Grenzdurchbruch mit tödlichem Ende in Staaken
8. Februar 1966
Einzelinformation Nr. 110/66 über einen verhinderten Grenzdurchbruch DDR – West im Abschnitt Staaken, Bezirk Potsdam unter Anwendung der Schusswaffe mit tödlichem Ausgang
Am 7.2.1966 gegen 16.00 Uhr wurde der Block, Willi,1 geboren 5.6.1934, wohnhaft Staaken, [Straße, Nr.], Arbeiter im VEB Betonwerk Staaken, beim versuchten Grenzdurchbruch im Abschnitt der 1. Kompanie, GR 34, 2. GB B,2 der durch Angehörige der NVA/Grenze mittels Schusswaffengebrauch verhindert wurde, tödlich verletzt.3
Zur Person des Block ist bekannt, dass er nach dem 13.8.1961 bereits in zwei Fällen die Staatsgrenze nach Westberlin durchbrochen hat. Der erste Grenzdurchbruch erfolgte am 13.1.1962; am 14.2.1962 kehrte B. als Rückkehrer aus Westberlin zurück. Am 18.8.1962 durchbrach B. erneut die Staatsgrenze im Abschnitt Staaken und kehrte daraufhin am 7.12.1962 aus Westberlin zurück. Im Verlaufe der Untersuchungen hinsichtlich des illegalen Verlassens der DDR wurde festgestellt, dass Block in Westberlin den imperialistischen Geheimdiensten umfangreiche Spionageangaben über Bewegungen sowjetischer Truppen, Sicherheitsorgane, Grenzsicherungsanlagen, Partei- und Staatsfunktionäre und Bauobjekte im Bezirk Potsdam gemacht hat. B. wurde deswegen im April 1963 wegen Spionage zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Am 13.11.1965 wurde B. vorzeitig entlassen. Nach seiner Rückkehr nach Staaken nahm er Arbeit im VEB Betonwerk Staaken auf.
Die vom MfS geführten Untersuchungen zum versuchten Grenzdurchbruch ergaben Folgendes:
Block hat in den Vormittagsstunden des 7.2.1966 auf seiner Arbeitsstelle zusammen mit anderen Kollegen größere Mengen Alkohol zu sich genommen, weswegen ihm von seinem Brigadier ein Weiterarbeiten untersagt wurde. Block, der daraufhin auf einer Pritsche im Aufenthaltsraum seines Betriebes schlief, hat gegen 15.30 Uhr den Betrieb unbemerkt verlassen.4
Gegen 15.45 Uhr bemerkten die am B-Turm5 Heuweg – Abschnitt 1. Kompanie, GR 34, 2. GB B – eingesetzten Grenzposten eine männliche Zivilperson, die sich von der Straße 3476 (aus Staaken) kommend in Richtung Grenze fortbewegte. Nachdem diese Person den an der Lauftrasse befindlichen Diensthund beruhigt hatte, sprang sie in den vor dem Kontrollstreifen verlaufenden Kfz-Sperrgraben.
Zu diesem Zeitpunkt wurden durch das auf dem B-Turm eingesetzte Postenpaar Warnschüsse in die Luft abgegeben. (Gleichzeitig wurde durch den Postenführer das Signal »versuchter Grenzdurchbruch« geschossen.)
Der Grenzverletzer bewegte sich nach Abgabe der Warnschüsse nunmehr kriechend weiter in Richtung pioniertechnische Sicherungsanlagen.
Die beiden Posten der NVA/Grenze verließen den B-Turm und eröffneten aus einer Entfernung von ca. 200 m auf den Grenzverletzer gezieltes Feuer. Der Grenzverletzer wurde durch die beiden Posten sowie durch die inzwischen am Tatort eingetroffene Verstärkung der NVA/Grenze mehrmals laut und deutlich aufgefordert, stehenzubleiben bzw. zurückzukommen. Trotzdem bewegte sich der Grenzverletzer kriechend weiter, überwand den Kontrollstreifen und gelangte in die pioniertechnischen Sicherungsanlagen.
Auch die weiteren deutlichen Aufforderungen von den an der Durchbruchstelle erschienenen Offizieren der NVA/Grenze, zurückzukommen bzw. stehenzubleiben, die jeweils nach kurzer Einstellung der gezielten Feuerstöße an den Grenzverletzer gerichtet wurden, blieben von diesem unbeachtet. Er äußerte lediglich wörtlich: »Erschießt mich doch, ihr Hunde.« Von den Sicherungskräften der NVA/Grenze wurde gehört, dass Block die sich auf westlicher Seite befindlichen Zöllner und Düpo7 um Feuerschutz ersuchte.
Da Block den wiederholten Aufforderungen der auf unserem Gebiet eingesetzten Kräfte nicht Folge leistete, wurde aus einer Entfernung von ca. 30 bis 35 m weiterhin gezieltes Feuer eröffnet, in dessen Ergebnis der Grenzverletzer, der sich zu diesem Zeitpunkt in den pioniertechnischen Anlagen – dritte und zweite Pfahlreihe – befand, tödlich getroffen wurde.
Nach bisherigen Feststellungen wurden durch die eingesetzten Kräfte der NVA/Grenze ca. 72 Schuss aus MPi, LMG und Pistole abgegeben. Die Bergung der Leiche des Grenzverletzers erfolgte gegen 16.20 Uhr.
Zur Bewegung im westlichen Vorfeld während des versuchten Grenzdurchbruchs wurde festgestellt, dass unmittelbar nach Abgabe des ersten Warnschusses durch die Grenzsicherungskräfte der NVA zwei Zöllner und zwei Düpo im westlichen Grenzgebiet erschienen und sofort ihre Waffen durchluden und in Stellung gingen. Wenige Minuten später erschienen im westlichen Vorfeld ferner ein Einsatzwagen der Düpo, zwei Rettungswagen sowie ein Fahrzeug der Westberliner Feuerwehr. In schneller Folge fuhren dann weitere Einsatzfahrzeuge der Düpo sowie des Zolls auf, sodass insgesamt ca. 30 uniformierte Düpo und Zollangehörige ca. fünf Meter vor der Sperre auf Westberliner Gebiet das Vorkommnis beobachteten. Außerdem erschien ein Jeep der britischen MPI,8 deren Besatzung das Fahrzeug verließ, ihre MPi durchluden und sich in Richtung DDR postierten. Unter den Beobachtern befand sich auch ein höherer britischer Offizier. Neben den genannten Personen waren (etwa zum Zeitpunkt des erfolgreich geführten Feuers gegen den Grenzverletzer) ca. 20 bis 30 Fotografen und andere Zivilpersonen festzustellen, die zum großen Teil ununterbrochen alle Handlungen der Angehörigen der NVA/Grenze bis zur Bergung der Leiche fotografierten.9
Nach Bergung der Leiche zog sich der größte Teil der im westlichen Vorfeld anwesenden Personen in das Hinterland zurück. Bis etwa 17.30 Uhr trafen jedoch weitere Fahrzeuge – meist Zivilfahrzeuge – an der Durchbruchstelle ein, deren Insassen zum Teil unter Einsatz von Scheinwerfern und Blitzlichtern das Gebiet sowie den B-Turm Heuweg fotografierten und beobachteten.
Vom MfS werden weitere Untersuchungen geführt.