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Neujahrsansprachen der Bischöfe Bengsch und Spülbeck

12. Januar 1966
Einzelinformation Nr. 27/66 über die Neujahrsansprachen von Erzbischof Bengsch und Bischof Dr. Otto Spülbeck, Meißen sowie über einige Diskussionen am Priesterseminar Erfurt

Dem MfS wurde bekannt, dass Erzbischof Bengsch1 sowie Bischof Dr. Otto Spülbeck,2 Meißen je eine Predigt zum Jahreswechsel hielten, die in ihrem Inhalt gegen die DDR und gegen die Partei- und Staatsführung gerichtete Tendenzen erkennen ließen.

Erzbischof Bengsch predigte am 31.12.1965 von 18.00 Uhr bis 18.45 Uhr in der St. Hedwigs-Kathedrale in Berlin, die mit ca. 800 Personen voll besetzt war. In einem sogenannten Rückblick über das vergangene Jahr bezeichnete Bengsch das Jahr 1965 als ein Jahr großer Erfolge für die Katholische Kirche, wobei er auf die Aktivität der Katholischen Kirche in der gesamten Welt hinwies. Im Zusammenhang damit betonte er, besonders hoch müssten der »erfolgreiche Abschluss« des Konzils sowie die seitens der Katholischen Kirche angestrebte Verständigungspolitik mit anderen Religionen und die hierbei »bereits sichtbar gewordenen Erfolge« eingeschätzt werden.3 Im Verlaufe seiner weiteren Predigt sprach Bengsch von »falschen Propheten«, die eine ständige Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Lage propagierten, deren Erfolge allerdings bisher ausgeblieben seien. Danach äußerte er wörtlich: »Jeder Katholik muss sich in dieser Zeit entscheiden. Er kann nicht zwei Herren zu gleicher Zeit und mit gleichem Erfolg dienen. Jeder muss wissen, dass sein Heil nur bei Gott liegt, auch in einer nüchternen, vom Materialismus beherrschten Zeit.«

Bengsch führte weiter aus, dass man gerade zum Jahreswechsel von Politikern und solchen, die glaubten es zu sein, immer wieder neue Versprechungen hören würde. Von diesen Politikern würde zum Ausdruck gebracht, wie gut es uns doch eigentlich gehe. Bengsch äußerte dazu, es brauchte aber derjenige, der wirklich sichtbare Erfolge erzielt habe, nicht extra darauf hinzuweisen. Das alles wäre bekannt und würde niemanden mehr wundern. Wir würden in einer Zeit leben, in der sich jeder Student einbilde, dem Heiligen Vater Ratschläge erteilen zu können und jeder Journalist, der von der Struktur und dem Aufbau der Katholischen Kirche nicht die geringste Ahnung habe, es sich erlauben dürfe, an Handlungen und Äußerungen eines Erzbischofs Kritik zu üben. Es wäre auch völlig klar, was hiermit erreicht werden solle.4

(Die letzten Bemerkungen Erzbischof Bengschs bezogen sich offensichtlich auf den Artikel des Genossen Kertzscher5 im ND vom 24.12.1965, wo zum Briefwechsel zwischen dem deutschen und dem polnischen Episkopat Stellung genommen wurde.)6

Bengsch sprach dann weiter zu den Verwandtenbesuchen der Westberliner Bürger in der Hauptstadt der DDR und nannte diese als Beispiel minimalsten Verständigungswillens.7

In der die Predigt Erzbischof Bengschs abschließenden Fürbitte wurde u. a. um »Standhaftigkeit gegen alle Anfeindungen« gebeten.

Bischof Dr. Otto Spülbeck, Meißen hielt am 1.1.1966 in der vollbesetzten Kathedrale in Dresden eine Neujahrsansprache, in deren Verlauf er u. a. die Ergebnisse des Vatikanischen Konzils und insbesondere den Briefwechsel zwischen dem polnischen und dem deutschen Episkopat würdigte. (Bischof Dr. Otto Spülbeck gehörte der Kommission an, die das Antwortschreiben an die polnischen Bischöfe verfasste. Er hatte auch veranlasst, dass der Wortlaut des Briefwechsels allen katholischen Geistlichen in der DDR zugeschickt wurde.)

Bischof Dr. Otto Spülbeck führte in seiner Predigt aus, eines der wichtigsten Ergebnisse des Konzils sei die Neufestlegung der Befugnisse der Bischöfe, wonach die Bischöfe keine Befehlsempfänger des Papstes mehr seien, sondern mit diesen gemeinsam die Kirche leiten würden.

Die Beschlüsse der Fuldaer Bischofskonferenz, deren Anordnungen bisher nur den Charakter von Vorträgen und Ratschlägen gehabt hätten – so führte Spülbeck aus – würden jetzt Gesetzeskraft für die ganze Katholische Kirche Deutschlands besitzen.8

Durch diese Darlegungen von Bischof Spülbeck wurde offiziell bestätigt, dass die für die Katholische Kirche in der DDR bindenden Aufgaben auf der Fuldaer Bischofskonferenz beraten und beschlossen werden. Diese Festlegung bedeutet in ihrer Konsequenz eine Unterordnung der Ordinarienkonferenz der DDR-Bischöfe und ihre offizielle Einordnung unter der Leitung der reaktionären Bischöfe in Westdeutschland.

In der weiteren Predigt erklärte Bischof Spülbeck, der Briefwechsel mit dem polnischen Episkopat entspreche dem durchgängigen »Prinzip der Kollegialität und Brüderlichkeit«, wie es vom Konzil neu formuliert worden sei. Mit Hinweis darauf, dass allen katholischen Geistlichen der Wortlaut des Briefwechsels vorliegt, forderte er die Gläubigen auf, bei den Pfarrern in diesen Briefwechsel Einsicht zu nehmen.

Von Bischof Spülbeck wurde der Vorwurf, dass die Bischöfe sich mit diesem Briefwechsel in die Politik eingemischt haben, in seiner Predigt damit abgetan, die Bischöfe seien keine Politiker und hätten Aufgaben, die Außenstehende niemals verstehen könnten.

Der Briefwechsel mit den polnischen Bischöfen, der unter den katholischen Geistlichen der DDR heftige Diskussionen ausgelöst hat, ist auch im Priesterseminar Erfurt stark im Gespräch, wobei die in der sozialistischen Presse dargelegten Standpunkte abgelehnt werden. Wesentlichen Auftrieb erhielten diese Diskussionen im Priesterseminar Erfurt nach dem Bekanntwerden der Neujahrespredigt des Bischof Dr. Otto Spülbeck. Während im Priesterseminar Erfurt vor dem Briefwechsel mit den polnischen Bischöfen die Meinung vertreten wurde, dass der polnische Katholizismus sehr eng mit dem polnischen Nationalismus verflochten sei und dadurch eine Annäherung zwischen dem polnischen und dem deutschen Episkopat unmöglich wäre, wird seit dem erfolgten Briefwechsel argumentiert, der Briefwechsel müsse unter dem Aspekt der »urchristlichen Gebote des Verzeihens« und der »Nächstenliebe« verstanden werden. Daraus schlussfolgernd wird die Stellungnahme der polnischen Presse als »unverschämt« bezeichnet. Besonders stark wird die Veröffentlichung in der polnischen Pax-Presse (Gruppe von linken katholischen Geistlichen)9 kritisiert, in der darauf hingewiesen wird, dass den westdeutschen Revanchisten nicht verziehen werden kann. Es erfolgt eine solche Auslegung, dass sich diese Stellungnahme gegen das ganze deutsche Volk richte, somit eine Begründung des Standpunktes von Erzbischof Bengsch erfolgt, der diese Personengruppen (linke Katholiken) als »Emigranten aus dem Volke Gottes« bezeichnete.

Der auf Weisung des Presseamtes beim Ministerpräsidenten erfolgte Nachdruck dieser kritischen Stellungnahmen der polnischen katholischen Presse im St. Hedwigs-Blatt wird im Priesterseminar Erfurt so eingeschätzt, dies würde einer »Vergewaltigung« gleichkommen, die an »stalinistische Methoden« erinnere.10

Die Kritik an den Bischöfen in der »Neuen Zeit« mit dem Titel »Ein Placet für Bonn?«11 wird von den Seminaristen als unverständlich abgelehnt. Ebenso wird der Artikel im »ND« »Bischöfliche Aktionen aus dem Geist des Revanchismus«12 als »glatter Unsinn« eingeschätzt, der darauf zurückzuführen sei, dass Dr. G. Kertzscher als Atheist diese Angelegenheit der Katholischen Kirche nicht verstehe.

Studenten des Priesterseminars Erfurt hoffen, dass im Ergebnis der jetzigen Situation und der begonnenen Diskussionen und Auseinandersetzungen sich die Gemeinden der Katholischen Kirche festigen und die Katholiken »wieder stärker zu ihren Bischöfen stehen werden«.

Die Information darf im Interesse der Sicherheit der Quelle nicht publizistisch ausgewertet werden.

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    Einzelinformation Nr. 29/66 über den Selbstmord des kubanischen Chemiestudenten Lorenzo am 8.1.1966

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    11. Januar 1966
    Einzelinformation Nr. 26/66 über illegalen Waffen- und Munitionsbesitz von Jugendlichen im Kreis Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt