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Konferenz der evangelischen Bischöfe in der DDR

30. Juni 1966
Einzelinformation Nr. 493/66 über die Konferenz der evangelischen Bischöfe der DDR am 10.6.1966 und über Ansichten des Generalsuperintendent Jacob/Cottbus zur Lage der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg

Dem MfS wurde bekannt, dass auf Initiative von Bischof Krummacher/Greifswald1 – zurzeit Vorsitzender der Bischofskonferenz – am 10.6.1966 in Berlin die Konferenz der evangelischen Bischöfe der DDR stattfand.

Während dieser Konferenz berichtete Bischof Krummacher über ein Gespräch, dass er am 6.6.1966 mit Staatssekretär Seigewasser2 geführt habe. Krummacher erklärte, dass es sich um eine »Belehrung« gehandelt habe, verbunden mit einer »Forderung«, die Handreichung der Evangelischen Kirche zu Wehrdienstfragen3 zurückzunehmen.

Bei der Schilderung dieses Gesprächs mit Staatssekretär Seigewasser vor der Bischofskonferenz wirkte Bischof Krummacher äußerst unsicher und nervös; seine Ausführungen waren zerfahren und unkonzentriert.

Im Verlauf seiner Ausführungen über das Gespräch mit Staatssekretär Seigewasser schätzte Krummacher ein, das Verhältnis zwischen Kirche und Staat habe sich offensichtlich verschärft; zurückzuführen sei diese Situation auf die Wahl von Präses Scharf4 zum Bischof von Berlin-Brandenburg5 und auf die »Handreichung zu Wehrdienstfragen«.

Bischof Krummacher betonte, er lehne für die entstandene Situation jede Verantwortung ab, er habe es »satt«, immer wieder als »Prügelknabe« betrachtet zu werden. (Am Anfang seiner Ausführungen hatte er bereits darauf hingewiesen, ihm sei von Staatssekretär Seigewasser inkonsequente Haltung vorgeworfen worden.)

Er machte Bischof Jänicke,6 der für die Ausarbeitung der »Handreichung zu Wehrdienstfragen« verantwortlich zeichne, den Vorwurf, er ließe sich vor den »Karren der Scharfmacher« spannen. (Dabei wurden von Krummacher zwar keine Namen genannt, seine Ausführungen betrafen jedoch – für die Anwesenden verständlich – Fleischhack/Magdeburg,7 Ringhandt8 und Stolpe/Berlin).9

Bischof Krummacher wiederholte in seinen Ausführungen, er sei von dem Gespräch mit Staatssekretär Seigewasser tief erschüttert, besonders über dessen Erklärung, die Bischöfe müssten als »geistige Urheber« von Wehr- und Wehrersatzdienstverweigerungen betrachtet werden und über die Mitteilung, dass dem Ministerpräsidenten über den Verlauf des Gespräches Mitteilung gemacht würde.

In diesem Zusammenhang vermutete Krummacher, der Staat werde noch »andere Maßnahmen« durchführen. Er, Krummacher, werde jedoch keiner weiteren Einladung des Staatsapparates mehr Folge leisten. (In Kreisen der Bischöfe würden diese Worte von Krummacher nicht ernst genommen, da er sehr ehrgeizig sei.)

Krummacher weigerte sich im weiteren Verlauf seiner Ausführungen vor der Bischofskonferenz, in Zukunft »gesamtkirchliche Briefe« oder »Handreichungen«, die politischen Charakter tragen, zu unterschreiben. Jede Landeskirche solle nach seiner Meinung die eigene Verantwortung übernehmen. Er werde sich in Zukunft mehr den »internationalen Fragen« zuwenden.

Krummacher machte hierbei die »vertrauliche Mitteilung«, im Juni 1966 finde eine Sitzung des CCIA (Kommission der Kirchen für internationale Angelegenheiten des Weltkirchenrates) statt, auf der eine gesamtdeutsche Sektion gebildet werden solle. Diese gesamtdeutsche Sektion werde vor allem die Aufgabe haben, die gesamtdeutschen Fragen vor dem Weltkirchenrat zu vertreten.10 (Nähere Angaben dazu liegen noch nicht vor.)

Weiter erklärte Krummacher, aus diesen ganzen Erwägungen heraus wünsche er nicht, bei der kommenden Wahl des Vorsitzenden der Bischofskonferenz wieder als Vorsitzender gewählt zu werden. (Die Wahl findet am 29.6.1966 statt.) Für dieses Amt schlug er Bischof Noth/Dresden11 vor. Bischof Noth wandte jedoch sofort ein, er würde diese Funktion ebenfalls nicht übernehmen. In der späteren Diskussion einigten sich die Teilnehmer der Bischofskonferenz dahingehend, am 28.6.1966 nochmals über diesen Punkt zu beraten.

Im weiteren Verlauf der Bischofskonferenz schlug Bischof Krummacher im Zusammenhang mit der »Handreichung zu Wehrdienstfragen« vor, ein Schreiben an das Staatssekretariat für Kirchenfragen abzusenden, in dem nochmals die »seelsorgerischen Motive« für die Ausarbeitung dieser Handreichung dargelegt werden. In der sich an diesen Vorschlag anschließenden Diskussion kam es unter den anwesenden Bischöfen zu keiner Einigung. Während Bischof Fränkel/Görlitz12 forderte, in dieser Hinsicht »hart zu bleiben«, erklärte Bischof Mitzenheim/Thüringen,13 die Landeskirche Thüringen sei von vornherein gegen diese »Handreichung« gewesen; man solle sich über die Reaktion des Staates darauf nicht wundern.

Mitzenheim schlug vor, allen Pfarrern der DDR eine schriftliche Aufforderung zuzuleiten, die Handreichung zu vernichten und sie nicht zur Grundlage ihrer Tätigkeit zu nehmen. Darüber wurde ebenfalls keine Einigung erzielt. Es wurde festgelegt, dieses Problem nochmals während der für den 28.6.1966 geplanten Konferenz zu behandeln.

Dem MfS wurde bekannt, dass Bischof Krummacher nach dieser Konferenz im internen Kreis erklärte, ihm sei »die ganze Angelegenheit« um die Handreichung »sehr peinlich«. Dabei erwähnte er, die ganze Verantwortung für die »scharfe« Ausarbeitung der Handreichung trage vor allem der Pfarrer Berger14 (Schwiegersohn von Missionsdirektor Brennecke),15 der als Bausoldat in Zusammenarbeit mit Ringhandt und anderen auf die Herausgabe einer solchen Handreichung gedrungen habe. Zurzeit sei Oberkonsistorialrat Stolpe/Berlin vor der Kirchenkanzlei der EKD für alle Fragen des Wehr- und Wehrersatzdienstes verantwortlich, wobei er engstens mit dem Beauftragten der EKD, Präses Beckmann,16 zusammenarbeite. Gegenwärtig würden Stolpe und Berger ein illegales Treffen zwischen ehemaligen Bausoldaten und jetzt eingezogenen Bausoldaten17 organisieren, das in Stralsund stattfinden soll. (Entsprechende Maßnahmen zur näheren Aufklärung wurden eingeleitet.)

Bischof Krummacher erklärte, er habe sofort nach dem Gespräch mit Staatssekretär Seigewasser von Oberkirchenrat Stolpe verlangt, dieses Treffen abzusetzen. Es wäre nicht auszudenken, wenn der Staat von dieser Zusammenkunft ausgerechnet im Bereich seiner Landeskirche Kenntnis erhalte.

Ferner teilte Krummacher dem internen Kreis vertraulich mit, im April 1967 sei die Durchführung einer EKD-Synode,18 parallel in Westberlin-Spandau und in Berlin-Weißensee, geplant, Als vorläufige Tagesordnung stünden folgende Punkte zur Debatte:

  • 1.

    Die Wahl von Bischof Scharf zum Vorsitzenden des Rates der EKD (seine Legislaturperiode läuft 1967 ab),

  • 2.

    Neuwahl von einigen EKD-Organen, wie z. B. Ratsmitglieder und kirchliches Außenamt,

  • 3.

    »Die Kirche und ihr Geld« (Es solle beraten werden, wie die Kirchensteuer organisierter vereinnahmt werden könnte, da ein Rückgang der Einnahmen im Bereich der DDR festzustellen sei.)

  • 4.

    »Kein anderes Evangelium« (Dieses Thema mache sich notwendig, da im Gesamtbereich der evangelischen Kirche eine modernere, den Verhältnissen entsprechende »Auslegung der Theologie« gefordert werden müsse. Widersprüche auf theologischem Gebiet, die vor allem von der Bruderschaft von Nordrhein-Westfalen ausgingen, sollten durch einen Beschluss der Synode überwunden werden.)19

Dem MfS liegen Informationen vor, wonach Generalsuperintendent Jacob/Cottbus20 in letzter Zeit eine starke Initiative entwickelte, um seine »Vorstellungen«, die sich gegen die erfolgte Wahl Scharfs zum Bischof von Berlin-Brandenburg richten, zu verbreiten und durchzusetzen.

Zu diesem Zweck nahm Jacob Verbindung mit dem Pfarrer Dr. Gerhard Bassarak21 auf, der durch sein Wirken im Weißenseer Arbeitskreis22 als progressiv bekannt ist. Außerdem führte Jacob eine »vertrauliche« Unterredung mit einem Redakteur des »Stern«, offensichtlich mit dem Ziel, eine entsprechende Veröffentlichung seiner Vorstellungen in Westdeutschland zu erreichen.23

In dem Gespräch mit Bassarak, das auf Wunsch von Jacob am 11.6.1966 stattfand, betonte Jacob, er wolle die Unterredung als streng vertraulich gewertet wissen. Seine Anwesenheit in Berlin begründete Jacob damit, dass er an einer »Feierlichkeit« teilzunehmen hätte, auf der die Vikarin Becker24 – die er als die »rechte Hand« der »grauen Eminenz« von Berlin-Brandenburg, Ringhandt, bezeichnete – von der Kirchlichen Hochschule Westberlin den »Dr. h. c.« verliehen bekäme. Diesen Titel erhalte sie für »kirchenpolitische Dienste«, da sie die tatsächliche Vermittlerin der Ost-West-Kontakte und die Nachfolgerin von Fräulein [Name] sei.

Jacob teilte mit, er werde die Anwesenheit von Prof. Vogel/Westberlin25 – der ebenfalls an der erwähnten Feierlichkeit teilnehme – dazu benutzen, mit ihm über die Lage in Berlin-Brandenburg zu konferieren und ihn zu bitten, Scharf in Westberlin aufzusuchen. Nach Ansicht von Jacob sei die Lage in Berlin-Brandenburg »unhaltbar« geworden; die »Ungewissheit über die weitere Entwicklung« und die »völlig ungeklärten Verhältnisse« trieben auf eine »offene Krise« zu.

Diese Einstellung habe er auch in der letzten Kirchenleitungssitzung vertreten, wobei er die Entwicklung seit »Wien über Lund bis zur Berliner Synode«26 dargestellt hatte.

Zur Person Scharf habe er gleichzeitig Folgendes erklärt:

Scharf habe ihm versprochen, dass er (Jacob) einstimmig von der Synode und der Kirchenleitung auf Lebenszeit zum Bischofsverweser bestellt werde. Scharf habe ihm aber mehrfach »hinter das Licht« geführt. Niemand der an dieser »Abmachung« Beteiligten habe sich an dieses Versprechen gehalten. Ein von Präses Scharf an ihn (Jacob) gerichteter Brief, in dem dieser darlegte, dass die Versprechen von Lund nur »Sandkastenspiele« gewesen seien, und nur Jacob diese Versprechen ernst genommen habe, sei die größte »Unverschämtheit«, die ihm jemals passiert sei. Das sei die letzte schriftliche Nachricht von Scharf gewesen.

In der Kirchenleitung habe sein Bericht große Verwirrung hervorgerufen. Man habe gedacht, er (Jacob) hätte sich inzwischen »beruhigt«. Im weiteren Gespräch mit Bassarak erklärte Jacob, er habe versucht, Scharf persönlich zu sprechen. Nachdem seine Bemühungen, mit Scharf im April 1966 in Prag zusammenzutreffen, gescheitert seien, sei nunmehr ein Zusammentreffen in Prag noch im Juni 1966 oder zu einem späteren Zeitpunkt vorgesehen. Er wisse jetzt, »wer Scharf in Wirklichkeit sei«, und beabsichtige, ihm dies in Prag zu sagen. Er wolle nur nach Prag fahren, um Scharf mitzuteilen, dass er »wortbrüchig« geworden sei.

Die Lage in der Kirchenleitung sei viel komplizierter, als er (Jacob) ursprünglich angenommen habe. Die Vikarin Becker habe z. B. wissen lassen, dass die bisherigen Bemühungen, alle Kirchenmitglieder und Bischöfe von der Richtigkeit der Lösung in Berlin-Brandenburg (Wahl Scharfs, Brief Scharfs an alle Pfarrer in Berlin-Brandenburg)27 zu überzeugen, gescheitert seien. Die Vikarin Becker habe vorgeschlagen, die Vertreter aller Kirchenleitungen sowie alle Bischöfe nach Berlin zu laden, um ihnen die Lage darzulegen. Das sei notwendig, um bei kommenden Auseinandersetzungen zu einer einheitlichen Meinung zu gelangen.

Jacob vertrat weiter die Ansicht, er würde bei Zustandekommen dieser Konferenz dort »alle Dinge von Wien bis Lund« aufdecken, so dass es zu einem »riesigen Skandal« käme. Jacob wisse, dass die Kirchenleitung insgeheim nach »völlig anderen Lösungen« suche. Kirchenjuristen von Berlin-Brandenburg hätten folgende Lösung gefunden:

Nach der Grundordnung von Berlin-Brandenburg und der Regionalgesetzgebung von Berlin-Brandenburg sei es möglich, dass anstelle eines Bischofsverwesers oder -verwalters auch der Vorsitzende der Kirchenleitung die Geschäfte des Bischofs wahrnehmen könne.28 Der Weg sei damit festgelegt. Figur29 fungiere derzeitig als Vorsitzender der Kirchenleitung und sei außerdem als Präses der Synode die zweithöchste geistliche Person in der Kirche. Im Januar 1967 findet eine Neuwahl der Synode statt, auf der Figur für weitere sieben Jahre im Amt bestätigt werden soll. Er (Jacob) habe sehr viel Überlegungen über die Lage angestellt. Auch unter Figur »ginge die Kirche zugrunde«. Er bewundere sehr die zurückhaltende Kirchenpolitik von Paul Verner30 (den er durch ein persönliches Gespräch kennengelernt habe) und anderen, die in dieser Situation den »offenen Kampf« vermeiden würden.

Jacob plane Folgendes:

  • Er wolle vor einem möglichst großen Forum seine »Erfahrungen, Erlebnisse und Einsichten« über Scharf, Figur und Ringhandt im Zusammenhang mit der letzten Synode darlegen.

  • Sollte sich an der Lage in Berlin-Brandenburg nichts ändern, beabsichtige er seine Generalsuperintendentur zu separieren, ungeachtet dessen, ob einige Pfarrer »weglaufen«. In Berlin-Brandenburg gebe es genug Anhänger für eine Anti-Scharf-Haltung.

Im weiteren Gesprächsverlauf bot Dr. Bassarak das Forum des Weißenseer Arbeitskreises an mit dem Hinweis, er sei gern bereit, Jacob in seiner Haltung volle Unterstützung zu gewähren. Jacob erklärte dazu, er habe im Weißenseer Arbeitskreis stets »gute Stützen« gefunden, und er wolle sich »die Sache« überlegen.

Zum Abschluss der Unterhaltung gab Jacob seine Absicht bekannt, gemeinsam mit Pfarrer Schottstädt,31 Oberkirchenrat Stolpe und dem Synodalen Burkhardt32 in die Schweiz zu fahren, wo er vor allem die Unterstützung von Karl Barth33 zu erreichen hofft.

In einem Gespräch, das Generalsuperintendent Jacob in Berlin mit dem »Stern«-Redakteur Walter Leo34 führte, vertrat Jacob ähnliche Ansichten wie in dem Gespräch mit Dr. Bassarak. Jacob erweckte bei diesem Gespräch den Eindruck, als habe er den Schock, dass er im Februar 1966 nicht zum Bischofsverwalter auf Lebenszeit gewählt worden sei, wie dies mit Scharf in Lund besprochen wurde, noch nicht überwunden. Jacob erläuterte, er habe im Februar auf den Posten verzichtet, da nur die geringe Mehrheit für ihn gewesen sei. Unter diesen Umständen sei es für ihn klar gewesen, dass die Landeskirche keinen »leichten Zeiten« entgegensehe. Er habe sich nicht zum »Prügelknaben« machen lassen wollen. Als Grund für die Gruppe von Mitgliedern der Kirchenleitung, die ihn nicht gewählt hätten, nannte Jacob die bei diesen Mitgliedern nach wie vor bestehende Annahme, dass Scharf doch noch in die DDR zurückkehren werde.

Ohne Einzelheiten zu nennen, sprach Jacob von einem »Millionenbetrug«, mit dem die Rückkehr Scharfs in die DDR erkauft werden sollte. Bestimmte Mitglieder der Kirchenleitung seien noch heute der Meinung, dass die Regierung der DDR dieses Angebot doch noch akzeptieren werde, da die DDR an Devisen interessiert sei.35

Im weiteren Verlauf des Gesprächs mit Leo erläuterte Jacob die Haltung Scharfs gegenüber seiner Person im gleichen Sinne, wie das auch gegenüber Bassarak geschehen war. Danach entwickelte er Vorstellungen, wie die Lage in Berlin-Brandenburg normalisiert werden könnte:

Es wäre zweckmäßig, einen DDR-Bürger zum Bischof mit Sitz in Berlin (Hauptstadt der DDR) zu wählen und für Westberlin einen Bischofsverweser zu bestellen. Falls Jacob selbst zum Nachfolger von Dibelius36 gewählt worden wäre, so hätte er – so führte er aus – wahrscheinlich noch mehr Möglichkeiten als Erzbischof Bengsch37 erhalten, die Gemeinden in Westberlin oder auch in der Bundesrepublik zu besuchen. In der gegenwärtigen Lage sei jedoch die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg »ohne Kopf« und besitze keine geordneten Beziehungen zum Staat. Der Staat zahle zwar nach wie vor finanzielle Zuschüsse an die Kirche, es bestünden aber seitens der Kirche keine Möglichkeiten zu Kontakten über die Grenze der DDR hinaus. Jacob deutete an, es würde innerhalb dieses Teils der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg noch einen »Knall« geben.

Jacob beklagte sich gegenüber Leo über die negative Haltung der Westpresse zu seiner Person, lehnte es aber ab, Leo ein Interview zu gewähren, und wies darauf hin, über dieses Gespräch nichts im »Stern« zu veröffentlichen.

Inzwischen wurde dem MfS bekannt, dass Leo die Ergebnisse des Gesprächs mit Jacob dazu benutzte, unter dem Aufhänger »17. Juni« für den Kirchenfunk des Südwestfunks (Stuttgart) einen Kommentar über die »Fiktion von der Einheit der Evangelischen Kirche Deutschlands« zu schreiben. (Dieser Kommentar, der am 17.6.1966 über den Süddeutschen Rundfunk Stuttgart gesendet wurde, liegt dem MfS im Manuskript und im Original vor.)38

In den Ausführungen Leos wurden indirekt Äußerungen Jacobs übernommen, ohne dass aus der Sendung die Quelle der Informationen ersichtlich wird.

Neben der Fiktion von der Einheit der EKD allgemein geht Leo im Wesentlichen auf folgende konkrete Punkte ein:

  • Handelt es sich bei der Wahl Scharfs wirklich um einen Ausdruck der Einheit von Synodalen in Ost und West?

  • Die Einheit sei nur nominell gewahrt, die Mehrheit der Christen im Osten würde davon nicht profitieren, zumal nicht gleichzeitig dafür gesorgt worden sei, Jacob als Bischofsverweser einzusetzen. Die Kirche habe mit der Wahl Scharfs die DDR »herausgefordert«.

  • Die Kirchenleitung habe die Entschlossenheit der »kommunistischen Regierung« gegenüber Scharf unterschätzt. Sie habe sogar gehofft, die Kommunisten ließen sich für ein westliches Millionenangebot ihr Credo abkaufen.

  • Die Kirchenleitung habe vor allen sich aus der Spaltung ergebenden Schwierigkeiten die Augen verschlossen.

  • Eine solche Blindheit ergebe sich möglicherweise daraus, dass einige Kirchenpersönlichkeiten den kommunistischen Staat nicht »wahrhaben wollen«.

  • Die Rechtsbestimmungen müssten jedoch auch von der Kirche beachtet werden.

  • »Beim Geschäft mit kommunistischen Partnern sei man genötigt, sich auch deren Lage zu vergegenwärtigen.«

Danach skizziert Leo die »Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg« als »ohne Kopf und geistliche Leitung«. Für den DDR-Staat existiere die Kirche Berlin-Brandenburg nicht, es gebe für ihn nur noch einzelne Sprengel in Berlin-Brandenburg. Briefe blieben daher unbeantwortet, Anträge unerledigt, alle größeren Projekte würden entfallen. Die allmähliche Normalisierung zwischen Staat und Kirche sei bis auf weiteres unterbrochen.

Aufgrund dieser vorliegenden Informationen erachtet es das MfS für erforderlich, nachstehende Vorschläge – die eine weitere Differenzierung der reaktionären evangelischen Kirchenkreise und eine Stärkung der progressiven Kräfte bewirken sollen – zu prüfen und darüber zu entscheiden:

Es wird vorgeschlagen, eine erneute Aussprache durch Staatssekretär Seigewasser mit Bischof Krummacher im Beisein eines Militärstaatsanwalts durchzuführen. Während dieses Gesprächs sollte Krummacher erklärt werden, dass die sogenannte Handreichung für Wehrpflichtige gegen die Gesetze der DDR verstößt und dass einige Pfarrer diese Handreichung bereits dazu genutzt hätten, andere Personen zu strafbaren Handlungen zu veranlassen. (Durch das MfS werden gegenwärtig Überprüfungen durchgeführt, in welchen Fällen von Pfarrern die Handreichung zur Beeinflussung anderer Personen genutzt wurde, um sie von ihrer Wehrpflicht usw. abzuhalten). Während dieses Gesprächs sollte Krummacher weiter deutlich gemacht werden, dass er für die Wahl Scharfs zum Bischof von Berlin-Brandenburg verantwortlich sei. Damit im Zusammenhang sollte ihm zu verstehen gegeben werden, dass es die staatlichen Organe der DDR nicht dulden werden, wenn auf der kommenden Generalsynode39 Bürger der DDR einen westdeutschen oder Westberliner Bischof zu ihrem Vorsitzenden wählen.

Im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Einstellung des Generalsuperintendenten Jacob zur innerkirchlichen Situation ist einzuschätzen, dass J. in seinen Äußerungen und Entschlüssen sehr spontan und leicht beeinflussbar ist. Zur Festigung und Stärkung seiner gegenwärtigen Haltung und zur Vermeidung einer Beeinflussung durch hohe kirchliche Persönlichkeiten Westdeutschlands wird gebeten zu prüfen, inwieweit die kirchliche Oppositionsgruppe Weißenseer Arbeitskreis – anknüpfend an das Gesprächs Jacobs mit Dr. Bassarak – zur Unterstützung der Pläne von Generalsuperintendent Jacob eingesetzt werden kann. Dazu sollte eventuell ein kirchenpolitisches Forum in Weißensee stattfinden, auf dem Jacob Gelegenheit erhält, kircheninterne Dinge darzulegen. Die Rede von Jacob sollte in einem Offenen Brief an alle Geistlichen versandt werden.

Zur Aufwertung des Weißenseer Arbeitskreises wäre es zweckmäßig, das seit langem geplante Ökumenische Institut an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität einzurichten.40

Ferner wird vorgeschlagen, durch Staatssekretär Seigewasser zu veranlassen, Jacob von einem Treffen mit Scharf in Prag abzubringen, da sonst die Gefahr der Beeinflussung durch Scharf gegeben ist.

Die Information darf im Interesse der Sicherheit der Quellen nicht publizistisch ausgewertet werden

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    4. Juli 1966
    Einzelinformation Nr. 507/66 über die Konferenz der Kirchenleitung der Evangelischen Kirchen in der DDR am 29.6.1966 in Berlin

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    30. Juni 1966
    Einzelinformation Nr. 486/66 über einen bewaffneten Grenzdurchbruch DDR – West im Abschnitt des Grenzregiments IV/9. GB – zwischen den Ortschaften Rohrberg und Freienhagen, [Kreis] Heiligenstadt, [Bezirk] Erfurt – am 26.6.1966