erhalten würden. Dabei wurden Stimmen laut wie: »Das ist Ausbeutung«, »Für einen Hungerlohn arbeiten wir nicht« und dergleichen. Die eingesetzten Offiziere traten nicht energisch dagegen auf. Da zum gleichen Zeitpunkt auf diesem Schlag die Kartoffeln aufgesammelt waren und nunmehr der Acker geeggt und nachgelesen werden sollte, wofür ebenfalls keine Norm festlag, nahmen etwa 70 % der Soldaten die Arbeit nicht wieder auf und verlangten erst eine konkrete Festlegung hinsichtlich ihres persönlichen Verdienstes. Der verantwortliche Zugführer Unterleutnant Jacob7 versuchte daraufhin mit politischen Argumenten und durch sein persönliches Beispiel die Soldaten zur Wiederaufnahme der Arbeit zu veranlassen, ließ jedoch aber eine klare Befehlsgebung völlig vermissen. Dieses Durcheinander führte auch dazu, dass sich ca. zehn Soldaten unerlaubt von ihrem Einsatzort entfernten, und in der Gaststätte des Ortes Alkohol zu sich nahmen. Gegen diese unerlaubte Entfernung griffen jedoch die Offiziere ebenfalls nicht ein.

Nachdem der Leiter des zentralen Erntestabes Major Fuchs Kenntnis erhalten hatte, dass die Arbeit in der LPG Wiebendorf ruhe, gab er, ohne die Ursachen zu erforschen, an seine vorgesetzte Dienststelle eine unobjektive Information, durch die der Eindruck entstehen musste, es handle sich bei dem Verhalten des Ernteabkommens um eine Meuterei. Am Abend des 14.9.[1966], gegen 21.00 Uhr, wurde den Soldaten durch den Major Schmidtke8 vom zentralen Erntestab erstmalig eine konkrete Erläuterung gegeben und mitgeteilt, die Norm für die nächsten Tage sei auf 36 Kiepen pro Mann festgesetzt; bei Mehrleistung würden progressiv gesteigerte Prämien gezahlt. Mit diesen Festlegungen erklärten sich alle Angehörigen des Erntekommandos einverstanden, brachten ihre Genugtuung über die klaren Anweisungen des Major Schmidtke zum Ausdruck und versprachen, eine gute Arbeit zu leisten. Trotzdem wurde das Kommando am Morgen des 15.9.[1966] aus Wiebendorf abgezogen und durch eine andere Einheit ersetzt.

Bei den im Verlauf der Untersuchung durchgeführten Befragungen und Aussprachen brachten die Soldaten der 5. Grenzbrigade übereinstimmend zum Ausdruck, dass sie sich vorgenommen hatten, durch gute Arbeitsleistungen möglichst hohe Prämien zu erreichen. Der gute Wille sei allgemein vorhanden gewesen, jedoch seien sie durch das vorherrschende Durcheinander in den Normfragen und durch die Drohungen des Oberleutnant Arndt missmutig geworden.

Die geführten Untersuchungen erbrachten keine Hinweise auf feindliche bzw. negative Absichten der beteiligten NVA-Angehörigen bzw. auf das Vorliegen von Verstößen gegen die Militärstrafgesetze. Die Ursachen dieses Vorkommnisses liegen den Ermittlungen zufolge im Wesentlichen in der mangelhaften Führungs- und Leitungstätigkeit des zentralen Erntestabes sowie der eingesetzten Offiziere der 5. GB und deren inkonsequenter Befehlsgebung begründet. Durch den Kommandeur des Grenzausbildungsregimentes Glöwen wurden Oberleutnant Arndt mit einem strengen Verweis und Unterleutnant Jacob mit einem Verweis bestraft.

Wie dem MfS ferner bekannt wurde, verweigerten am 15.9.1966 um 15.00 Uhr neun Angehörige des Granatwerferzuges MSR-28, 8. MSD die Arbeit bei Kartoffelrodearbeiten im Ernteeinsatz im VEG Dreschvitz,9 [Kreis] Rügen und begaben sich in ihre Unterkünfte.

Die vom MfS geführten Untersuchungen brachten folgendes Ergebnis:

Der Ernteeinsatz des Granatwerferzuges, bestehend aus neun Angehörigen, begann im Rahmen eines Erntekommandos am 13.9.[1966] in dem VEG Dreschvitz. In einer Kompanieversammlung am 12.9.[1966] erläuterte der Stützpunktleiter Genosse Hauptmann Schweiger10 vor dem Personalbestand die Aufgaben und erklärte, es sei notwendig, dass die neun Angehörigen des Granatwerferzuges – die gemeinsam an Kombines11 eingesetzt werden sollten – täglich 12 Stunden arbeiten, während die Arbeitszeit für alle anderen Angehörigen des Erntekommandos – die manuelle Arbeiten bei der Kartoffelrodung verrichteten –, auf 8 ½ Stunden festgesetzt wurde. Diese Festlegung gelte für die gesamte Dauer des vierwöchigen Ernteeinsatzes des Kommandos. Genosse Hauptmann Schweiger bezog sich bei seinen Erläuterungen auf Vereinbarungen, die vorher zwischen ihm und dem Direktor des VEG Dreschvitz getroffen worden waren und in denen der Direktor des VEG die betriebliche und ökonomische Notwendigkeit einer Zwölf-Stundenarbeit der Kombinebesatzungen begründet hatte.

Nach diesen Ausführungen wandte Genosse Major Müller,12 Bataillons-Kommandeur des 2. MSB, der an dieser Kompanieversammlung teilnahm, ein, er halte eine zwölfstündige tägliche Arbeitszeit für die Zeit von vier Wochen für zu hoch gegriffen und lehne eine derartige Vereinbarung ab. Er gab für die Angehörigen des Granatwerferzuges die Orientierung, zunächst am 13.9.[1966] gemäß den Vereinbarungen zwölf Stunden zu arbeiten, wobei für den 14.9.[1966] und die weitere Zeit eine angemessene Arbeitszeit mit der Leitung des VEG vereinbart werden müsse.

Daraufhin erfolgte am 13.9.[1966] zwischen dem Stützpunktleiter Hauptmann Schweiger und dem Direktor des VEG zwecks Änderung der Arbeitszeit der Kombinebesatzungen eine Unterredung, während der der Direktor des VEG eine 8 ½-stündige Arbeitszeit ablehnte. Dabei begründete er die Notwendigkeit eines zwölfstündigen Einsatzes mit dem derzeitig eingespielten Arbeitsablauf seines Betriebes. Aufgrund dieser Darstellung ließ sich Hauptmann Schweiger beeinflussen, sicherte weiterhin eine tägliche zwölfstündige Arbeitszeit der neun Angehörigen des Granatwerferzuges zu und teilte am 13.9.[1966] vor dem Personalbestand des Erntekommandos mit, dass sich die Arbeitszeit nicht ändern ließe. Nach dieser Mitteilung wandten bereits einige Angehörige des Granatwerferzuges vor dem Erntekommando ein, sie forderten einen 8 ½-Stundentag, wie er für alle übrigen Erntehelfer des Kommandos bestünde; die zwölfstündige tägliche Arbeitszeit für die Dauer von vier Wochen grenze an Ausbeutung. Gleichzeitig brachten die Genossen des Granatwerferzuges zum Ausdruck, falls bis zum 15.9.[1966] keine Änderung der Arbeitszeit erfolge, am 15.9.[1966] um 15.00 Uhr nach 8 ½-stündiger Arbeitszeit das Feld zu verlassen.

Nachdem die neun Genossen am 13. und 14.9.[1966] täglich zwölf Stunden gearbeitet hatten und am 15.9.[1966] keine weiteren Mitteilungen erhielten, verließen sie nach 8 ½-stündiger Arbeit am 15.9.[1966] um 15.00 Uhr die Kombine und nahmen auch auf gegebenen Befehl des Zugführers, Oberstleutnant Eschmann13 die Arbeit nicht auf. Sie erklärten übereinstimmend, die Arbeit am 15.9.[1966] nochmals zwölf Stunden durchführen zu wollen, falls sie das Versprechen erhielten, dass ab 16.9.[1966] für die Dauer des vierwöchigen Einsatzes die tägliche Arbeitszeit auf 8 ½ Stunden festgesetzt werde. Nachdem sie dieses Versprechen durch die Führung des Erntekommandos erhalten hatten, setzten sie auch am 15.9.[1966] die Arbeit wie an den beiden vorhergehenden Tagen fort.

In diesem Zusammenhang wurde dem MfS bekannt, dass Genosse Hauptmann Schweiger bereits im Oktober 1965 durch ähnliche selbständige Entscheidungen zu Unzufriedenheiten in seinem Kompaniebereich beigetragen hatte.

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    21. September 1966
    Einzelinformation Nr. 712/66 über die erweiterte Referentenbesprechung der Evangelischen Landeskirchen in der DDR am 15.9.1966 in Berlin

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