Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen in der DDR
4. Juli 1966
Einzelinformation Nr. 507/66 über die Konferenz der Kirchenleitung der Evangelischen Kirchen in der DDR am 29.6.1966 in Berlin
Dem MfS wurde bekannt, dass am 29.6.1966 in der Zeit von 9.30 bis 17.00 Uhr im Haus der Kirche, Berlin, die ordentliche, planmäßige Konferenz der Kirchenleitung der Evangelischen Kirchen in der DDR stattfand.
Als Teilnehmer waren außer Bischof Jänicke/Magdeburg,1 der sich zur Kur in Westdeutschland befindet, und Kirchenpräsident Müller/Anhalt,2 der erkrankt ist, sämtliche evangelischen Bischöfe mit ihren geistlichen und juristischen Stellvertretern erschienen.
Die Tagesordnung sah folgende Punkte vor:
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Wahl des Vorsitzenden der Konferenz der Kirchenleitung,
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Entscheidung über die sogenannte Handreichung Friedensdienst der Kirche,3
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Lizenzentzug für das Amtsblatt der EKiD,4
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Wehrerziehung der Jugend, vormilitärische Ausbildung, Erziehung der Jugend zum Hass.
Zum Tagesordnungspunkt 1 übernahm der dienstälteste Kirchenjurist Kirchenpräsident Müller/Schwerin5 die Verhandlungsleitung. Von OKR Johannes/Dresden6 wurde als 1. Vorsitzende der Konferenz der Kirchenleitung Bischof Krummacher7 vorgeschlagen. Der Kirchenjurist Hagemeyer8 schlug Bischof Noth/Dresden9 als dessen Stellvertreter vor. Es wurde deutlich, dass die Wahlvorschläge vorher bereits abgesprochen waren.
Im Namen der Vertreter der Landeskirche Thüringen gab Oberkirchenrat Lotz/Eisenach10 die Erklärung ab, die Geschäftsordnung mit ihrer Pflicht zur jährlichen Wahl des Vorsitzenden deute darauf hin, dass die Konferenz der Kirchenleitung als ein freier Konvent gleichberechtigter Kirchen einen jährlichen Wechsel im Vorsitz anstrebe. Deshalb sahen sich die Vertreter der Landeskirche Thüringen nicht in der Lage, der abermaligen Verlängerung des Vorsitzes durch Krummacher und Noth zuzustimmen. Der Thüringer Vertreter werde ungültige Stimmzettel abgeben.
Die Wahl erfolgte planmäßig. Krummacher wurde von sieben der anwesenden stimmführenden Kirchen gewählt; eine Stimme war ungültig. Präsident Müller beglückwünschte die Gewählten und dankte für die Bereitschaft, das schwierige Amt wieder zu übernehmen. Krummacher nahm unter Bezugnahme auf die Thüringer Stellungnahme die Wahl mit Dank an und erklärte, dass nach der Satzung eine Wiederwahl zulässig sei. Er bat um Vertrauen und Mitarbeit. Polemisch gegen die Vertreter der Landeskirche Thüringen gewandt, führte er weiter aus, es handle sich beim Vorsitz der Ostkonferenz doch mehr um die »Leitung eines Konvents«.
Im Anschluss an die Wahl erfolgte eine kurze Diskussion über die Termine für die Straßenversammlungen im Jahre 1967, wobei das Frühjahr und der Herbst vorgeschlagen wurden.
Danach hielt Kirchenpräsident Niemöller11 einen einstündigen Vortrag, besonders seine letzten Reisen nach Japan, Afrika, Rhodesien12 und Vietnam betreffend. An das Referat, das als ziemlich aussagelos eingeschätzt wurde, schloss sich nur eine kurze Diskussion ohne wesentliche Anhaltspunkte an.
Zum 2. Tagesordnungspunkt »Handreichung über den Friedensdienst der Kirche« gab Krummacher zunächst einen kurzen Überblick über den gegenwärtigen Stand. Er erklärte, er würde voraussetzen, die leitenden Geistlichen hätten ihre Kirchenleitungen über das Gespräch zwischen den Bischöfen, das am 10.6.1966 stattfand,13 unterrichtet, so dass er sich Einzelheiten ersparen könne.
Krummacher erläuterte, die »Handreichung« sei bisher in sieben Kirchen »in Gebrauch genommen« worden. In Halle seien jedoch ihm und Bischof Mitzenheim14 schwere Beanstandungen vom Staatssekretär, vom leitenden Polit-Offizier der Volksarmee, Admiral Verner15 und von einem Militärstaatsanwalt eröffnet worden. Mit Schreiben vom 1.4.[1966] hätten die Kirchen versucht, »Missverständnisse« um die »Handreichung« auszuräumen.16 Dieses Schreiben hätte er am 2.4.[1966] dem Staatssekretär übergeben. Daraufhin habe er lange nichts gehört, bis er dann ziemlich kurzfristig am 6. Juni 1966 zu einem Gespräch bei Staatssekretär Seigewasser17 vorgeladen worden sei.
Über dieses Gespräch habe er am 10. Juni ausführlich den Bischöfen Mitteilung gemacht.18 In diesem Gespräch am 6. Juni sei durch den Staatssekretär erklärt worden, die Regierung sei mit den von der Kirche getroffenen Maßnahmen unzufrieden; das Schreiben vom 1.4.[1966] sei ebenfalls unbefriedigend. Staatssekretär Seigewasser habe wiederholt erklärt, es handle sich nicht um eine Diskussion, sondern um eine »Belehrung im Namen der Regierung«. Die »Handreichung« habe zu verschwinden, da sie objektiv den Krieg vorzubereiten helfe.
Es sei vergeblich von ihm (Krummacher) versucht worden, Staatssekretär Seigewasser klarzumachen, dass es sich um eine seelsorgerische Arbeit handle. Die Kirche sehe drei Möglichkeiten, wie die jungen Menschen sich zum Wehrdienst stellen. Keiner dieser Möglichkeiten werde bevorzugt, aber die Kirche müsse das Recht in Anspruch nehmen, angefochtene Gewissen zu trösten.
Seit dem 10. Juni [1966] sei nunmehr deutlicher geworden, dass es den staatlichen Stellen vor allen Dingen um drei Dinge gehe:
- 1.
Der Staat beanstande, dass die Frage zu eng gefasst sei. Wenn die Kirche vom Friedensdienst spreche, dürfe nicht nur ein Teilaspekt, nämlich die Wehrdienstverweigerung behandelt werden.
Krummacher führte in diesem Zusammenhang aus: Die Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD,19 zusammengesetzt aus Gliedern in Ost und West, habe das »Friedensproblem im Großen« aufgenommen. Es sei eine Ausarbeitung in Vorbereitung, die umfassend nur die Friedensfrage und die Friedensarbeit der Kirche behandle.20 - 2.
Es werde vom Staat beanstandet, dass eine solche »Handreichung« wie sie in der DDR verabschiedet wurde, nicht in Westdeutschland erschienen sei.
Krummacher führte hierzu aus, da es im Westen keine Bausoldaten gäbe, sei eben die Situation in der DDR sachlich anders.21 - 3.
Schließlich werde der Vorwurf gemacht, dass die »Handreichung« konkret »politische Fehlurteile« fälle und an der Situation des Warschauer Paktsystems22 vorbeigehe.
Krummacher wies dann darauf hin, dass am 27.6.1966 eine interne Bischofsvorbesprechung stattgefunden habe mit dem Ergebnis, es sei jetzt nicht mehr nötig, ein Gespräch zu führen, da Staatssekretär Seigewasser dies ausdrücklich abgelehnt habe. Es müsse vielmehr ein verantwortliches Schreiben gegenüber dem Staat verfasst werden. In dieser Vorbesprechung der Bischöfe seien bereits Bischof Fränkel/Görlitz23 und Propst Fleischhack24 (Vertreter von Bischof Jänicke), beauftragt worden, den Entwurf eines Schreibens an den Staatssekretär zu fertigen.
In der anschließenden kurzen Aussprache – Krummacher wollte offensichtlich alsbald in die Beratung des von Fränkel und Fleischhack entworfenen Schreibens eintreten – wurden einige Zwischenfragen gestellt. So fragte z. B. Unitätsdirektor25 Förster,26 ob die »Handreichung« überhaupt verwendet werde. Diese Frage wurde bejaht.
Danach gab Oberkirchenrat Lotz im Namen des Landeskirchenrats der Thüringer Kirche eine ausführliche Erklärung ab. Darin heißt es, die Landeskirche Thüringen fühle sich durch die Frage nicht betroffen; sie habe der »Handreichung« nie zugestimmt und sie nicht verwendet. (Die Thüringer Erklärung, die gleichzeitig im Protokoll schriftlich dem Konsistorialrat Stolpe27 übergeben wurde, wird als Anlage beigefügt.)
Krummacher versuchte zu erläutern, man könne diese »Erklärung« nur zur Kenntnis nehmen. Es entspann sich aber eine erregte und heftige Diskussion, an der sich insbesondere mit scharfen Angriffen gegen die Vertreter der Landeskirche Thüringen die Bischöfe Fränkel und Beste28 sowie der Oberkirchenrat Fleischhack und der Konsistorialrat Ringhandt29 beteiligten. Dabei wurde versucht, Thüringen in die »gemeinsame Front« mit einzuspannen mit dem Ziel, eine Zustimmung zu dem zur Beratung stehenden Schreiben zu erreichen. Das wurde von den Thüringer Vertretern bis zum Schluss abgelehnt.
Das von Fränkel und Fleischhack entworfene Schreiben an Staatssekretär Seigewasser wurde sodann verlesen und im Einzelnen redaktionell überarbeitet. Es ist nur von sieben Bischöfen bzw. deren Stellvertretern unterzeichnet und soll am 30.6.1966 dem Staatssekretariat für Kirchenfragen zugestellt werden.30
Als nächster Tagesordnungspunkt wurde vorgetragen, das Presseamt beim Ministerpräsidenten habe die Lizenz für das Amtsblatt der EKiD, Ausgabe Ost, entzogen. Als Gründe seien von Herrn Blecha31 genannt worden: Der Rat der EKiD sei eine »westdeutsche« Einrichtung, die Scharf-Wahl,32 der Wehrmachtsseelsorgevertrag33 und ähnliches mehr.
Durch die Konferenzteilnehmer wurde beschlossen, dass Krummacher beauftragt wird, Beschwerde beim Presseamt des Ministerpräsidenten (Blecha) einzureichen. Insbesondere soll in dieser Beschwerde auch darauf hingewiesen werden, dass alle Evangelischen Kirchen der EKiD seit 1948 angehören. Wenn auch die Zusammenarbeit zurzeit nicht funktioniere und gestört sei, so ändere das nichts an dem »rechtlichen Status« des Bestehens der Evangelischen Kirche in Deutschland.
In den Berichten aus den Gliedkirchen, die zum 4. Tagesordnungspunkt erstattet wurden, wurde ausführlich von Brück/Dresden,34 über ein »Gottesdienstverbot« in Karl-Marx-Stadt, über den »Versuch« des Verbietens eines Jazz-Gottesdienstes Stellung genommen.35 Krummacher bezeichnete diesen »Eingriff des Staates« als den »schwersten Eingriff in innerkirchliche Belange«. Erstmalig habe man versucht, einen Gottesdienst zu verhindern. Das sei völlig untragbar. Es sei dem Staat kein »Kontrollrecht« darüber einzuräumen, in welcher Form Gottesdienste stattfänden.
Präsident Hagemeyer von Berlin-Brandenburg beklagte sich darüber, dass keinerlei Verbindungen seitens der Kirchenleitung Berlin-Brandenburg zu staatlichen Stellen bestünden. Der Staatsapparat verhandle nicht, nehme keine Schreiben an und überhaupt keine Notiz von der Kirchenleitung Berlin-Brandenburg. Verfassungsmäßig sei der Präses der Regionalsynode der Vorsitzende der Kirchenleitung. Ob – was die Verfassung durchaus ermögliche – man einen Bischofsverweser für den Ostbereich Berlin-Brandenburg wähle, sei noch nicht geklärt. Es werde geprüft.36
Weiter führte Bischof Fränkel/Görlitz aus, vor kurzem hätte noch ein gutes Verhältnis zum Rat des Bezirkes Dresden bestanden, aber das Klima habe sich erheblich verschlechtert. Es sei zunehmend eine unerhörte Bedrängung des Gewissens der Kinder durch atheistische Propaganda in den Schulen festzustellen. Die Kinder würden wegen ihrer religiösen Einstellung verhöhnt; es werde auch »Gewissensdruck« auf die Eltern ausgeübt. Es sei allmählich unerträglich, dass »hinter dem Nebel« – als ob zwischen Christen und Marxisten eine »Kooperation« auf allen möglichen Gebieten existiere und als ob »Gewissensfreiheit« in der DDR besteht – die atheistische Weltanschauung in der Schule »zwangsweise« immer mehr durchgesetzt werde. Im Allgemeinen sei eine zunehmende Verschärfung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche spürbar. Man versuche auf »allerlei Weise« den Widerstand christlicher Eltern gegen atheistische Erziehung zu brechen.
In ähnlicher Weise äußerten sich Bischof Beste, Konsistorialrat Ullrich37 und Bischof Förster von der Brüdergemeinde.
Im Anschluss daran erstattete OKR Hafa/Berlin-Brandenburg38 einen längeren Bericht über Schul- und Erziehungsprobleme, der im Wesentlichen darauf hinzielte, von einer »Verschärfung politisch-ideologischer Zwangsmaßnahmen in der Schule« zu sprechen. Offensichtlich hänge dies mit den Ergebnissen des 11. Plenums39 zusammen. Es seien in der ideologischen Schulung der Kinder, in der Verstärkung der weltanschaulichen Erziehung und in der Erziehung zum Hass eine Reihe praktische Schwierigkeiten aufgetreten. Hafa forderte, die Kirchen sollten sich mit diesen Dingen befassen.
Krummacher fasste nach einer längeren Aussprache zu diesem Problem, an der sich Ammer,40 von Brück und Fränkel mit weiteren Einzelbeispielen beteiligten, wie folgt zusammen:
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Es gelte, jeden Einzelfall eines »ideologischen Drucks« auf Kinder in der Schule aufzugreifen und zu behandeln.
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Hafa wurde beauftragt, Material dazu aus allen Kirchen zu sammeln.
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Hafa soll weiter eine gemeinsame grundsätzliche Stellungnahme, die entweder der Regierung, dem Staatssekretariat oder dem Volksbildungsministerium zugestellt werden soll, vorbereiten.
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Es solle auch in den Gemeinden darauf hingewiesen werden, dass die Kirche diese Dinge »beobachtet«. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, als ob die Kirche an dem »Gewissensdruck« gegenüber ihren Gemeindegliedern keinen Anteil nehme.
Brück/Dresden erklärte weiter, er denke zunächst nicht an einen Hirtenbrief, sondern es käme darauf an, über diese Dinge mit der Regierung zu reden. Man solle ein Schreiben an die Regierung vorbereiten, in dem sich die Kirche über die Erziehung der jungen Generation zum Hass und über die vormilitärische Ausbildung der Kinder beschwere. Gleichzeitig solle ein »Angebot« eines Gesprächs über diese Fragen formuliert werden.
Von Fränkel und seinem Berater Juergensohn41 wurde Kritik daran geübt, dass kirchliche Vertreter in den Vorbereitungsausschuss für das Reformationsjubiläum mitarbeiteten.42 Offensichtlich solle doch hier eine rein kirchliche Veranstaltung politisch-propagandistisch in einem kirchlich unerwünschten Sinne ausgenutzt werden. Bischof Mitzenheim und Konsistorialrat Ammer stellten diese Vorwürfe richtig.
Zum Abschluss der Konferenz wurde vereinbart, die nächste Konferenz am 22. September im Haus der Kirche durchzuführen.
Für den 30.6.1966 war zugleich eine Ratssitzung der Mitglieder des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland in der Hauptstadt der DDR geplant.
Entsprechend den Festlegungen wurden die Ratsmitglieder Bischof Haug, Martin/Stuttgart,43 Moderator Prof. D. Niesel, Wilhelm/44Schöller,45 Rheinland, Landessuperintendent Smidt, Udo/Detmold46 sowie die Kirchenräte Gundert, Wilhelm/Hannover47 und Wilkens, Erwin/Hannover,48 am Betreten der Hauptstadt der DDR gehindert.
Wie dem MfS weiter bekannt wurde, sind die nächsten Ratssitzungen für folgende Termine geplant:
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18.8.1966 in der Hauptstadt der DDR
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19.8.1966 in Westberlin
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6.10.1966 in der Hauptstadt der DDR
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7.10.1966 in Westberlin
Die Information darf im Interesse der Sicherheit der Quellen nicht publizistisch ausgewertet werden.
Anlage zur Information Nr. 507/66
[Thüringische Landeskirche über Seelsorge an Wehrpflichtigen]
Durch den Herrn Staatssekretär für Kirchenfragen wurde dem Vorsitzenden der Konferenz der Kirchenleitungen eröffnet, die sog. Handreichung Friedensdienst der Kirche müsse von den Kirchen zurückgenommen bzw. annulliert werden.
In einer vorbereitenden Besprechung der Bischöfe der evangelischen Kirchen in der DDR ist vereinbart worden, die Kirchenleitungen möchten über diese Forderung der Regierung beraten und ein Votum zur heutigen Beratung mitbringen.
Der Landeskirchenrat der Evangelischen-Lutherischen Kirche in Thüringen musste feststellen, dass er durch die heute zur Entscheidung stehende Frage nicht betroffen ist.
Schon während der Vorarbeit an der Handreichung haben die Vertreter der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen in den Sitzungen der Konferenz der Kirchenleitungen gegen die Entwürfe ihre Bedenken zum Ausdruck gebracht.
Da der Thüringer Pfarrer der zur Mitarbeit im Vorbereitungsausschuss herangezogen wurde, ohne Mitwirkung des Landeskirchenrates in diesem Ausschuss berufen worden war, musste erklärt werden, dass Pfarrer Dr. Schenk49 nicht die Meinung des Landeskirchenrates in dem Ausschuss vertrete, sondern sein Tätigwerden als private Mitarbeit betrachtet werden müsse.
Oberkirchenrat Braecklein, der in der letzten Phase der Formulierung der Handreichung in einen Überarbeitungsausschuss berufen wurde, hat die Thüringer Bedenken, die wiederholt im Plenum der Konferenz der Kirchenleitungen mündlich vorgetragen worden waren, auch schriftlich niedergelegt. Auf das Schreiben vom 18. Oktober 1965 wird verwiesen.
An der abschließenden Ausschussberatung am 25. Oktober 1965 konnte Oberkirchenrat Braecklein nicht teilnehmen. Er hat telegrafisch zum Ausdruck gebracht, dass der Thüringer Standpunkt, wie er im Schreiben vom 12. Oktober 1965 formuliert war, ausdrücklich als Diskussionsbeitrag für die abschließende Beratung aufrechterhalten werde.
Die Konferenz der Bischöfe hat am 1. November 1965 gegen die Stimme des Thüringer Bischofs den Wortlaut der Handreichung angenommen. Der Thüringer Bischof hat erklärt, dass er auch der letzten Passung der »Handreichung« nicht zustimmen könne, da die Bedenken, die Thüringen wiederholt mündlich und schriftlich aufgrund eingehender Beratungen im Landeskirchenrat vorgetragen habe, nicht berücksichtigt seien.
Nach der Geschäftsordnung der Konferenz der Kirchenleitungen gelten Beschlüsse der Konferenz nur für die Kirchen, deren Vertreter zugestimmt haben (§ 4 Art. 1).50 Das gleiche muss für die Beschlüsse der Konferenz der evangelischen Bischöfe in der DDR gelten, wenn es auch nicht ausdrücklich in der Geschäftsordnung festgelegt ist, wobei die Frage untersucht bleiben soll, ob ein so weitgehender Beschluss wie die Feststellung des Wortlautes der »Handreichung« überhaupt von der Konferenz der Bischöfe gefasst werden könnte. Das ist zumindest zweifelhaft, denn § 5 der Geschäftsordnung sieht hinsichtlich der Aufgaben der Bischofskonferenz »brüderliche Beratung und Beratung über Fragen der öffentlichen Wahrnehmung der bischöflichen Verantwortung« vor.51
Folgerichtig hat der Landeskirchenrat der Evangelischen-Lutherischen Kirche in Thüringen, nachdem mit Schreiben vom 6. November 1965 der Wortlaut der »Handreichung« den evangelischen Kirchenleitungen in der DDR zugestellt worden war mit dem Anheimgeben, selbst zu entscheiden, wie die »Handreichung« zu verwenden sei, von einer Weitergabe dieser »Handreichung« an die Pfarrer und Gemeinden Abstand genommen. Die »Handreichung« ist vom Landeskirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen nicht an die Thüringer Pfarrer als Anweisung, als Anleitung, als Handreichung weitergegeben worden. Es wird Wert auf die Feststellung gelegt, dass nicht erst, nachdem der Staat seine Bedenken und seinen Einspruch gegen die »Handreichung« verlautbart hat, sondern während der ganzen Vorarbeit an der »Handreichung«, der Landeskirchenrat vornehmlich aus theologischen, aber auch aus kirchenpolitischen und politischen Gründen seine Bedenken gegen diese »Handreichung« gehabt hat, sie geäußert hat und entsprechend den im Landeskirchenrat gefassten Beschlüssen die »Handreihung« als ungeeignet für die Weitergabe als dienstliche Weisung behandelt hat. Der Landeskirchenrat der Evangelischen-Lutherischen Kirche in Thüringen sieht sich daher überhaupt nicht vor die Frage gestellt, ob er diese Handreichung zurücknehmen oder abändern oder erläutern will; er hat ihr nicht zugestimmt, er hat sie nicht übernommen, er hat sie nicht verwendet.
Der Landeskirchenrat sieht sich zu dieser eindeutigen Feststellung insbesondere auch aus dem Grunde veranlasst, weil die Mitarbeit des Thüringer Vertreters an der Formulierung des Schreibens vom 1.4.1966 von kirchlichen Vertretern dem Staat gegenüber so interpretiert wurde, als ob Thüringen dadurch, dass es an dem Schreiben vom 1.4.1966 mitgewirkt habe, nachträglich die »Handreichung« inzidenter gebilligt bzw. sie sogar übernommen habe. Einer solchen Interpretation des Verhaltens der Thüringer Vertreter am 1.4.1966 müssen wir ausdrücklich widersprechen.
Auf den Thüringer Superintendentenkonvent am 2. Mai 1966 wurde die »Handreichung« den Thüringer Superintendenten kritisch vorgetragen. Es wurde die Entstehungsgeschichte geschildert, es wurde begründet, weshalb die Thüringer Vertreter in der Konferenz der Kirchenleitungen dieser »Handreichung« nicht zugestimmt hatten, und es wurde ausdrücklich den Superintendenten erklärt, dass diese »Handreichung« nicht als Anweisung zum Handeln weitergegeben werde. Die Superintendenten sollten lediglich unterrichtet werden, da festgestellt worden war, dass in nicht wenigen Fällen durch überlandeskirchliche Gremien oder an der Grenze unseres Kirchengebietes diese »Handreichung« unseren Pfarrern zugänglich gemacht worden war. Um alle Missverständnisse auszuschließen, wurde deshalb diese »Handreichung« auf dem Superintendentenkonvent kritisch behandelt.
Die Beurteilung der »Handreichung« durch den Landeskirchenrat ist die gleiche geblieben. In einer erneuten Beratung in der Sitzung des Landeskirchenrates am 15./16. Juni [1966] wurde festgestellt, dass alle Mitglieder des Landeskirchenrates gegen die »Handreichung«, wenn auch zum Teil aus verschiedenen Gründen, Bedenken haben.
Abschließend stellen wir fest: da die zuständigen Organe der Evangelischen-Lutherischen Kirche in Thüringen weder in den überlandeskirchlichen Beratungen den Text der »Handreichung« zugestimmt haben noch diesen Text als Anweisungen für die seelsorgerliche Praxis an die Pfarrer herausgegeben haben, ist es weder möglich noch erforderlich, dass seitens der Thüringer Kirche diese »Handreichung« zurückgenommen, korrigiert oder verändert wird. Wir sehen deshalb keine Veranlassung und keine Möglichkeit, zu der heute zur Beratung stehenden Frage ein Votum abzugeben.
Anderen Kirchenleitungen, die dieser »Handreichung« zugestimmt bzw. sie – entsprechend der Empfehlung im Schreiben vom 6. November 1965 – verwendet haben, einen Ratschlag zu geben, halten wir nicht für erforderlich. Aus der von Anfang an offenkundigen Haltung der Vertreter der Evangelischen-Lutherischen Kirche in Thüringen gegenüber der »Handreichung« ist deutlich, wie wir dieses Dokument einschätzen.