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Fehlverhalten eines VEB-Direktors in Schwedt

14. April 1966
Einzelinformation Nr. 288/66 über das Verhalten des Direktors des VEB Bau- und Montagekombinat (BMK) Schwedt, Kilian, im Zusammenhang mit der Ablösung des Montageleiters der englischen Firma Humphreys & Glasgow/Düngemittelfabrik Schwedt, Zeiner

Die englische Firma Humphreys & Glasgow wandte sich im Februar 1966 an die Außenhandelsorgane der DDR und verlangte Garantien dafür, dass die persönliche Sicherheit ihrer in der DDR tätigen Mitarbeiter gewährleistet werde. Der Grund für diese Forderung seien Behauptungen des ehemaligen Montageleiters dieser Firma in Schwedt, Zeiner,1 und des Direktors des BMK-Schwedt, Kilian,2 dass der als neuer Montageleiter der englischen Firma vorgesehene Ingenieur [Name 1] aus »Sicherheitsgründen« nicht in der DDR arbeiten dürfe.

Am 21.2.1966 wandte sich der ehemalige Montageleiter der Firma Humphreys & Glasgow, Zeiner, an das ZK der SED und sprach die Vermutung aus, dass seine Ablösung auf einer Intrige beruhe, an der auch Bürger der DDR beteiligt seien.

Die vom MfS zur Klärung dieser Fragen eingeleiteten Überprüfungen führten bisher zu folgenden Ergebnissen:

Von der englischen Firma Humphreys & Glasgow, die eine Teilanlage der Düngemittelfabrik im Erdölverarbeitungswerk Schwedt im Wert von 45 Mio. MDN errichtet, war der Ingenieur Zeiner, Eugene in der Zeit von Mai 1965 bis Februar 1966 mit der Leitung der Montagearbeiten betraut. Während seiner Tätigkeit zeigten sich, insbesondere auf dem Gebiet der Lieferungen, erhebliche Mängel in der Arbeit der englischen Firma. Inwieweit die aufgetretenen Schwierigkeiten auf das Verschulden Zeiners zurückzuführen sind, kann nicht eingeschätzt werden. Bekannt war, dass Zeiner zwar kein Fachmann auf dem Gebiet des Anlagenbaues, aber ein guter Organisator und Manager ist.

Von dem von der Firma Humphreys & Glasgow im Oktober 1965 zur Kontrolle nach Schwedt entsandten Ingenieur [Name 1] wurde Mitarbeitern des BMK-Schwedt gegenüber eingeschätzt, dass Zeiner für eine Reihe von Missständen verantwortlich ist. Zwischen Zeiner und [Name 1] kam es deshalb zu ernsthaften Auseinandersetzungen. Im Ergebnis der durchgeführten Kontrolle beabsichtigte die englische Firma den Bauleiter Zeiner abzulösen und an seiner Stelle den Ingenieur [Name 1] einzusetzen. [Name 1] wurde von englischer Seite als technisch versierter Fachmann bezeichnet.

Wie Ende 1965/Anfang 1966 von Mitarbeitern der Firma Humphreys & Glasgow bekannt wurde, habe sich Zeiner gegen seine Abberufung gewehrt und gegenüber dem Direktorium der Firma behauptet, dass die DDR-Behörden aus Sicherheitsgründen gegen die Einsetzung von [Name 1] seien. Die Leitung der Firma hätte diese Mitteilung vorerst nur als einen Versuch Zeiners angesehen, sich seines Konkurrenten zu entledigen.

Nachdem diese Behauptung Zeiners jedoch vom Direktor des BMK-Schwedt, Kilian, bestätigt worden wäre, habe sich die Firma Humphreys & Glasgow veranlasst gesehen, [Name 1] aus der DDR abzuberufen und Zeiner vorläufig auf seinem Posten zu belassen.

Diese Angaben machte der Direktor der Firma Humphreys & Glasgow Dr. Esskries3 gegenüber dem Direktor des AHU-Chemieanlagen-Export-Import- GmbH Schneider.4 Dr. Esskries bezeichnet die Haltung der DDR-Organe als unverständlich, weil die Firma einen besseren Mann schicken möchte, um das Bauvorhaben termingemäß fertigstellen zu können.

Zur gleichen Zeit argumentierte Kilian gegenüber Mitarbeitern des BMK-Schwedt damit, dass vom Verbleib Zeiners als Bauleiter die termingemäße Fertigstellung der Düngemittelfabrik entscheidend abhänge.

Im Dezember 1965 wurde aus zuverlässiger Quelle bekannt, dass es Kilian im November 1965 ohne Vorliegen einer fachlichen Notwendigkeit gelungen war, mit einer Delegation der Außenhandelsorgane der DDR nach England zu reisen, um mit der Leitung der Firma Humphreys & Glasgow über die Ablösung Zeiners zu sprechen. Er erklärte dort, dass staatliche Stellen in der DDR aus Sicherheitsgründen die sofortige Abberufung des [Name 1] fordern würden.

Durch ein Schreiben des Vertreters der Firma Humphreys & Glasgow, [Name 2], vom 8.3.1966 an den Genossen Schneider, Direktor des AHU-Chemieanlagen-Export-Import- GmbH, wurde dieser Vorfall nochmals bestätigt, [Name 2] teilt darin mit, dass er Zeuge des Gesprächs zwischen Kilian und dem Direktor der Firma Humphreys & Glasgow gewesen sei. Kilian habe damals erklärt, dass es im persönlichen Interesse des [Name 1] liege, wenn er sofort abberufen würde. Seine Sicherheit wäre gefährdet, wenn er weiter in Schwedt bliebe.

Vom MfS vorgenommene Überprüfungen ergaben, dass Kilian von keiner staatlichen Stelle ermächtigt oder aufgefordert wurde, eine derartige Mitteilung dem englischen Vertragspartner zu überbringen. Es liegen gegen [Name 1] keine belastenden oder anderweitig negativen Momente vor, die eine solche Forderung gerechtfertigt hätten.

Es wurde weiter festgestellt, dass sich seit der Aufnahme des Montagebetriebes durch die englische Firma Humphreys & Glasgow zwischen dem Bauleiter Zeiner und Direktor Kilian ein sehr enges Verhältnis entwickelte, das weit über die Erfordernisse der notwendigen Zusammenarbeit hinausging. Das zeigte sich vor allem darin, dass Kilian von Zeiner wiederholt französischen Cognac sowie Zigaretten entgegennahm und Kilian des Öfteren in der Wohnung von Zeiner war, wo größere Mengen Alkohol getrunken wurden. Inwieweit sich daraus ein Abhängigkeitsverhältnis entwickelte, welches Kilian zu den genannten Handlungen veranlasste, konnte bisher nicht überprüft werden. Es liegen Hinweise vor, dass Kilian oft betrunken ist und durch sein Verhalten, insbesondere gegenüber Frauen, bei den ausländischen Ingenieuren Anstoß erregte.

Nach einer erneuten Überprüfung der Montagearbeiten durch Direktoren der englischen Firma wurde Zeiner im Februar 1966 von seiner Funktion abgelöst und bis auf weiteres der Bauleiter der Firma Humphreys & Glasgow in der ČSSR, [Name 3] in Schwedt eingesetzt. Nach wie vor erwägt die englische Firma den Einsatz des Ingenieur [Name 1] als Bauleiter, verlangt jedoch von der DDR eine schriftliche Erklärung, dass dessen Sicherheit garantiert ist.

Die Stellung Zeiners zur Firma Humphreys & Glasgow kann nicht genau beurteilt werden. Bekannt ist, dass ihn leitende Mitarbeiter der Firma wenig Vertrauen entgegenbrachten. Sein persönliches Verhalten und Auftreten in Schwedt hat nicht dazu beigetragen, eine enge Zusammenarbeit mit den DDR-Betrieben zu fördern. Seine Einstellung zur DDR kann ebenfalls nicht als positiv bezeichnet werden.

Aufgrund der getroffenen Feststellungen wird empfohlen, eine gemeinsame Kontrollgruppe des Ministeriums für Bauwesen und des Ministeriums für Schwermaschinen- und Anlagenbau zur Überprüfung der Angelegenheit einzusetzen, wobei insbesondere folgende Fragen geklärt werden sollten:

  • Bisherige Hemmnisse bei der Realisierung des Bauvorhabens Düngemittelfabrik Schwedt.

  • Mögliche Auswirkungen des personellen Wechsels in der Bauleitung der englischen Firma Humphreys & Glasgow auf die Einhaltung des Staatsplantermins.

  • Einfluss der Leitung des BMK-Schwedt auf den termingemäßen Montageablauf.

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    14. April 1966
    Einzelinformation Nr. 289/66 über die Fahnenflucht des Unterfeldwebels [Name, Vorname] von der Grenzkompanie Gollensdorf, Grenzregiment Salzwedel am 13.4.1966

  2. Zum vorherigen Dokument Tödlicher Fluchtversuch an der Grenze Bulgarien–Griechenland

    14. April 1966
    Einzelinformation Nr. 287/66 über einen verhinderten Grenzdurchbruch von zwei Bürgern der DDR von der VR Bulgarien nach Griechenland mit tödlichem Ausgang für die Grenzverletzer