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NVA-Angehörige kontaktieren das US-Berlin-Kommando

16. September 1966
Einzelinformation Nr. 700/66 über Verbindungsaufnahme von NVA-Angehörigen zu Angehörigen des Berlin-Kommandos (BC) der amerikanischen Besatzungstruppen

Durch die Tätigkeit des MfS wurde bekannt, dass der Unterfeldwebel [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1944, NVA seit dem 4.5.1964, wohnhaft Wittenberge, [Straße, Nr.], als Streifenführer der Stadtkommandantur Berlin der NVA während seines Diensts wiederholt Kontakt zu Angehörigen des Berlin-Kommandos (BC) der amerikanischen Besatzungstruppen aufnahm.

Die sofort durch das MfS eingeleiteten Untersuchungen ergaben bisher Folgendes:

[Name 1] war seit Oktober 1964 als Streifenführer der Kommandantenkompanie der Stadtkommandantur Berlin eingesetzt. In dieser Eigenschaft hatte er Streifen und Kontrollen im Standortbereich Berlin durchzuführen. Außer einem Militärfahrzeug mit Kraftfahrer waren ihm jeweils zwei Soldaten als Streifenposten unterstellt.

Entgegen den Hinweisen und Belehrungen seiner Vorgesetzten über den wahren Charakter der Militärverbindungsmissionen der Westmächte und des Berlin-Kommando der amerikanischen Besatzer, vertrat [Name 1], aufgrund einer durch ständiges Abhören von Westsendern entstandenen negativen Einstellung zur DDR, die Meinung, dass die Angehörigen der NATO-Armeen nicht seine Feinde seien und die Insassen der von ihm wiederholt in der Hauptstadt der DDR beobachteten amerikanischen BC-Fahrzeuge keine feindlichen Absichten gegen die DDR hegen.

Aus dieser Einstellung heraus und um sich »ein eigenes Urteil bilden zu können«, erteilte [Name 1] im Juli 1965 seinem Fahrer den Befehl, einem solchen amerikanischen BC-Fahrzeug zu folgen. Aufgrund dieser Weisung kam es im Juli 1965 zu einer ersten Kontaktaufnahme mit Angehörigen des Berlin-Kommandos der amerikanischen Besatzer. In der Leninallee1 begegneten sie dem amerikanischen Militärfahrzeug BC – 94, dem sie bis zur Heinersdorfer Straße in Niederschönhausen folgten. Auf dieser Strecke boten die Amerikaner den ihnen folgenden NVA-Angehörigen durch das hintere Wagenfenster des BC-Fahrzeuges wiederholt Zigarren an. In der Heinersdorfer Straße hielt das US-Fahrzeug an, wobei einer der Insassen der langsam vorbeifahrenden Besatzung des NVA-Streifenwagens vier Zigarren aus dem seitlichen Wagenfenster reichte, die [Name 1] an seine Unterstellten verteilte. Bei dieser Kontaktaufnahme kam es zu keinem Gespräch.

Anfang Oktober 1965 traf [Name 1] auf einer Streifenfahrt in der Karl-Marx-Allee das amerikanische Militärfahrzeug BC – 73. [Name 1] beauftragte seinen Fahrer, dem amerikanischen Kfz zu folgen. Nach ca. 17 Runden um den Strausberger Platz folgten sie dem US-Fahrzeug über Alt-Friedrichsfelde bis ca. 150 m hinter der Kreuzung in Richtung Biesdorf. Nachdem die Amerikaner anhielten, ließ [Name 1] sein Streifenfahrzeug hinter dem US-Pkw stoppen. Die Besatzungen beider Fahrzeuge stiegen aus und unterhielten sich über die Fahrzeugtypen und über die Dienstzeit. Die Amerikaner übergaben [Name 1] ein amerikanisches Militärabzeichen und interessierten sich sehr für Ausrüstungsgegenstände der NVA wie Koppel, Käppi, Mütze usw. Ein von den Amerikanern vorgeschlagener fester Termin für eine weitere Begegnung wurde von [Name 1] mit der Begründung abgelehnt, dass er am Manöver »Oktobersturm«2 teilnehmen müsse.

Kurz vor Weihnachten 1965 kam es zu einem erneuten Zusammentreffen mit amerikanischen Besatzern. [Name 1] war gemeinsam mit den Soldaten [Name 2], [Name 3], [Name 4] und Unteroffizier [Name 5] in der Gaststätte am Tierpark eingekehrt. Beim Verlassen des Lokals sahen sie das amerikanische Militärfahrzeug BC – 73, welches [Name 1] durch Winken anhalten ließ. Während die übrigen NVA-Angehörigen zu ihrem Objekt zurückgingen, führten [Name 1] und [Name 5] mit den Amerikanern eine kurze Unterhaltung. Beide erhielten von den US-Besatzern je ein Abzeichen. Da bei den Amerikanern weiterhin Interesse an NVA-Ausrüstungsgegenständen bestand, vereinbarte [Name 1] mit den US-Besatzern einen erneuten Treff für zwei Tage später am Krankenhaus Kaulsdorf. Dieser Treff wurde durch [Name 1] allein wahrgenommen. Die Amerikaner erschienen ebenfalls pünktlich, jedoch mit dem Kfz BC – 93 und mit einer anderen Besatzung. Die Besatzer entschuldigten die andere Fahrzeugbesatzung und erklärten, dass sie ebenfalls Bescheid wüssten. Weiter forderten sie [Name 1] auf, in das amerikanische Militärfahrzeug einzusteigen. Obwohl [Name 1] sich in NVA-Uniform befand, bestieg er das Besatzerfahrzeug und suchte mit den Amerikanern einen abgelegenen Feldweg auf. [Name 1] will sich dann 20 Minuten mit den US-Besatzern unterhalten haben, wobei er auch Auskünfte über die Tätigkeit der Standortstreifen im Standortbereich Berlin erteilte. Weiter übergab er den amerikanischen Besatzern von seinen Ausrüstungsgegenständen eine Lederkoppel, sein NVA-Bestenabzeichen, eine Armbinde für NVA-Regulierungsposten und eine NVA-Wintermütze (Tschapka).

Bei einer Streifenfahrt am 13. März 1966 sichtete [Name 1] in Köpenick, Linden-/Ecke Bahnhofstraße, das amerikanische Besatzungsfahrzeug BC – 73. [Name 1] gab dem Fahrer den Befehl, dem US-Pkw BC – 73 zu folgen. In Schöneweide fuhren die US-Besatzer in einen Waldweg in der Wuhlheide, wo beide Fahrzeuge anhielten und die Besatzungen ausstiegen. Die NVA-Angehörigen und die US-Besatzer stellten sich gegenseitig vor. Die Amerikaner übergaben den NVA-Angehörigen Zigaretten und unterhielten sich ca. fünf Minuten, angeblich über belanglose Dinge, mit ihnen. [Name 1] übergab den Amerikanern eine Kokarde der NVA und vereinbarte eine erneute Zusammenkunft für den 15.3.1966, 20.00 Uhr, an der gleichen Stelle. Diese Begegnung kam jedoch durch das Ausbleiben der US-Besatzer nicht zustande.

Bei den meisten Verbindungsaufnahmen wurde durch [Name 1] der vorgesehene Streifenweg verlassen. Alle Beteiligten (insgesamt zehn NVA-Angehörige) wurden von [Name 1] darauf hingewiesen, über die Verbindungsaufnahmen zu schweigen, da sie sich durch ihre Teilnahme ebenfalls strafbar gemacht hätten.

Begünstigend wirkten sich vor allem einige Unzulänglichkeiten in der militärischen Disziplin und Ordnung sowie in der politisch-ideologischen Erziehung in der Kompanie aus. Durch Inkonsequenz des Kompaniechefs, Politstellvertreters, Partei- und FDJ-Sekretärs wurden Missstände und Unterlassungen geduldet und begünstigt und durch liberales Verhalten keine Forderungen zur Entwicklung eines hohen Bewusstseinstandes aller Angehörigen der Kompanie gestellt.

Zur Person des [Name 1]:

Er besuchte die Grundschule bis zur 8. Klasse. Anschließend erlernte er im RAW Wittenberge den Beruf eines Lokschlossers. Danach war er von 1962 bis zu seiner Einberufung im BW Wittenberge als Lokheizer und Lokführer-Anwärter beschäftigt. Im Wohngebiet wie im BW leistete er keine gesellschaftspolitische Arbeit. Am 4.5.1964 wurde er zur NVA nach Potsdam einberufen. Nach dem Besuch eines Unteroffizier-Lehrgangs wurde er am 19.10.1964 zur Stadtkommandantur Berlin versetzt und im Kommandantenzug der Stadtkompanie als Streifenführer eingesetzt. Im November 1965 wurde [Name 1] zum Unterfeldwebel befördert. Für gute Dienstleitung wurde er fünfmal belobigt. Wegen Nichteinhaltung des Tagesablaufplanes erhielt er eine Disziplinarstrafe.

Die Vorkommnisse wurden in der Einheit ausgewertet. Gleichzeitig wurden Maßnahmen zur Verbesserung der militärischen Disziplin und Ordnung in der Kommandantenkompanie eingeleitet. Gegen [Name 1] wurde ein Ermittlungsverfahren gemäß § 16 des StEG und § 10, Absatz 1 des Militärstrafgesetzes in Verbindung mit § 73 des StGB eingeleitet.3

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    17. September 1966
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    14. September 1966
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