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Großbrand in einer Kunststofffirma bei Zeulenroda

21. November 1966
Einzelinformation Nr. 895/66 über den Großbrand in der Fa. OSALIT KG Seifert & Schöneck Kunststoff-, Press- und Spritzwerk (HSB) Auma, [Kreis] Zeulenroda, [Bezirk] Gera am 15.11.1966

In der Nacht vom 14. zum 15.11.1966 gegen 3.30 Uhr brach im Werkteil IV des obengenannten Werkes ein Brand aus, durch den die Produktionshalle erheblich zerstört wurde, Maschinen, Rohmaterial und Fertigungserzeugnisse völlig bzw. teilweise vernichtet wurden. Eine unmittelbar an die Produktionshalle angrenzende Produktionsstätte der Fa. Gebr. Schmeißer, Matrizenbau (HSB) wurde ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogen.

Der Betrieb stellt Plasteartikel her, so u. a. Deckel für Sanitätskästen, Schäfte für Füllhalter, Halterungen für Rückspiegel, Lenkräder für Pkw und Lkw. In diesem Betrieb werden auch die Lenkräder für die Pkw-Typen »Wartburg« und »Trabant« sowie für den Lkw W 50 hergestellt. Durch den Ausfall dieser Produktionsstätte entsteht für die Automobilindustrie eine komplizierte Lage, da nach Angaben dieses Werkes der Vorrat an Lenkrädern nur noch für eine achttägige Produktion ausreiche.

Der Sachschaden wird mit 800 TMDN angegeben. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass in den Nachfolge-Betrieben weitaus höherer Schaden durch Produktionsausfall – nach vorläufigen Schätzungen bis ca. 4 Mio. MDN – eintreten kann. Personenschaden trat nicht ein.

Gemeinsam mit der VP eingeleitete Untersuchungen zur Aufklärung der Schadensursachen haben folgendes Ergebnis:

In diesem Betrieb werden Plastrohstoffe verschiedener Art verarbeitet, so u. a. auch Caprolactam,1 das in Trocken-Vorwärmöfen getrocknet werden muss, bevor es weiterverarbeitet werden kann. Dieser Plastrohstoff hat die spezifische Eigenschaft, stark hygroskopisch2 (wasseranziehend) zu wirken. Daraus resultiert die Notwendigkeit seiner Trocknung in Trocken-Vorwärmöfen. Die Trocknung nimmt etwa 12 bis 24 Stunden in Anspruch, wobei eine Temperatur zwischen 70 bis 80? Celsius konstant beibehalten werden muss, die durch ein »Statex-Relais W 15« – Hersteller VEB Statex/Ilmenau – gewährleistet werden soll.

In der Brandnacht war jedoch dieses Statex-Relais W 15 funktionsuntüchtig, so dass es zu einem Temperaturanstieg und nachfolgenden Brandausbruch kam. (Nach Einschätzung des KTI haben funktionsuntüchtige Statex-Relais W 15 schon mehrfach kleine Brände ausgelöst.)

In der Brandnacht waren zwei Arbeiterinnen und ein Arbeiter sowie ein Brigadier in der Halle des Werkteils IV tätig. Dort befinden sich drei Trocken-Vorwärmöfen, von denen zwei Öfen betrieben wurden, u. a. auch der Ofen 3, der späteren Brandausbruchstelle. Am 14.11.[1966] gegen 21.00 Uhr wurde letztmalig getrocknetes Caprolactam dem Ofen 3 entnommen.

Gegen 3.30 Uhr bemerkte eine der Arbeiterinnen einen starken Geruch und sich in der Halle verbreitenden Rauch. Sie verständigte sofort den Brigadier, der sofort die beiden Öfen kontrollierte und im Ofen 3 die Rauchentwicklung entdeckte. Der Brigadier stellte den Ofen ab und öffnete die Ofentür, damit der Rauch abziehen konnte. Beim Öffnen der Ofentür bemerkte er brennendes Caprolactam auf dem unteren Blech. Alle Anwesenden versuchten mittels Handfeuerlöscher den Brand zu bekämpfen. Die Brandbekämpfung blieb jedoch erfolglos, da es durch die Sauerstoffzufuhr (Öffnen von Türen und Fenstern) zu einer Stichflammenbildung kam. Diese Stichflamme entzündete das unmittelbar am Ofen lagernde Roh- und Verpackungsmaterial.

Erst zu diesem Zeitpunkt wurde versucht, die Feuerwehr zu verständigen. Der Brigadier löste zur Alarmierung der Feuerwehr die Sirene aus, die jedoch nach kurzem Aufheulen sofort verstummte. Der Versuch, nunmehr die Feuerwehr Zeulenroda und Gera telefonisch zu verständigen, gelang erst nach längerer Zeit. Daher traf die Feuerwehr erst ca. 50 Minuten nach dem Brandausbruch an der Brandstelle ein, zu einem Zeitpunkt, als die Produktionshalle bereits in voller Ausdehnung brannte und deshalb ein so großer Schaden verursacht wurde.

Das Versagen der Sirene und die Verzögerungen der Telefonverbindungen hängen mit dem Umstand zusammen, dass in der Woche vom 7. bis 12.11.1966 von der Deutschen Post begonnen worden war, das Telefonnetz umzustellen und die Sirenen des Ortes miteinander zu koppeln. Diese Arbeiten waren noch nicht abgeschlossen.

Da in der Vergangenheit in diesem Betrieb mehrmals unzulässige Temperaturerhöhungen durch Versagen der Statex-Relais an allen drei Öfen festgestellt wurden, und dieser Zustand den verantwortlichen Mitarbeitern auch bekannt ist, sie jedoch keine oder nur ungenügende Maßnahmen zur Beseitigung der Gefahrenquellen eingeleitet hatten, wurde zur Klärung aller damit im Zusammenhang stehenden Fragen durch die VP ein EV eingeleitet.

  1. Zum nächsten Dokument Brand an einer Imprägniermaschine im Reifenwerk Fürstenwalde

    23. November 1966
    Einzelinformation Nr. 901/66 über den Brand an der Imprägniermaschine II im Reifenwerk Fürstenwalde, [Bezirk] Frankfurt (Oder) am 19.11.1966

  2. Zum vorherigen Dokument Provokationen jugendlicher Gruppen in Berlin

    19. November 1966
    Einzelinformation Nr. 892/66 über zunehmendes rowdyhaftes Verhalten jugendlicher Gruppen in Berlin