Generalkonvent der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg
3. März 1966
Einzelinformation Nr. 167/66 über den Generalkonvent der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg – Bereich Generalsuperintendent Schmitt – am 23.2.1966
Am 23.2.1966 fand im Gemeindesaal der Evangelischen Pfingstgemeinde in Berlin-Friedrichshain, ein Generalkonvent Berliner Pfarrer des Bereichs von Generalsuperintendent Schmitt1 statt.
Am Konvent nahmen ca. 125 Pfarrer aus Berlin und den Randgebieten teil. Generalsuperintendent Jacob/Cottbus,2 der seine Teilnahme als Gast zugesagt hatte, entschuldigte sich wegen Krankheit. Als Gäste und Referenten waren u. a. der Chefarzt des Paul-Gerhardt-Stifts Wittenberg,3 Dr. med. Jakobs,4 und der Dozent Dr. theol. Winter5 vom Evangelischen Sprachenkonvikt Berlin erschienen.
Die Tagesordnung des Generalkonvikt sah vor:
- 1.
Bericht zur Synode von Berlin-Brandenburg, Referent: Generalsuperintendent Schmitt/Berlin
- 2.
Die Medizinischen und sozialen Indikationen der Schwangerschaftsunterbrechungen, Referent: Dr. med. Jakobs/Wittenberg, Dr. theol. Winter/Berlin.
Der Bericht des Generalsuperintendent Schmitt zur Synode von Berlin-Brandenburg bezog sich hauptsächlich auf die erfolgte Wahl von Präses Scharf6 zum Bischof.7 Im Zusammenhang mit der Erläuterung der Vorbereitung und Durchführung der Bischofswahl informierte Generalsuperintendent Schmitt die anwesenden Pfarrer über die Gespräche der Kirchenleitung mit Staatssekretär Seigewasser8 am 7. und 24.1.1966 sowie über stattgefundene Gespräche zwischen Vertretern des Staatsapparates und Synodalen der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg. Ihm selbst sei in einem Gespräch, das er mit einem Vertreter des Magistrats von Groß-Berlin geführt habe, eine Mappe mit Aussprüchen Scharfs gegen die DDR vorgelegt worden, die die feindliche Einstellung Scharfs beweisen sollten.9 Schmitt vertrat dazu die Ansicht – die er auch in diesem Gespräch zum Ausdruck gebracht habe –, dass er diese Aussprüche nicht beurteilen könne; er halte es vielmehr für zweckmäßiger, die Unterlagen Scharf direkt zuzustellen, damit Scharf dazu Stellung nehmen könne. Schmitt führte wörtlich aus: »Wir als Kirche können uns nicht danach richten, was der Staat aus politischen Gesichtspunkten fordert, sondern wir müssen aus innerkirchlichen und geistlichen Gesichtspunkten urteilen.« Schmitt äußerte, »der Staat« schätze die Rolle der Geistlichen falsch ein. Er begründete ferner die Aufstellung nur eines Kandidaten – Präses Scharf – zur Bischofswahl damit, dass kein »Bruder« bereit gewesen sei, gegen Scharf zu kandidieren.10 Das günstige Wahlergebnis für Scharf habe selbst die Kirchenleitung überrascht; man sei nur auf eine Zweidrittelmehrheit vorbereitet gewesen. Bei der Wahl habe sich günstig ausgewirkt, dass Scharf Ratsvorsitzender der EKD ist.
Generalsuperintendent Schmitt wandte sich dann gegen die DDR-Presse, weil sie Scharf für den Militärseelsorgevertrag verantwortlich gemacht habe.11 Schmitt sprach sich gegen diese Auslegungen aus und erklärte, der Vertrag sei durch Bischof Dibelius12 unterzeichnet worden bevor Scharf Ratsvorsitzender wurde.
In weiteren Darlegungen informierte Schmitt die anwesenden Pfarrer, dass der bisherige Bischofsverwalter Generalsuperintendent Jacob sein Amt abgegeben habe und Präses Figur13 vorläufig den Vorsitz in der Kirchenleitung führe. Weitere Kirchenleitungssitzungen würden sich mit diesem Problem nochmals beschäftigen. Die Kirchenleitung sei zwar der Meinung gewesen, dass Generalsuperintendent Jacob sein Amt als Bischofsverwalter im Hinblick auf »kommende Schwierigkeiten« in den Beziehungen Kirche – Staat weiterführen müsse. Man sei davon ausgegangen, dass Jacob diese Schwierigkeiten »auffangen« könnte. Jacob habe jedoch für die Fortführung seiner Funktion der Kirchenleitung unerfüllbare Forderungen gestellt (keine zeitliche Begrenzung des Amtes und mehr Vollmachten). Die Kirchenleitungsmitglieder würden das Amt eines Bischofsverwesers nur als Provisorium ansehen, zumal sie die Rückkehr Scharfs in die DDR durchsetzen wollen. Hätte man den Forderungen Jacobs stattgegeben, könnten nach Ansicht von Kirchenleitungsmitgliedern beim »Staat« der Eindruck entstehen, dass es der Kirchenleitung mit einer Rückkehr von Scharf nicht ernst genug sei.
Superintendent Schmitt führte weiter aus, viele »Brüder« machten sich durch diese Vorkommnisse »Sorgen um die Zukunft der Kirche«. Die Zukunft der Kirche hänge jedoch nicht von der Verweserfrage ab; es müsse nicht alles sofort entschieden werden; die Kirche habe Zeit, auch gegenüber dem Staat. Wörtlich äußerte er in diesem Zusammenhang: »Die Herren sind neugierig, was wir tun werden; wir aber tun die nächsten Schritte.«
Während sich in der nachfolgenden Diskussion eine Reihe Pfarrer für die vollzogene Wahl Präses Scharf zum Bischof aussprach (z. B. in einer längeren Diskussionsrede Pfarrer Goosmann/Kirchenkreis Lichtenberg),14 wandte sich insbesondere Pfarrer Simon/Altglienicke,15 gegen die Wahl von Scharf, wobei sich seine Ausführungen vor allem gegen die alleinige Kandidatur von Scharf richteten. Pfarrer Simon wandte sich weiterhin dagegen, dass die Kirchenleitung die Rückgabe des Amtes des Bischofsverwalters durch Jacob zugelassen habe. Er äußerte: »Eine Kirchenleitung, in der eine Minderheit den Rücktritt von Jacob verlangt, während die Mehrheit Anhänger von Jacob ist, hat nicht unser Vertrauen.« Simon unterbreitete den Vorschlag, Präses Hildebrandt16 solle für ein Jahr die Verwaltung der Kirchenleitung übernehmen und mit der erwähnten Minderheit eine vorläufige Kirchenleitung bilden; die Synodalen sollten neu gewählt und alle Stellenbesetzungen der letzten Zeit überprüft werden. Dabei warf er der Kirchleitung vor, dass sie eigenmächtig Stellenbesetzungen vorgenommen habe, ohne sie, wie vorgesehen, von der Synode bestätigen zu lassen.
In Erwiderung dieser Diskussion führte Generalsuperintendent Schmitt aus, er halte es nicht für wünschenswert, dass die Diskussion in dieser Form verlaufe und Fronten aufgezeigt würden, die nie bestünden. Die Kirchenleitung sei ein zusammengehörender Kreis. Er wende sich gegen die Behauptung, dass es in der Kirchenleitung in diesem Sinne einen Kirchenkampf gebe.17
Zu Beginn des zweiten Tagesordnungspunktes sprach Dr. med. Jakobs, Chefarzt des Paul-Gerhardt-Stifts Wittenberg,18 über die medizinischen und sozialen Indikationen der Schwangerschaftsunterbrechungen. In seinen Ausführungen ging Jakobs auf das Gesetz zum Schutz von Mutter und Kind ein. Dabei spielte er die »Vertrauliche Instruktion« vom Frühjahr 1965 hoch.19 Jakobs wandte sich gegen die darin erläuterten Möglichkeiten der Schwangerschaftsunterbrechungen. Die Instruktion enthalte sehr dehnbare Begriffe und sei nicht mehr rein medizinische, sondern soziale Indikation. Nach seiner Meinung gehe es bei dieser Instruktion lediglich um eine Geburtenregelung und um eine Verminderung der kriminellen Aborte. Er halte es für bemerkenswert, dass in einem sozialistischen Staat »aus sozialen Gründen« Schwangerschaftsunterbrechungen durchgeführt würden. Ein Teil der in der Instruktion dargelegten Möglichkeiten der Schwangerschaftsunterbrechungen sei nicht berechtigt. In einer Unterredung zwischen den evangelischen Bischöfen und Vertretern des Staatsapparates (u. a. mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Max Sefrin)20 im September 1965 sei bereits von den Geistlichen darauf hingewiesen worden, dass alle Schwangerschaftsunterbrechungen aus nichtmedizinischen Gründen – und um solche handle es sich nach Meinung von Geistlichen – »Mord« seien. In der Zusatzinstruktion sei zwar vermerkt, dass konfessionelle Krankenhäuser an Schwangerschaftsunterbrechungen nicht beteiligt würden, ihm gehe es aber in erster Linie nicht um konfessionelle Krankenhäuser, sondern um christliche Ärzte und Schwestern, die in staatlichen Anstalten arbeiten. Jakobs forderte in diesem Zusammenhang die anwesenden Pfarrer auf, Meldung zu erstatten, falls es zu »Verfolgungen« von Ärzten komme, die diese Verfügung nicht einhalten könnten.
In seinen Ausführungen wurde Dr. med. Jakobs u. a. von Generalsuperintendent Schmitt, Superintendent Brix21 und Dr. theol. Winter/Berlin unterstützt.
Jakobs führte daraufhin weiter aus, er habe den Eindruck, dass laufend Gelder für das Gesundheitswesen gestrichen würden. Wörtlich erklärte er: »Der Staat braucht viel Geld für Zwecke, die nicht sozial sind. Die Ausgaben für eine andere Sparte sind zu hoch.« Dabei wurde deutlich, dass er damit auf die Mittel für Zwecke der nationalen Verteidigung der DDR anspielte.
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