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Negative Stimmung in Wirtschaftsbereichen des Bezirks Dresden

5. September 1966
Einzelinformation Nr. 662/66 über einige Probleme der Lage im Bezirk Dresden

Die Lage im Bezirk Dresden wird seit Beginn des Jahres 1966 durch eine verstärkte Einflussnahme und Wirksamkeit der politisch-ideologischen Diversion1 in verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens gekennzeichnet. Feindliche und negative Erscheinungen und Vorkommnisse, wie sie auch in anderen Bezirken der DDR zu verzeichnen sind, zeigen im Bezirk Dresden eine leicht steigende Tendenz. Das betrifft insbesondere solche Vorkommnisse, wie mündliche Hetze und Staatsverleumdung, Schmierereien faschistischer Symbole, Brände und Störungen in der Industrie sowie Arbeitskonflikte in volkseigenen Betrieben und LPG.

Nach vorliegenden Einschätzungen gibt es neben dem noch verbreiteten Abhören westlicher Rundfunksendungen in den verschiedenen Kreisen des Bezirkes eine starke Zunahme des Empfangs des Westfernsehens. Nach wie vor werden vor allem junge Menschen durch Westsender am stärksten beeinflusst. Diese Tatsache zeigt sich in dem starken Ansteigen von Postsendungen von Jugendlichen aus dem Bezirk Dresden an westliche Rundfunkstationen, Film- und Starclubs usw. Während im Jahre 1965 insgesamt 43 600 solcher Verbindungen festgestellt wurden, waren es in den ersten fünf Monaten des Jahres 1966 bereits über 25 000.

Seit Ende des Jahres 1965 ist eine zunehmende Aktivität reaktionärer Kirchenkreise im Bezirk festzustellen. Die evangelische und katholische Kirche hat ihren Einfluss auf bestimmte Bevölkerungsschichten, insbesondere Kinder, Jugendliche, junge Ehepaare usw. durch Einrichtung und Ausbau der Kinderbetreuung in der Ferienzeit, Sport-, Wander- und Tanzveranstaltungen für Jugendliche, Organisierung von Ehepaarkreisen, Haus- und Regionalkreisen weiter ausgebaut. Im Ergebnis dessen ist u. a. die Teilnahme an der Jugendweihe2 von 82 % im Jahre 1962 auf 77 % im Jahre 1966 zurückgegangen.

Verstärkt tritt auch die Bewegung zur Bildung einer kirchlichen Einheitsfront gegen die Weiterverbreitung des Marxismus zwischen beiden Konfessionen in Erscheinung (sogenannte Una-Sancta-Bewegung).3

Die Auswirkungen der politisch-ideologischen Diversion unter der Bevölkerung des Bezirkes zeigen sich in vielfältigen negativen Diskussionen, Stimmungen und Gerüchten. Schwerpunkte solcher Diskussionen waren in der letzten Zeit:

  • Auswirkungen der Preisregulierung,4

  • Gerüchte über Mietpreiserhöhungen,

  • Gerüchte, wonach Touristenreisen in die ČSSR, Ungarn, Rumänien und Bulgarien eingeschränkt bzw. gesperrt werden, weil diese Länder Reiseerleichterungen nach Westdeutschland und Österreich einführen wollen,

  • die Erklärung der Warschauer Paktstaaten zu Vietnam mit dem Hinweis, Freiwillige zu entsenden.5

Vorkommnisse der Hetze und Staatsverleumdung sind im Vergleich zum Jahre 1965 etwas angestiegen. Sie traten insbesondere im Zusammenhang mit den Beschlüssen des 11. Plenums unserer Partei,6 mit dem Dialog SED und SPD,7 dem 20. Jahrestag der SED8 und den Maßnahmen zur Preisregulierung auf. In der Landwirtschaft richteten sich hetzerische Äußerungen hauptsächlich gegen die Kooperationsbeziehungen zwischen den LPG.

Eine Reihe negativer Elemente, die bisher nicht in Erscheinung traten, sahen im Zusammenhang mit dem Dialog eine Möglichkeit, ihre feindliche Einstellung »straflos« zum Ausdruck zu bringen. Etwa 36 % aller angefallenen Personen standen während der Tatzeit unter Alkoholeinfluss. Bei der Mehrzahl handelt es sich um Produktionsarbeiter im Alter bis zu 25 Jahren. Rückkehrer und Haftentlassene sind ebenfalls relativ stark vertreten.

Eine zeitweilige Konzentration negativer Erscheinungen gab es im VEB »Sachsenwerk« Niedersedlitz. Durch das MfS wurden zwei Hetzer inhaftiert und weitere Maßnahmen zur Aufklärung und Isolierung feindlicher und negativer Elemente eingeleitet.

In verschiedenen Bereichen des Werkes gibt es unter den Beschäftigten Missstimmungen wegen ungeklärter Lohnfragen. Die VVB Elektromaschinen schätzt ein, dass der VEB »Sachsenwerk« Niedersedlitz innerhalb der VVB einen ökonomischen Schwerpunkt bildet, weil der Betrieb trotz Planerfüllung nicht ökonomisch arbeitet. Der Gewinn des Betriebes entspricht nicht den ökonomischen Erfordernissen und Möglichkeiten und steht nicht im notwendigen Verhältnis zum Durchschnittsergebnis des Industriezweiges. Als Begründung wird von der VVB angeführt, dass der VEB »Sachsenwerk« Niedersedlitz mit 5 000 Beschäftigten und einer Jahresproduktion von 151 Mio. MDN nur 24 Mio. MDN Gewinn erzielt, während der VEB Elmo Wernigerode mit 2 500 Beschäftigten und einer Jahresproduktion von 131 Mio. MDN 59 Mio. MDN Gewinn erbringt.

Unter dem Einfluss der ideologischen Diversion und begünstigt durch Fehler und Mängel in der Leitungstätigkeit und Menschenführung kam es im 1. Halbjahr 1966 im Bezirk Dresden zu 34 Arbeitskonflikten (Arbeitsniederlegungen, Unterschriftensammlungen, Resolutionen). Besondere Schwerpunkte traten nicht auf. Bei den Arbeitsniederlegungen handelte es sich vorwiegend um Aktionen von Einzelpersonen, die für einige Stunden die Arbeit niederlegten. Resolutionen und Unterschriftensammlungen wurden ebenfalls von Einzelpersonen organisiert, wobei sich jedoch teilweise bis zu 50 Personen anschlossen. Anlässe dieser Arbeitskonflikte waren in der Regel Unzufriedenheit mit der Neuregelung der Arbeitszeit, damit zusammenhängenden Schichtveränderungen, Unklarheiten über Regelung des Haushalttages für Frauen9 und im Wesentlichen gerechtfertigte Prämien- und Lohnforderungen. In fast allen Fällen wurde falsche Behandlungs- und Verfahrensweise verantwortlicher Betriebsfunktionäre festgestellt.

Auf dem Gebiet der Landwirtschaft kam es im Vergleich zum Jahre 1965 im 1. Halbjahr 1966 zu verstärkten Austrittserklärungen von Mitgliedern der LPG Typ III.10 Schwerpunkt bildeten die Kreise Zittau, Görlitz, Meißen und Dippoldiswalde. Im Kreis Zittau gab es 90 Austrittserklärungen und davon allein 32 in der LPG »Glückauf« in Olbersdorf. Ende Juli war von den abgegebenen Austrittserklärungen der überwiegende Teil geklärt und von den LPG-Mitgliedern zurückgezogen.

Die Überprüfung der Ursachen durch den Landwirtschaftrat der DDR und die Bezirksleitung der Partei in Dresden in Zusammenarbeit mit dem MfS ergab in den meisten Fällen eine ungenügende politisch-ideologische Arbeit der örtlichen Organe, insbesondere der verantwortlichen Kreislandwirtschaftsräte.

In den betreffenden LPG wurde die innergenossenschaftliche Demokratie missachtet und Staatsverletzungen sowie mangelhafte genossenschaftliche Arbeit, persönliche Bereicherung durch aufgeblühte individuelle Hauswirtschaften und Unordnung in der Leitungstätigkeit von den Vorständen der LPG und den staatlichen Organen geduldet.

Mitglieder, die ihre Austrittserklärungen nach der Beseitigung der Missstände, die sie als Gründe für den LPG-Austritt angaben, zurücknahmen, brachten in Aussprachen zum Ausdruck, dass sie nicht die Absicht hatten, aus der LPG auszuscheiden. Sie wollten mit Hilfe der Austrittserklärungen erreichen, dass sich die LPG-Vorstände und die örtlichen Partei- und Staatsorgane mehr um die Belange der LPG-Mitglieder kümmern.

Im 1. Halbjahr 1966 gab es im Bezirk in Industrie und Landwirtschaft an Bränden, Störungen und Havarien 157 Vorkommnisse mit einem Gesamtschaden in Höhe von 1 142 280 MDN, (1. Halbjahr 65 121 Vorkommnisse mit 1 086 620 MDN). Von den 157 Vorkommnissen waren 77 auf Personenverschulden zurückzuführen. Eine staatsfeindliche Zielsetzung konnte in keinem Fall nachgewiesen werden. 18 Vorkommnisse konnten bisher nicht geklärt werden.

Schwerpunkte von Havarien und Störungen waren die VEB Reglerwerk Dresden, Eisenhammerwerk Dresden, Isoplast Dresden, Stahlbau Niesky und die Stahl- und Walzwerke Riesa und Gröditz. Überprüfungen des MfS ergaben, dass als Ursachen für diese Vorkommnisse hauptsächlich Fahrlässigkeit, grober Unfug und technische Mängel in Frage kommen.

Seit Beginn des Jahres 1966 ist es im Bezirk Dresden zu keinen größeren staatsfeindlichen oder rowdyhaften Ausschreitungen und Zusammenrottungen von Gruppierungen Jugendlicher gekommen. Die vorhandenen negativen Gruppierungen (Zeugen Jehovas, kirchliche Kreise, Studenten usw.) werden vom MfS bzw. der VP unter Kontrolle gehalten. Die von den Sicherheitsorganen gemeinsam mit der Partei und den gesellschaftlichen Organisationen erarbeitete Konzeption zur vorbeugenden Arbeit unter der Jugend und zur Beseitigung des Rowdytums wurde im Wesentlichen erfolgreich durchgesetzt.11 Der Anteil jugendlicher Personen an der Gesamtkriminalität des Bezirkes beträgt 49,1 % (1965 50,0 %). (DDR-Durchschnitt = 50,1 %). Schwerpunktdelikte Jugendlicher sind nach wie vor Hetze und Staatsverleumdung, Grenzdelikte, Widerstand gegen die Staatsgewalt, unbefugter Waffenbesitz und Sachbeschädigungen.

Begünstigend auf die Entwicklung der Kriminalität Jugendlicher und des Rowdytums wirken immer noch solche Faktoren wie

  • der Empfang westlicher Rundfunk- und Fernsehsender,

  • die Durchführung von Partys und ähnlichen Zusammenkünften westlich-dekadenten Charakters,

  • Verbindungsaufnahmen zu westlichen Film- und Starclubs sowie Rundfunksendern,

  • die zunehmende Aktivität kirchlicher Kreise unter Teilen der Jugend.

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