Haltung evangelischer Geistlicher zum Vietnamkrieg
20. Oktober 1966
Einzelinformation Nr. 787/66 über die Haltung kirchlicher Kreise zur USA-Aggression in Vietnam
Dem MfS wurde bekannt, dass sich die Konferenz der Bischöfe und Kirchenleitungen der DDR am 22.9.19661 u. a. mit der US-Aggression in Vietnam2 beschäftigte.
In seinen grundlegenden Ausführungen zu Beginn der Konferenz orientierte Bischof Krummacher/Greifswald3 darauf, jede »einseitige« Stellungnahme zu Vietnam abzulehnen. Krummacher erklärte, die Landeskirchen sollten bei Aufforderungen, zur Vietnam-Frage Stellung zu nehmen, auf die Erklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf vom Februar 19664 verweisen. »Einseitige Stellungnahmen« müssten auch mit der Begründung abgelehnt werden, dass »eine solche Hilfe« die Fronten nur verhärten würde.
Krummacher setzte bei seinen Ausführungen die Kenntnis des Inhalts der Erklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen, Genf, voraus. Diese Erklärung war bis in die jüngste Vergangenheit den einzelnen Landesbischöfen und führenden Geistlichen der evangelischen Kirche durch direkte Zustellung vom Zentralausschuss Genf zugänglich gemacht worden.
In Auswertung der Bischofs- und Kirchenleitungskonferenz führte die Landeskirchenleitung Berlin-Brandenburg einen Gesamtephorenkonvent durch, der vom 26. bis 30.9.1966 im Haus »Wilhelmshöhe« in Buckow stattfand. Während dieser Tagung ging Präses Figur/Berlin-Brandenburg5 in seinem Bericht zur Lage auf die Erklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen von Genf zur Vietnam-Frage ein. Dabei betonte er, die Kirchenleitung Berlin-Brandenburg werde dazu keinen Beschluss fassen und sich auch nicht offiziell äußern. Sollten staatlicherseits Aufforderungen zu Stellungnahmen hinsichtlich des Vietnam-Krieges erfolgen, sollten die Superintendenten Gebrauch von dieser Erklärung machen und den staatlichen Stellen gegenüber äußern, dass diese Erklärung für alle kirchlichen Kreise bindend sei.
Gleichzeitig übergab Präses Figur allen Superintendenten Berlin-Brandenburg während des Gesamtephorenkonvents je ein Exemplar der Erklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen zu deren persönlicher Information.
Diese Erklärung enthält sinngemäß u. a. folgende Punkte:
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Die USA und Südvietnam stellen die Bombardierung der DRV ein, die DRV unterlässt die militärische Infiltration Südvietnams.
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Die USA sollen Bereitschaft zum sofortigen Abzug der Truppen erklären, die unter internationaler Aufsicht erfolgen soll und nach dem Urteil einer internationalen Autorität (welche, wird nicht konkret ausgesprochen) als angemessen betrachtet wird.
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Bei Verhandlungen sollen in einem bestimmten Verhältnis der Ky-Regierung wie der Nationalen Befreiungsfront (Vietcong)6 Platz eingeräumt werden.
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Nord- und Südvietnam sollen größte Initiative und Beweglichkeit bei Verhandlungen an den Tag legen.
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Das Geschehen in ganz Vietnam soll von allen Beteiligten als soziale Revolution betrachtet werden, und jede fremde Einmischung sei zu vermeiden.
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Alle militärischen Handlungen sollen als Mittel zur Lösung des Problems vermieden werden.
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Zur Erleichterung der internationalen Lage sollen die USA ihre Politik der »Eindämmung« des Kommunismus überprüfen und modifizieren. Das gleiche sollen die kommunistischen Länder mit ihrer Politik der »Befreiungskriege« tun.
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Es solle eine sofortige Feuereinstellung erwogen werden sowie die internationale Kontrollkommission auf eine beachtliche Gruppe vergrößert werden.
(Der Wortlaut der Erklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen Genf, wird in der Anlage abschriftlich beigefügt.)
Die Ansichten führender kirchlicher Kreise zur Vietnam-Frage spiegelt sich auch in der Haltung bei einer Reihe Studenten der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität wider. Die Empfehlung der Universitätsleitung, den finanziellen Erlös eines Tages des Ernteeinsatzes für Vietnam zu spenden, ist bei den Theologiestudenten des 1. bis 3. Studienjahres auf Widerstand gestoßen. Die Spende wurde mit der Begründung verweigert, dass man nicht wisse, was mit dem Geld geschehe. Eine Spende würde lediglich im Rahmen des Roten Kreuzes oder der innerkirchlichen Aktion »Brot für die Welt«7 erfolgen.
Aufgrund dieser Haltung wurde durch Prof. Müller8 und Dr. Fink9 (vom Lehrkörper der Theologischen Fakultät) mit den Studenten eine Auseinandersetzung geführt. Danach erklärten sich die Studenten zwar zu einer Spende bereit, jedoch nur unter der »Bedingung«, dass diese im Zusammenhang mit einer von ihnen formulierten »Erklärung« zu betrachten sei. In dieser »Erklärung« wird eine »unverbindliche Forderung« nach Beendigung des Krieges in Vietnam gestellt. Gleichzeitig bestimmt sie konkret den Verwendungszweck der Spende, wobei das »Rote Kreuz« in Vietnam und der »Wiederaufbau des zerstörten Lepradorfes« angegeben werden. Ferner wird in dieser »Erklärung« zum Ausdruck gebracht, es wäre notwendig, nicht nur die »Einstellung der Bombardierung Nordvietnams« zu fordern, sondern auch den »Abzug der Vietnam-Guerilla-Truppen in Südvietnam«.
Der Dekan der Theologischen Fakultät hat in diesen Auseinandersetzungen bisher keine Stellung bezogen.
(Im Zusammenwirken zwischen dem Staatssekretariat für Kirchenfragen und dem Staatssekretariat für Hoch- und Fachschulwesen sind u. a. die Durchführung von Studentenversammlungen an der Theologischen Fakultät und eventuell die Rückgabe der Spendengelder an die Studenten mit entsprechenden Kommentaren vorgesehen, u. a. unter dem Aspekt, dass der Kampf des vietnamesischen Volkes zu edel sei, um mit diesen nicht vom Herzen kommenden Spenden unterstützt zu werden.)
Eine weitere Auswirkung der von Bischof Krummacher gegebenen Orientierung war Ende September in einer Aussprache mit Geistlichen der Kirchenkreise I und III Berlin zu erkennen. (Diese Aussprache zu Grundfragen der Politik der DDR fand in Cecilienhof/Potsdam unter Leitung von Vertretern der Räte der Stadtbezirke Berlin, die 15 Geistliche zu dieser Fahrt nach Potsdam eingeladen hatten, statt.)
Eine vorbereitete Erklärung zur Vietnam-Frage wurden von den Geistlichen zunächst einmütig mit der Begründung abgelehnt,
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die gesamte Kirche stehe hinter der Erklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf vom Februar dieses Jahres;
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sie als Vertreter der Kirche würden in der staatlichen Erklärung eine Einseitigkeit sehen; es müsse gegen alle am Krieg beteiligten Seiten aufgetreten werden;10
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sie seien nicht damit einverstanden, dass gegen die Aggressoren Hass erzeugt werden müsse. Hass sei noch nie die Grundlage für Verhandlungen gewesen. Sie würden sich entschieden gegen jede Form von Hass verwahren, auch dagegen, dass Kinder Kriegsspielzeug erhielten.
Von den 15 Pfarrern, die an der Potsdamer Veranstaltung teilnahmen, haben zwölf in anschließenden individuellen Aussprachen die Erklärung unterschrieben, aber um unbedingte Diskretion gebeten.
In diesem Zusammenhang wurde dem MfS bekannt, dass Superintendent Brix11 (Kirchenkreis I Berlin-Mitte) seine Pfarrer aufgefordert hat, keine Erklärungen zu unterschreiben; die Kirche in der DDR gebe in der Welt »ein falsches Bild«, falls Erklärungen unterzeichnet würden, die der von Genf entgegenstünden.
Im gleichen Sinne hatte auch Oberkonsistorialrat Kehr12 (Kirchenkreis III Berlin) seine Pfarrer während einer Synode seines Kirchenkreises orientiert.
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