Provokationen jugendlicher Gruppen in Berlin
19. November 1966
Einzelinformation Nr. 892/66 über zunehmendes rowdyhaftes Verhalten jugendlicher Gruppen in Berlin
Seit dem 7. Oktober 19661 ist in einigen Stadtbezirken der Hauptstadt der DDR ein verstärktes Auftreten von jugendlichen Gruppierungen festzustellen, die vor allem durch rowdyhaftes Verhalten, ruhestörenden Lärm, provozierende Sprechchöre, Sachbeschädigungen und Widerstandshandlungen gegen Maßnahmen der eingesetzten Sicherungskräfte auffielen.
Bei den in der Zeit vom 8.10. bis 8.11.1966 festgestellten zehn größeren Vorkommnissen mit Jugendlichen wurden 132 Jugendliche – vorwiegend im Alter von 14 bis 18 Jahren – zu VP-Dienststellen zugeführt.
Bei einem großen Teil der Jugendlichen handelt es sich um Personen, die bereits vorbestraft sind oder die schon in der Vergangenheit wegen rowdyhafter Handlungen und Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in Erscheinung traten.
Schwerpunkt an Konzentrationen und Ausgangspunkt einer Reihe weiterer Vorkommnisse mit randalierenden Jugendlichen war der Humannplatz im Stadtbezirk Prenzlauer Berg.
Bereits seit August 1966 versammelten sich in den frühen Abendstunden auf den Humannplatz wiederholt ca. 30 Jugendliche, vorwiegend im Alter von 13 bis 16 Jahren, die in unmittelbarer Nähe des Humannplatzes wohnhaft sind. Bei diesen Zusammenkünften wurden vorwiegend gemeinsam Musiksendungen westlicher Rundfunkstationen abgehört, ohne dass es dabei zu Ausschreitungen kam.
In der Folgezeit wurden diese Konzentrationen durch Gruppen Jugendlicher, die sich vorher auf anderen Plätzen trafen und zu denen Verbindungen bestanden, noch verstärkt. Dazu gehören u. a. Gruppierungen von Jugendlichen vom Arnimplatz,2 Helmholtzplatz,3 von der Schönhauser Allee und aus Weißensee.
Ende September zählten die Konzentrationen auf dem Humannplatz etwa 80 Jugendliche. Aufgrund fehlender persönlicher Bekanntschaften treten sie zunächst als verschiedene kleinere Gruppierungen auf. Durch die wiederholten gemeinsamen Zusammenkünfte und die sich daraus entwickelnden Kontakte kam es im Laufe der Zeit zu einem engeren Zusammenschluss. Diese sich ständig verstärkende Konzentration trat in zunehmendem Maße durch lautstarken Empfang von Musiksendungen – vorwiegend Beat-Musik westlicher Sender – sowie durch lärmendes Singen und Rufen in Erscheinung.
Nachdem die Jugendlichen wegen ruhestörenden Lärms von Angehörigen der VP wiederholt ermahnt und zur Auflösung der Ansammlung aufgefordert wurden, entwickelten sich gewisse organisatorische Vereinbarungen zur Vermeidung von Konflikten mit der VP. Dabei wurden verschiedene Straßen und Plätze in der Nähe des Humannplatzes mit den Zahlen von eins bis sieben versehen, um sich bei einem eventuellen Einschreiten von VP-Einsatzkräften nach Nennung der Schlüsselnummer in kleineren Gruppen auf verschiedenen Wegen zu dem jeweiligen Ort zu begeben und sich dort erneut zu versammeln. Im weiteren Verlauf der Zusammenkünfte plante die Gruppierung für den 7.10.1966 erstmalig eine vorbereitete Aktion größeren Ausmaßes. Entsprechend vorher getroffenen Vereinbarungen versammelten sich am 7.10.1966 gegen 15.00 Uhr ca. 70 Jugendliche auf dem Humannplatz, um sich nach der Karl-Marx-Allee zu begeben und dort »etwas los zu machen«. Dabei kam es zu den in der Information 751/66 geschilderten Ausschreitungen.
In der Folgezeit stieg die Anzahl der Jugendlichen bei den abendlichen Zusammenkünften auf dem Humannplatz weiter an. Durch die Zunahme des ruhestörenden Lärms führte die VP häufiger Kontrollen durch, wobei sich die Jugendlichen den Weisungen der VP-Angehörigen immer öfter widersetzten.
Am 28.10.1966 wurden bei einem Einsatz der VP von ca. 80 Jugendlichen neun Jugendliche der Gruppierung Humannplatz wegen Nichtbefolgen der Aufforderung zur Auflösung der Ansammlung der VPI Prenzlauer Berg zugeführt und gebührenpflichtig verwarnt. Die Jugendlichen hatten durch Grölen und überlaute Beat-Musik der Westsender ruhestörenden Lärm verursacht.
Am 29.10.1966 wurde auf Initiative des 17-jährigen Hilfsschlossers [Vorname Name 1] eine Fahrt nach Potsdam organisiert, um mit einer jugendlichen Gruppierung im Schlosspark Sanssouci zusammenzukommen. An dieser Fahrt beteiligten sich ca. 40 Jugendliche der Gruppierung Humannplatz. Bei einer weiteren Fahrt am 30.10.1966 nach Potsdam, an der sich ca. 20 Jugendliche der Humannplatz-Gruppierung beteiligten, wurden die Potsdamer Jugendlichen zur Zusammenkunft auf dem Humannplatz eingeladen. Dieser Einladung kamen jedoch lediglich zwei Mädchen nach, die sich am 31.10.1966 auf dem Humannplatz einfanden.
Am Abend des 31.10.1966 versammelten sich ca. 25 Jugendliche auf dem Humannplatz. Anschließend begaben sie sich zum Vergnügungsrummel in der Ryke/Sredzkistraße.4 Da sie jedoch dort nicht die »richtige Stimmung« vorfanden, zogen sie zum Humannplatz zurück, wobei ihnen ca. weitere 30 Jugendliche folgten. Auf dem Rückweg wurden dann im Sprechchor rowdyhafte Losungen gerufen. Ein Jugendlicher grölte dabei eine gegen den Staatsratsvorsitzenden gerichtete Losung. Nach Eintreffen auf dem Humannplatz löste sich die Ansammlung gegen 21.00 Uhr ohne weitere Zwischenfälle auf.
In den folgenden Tagen stieg – aufgrund wiederholter Aufenthalte von Jugendlichen der Humannplatz-Gruppierung auf dem Rummel Rykestraße und die anschließenden Zusammenkünfte auf dem Humannplatz – die Gruppierung weiter an, so dass sich am 4.11.1966 bereits mehr als 100 Jugendliche auf diesem Platz versammelten.
Aufgrund der Befürchtung, dass eine derart große Ansammlung zu Auseinandersetzungen mit der VP führen könnte, schlugen einige Jugendliche vor, gemeinsam nach dem Park am Weinbergsweg im Stadtbezirk Mitte zu ziehen. Um auf dem Weg dorthin ein Einschreiten der Sicherheitsorgane zu vermeiden, wurde auf Anraten einiger Jugendlicher die Gruppe geteilt. Während ein Teil ohne Zwischenfälle über die Schönhauser-/Kastanienallee zum Weinbergsweg gelangte, zog der größte Teil die in unmittelbarer Nähe der Staatsgrenze gelegene Topsstraße5 entlang. Neben den rowdyhaften Losungen wurden auch gegen die Staatsgrenze gerichtete Losungen geschriehen und die Grenzsicherungskräfte provoziert. Auf dem weiteren Weg wurden in der Schwedter Straße fünf Jugendliche wegen ruhestörendem Lärm von VP-Einsatzkräften der VPI Prenzlauer Berg zugeführt. Nach dem Zusammentreffen der Gruppierungen am Weinbergsweg lösten sie sich ohne weitere Zwischenfälle auf.
Entsprechend einer am Vortage getroffenen Vereinbarung besuchten am 5.11.1966, 17.00 Uhr, ca. 60 zur Humannplatz-Gruppierung gehörende Jugendliche das Lichtspieltheater »Skala« in der Schönhauser Allee, wobei sie die Vorstellung durch Trampeln, Zwischenrufe und Klatschen störten. Aufgrund dieser Handlungen wurden mehrere Jugendliche durch VP-Angehörige aus dem Kino gewiesen. Nach Ende der Filmveranstaltung kam es auf dem Humannplatz zu einer Ansammlung von ca. 150 Jugendlichen, die sich gegen 20.00 Uhr auf Vorschlag des Jugendlichen [Vorname Name 2], 18 Jahre alt, und [Vorname Name 3], 14 Jahre alt, wiederum zum Weinbergsweg begaben. Im Volkspark am Weinbergsweg belästigten die Jugendlichen Straßenpassanten durch Rempeleien und beleidigende Äußerungen sowie durch überlautes Spielen der Kofferradios. Außerdem grölten sie im Sprechchor rowdyhafte Losungen. Als sie mittels Kofferradios über UKW von einem geplanten Einsatz der VP zur Auflösung randalierender Jugendlicher in der Ackerstraße Kenntnis erhielten, zog ein großer Teil der Gruppierung nach dort in der Absicht, die Jugendlichen zu unterstützen. Nachdem es in der Ackerstraße zu keinem Zusammentreffen mit anderen Jugendlichen kam, die Jugendlichen aber weiter randalierten, wurden 32 Personen den VPI Mitte und Prenzlauer Berg zugeführt. Dabei kam es zu diffamierenden Rufen der übrigen Jugendlichen gegen die VP-Einsatzkräfte.
Am 6.11.1966 trafen sich ca. 60 Jugendliche auf dem Humannplatz. Wegen der an den Vortagen erfolgten Zuführungen und der Befürchtung weiterer polizeilicher Maßnahmen auf dem Humannplatz vereinbarten die Jugendlichen sich am »Treffpunkt Nr. 3« zu versammeln und sich in zwei Gruppen zur Brennerstraße zu bewegen. Auf dem Weg zu diesem Treffpunkt wurden wiederum rowdyhafte Losungen geschrien. Außerdem rief der [Name 3]: »Wer liebt Kongo-Müller?«,6 worauf die Mehrzahl im Sprechchor »Wir« antwortete. Weiter schrie [Name 3] hetzerische, gegen den Staatsratsvorsitzenden gerichtete Fragen, die ebenfalls provokatorisch beantwortet wurden.
In der Brennerstraße wurde die Gruppierung durch Einsatzkräfte der VP aufgelöst, wobei elf Jugendliche der VPI Prenzlauer Berg zugeführt wurden.
Am Abend des 7.11.1966 kam es zu einer weiteren provokatorischen Ausschreitung. Aus einer Gruppe von ca. 30 Jugendlichen, die sich vom Rummelplatz Rykestraße zum Humannplatz bewegte, wurde von einigen Jugendlichen eine gegen den Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht7 gerichtete Losung gerufen. Durch den bereits genannten [Name 2] wurden daraufhin weitere hetzerische Losungen geschrien. Beim Eintreffen auf dem Humannplatz – auf dem sich bereits 60 Jugendliche versammelt hatten – wurde die Konzentration durch die VP aufgelöst und fünf Jugendliche der VPI Prenzlauer Berg zugeführt.
Aufgrund der sich häufenden provokatorischen Ausschreitungen von Jugendlichen wurden ab 8.11.1966 durch die VP in Verbindung mit MfS und anderen Staatsorganen und gesellschaftlichen Organisationen offensive Maßnahmen zur Auflösung negativer Konzentrationen jugendlicher Personen eingeleitet. Im Zuge dieser Maßnahmen wurden am 8.11.1966 aus einer erneuten Konzentration auf dem Humannplatz 32 zur Gruppierung gehörende Jugendliche festgenommen und der VPI Prenzlauer Berg zugeführt. Außerdem kam es in der genannten Zeit zu folgenden rowdyhaften Ausschreitungen durch Jugendliche, die nicht im Zusammenhang mit der Humannplatz Gruppierung standen:
Am 19.10.1966 störte eine Gruppe von 18 Jugendlichen eine Filmveranstaltung im Filmtheater »Rio« in Berlin-Biesdorf durch lautes rowdyhaftes Verhalten. Nach Ende der Vorstellung randalierten die Jugendlichen vor dem Kino weiter, wobei sie u. a. im Sprechchor gegen die DDR gerichtete Losungen ausriefen. Anschließend setzten sie die Ausschreitungen im schaffnerlosen O-Bus-Anhänger der Linie 37 fort, indem sie weiter randalierten, Sitzpolster zerschnitten, Signalknöpfe abschraubten, eine Trennscheibe zerschlugen und den Nothammer und Fahrscheine aus der Zahlbox entwendeten.8 Gegen 14 der zugeführten Jugendlichen wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet, darunter fünf mit Haft.
Am Abend des 21.10.1966 verursachte eine Gruppierung von 13 Jugendlichen in Berlin-Buchholz, Pasewalker Straße, ruhestörenden Lärm durch überlautes Spielen der Kofferradios, wobei sie Westsender eingestellt hatten. Beim Einschreiten von VP-Angehörigen wurde Widerstand entgegengesetzt und ein Jugendlicher wurde gegen einen VP-Angehörigen tätlich und riss ihm die Schulterstücke ab. Alle 13 Jugendlichen wurden der VPI Pankow zugeführt, wo gegen den Hauptbeteiligten ein E-Verfahren eingeleitet und gegen weitere vier Jugendliche Ordnungsstrafen ausgesprochen wurden.
Am 4.11.1966 randalierten sechs Jugendliche in einer Wohnung in der Lasdehner Straße 30, wobei sie einen Mieter, der sie zur Ruhe und Ordnung aufforderte, niederschlugen und den einschreitenden VP-Angehörigen aktiven Widerstand entgegensetzten. Alle sechs Jugendlichen wurden der VPI Friedrichshain zugeführt. Gegen zwei Jugendliche wurden E-Verfahren eingeleitet, die übrigen vier Jugendlichen wurden mit Ordnungsstrafen belegt. Fünf der Zugeführten sind – teilweise mehrfach – im Zusammenhang mit Grenzdelikten, Hetze und rowdyhaftes Verhalten in Erscheinung getreten.
Am 7.11.1966 gegen 21.00 Uhr beschimpften an der Bushaltestelle in Lichtenberg, Einbecker Straße, sieben Jugendliche einen sowjetischen Staatsbürger mit staatsverleumderischen Äußerungen. Der sowjetische Staatsbürger hatte die Jugendlichen vorher aufgefordert, älteren Personen auf einer Bank Platz zu machen und ihr Kofferradio leiser zu stellen. Aufgrund der Beleidigungen ohrfeigte der Sowjet-Bürger einen Jugendlichen. Die Jugendlichen verfolgten daraufhin den sowjetischen Staatsbürger und seine Familie im Bus bis nach Biesdorf, wo sie in der Oberfeldstraße den sowjetischen Staatsbürger aufforderten, seine Frau und sein Kind nach Hause zu bringen und sich den Jugendlichen zur weiteren Auseinandersetzung zu stellen. Durch die inzwischen herbeigerufenen Einsatzkräfte der VP konnten weitere Tätlichkeiten verhindert und alle sieben beteiligten Jugendlichen der VPI Lichtenberg zugeführt werden. Gegen die Jugendlichen wurden E-Verfahren mit Haft eingeleitet.
Am 9.11.1966 wurden in der Klasse 10b der 17. Oberschule in Berlin-Biesdorf zwei Gruppierungen bekannt. Eine der Gruppierung nannte sich »Bund deutscher Jugend« (BDJ).9 Zur Gruppe gehörten acht Mitglieder, die sich Satzungen mit rein faschistischem Charakter erarbeitet hatten. Außerdem bezeichneten sie sich mit Dienstgrad und Namen von Kriegs- und Naziverbrechern und grüßten sich gegenseitig mit dem faschistischen Gruß. Bei Taschenkontrollen wurden bei einem Teil der Jugendlichen faschistische Schmierereien festgestellt. Alle an dieser Gruppierung beteiligten Schüler sagten zu ihrer Handlungsweise aus, dass sie sich keine Gedanken über die Auswirkungen und die Gefährlichkeit gemacht hätten. Eine Verherrlichung des Faschismus bzw. eine feindliche Tätigkeit sei mit der Bildung der Gruppe nicht beabsichtigt gewesen. Die Gruppe sei lediglich mit dem Ziel entstanden, um, nachdem im Staatsbürgerunterricht10 die Zeit des Faschismus behandelt worden war, ein Hörspiel in satirischer Form über Hitler und weitere Faschisten zu gestalten.
Die andere Gruppe bestand aus vier Mitgliedern, die sich unter der Bezeichnung »Vereinigung Berliner Rächer«11 zusammenschlossen. Die »Satzungen« dieser Gruppe enthielten keine Hinweise auf eine geplante feindliche Tätigkeit. Ihr Ziel bestand darin, die Mitglieder der anderen Gruppe zu beobachten und diese Gruppierung aufzulösen. Aufgrund der bisher positiven Grundhaltung der beteiligten Schüler und unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Tätigkeit der Eltern – fast alle stehen in Funktionen im Staatsapparat oder sind Offizier der bewaffneten Organe – wird auf die Einleitung von Ermittlungsverfahren verzichtet. Es ist beabsichtigt eine gründliche Auswertung an der 17. Oberschule unter Einbeziehung leitender Mitarbeiter der Kreisleitungen der Partei und FDJ, des Rates des Stadtbezirkes, des Elternbeirates und der Erziehungsberechtigten der beteiligten Schüler vorzunehmen.
Von den insgesamt zugeführten Jugendlichen sind
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1 Jugendlicher 13 Jahre alt
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10 Jugendliche 14 Jahre alt
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31 Jugendliche 15 Jahre alt
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39 Jugendliche 16 Jahre alt
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28 Jugendliche 17 Jahre alt
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17 Jugendliche 18 Jahre alt
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4 Jugendliche 19 Jahre alt
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1 Jugendlicher 20 Jahre alt
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1 Jugendlicher 21 Jahre alt,
das heißt, 87% der zugeführten Jugendlichen sind zwischen 15 und 18 Jahren alt, wobei der Hauptanteil bei den jüngeren Jahrgängen liegt. Unter den Zugeführten befanden sich 18 weibliche Jugendliche.
Nach der Beschäftigung aufgeschlüsselt ergibt sich folgendes Bild:
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36 Jugendliche sind Schüler
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48 Jugendliche sind Lehrlinge
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30 Jugendliche sind ohne erlernten Beruf
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14 Jugendliche sind Arbeiter
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4 Jugendliche sind ohne Beschäftigung
Der überwiegende Teil steht noch mitten in der schulischen und beruflichen Ausbildung.
29 Jugendliche gehören dem FDGB an, 21 sind Mitglied der FDJ und 15 sind in der GST. Zwei Jugendliche sind Junge Pioniere.
Von den Untersuchungsorganen wurden gegen die zugeführten Jugendlichen 20 E-Verfahren mit Haft und neun E-Verfahren ohne Haft wegen staatsfeindlicher Propaganda und Hetze, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Zerstörung von Volkseigentum eingeleitet. Weitere 38 Jugendliche wurden mit Ordnungsstrafen belegt. Damit wurden über 50 % der zugeführten Personen zur Verantwortung gezogen.
Ein Drittel der Zugeführten war bereits angefallen wegen:
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krimineller Handlungen 14 Jugendliche
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Rowdytum 18 Jugendliche
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Grenzdelikte 7 Jugendliche
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Waffendelikte und Hetze 2 Jugendliche
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Arbeitsbummelei 4 Jugendliche
Bei einem großen Teil der Festgenommenen sind die Familienverhältnisse im Elternhaus zerrüttet. Die schulischen und beruflichen Leistungen sind ungenügend und in den Schulen bzw. Arbeitsstellen gab es mit diesen Jugendlichen wegen ihres disziplinarischen Verhaltens wiederholt Schwierigkeiten. [Name 2], einer der Rädelsführer der Humannplatz-Gruppierung, war bereits zeitweise in einem Jugendwerkhof untergebracht.12 Alle Zugeführten leisteten bisher keine aktive gesellschaftliche Arbeit.
Eine wesentliche Ursache der negativen Entwicklung der Gruppierungen sowie der von einigen Jugendlichen begangenen Straftaten sind die nicht in geringem Maße wirkenden Einflüsse der ideologischen Diversion.13 In der Untersuchung wurde festgestellt, dass die gemeinschaftlich und regelmäßig abgehörten westlichen Rundfunksendungen – besonders RIAS (»Schlager der Woche«), Radio Luxemburg (»Hit-Parade«) und Beatmusiksendungen des amerikanischen Soldatensenders AFN – sowie der im Elternhaus gestattete Empfang des Westfernsehens – besonders »Beat-Club« – und das Lesen und Verbreiten westlicher Druckerzeugnisse, die die westliche Unkultur verherrlichen, dazu führten, dass die Normen des gesellschaftlichen Zusammenlebens missachtet wurden. Es entwickelte sich eine wachsende Bereitschaft an rowdyhaften und provokatorischen Ausschreitungen und die Tendenz, die westlichen Lebensverhältnisse zu verherrlichen. Die von den zuständigen Organen der DDR eingeleiteten Maßnahmen zur Beseitigung der Auswüchse der Beat-Musik wurden von einem Teil der Jugendlichen als Einschränkung der persönlichen Freiheit bezeichnet.14 In diesem Zusammenhang wurden auch die Grenzsicherungsmaßnahmen der DDR diffamiert.
Begünstigt wurde die Entwicklung und die Tätigkeit der Gruppierungen – besonders der Humannplatz-Gruppierung – vor allem durch
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einen in den meisten Fällen ungenügend erzieherischen Einfluss und eine teilweise Vernachlässigung der Aufsichtspflicht durch das Elternhaus, mangelhaftes Zusammenwirken der Schulen bzw. Arbeitsstellen mit den Erziehungsberechtigten,
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eine unzureichende Wirksamkeit gesellschaftlicher Organisationen – besonders der FDJ – und anderer zuständiger staatlicher Einrichtungen bei der Durchsetzung der Gesetze und Beschlüsse zur Jugendpolitik,
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die im Stadtbezirk Prenzlauer Berg nur ungenügend vorhandenen Möglichkeiten einer den Interessen der Jugendlichen entsprechenden Betätigung. Von den im Stadtbezirk Prenzlauer Berg vorhandenen acht Jugendclubs sind lediglich vier geöffnet, wobei es sich in zwei Fällen um sogenannte Spezialistenclubs handelt. Ähnlich ist die Situation auch in den anderen Stadtbezirken der Hauptstadt der DDR.
Von den insgesamt 65 vorhandenen Jugendclubs stehen den Jugendlichen gegenwärtig nur 32 Clubs zur Verfügung, davon sind sieben sogenannte Spezialistenclubs. Die ungenügenden Tanzmöglichkeiten für Jugendliche im Stadtbezirk Prenzlauer Berg wurden im Sommer 1966 durch die Schließung der 700 Personen Platz bietenden Gaststätte »Prater« weiter eingeschränkt.15 Durch die zuständigen staatlichen Organe wurden bisher keine Maßnahmen zur Veränderung dieses Zustandes eingeleitet. Durch die Jugendorganisation wird ebenfalls nur eine ungenügende Aktivität zur Bekämpfung der negativen Erscheinungen unter der Jugend entwickelt. Obwohl der Bezirksleitung und den Kreisleitungen der FDJ durch das MfS entsprechendes Material über negativ in Erscheinung getretene Jugendliche (Gammler, Beatles usw.) übergeben wurde und allen für die Erziehung der Jugend verantwortlichen Organen und gesellschaftlichen Organisationen bekannt sein müsste, dass die Zurückdrängung des negativen ideologischen Einflusses in erster Linie eine Erziehungsaufgabe ist, die nicht allein durch Maßnahmen der Sicherheitsorgane gelöst werden kann, wird diese wichtige Aufgabe offensichtlich noch unterschätzt.