Direkt zum Seiteninhalt springen

Geschäftsführer eines Fährschiffes flüchtet nach Schweden

25. November 1966
Einzelinformation Nr. 910/66 über die Republikflucht des Geschäftsführers des Fährschiffes »Saßnitz« unter Ausnutzung seiner Tätigkeit

Dem MfS wurde bekannt, dass am 24.11.1966 der [Name 1, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1936 in Beierfeld/1Erzgebirge, wohnhaft Aue, [Straße, Nr.], beschäftigt als Geschäftsführer im Mitropa-Fährbetrieb Sassnitz, ledig, Mitglied der SED, unter Ausnutzung der Liegezeit des Fährschiffes »Saßnitz« im schwedischen Hafen Trelleborg die DDR illegal verlassen hat.

Die bisherigen ersten Untersuchungen zum Sachverhalt ergaben Folgendes:

Das Eisenbahnfährschiff »Saßnitz«, auf dem [Name 1] als Geschäftsführer seinen Dienst versah, legte am 24.11.1966 planmäßig um 5.10 Uhr im Fährhafen Trelleborg an.

Circa zehn Minuten vor der planmäßigen Abfahrtszeit des Fährschiffes nach Sassnitz um 5.45 Uhr erschien [Name 1] am Personenlandgang des Schiffes ohne Mantel und Hut. Dem dort diensthabenden Matrosen [Name 2] zeigte [Name 1] einen Brief mit der Bemerkung, er müsse diesen an Land abgeben. Unter Missachtung der bestehenden Bordordnung – nach der eine Bestätigung zum Verlassen des Schiffes in Trelleborg beim Kapitän des Schiffes eingeholt werden muss –, lediglich aufgrund der langjährigen Zusammenarbeit und des bestehenden Vertrauensverhältnisses, gestattete der diensthabende Matrose [Name 2] das Passieren des [Name 1].

Matrose [Name 2], der nach dem Passieren des [Name 1] mit anderen Aufgaben, das Auslaufen des Schiffes betreffend, beschäftigt war, verständigte den Matrosen [Name 3] vom Landgang des [Name 1]. [Name 2] war daraufhin auf der Kommandobrücke tätig und konnte den Personenlandgang des Schiffes nicht mehr einsehen.

Der Matrose [Name 3] beachtete, durch seine dienstliche Tätigkeit an der Autobrücke abgelenkt, in der Folgezeit nicht mehr den Hinweis über die Abwesenheit des [Name 1].

Ohne Kontrolle der Rückkehr des Geschäftsführers [Name 1]– der das Fährschiff nach seinem Landgang nicht wieder betreten hatte – trat die »Saßnitz« planmäßig die Rückfahrt nach Sassnitz an.

Erst während der Überfahrt nach Sassnitz stellte die Kassenabrechnerin der »Mitropa« die Abwesenheit des [Name 1] fest und verständigte den Kapitän.

Die daraufhin durch die Schiffsleitung erfolgte Überprüfung der Kabine des [Name 1] ergab, dass dessen persönliche Sachen sowie sein Koffer fehlten und nur die dienstlichen Dokumente – Mitropadienstausweis, Freifahrtkarte der Eisenbahn, Abzeichen der Sozialistischen Brigade u. a. – sowie seine Uniformjacke zurückgelassen wurden.

(Da [Name 1] beim Landgang keinen Koffer, lediglich einen »Brief« bei sich trug, ist anzunehmen, dass er den Koffer mit seinen persönlichen Sachen bei Entladearbeiten an der Autobrücke oder dergleichen mit vom Schiff schleuste.)

[Name 1] erschien auch bei der nächsten Liegezeit der »Saßnitz« in Trelleborg am 24.11.1966, 14.00 Uhr, nicht am Fährschiff und wurde von der Besatzung des Schiffes nicht gesehen. ([Name 1] sind die Anlegezeiten der »Saßnitz« in Trelleborg bekannt.)

[Name 1] ist seit dem 6.5.1959 beim Mitropa-Fährbetrieb angestellt und hatte seit dem 9.7.1959 – der Inbetriebstellung des Fährschiffes »Saßnitz« – die Funktion des Geschäftsführers der Mitropa auf dem Schiff inne. In dieser Eigenschaft leitete und kontrollierte er die auf der »Saßnitz« beschäftigten Mitropa-Angestellten – das sind bis zu 36 Beschäftigte in einer Schicht –. Weiter war er verantwortlich für die Mitropa-Gaststätte des Schiffes und für die Versorgung der Touristen.

[Name 1] wurde als zuverlässiger Funktionär eingeschätzt und war Mitglied der Parteileitung des Fährschiffes. Irgendwelche dienstlichen Verstöße und Vergehen vor seiner Republikflucht wurden bisher nicht bekannt.

In der Zeit vom 2.9. bis 26.10.1966 besuchte [Name 1] eine Parteischule für Funktionäre des Handels und der Gastronomie in Wismar.

Danach nahm er am 17.11.1966 seine Tätigkeit als Geschäftsführer auf der »Saßnitz« wieder auf. Der Dienstablauf der Mitropa-Angestellten auf der »Saßnitz« ist so geregelt, dass sich die zwei Dienstschichten wöchentlich ablösen. Die Dienstschicht des [Name 1] war für den Zeitraum 17. bis 24.11.1966 festgelegt.

[Name 1] gehörte nicht zu den Besatzungsmitgliedern der »Saßnitz«, die zur Erledigung dienstlicher Aufgaben an Land gehen können. Er hat nach den bisherigen Feststellungen nach Einführung der neuen Bordordnung im Zusammenhang mit den Sicherheitsmaßnahmen vom 13.8.1961 das Fährschiff in Schweden nicht verlassen.2 Anhaltspunkte für ein Motiv der Handlung des [Name 1] konnten bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht erarbeitet werden.

Weitere Untersuchungen zur Aufklärung der näheren Zusammenhänge der Republikflucht des [Name 1] werden vom MfS geführt.

  1. Zum nächsten Dokument Tödlicher Unfall im MfS-Wachregiment in Berlin-Adlershof

    28. November 1966
    Einzelinformation Nr. 918/66 über das besondere Vorkommnis im Wachregiment Berlin des MfS vom 21.11.1966

  2. Zum vorherigen Dokument Verkehrsunfall mit Fahrerflucht durch US-Militär in Berlin

    24. November 1966
    Einzelinformation Nr. 909/66 über einen Verkehrsunfall mit Fahrerflucht durch das amerikanische Militärfahrzeug BC 73 in Berlin-Marzahn am 23.11.1966