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Getrennte Generalsynode der EKD (1)

16. März 1966
Einzelinformation Nr. 215/66 über die Generalsynode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Potsdam-Babelsberg und Westberlin

Die Generalsynode der EKD (3. Synode) wird in zwei Teilsynoden, und zwar vom 13. bis 18.3.1966 in Westberlin (Johannisstift) und vom 14. bis 18.3.1966 in Potsdam-Babelsberg durchgeführt.1

Die Teilsynode in Potsdam-Babelsberg ist in eine Arbeitstagung, die vom 15. bis 16.3.1966 unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, und eine Synodaltagung, die vom 16. bis 18.3.1966 durchgeführt wird und an der auch Nichtsynodale teilnehmen können, unterteilt.

Die Tagung in Potsdam-Babelsberg wurde am 14.3.1966, 20.00 Uhr, mit einem Gottesdienst des Generalsuperintendenten Lahr/Potsdam2 eröffnet, der in Vertretung des erkrankten Generalsuperintendenten Jacob/Cottbus3 sprach. Die Predikt von Lahr war rein theologisch gehalten und enthielt keine politischen Aspekte.

In einer anschließend von einem Gemeindemitglied der Friedrichskirche in Potsdam-Babelsberg gehaltenen Fürbitte wurde dafür gebetet, dass der neue Bischof von Berlin-Brandenburg Scharf4 bald wieder seine Gemeinden in der Mark Brandenburg betreuen könne. Dieser Eröffnungsgottesdienst war mit ca. 350 Personen stark besucht.

Anschließend an den Gottesdienst wurde in persönlichen Gesprächen von einigen reaktionären Synodalen, die leitende Ämter in der Evangelischen Kirche der DDR bekleiden, die Ansicht geäußert, dass die Rückkehr Scharfs spätestens in einem Jahr geklärt sei. Maßgebliche Personen der Evangelischen Kirche in Deutschland hätten in Übereinstimmung mit anderen Kräften den Plan gefasst, auf die Regierung der DDR kontinuierlich in der Frage Scharf einen »Druck« auszuüben. Von diesen Kräften werde eingeschätzt, dass die Regierung der DDR bis zu den nächsten Wahlen diesem Druck nachgeben werde.

Die Arbeitstagung in Potsdam-Babelsberg beschäftigte sich am 15.3.1966 mit der Denkschrift der EKD »Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn«,5 der Handreichung zur Militärseelsorge an Wehrpflichtigen in der DDR,6 mit dem Gesetz über die Erhöhung der Zahl der Mitglieder des Rates der EKD7 sowie mit Ausschusssitzungen.

Dieser erste Beratungstag der Teilsynode in Potsdam-Babelsberg wurde am 15.3.1966 mit einer Andacht eingeleitet, die Bischof Fränkel/Görlitz8 hielt. In der Fürbitte gedachte Fränkel des neugewählten Bischofs Scharf, der nicht zu seinen Gemeinden könne sowie des inhaftierten Wehrdienstverweigerers Werner,9 Vikar in Dessau.

Die Synodalarbeitstagung wurde sodann mit einem Referat von Präsident Hildebrandt,10 Berlin zur Denkschrift der EKD »Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn« eingeleitet.

Hildebrandt hob hervor, dass diese Denkschrift große Beachtung in Welt und Kirche gefunden hätte. So habe eigens zur Behandlung der Denkschrift eine Arbeitstagung der in Westdeutschland und Westberlin wohnenden Synodalen in Frankfurt/Main stattgefunden.11 Die Denkschrift werde auch sehr stark in den Heimatvertriebenenverbänden diskutiert. In der Kirche seien ablehnende Stimmen laut geworden. Die Synode der Landeskirche Eutin, der kleinsten Landeskirche in Westdeutschland, habe sich ebenfalls gegen die Denkschrift ausgesprochen.

Hildebrandt ging nach einer kurzen inhaltlichen Darstellung besonders auf die völkerrechtliche Seite ein. Er betonte, dass durch die Denkschrift zum Ausdruck gebracht wird, wie wenig das Völkerrecht noch genormt sei.

Es würde zwar über die Oder-Neiße-Grenze der Grenzvertrag zwischen der DDR und Polen bestehen,12 dieser würde aber nicht genügen, da im Potsdamer Abkommen13 ausdrücklich festgelegt sei, dass die endgültige Grenzregelung in einem Friedensvertrag zu erfolgen habe. Ein weiterer positiver Punkt an der Denkschrift sei, dass auch die Ursachen – die Politik Westdeutschlands – dargestellt seien, die zum Entstehen der Oder-Neiße-Grenze geführt hätten.

Die umfassende Darstellung der Probleme in der Denkschrift habe deshalb auch im Allgemeinen zu einem positiven Echo geführt.

Hildebrandt nannte von den positiven Stimmen besonders die des Generalsekretärs des Ökumenischen Rates der Kirche, Visser’t Hooft.14 Dieser habe angeregt, die Denkschrift in der ökumenischen Bewegung zur Diskussion zu bringen.

Präsident Hildebrandt entwickelte vor den Synodalen acht Grundsätze, welche in der Denkschrift zum Ausdruck gebracht würden, bzw. die bei der Einschätzung beachtet werden müßten:

  • 1.

    Die Denkschrift solle der Gefahr des Entstehens einer neuen nationalistischen Denkweise entgegenwirken.

  • 2.

    Die Arbeit des Ostkirchenausschusses der EKD15 solle aufgewertet und hervorgehoben werden.

  • 3.

    Positive und weiterführende Kritik an der Denkschrift solle ernstgenommen werden. Eine Überarbeitung kommt nicht in Frage.

  • 4.

    Die völkerrechtlichen Probleme seien weder zu bagatellisieren noch zu überschätzen.

  • 5.

    Es dürfe kein Resignieren geben, wenn eine friedliche Lösung von Grenzfragen möglich sei. Der Krieg sei als Mittel zur Regelung von strittigen Fragen zu verurteilen.

  • 6.

    Die Kirche werde daran festhalten, an politischen Fragen, die der Erhaltung des Friedens dienten, mitzuarbeiten.

  • 7.

    Die Denkschrift solle einer weiteren Behandlung in der Ökumene zugeführt werden.

  • 8.

    Es sei das seelsorgerische Moment zu beachten, damit die »Vertriebenen« nicht glauben, die Kirche würde sich ihrer Probleme nicht annehmen.

In einem Nachtrag zu seinem Referat nahm Hildebrandt dazu Stellung, inwieweit diese Denkschrift die Christen nun in der DDR angehe, da sie ja ohne DDR-Beteiligung entstanden sei. Er behauptete, die in der Denkschrift angeschnittenen Probleme würden noch in der DDR bestehen. Deshalb sei auch das Presse-Echo in der DDR sehr dünn gewesen. In der DDR würde es ebenfalls Menschen geben, die diese Lebenskrise durchgemacht hätten. Jedoch müsste in der DDR differenzierter anaylisiert werden, da der Einschmelzungsprozess der Bewohner der ehemaligen Ostgebiete hier weiter fortgeschritten sei als in Westdeutschland. Des Weiteren habe auch die neue Gesellschaftsordnung in der DDR zu einer Nivellierung geführt. So hätte in der DDR die einheimische Bevölkerung schon seit langem ein anderes Verhältnis zu diesen Menschen. Es würde in der DDR nicht mehr von »Vertriebenen« gesprochen, sondern von »Umsiedlern«. Trotz einer anderen Stellung der »Umsiedler« im gesellschaftlichen Leben in Westdeutschland gebe es auch hier bei diesen Menschen noch »ungeheilte Wunden«.

An das Referat von Präsident Hildebrandt schloss sich ein Referat über die »Handreichung zur Seelsorge an Wehrpflichtigen« von Bischof Jänicke/Magdeburg16 an. Jänicke führte aus, er wolle der DDR nicht die gute Absicht absprechen, eine Regelung für Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen zu finden.17 Aber erstens seien diese nicht unmilitärisch eingesetzt und zweitens gebe es Menschen, denen auch dieser Ersatzdienst unvereinbar mit ihrem Gewissen erscheint. Er selbst sei absoluter Pazifist und er mache sich Gedanken schon allein darüber, dass er mit jeder Mark seiner Steuern »Kriegswerte« finanziere. Jänicke betonte dann, mit der »Handreichung« seien die Seelsorger angesprochen worden. Sie würde der öffentlichen Verantwortung der Kirche gegenüber allen Gemeindemitgliedern Rechnung tragen und nicht die Ansicht eines einzelnen zum Ausdruck bringen. In den weiteren Ausführungen erklärte Jänicke, der Krieg sei kein Mittel zur Beilegung von Differenzen. Die Friedensbemühungen der sozialistischen Staaten und der DDR wären jedoch »unglaubhaft« und »in Frage zu stellen«. Diese »Unglaubhaftigkeit« der DDR ergebe sich z. B. aus der Erziehung der NVA zum Hass. Jänicke zitierte dazu aus Reden und Publikationen des Stadtkommandanten von Berlin Poppe18 und des Ministers für Nationale Verteidigung Hoffmann,19 in denen als soldatische Pflicht von den Grenzsoldaten gefordert werde, den Gegner und seine Ideologie zu hassen. Jänicke machte dann weitere Ausführungen zu Auszügen aus Zeitungsartikeln. Er betonte, Frieden und Hass würden einander ausschließen.

Nach den Referaten von Hildebrandt und Jänicke wurden Ausschüsse gebildet, in denen über die Ausführungen diskutiert werden soll. Es ist vorgesehen, dass jeder Ausschuss vor der Synode in einem Vortrag von 15 Minuten einen zusammenfassenden Bericht über die geführten Diskussionen gibt. Sowohl in den Ausschüssen als auch in der Synodaltagung sollen keinerlei Beschlüsse zu Fragen der Denkschrift und der Handreichung gefasst werden.

Gleichzeitig zu den Ausschusssitzungen fand am Abend des 15.3.1966 in Potsdam-Babelsberg eine Sitzung der Kirchenkonferenz der EKD statt. In dieser Beratung informierte Oberkirchenrat Hafa20 über den bisherigen Verlauf der Teilsynode in Westberlin. Er ging dabei besonders auf die einstimmige Annahme des Gesetzes über die Erhöhung der Zahl der Mitglieder des Rates der EKD durch die Kirchenkonferenz der Landeskirchen Westdeutschlands und Westberlins und durch die Teilsynode in Westberlin ein. Als das durch den Rat der EKD bereits einstimmig unterstützte Gesetz über die Erhöhung der Zahl der Ratsmitglieder in der Kirchenkonferenz in Potsdam-Babelsberg zur Diskussion gestellt wurde, erhoben völlig unerwartet die Vertreter der Landeskirchen Sachsen (Dr. Johannes),21 Thüringen (Braecklein),22 Görlitz (Juergensohn)23 und Hildebrandt für die evangelische Kirche der Union (EKU) Einspruch gegen die Gesetzesvorlage. Diese Synodalen und Mitglieder der Kirchenkonferenz machten den Einwand, dass die Erweiterung des Rates der EKD auf 15 Mitglieder eine Änderung der Grundordnung darstellen würde. Wenn dies betreffs des Rates geschehe, müssten solche Änderungen auch auf anderen Gebieten vorgenommen werden. Über die Stellung der Kirchenkonferenz der Landeskirchen der DDR wird am 16. März 1966 Bischof Beste24 als Ratsmitglied die Synodalen in Potsdam-Babelsberg informieren.

Am 16. März 1966 um 11.00 Uhr erfolgte die offizielle Eröffnung der Teilsynode in Potsdam-Babelsberg durch Präses Figur.25 Zur Eröffnung der Synodaltagung wurde neben Visser’t Hooft/Genf/Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, Dr. Fredrik Schiotz,26 US-Bürger, Präsident des Lutherischen Weltbundes mit Sitz in Genf und Weihbischof Theissing/Berlin,27 als offizielle Vertreter der katholischen Kirche erwartet. An die Eröffnung schließt sich der Bericht des Rates der EKD an, der durch Bischof Krummacher28 verlesen wird. Am Nachmittag referieren Bischof Noth/Dresden29 zum Thema »Die evangelische Kirche im ökumenischen Spannungsfeld« und Dr. Kühn/Leipzig,30 zum Zweiten Vatikanischen Konzil.31

In der Anlage befindet sich ein Verzeichnis der beim MfS vorliegenden schriftlichen Dokumente der 3. Synode der EKD.

Diese Materialien können bei Bedarf beim MfS angefordert werden.

Die Information darf im Interesse der Sicherheit nicht öffentlich ausgewertet werden.

Anlage zur Information Nr. 215/66

Verzeichnis der vorhandenen Dokumente der 3. Synode der EKD

  • 1.

    Rechenschaftsbericht des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland mit Tätigkeitsberichten der Amtsstellen und Arbeitsbereiche

  • 2.

    Tätigkeitsbericht der Kirchenkanzlei

  • 3.

    Tätigkeitsbericht der Kirchlichen Außenämter

  • 4.

    Bericht des Diakonischen Werkes aus der diakonisch-missionarischen Arbeit

  • 5.

    Tätigkeitsbericht der »Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Weltmission«

  • 6.

    Entwurf: Kirchengesetz über die Zahl der Mitglieder des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

  • 7.

    Stellungnahme des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen zum Vietnam-Konflikt

  • 8.

    Dogmatische Konstitutionen über die göttliche Offenbarung32

  • 9.

    Das Dekret über den Ökumenismus33

  • 10.

    Erklärung über die Religionsfreiheit34

  • 11.

    Bericht von Dr. Maron Über die »Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung« in seinen Briefen aus Rom

  • 12.

    Material zum Thema »Vertreibung und Versöhnung«

  • 13.

    Verzeichnis der Teilnehmer der Kirchenkonferenz35

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