Direkt zum Seiteninhalt springen

Oppositionell agierende Schüler in Güstrow

6. Januar 1966
Einzelinformation Nr. 11/66 über die Aufklärung einer Gruppierung negativer Jugendlicher an der Kinder- und Jugendsportschule Güstrow, Bezirk Schwerin

Dem MfS wurde Mitte Dezember 1965 bekannt, dass an der Kinder- und Jugendsportschule (KJS) Güstrow, Bezirk Schwerin eine Gruppierung negativer Jugendlicher bestehen soll.

Die danach in Verbindung mit der Kreisleitung der SED und der Schulleitung der KJS geführten Ermittlungen ergeben Folgendes:

Zu Beginn des Schuljahres 1964/65 fanden sich die Schüler der KJS [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1949, wohnhaft [Ort 1], Kreis Sternberg, Vater ist Mitglied der SED, [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1950, wohnhaft Schwerin, [Straße, Nr.], Vater ist Mitglied der SED, tätig als Lokführer, [Name 3, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1950, wohnhaft Güstrow, [Straße, Nr.], Vater ist Mitglied des Elternbeirates der KJS, zusammen und gaben sich den Namen »Kingband«. Zunächst verfolgten sie keine konkreten politischen Ziele, sondern wollten sich lediglich »gegenseitig unterstützen«.

Etwa im September 1965 schlossen sich den drei Jugendlichen zwei weitere Jugendliche an, und zwar [Name 4, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1950, wohnhaft [Ort 2], Kreis Sternberg, Vater ist Schmied, [Name 5, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1950, wohnhaft [Ort 3], [Straße, Nr.], Vater ist Mitglied der SED und Direktor der Oberschule in [Ort 3].

Auf Initiative des [Name 1] und des [Name 2] änderte sich etwa im September 1965 der Charakter der »Kingband«, wobei sich in gemeinsamen Absprachen der beteiligten Jugendlichen eine gefährliche Tendenz herausbildete.

Die »Zielstellung« der Gruppierung bestand im Wesentlichen zunächst darin, einheitlich aufzutreten bei der Ablehnung des Tragens der Blauhemden während der Fahnenappelle, bei der Nichtbeteiligung an öffentlichen politischen Diskussionen und bei der Herausbildung eigener politischer Anschauungen.

Im Prozess dieser Entwicklung, insbesondere im Ergebnis der wiederholt in diesem Kreis geführten politischen Diskussionen, kamen sie zu der gemeinsamen Auffassung, dass der Faschismus auch »gute Seiten« gehabt hätte, wobei sie z. B. Hitler, Göring,1 Goebbels,2 Krüger3 (gemeint ist der ehemalige Bonner Minister) und andere Faschisten als »hervorragende Persönlichkeiten« bezeichneten. Ihre »Verehrung« gegenüber diesen Faschisten ging so weit, dass sich die Jugendlichen gegenseitig als Hitler, Goebbels usw. bezeichneten, sich deren Geburtsdaten einprägten und sich gegenseitig mit »Heil« grüßten. Im Zusammenhang mit der Verherrlichung des Faschismus vertraten sie die Ansicht, Hitler hätte den Krieg gewonnen, falls er über Atomwaffen verfügt hätte und nicht die 2. Front4 errichtet worden wäre.

In ihren gemeinsamen »Diskussionen« verherrlichten sie die Bundeswehr und die US-Armee, während sie dagegen die Nationale Volksarmee und die Rote Armee verunglimpften und bestimmte Hassgefühle gegen sie zu erzeugen suchten. So nahmen sie z. B. gegen die Stationierung sowjetischer Truppeneinheiten in der DDR Stellung. Sie bezeichneten die Rote Armee als »schwach« und die »Russen« als »Todfeinde des deutschen Volkes«. Die Jugendlichen einigten sich, »gegebenenfalls« auch »Russen« niederzuschlagen. Zu diesem Zweck und zu ihrer »eigenen Verteidigung« entwendeten sie aus öffentlichen Verkehrsmitteln mehrere Hämmer, die zum Einschlagen der Scheiben bei Gefahr dienen.

Bezeichnend für die politische Haltung dieser Jugendlichen sind auch Auffassungen, wonach insbesondere die Deutschen, aber auch die Amerikaner, Franzosen und Engländer zu den »hochentwickelten Nationen« gehören würden, während alle übrigen Nationen zur »minderwertigen Rasse« zu zählen seien.

Die Jugendlichen verurteilten die gerechte Sache der vietnamesischen Befreiungsarmee,5 und insbesondere [Name 2] brachte zum Ausdruck, dass er sich, falls er in Westdeutschland wohnhaft wäre, freiwillig als Soldat gegen die Befreiungsarmee in Vietnam melden würde.

[Name 2] hatte die Jugendlichen auch mit seiner Absicht vertraut gemacht, während der Abschlussfeier der zehnten Klasse der KJS im Sommer 1966 den Stellvertretenden Schulleiter der KJS betrunken zu machen und dann niederzuschlagen. Als Begründung gab er an, dass ihm dieser nicht sympathisch wäre.

Die »Kingband« hatte ferner in Diskussionen festgelegt, in ihrem gesamten Auftreten »frech« zu sein und sich »nichts sagen zu lassen«.

Zur Charakterisierung der beteiligen fünf Jugendlichen wurde bekannt, dass sie bei allen sich bietenden Gelegenheiten Westrundfunk hörten und Westfernsehen sahen, wozu sie auch alle, außer [Name 5], im Elternhaus Gelegenheit hatten.

Da ein Teil der übrigen Schüler der KJS von der Existenz der »Kingband« unter der abgekürzten Bezeichnung »Kiba« Kenntnis hatte – ohne dass sie jedoch den Charakter dieser Gruppierung kannten – und danach fragte, welche Bedeutung die Bezeichnung habe, einigten sie sich darauf, »Kiba« mit »Kommunistische internationale Bandenausrottung« zu übersetzen. Damit wollten sie größeren Befragungen aus dem Wege gehen und ihrer Bande den Anschein einer »positiven« Gruppierung geben.

Nach Aufklärung des gesamten Sachverhaltes wurde in Verbindung mit der Kreisleitung der SED und den zuständigen Volksbildungsorganen an der KJS eine entsprechende Auswertung vorgenommen, an der auch die beteiligten Schüler und deren Eltern teilnahmen. Im Ergebnis dieser Auswertung wurde entschieden, die vier hauptbeteiligten Schüler ([Name 2], [Name 1], [Name 4] und [Name 5]) mit sofortiger Wirkung von der KJS zu verweisen. Der Schüler [Name 3], der innerhalb der Gruppierung nur eine untergeordnete Rolle gespielt hatte, erhielt einen strengen Verweis.

Die bei der Auswertung anwesenden Eltern der fünf beteiligten Schüler erklärten, vordem von der Existenz dieser Gruppierung keine Kenntnis gehabt zu haben. Sie erklärten sich zwar mit den Maßnahmen gegen die Gruppe einverstanden, zeigten jedoch mangelndes Verständnis für die Verweisung der vier Schüler von der Schule.

Weitere Auswertungen sollen im Rahmen der Direktorenkonferenz des Kreises Güstrow, der Partei- und FDJ-Organisation der KJS, des Lehrerkollektivs, des Elternbeirats und der gesamten Schülerschaft erfolgen.

Über die begünstigenden Umstände für die Herausbildung der Gruppierung und der von den beteiligten Jugendlichen vertretenen politischen Auffassungen werden noch weitere Untersuchungen geführt.

  1. Zum nächsten Dokument Kontaktaufnahme von NVA-Soldaten zu Westberliner Polizisten

    6. Januar 1966
    Einzelinformation Nr. 13/66 über Kontaktaufnahmen von NVA-Angehörigen der 1. Kompanie, GR 35, 1. Grenzbrigade zu Angehörigen der Westberliner Polizei

  2. Zum vorherigen Dokument Verlauf der Passierscheinerteilung an Weihnachten 1965

    4. Januar 1966
    Abschluss-Bericht Nr. 6/66 über den Verlauf der Besucherperiode vom 18.12.1965 bis 2.1.1966 des Passierscheinabkommens Weihnachten 1965