NVA-Angehörige stören eine Festveranstaltung in Leipzig
3. November 1966
Einzelinformation Nr. 840/66 über Störversuche durch NVA-Angehörige während der Festveranstaltung anlässlich des zehnjährigen Bestehens des motorisierten Schützenregiments 16, Leipzig
Am 21.10.1966, 19.30 Uhr, wurde anlässlich des zehnjährigen Bestehens des MSR 16 eine Festveranstaltung in der Kulturhalle des Regiments durchgeführt, an der alle Angehörigen des MSR 16 (ca. 1 300 Personen) teilnahmen.
Als Gäste waren anwesend:
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Der 1. Sekretär der Stadtleitung der SED Leipzig
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Der Oberbürgermeister von Leipzig
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Vertreter der Massenorganisationen sowie Delegationen aus Patenbetrieben von Leipzig
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Vertreter der Sowjetarmee
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Kommandeure und Offiziere, die aus dem MSR 16 hervorgingen
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Reservisten, ehemalige Angehörige des MSR 16 und Ehefrauen von NVA-Angehörigen
Die Begrüßung der Gäste erfolgte durch den Polit-Stellvertreter Oberstleutnant Welk.1 Die Festrede hielt der stellvertretende Regimentskommandeur Major Röhr.2 Eine weitere kurze Ansprache wurde vom ehemaligen Regimentskommandeur dieses Truppenteils, Oberst Ehritt,3 gehalten. Als Oberstleutnant Welk bei der Begrüßung besonders die Genossen der Stadtleitung der SED hervorhob, wurden aus den hinteren Reihen der versammelten NVA-Angehörigen einzelne Buh-Rufe laut. Diese Rufe wurden wiederholt, als der stellvertretende Regimentskommandeur ausrief: »Es lebe das ZK unserer Partei mit dem Genossen Walter Ulbricht4 an der Spitze« und »Es lebe der 10. Jahrestag des Bestehens des MSR 16!« Als der ehemalige Regimentskommandeur Oberst Ehritt ausführte, dass die bisher erreichten Erfolge nur möglich waren, weil die Partei richtig führte, wurden abermals Buh-Rufe laut. Bei der Rede des Vertreters der Sowjetarmee erfolgten keine Zwischenrufe.
Da die Störungen jeweils nur wenige Sekunden anhielten und vom Beifall übertönt wurden, konnten die Täter nicht sofort erkannt und festgestellt werden.
Die daraufhin eingeleiteten umfangreichen Untersuchungen zur Feststellung der Täter und zur Aufklärung der Ursachen, Motive usw. ihres provokatorischen Auftretens führten zu folgendem Ergebnis:
An den provokatorischen Zwischenrufen waren u. a. Gefreiter [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1945, NVA seit 3.5.1965, 8. MSK, wohnhaft Leipzig, [Straße, Nr.], ledig, elternlos, negative Einstellung zur DDR, wegen Undiszipliniertheit disziplinarisch bestraft; Gefreiter [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1945, NVA seit 3.5.1965, 2. MSK, wohnhaft Leipzig, [Straße, Nr.], Mitglied der SED, ledig, wegen Undiszipliniertheit disziplinarisch bestraft, aufgrund seiner gesamten Haltung wiederholte Aussprachen vor der Parteileitung der Einheit; Soldat [Name 3, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1942, NVA seit 3.11.1965, 2. NZ Funker, wohnhaft Leipzig, [Straße, Nr.], verheiratet, ein Kind, bis zu diesem Vorkommnis »Bester« der Einheit; Soldat [Name 4, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1942, NVA seit 3.5.1965, 5. MSK, wohnhaft Taucha, [Straße, Nr.], verheiratet, geistig schwach entwickelt, wegen Disziplinarvergehen mehrmals disziplinarisch bestraft, beteiligt.
Die Ermittlung weiterer Beteiligter wurde vor allem dadurch erschwert, dass die einzelnen Einheiten des Regiments nicht geschlossen im Festsaal Platz genommen hatten. Die Offiziere und teilweise auch Unteroffiziere saßen nicht bei den Mannschaften, sondern belegten die vorderen Sitzreihen. Obwohl von den Offizieren die Unruhe und ungenügende Disziplin wahrgenommen wurde, unterließen sie es, die Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Dadurch steigerte sich die Unruhe und es kam zu Zwiegesprächen, Äußerungen von Desinteresse an der Veranstaltung und teilweise zum vorzeitigen Verlassen des Festsaales. Begünstigt wurden diese Vorkommnisse u. a. auch durch die ungenügende Aufklärung hinsichtlich des Charakters, des Ablaufs und der politischen Bedeutung der Veranstaltung, so dass wenig Interesse an der obligatorischen Teilnahme bestand.
Die genannten vier Mitbeteiligten brachten übereinstimmend zum Ausdruck, dass sie sich ihre Handlungsweise nicht richtig überlegt, sondern aus Interessenlosigkeit an der Veranstaltung bzw. aus der »Entlassungsstimmung« heraus mitgerufen hätten, ohne damit eine feindliche Zielstellung zu verfolgen.
Der Beweis einer organisierten, zielgerichteten Störung der Festveranstaltung konnte durch die Untersuchungen nicht erbracht werden. Die Störungen, einschließlich der provokatorischen Zwischenrufe, wurden vor allem durch vorhandene politische Unklarheiten bei den beteiligten NVA-Angehörigen sowie vor allem durch Desinteresse – besonders bei den zur Entlassung stehenden Soldaten – und durch die Duldung der mangelhaften Disziplin und Ordnung hervorgerufen bzw. begünstigt.
Am 28.10.1966 wurden ca. 400 NVA-Angehörige des MSR 16, darunter auch die vier Mitbeteiligten, in die Reserve versetzt.
Durch das MfS wurden Maßnahmen zur weiteren operativen Kontrolle der an dem Vorkommnis beteiligten und inzwischen entlassenen NVA-Angehörigen eingeleitet.