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Kind stirbt an vergifteter Schokolade in Wallroda (2)

20. April 1966
Einzelinformation Nr. 304/66 über das Auffinden von vergifteten Schokoladenostereiern in Wallroda, [Kreis] Dresden[-Land] am 16.4.1966

In Ergänzung unserer Einzel-Information Nr. 300/66 wurde durch die weiteren Untersuchungen Folgendes bekannt:

Am 16.4.1966, gegen 6.45 Uhr, begab sich der Schüler [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1954, wohnhaft Wallroda [Nr.] zur Schulbushaltestelle in Wallroda, [Kreis] Dresden[-Land], um mit dem Bus nach Kleinwolmsdorf zur Schule zu fahren. An der Haltestelle befindet sich ein Wartehäuschen, welches bis Oktober 1965 als Giftraum der Gemeinde diente. In diesem Wartehäuschen fand Hübner vier handelsübliche Schokoladenostereier (Streichholzschachtelgröße), die in Staniolpapier eingepackt waren.

Unmittelbar nach [Name 1] fanden sich auch die Schüler Heubel, Hans-Jürgen,1 geboren [Tag, Monat] 1954, wohnhaft gewesen Wallroda [Nr.], [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1953, wohnhaft Wallroda [Nr.] und [Name 3, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1953, wohnhaft Wallroda [Nr.] an der Schulbushaltestelle ein. An diese Schüler verteilte [Name 1] die von ihm gefundenen Schokoladenostereier. Heubel aß das ganze Schokoladenei, während [Name 2] sein Schokoladenei nur bis zur Hälfte aß. [Name 1] leckte nur an dem gefundenen Ei und warf es dann weg. Auch [Name 2] warf die andere Hälfte des Schokoladeneies weg, weil es bitter schmeckte. [Name 3] warf das ihm übergebene Schokoladenei ebenfalls weg, ohne davon gekostet zu haben. Anschließend fuhren die Kinder gemeinsam zur Schule.

Bei Heubel zeigten sich gegen 9.40 Uhr erste Krankheitserscheinungen durch starkes Erbrechen und Unwohlsein. Er wurde deshalb vorzeitig aus der Schule nach Hause geschickt, wo er gegen 17.00 Uhr, noch vor Eintreffen eines Arztes, an den Folgen einer Vergiftung verstarb.

[Name 2] und [Name 1] litten am Nachmittag ebenfalls an starkem Erbrechen und Unwohlsein. Beide wurden in das Bezirkskrankenhaus Arnsdorf eingeliefert, von wo sie am 17.4.1966 wieder entlassen werden konnten.

Bereits am 16.4.1966, gegen 6.30 Uhr, wurden durch zwei Genossenschaftsbauern, die zu diesem Zeitpunkt Milch transportierten, im Gras neben der Schulbushaltestelle vier und im Wartehäuschen nochmals vier Schokoladenostereier gesehen. Gegen 7.20 Uhr, nachdem der Schulbus bereits weggefahren war, wurden von der stellvertretenden Bürgermeisterin der Gemeinde Wallroda ebenfalls die vier im Gras liegenden Schokoladeneier bemerkt. Von diesen Personen wurde jedoch nichts unternommen.

Aufgrund der Vergiftungserscheinungen der drei Kinder und des in diesem Zusammenhang bekannt gewordenen Fundes der Schokoladenostereier wurde am Nachmittag des 16.4.1966 mit Unterstützung der Bevölkerung eine Suchaktion eingeleitet. Bei dieser Suchaktion wurden gegen 17.00 Uhr von Schulkindern die neben der Wartehalle liegenden vier Schokoladeneier gefunden und dem Lehrer übergeben.

Die aufgefundenen Schokoladeneier wurden im Gerichtsmedizinischen Institut Dresden untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass von den Eiern die Spitze und das Ende entfernt, die Nougatfüllung entnommen und mit Gift vermengt und damit die vier wieder gefüllt worden waren. Die Präparierung der Eier mit Gift erfolgte sehr primitiv, sodass schon rein äußerlich ersichtlich war, dass an den Eiern Veränderungen vorgenommen worden waren. Durch die chemisch-toxikologische Untersuchung wurde festgestellt, dass es sich bei dem Gift um Arsenic handelt, welches zur Gruppe der Schädlingsbekämpfungsmittel zählt. Die am 17.4.1966 erfolgte Gerichtmedizinische Sektion zur Todesursache des Heubel ergab alle Anzeichen einer Arsenicvergiftung. Inwieweit ein Zusammenhang zwischen dem Gift und der ehemaligen Benutzung des Wartehäuschens als Giftraum der Gemeinde besteht, wird gegenwärtig noch untersucht.

Die bisherigen Ergebnisse der Aufklärung der Umstände und das Vorgehen bei der Ausführung des Verbrechens lassen vermuten, dass der bzw. die Täter aus der Gemeinde Wallroda bzw. aus einem Nachbarort stammen. Hinweise auf die Tätigkeit feindlicher Organisationen in Westberlin oder Westdeutschland im Zusammenhang mit diesem Vorkommnis, konnten bisher nicht erarbeitet werden.

Am Abend des 16.4.1966 fand in Wallroda eine öffentliche Festveranstaltung mit Tanz anlässlich des 20. Jahrestages der Gründung der SED2 statt. Bis auf erste Diskussionen kam es zu keiner Beeinträchtigung der Veranstaltung.

Im Zusammenwirken mit der Volkspolizei werden durch das MfS die weiteren Untersuchungen zur Ermittlung der Täter und der näheren Zusammenhänge des Verbrechens fortgesetzt.

  1. Zum nächsten Dokument NVA-Missstände während eines Grenzdurchbruchs in Wartha

    21. April 1966
    Einzelinformation Nr. 315/66 über das Verhalten der NVA-Grenzposten beim gewaltsamen Grenzdurchbruch an der Grenzübergangsstelle Wartha am 15.4.1966 (Ergänzung zur Information 298/66)

  2. Zum vorherigen Dokument Schüsse auf Zivilistin durch sowjetische Armee in Neuruppin

    19. April 1966
    Einzelinformation Nr. 309/66 über ein besonderes Vorkommnis mit sowjetischen Armeeangehörigen am sowjetischen Objekt in Neuruppin, [Bezirk] Potsdam am 11.4.1966