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Situation in den LPG des Kreises Hagenow

7. Februar 1966
Einzelinformation Nr. 102/66 über die Situation in der Landwirtschaft im Kreis Hagenow, [Bezirk] Schwerin

Zur Situation in den Genossenschaften im Kreis Hagenow, [Bezirk] Schwerin lässt sich aus den dem MfS vorliegenden Hinweisen folgende Einschätzung treffen.

Die LPG und VEG im Kreis Hagenow erzielten 1965 Fortschritte in der Feld- und Viehwirtschaft. Die Genossenschaftsbauern und -bäuerinnen und die Werktätigen in der sozialistischen Landwirtschaft unternahmen Anstrengungen, um die Beschlüsse von Partei und Regierung zu verwirklichen. Obwohl insgesamt positive Entwicklungstendenzen erkennbar sind, beeinflussten einige Mängel und Schwächen nicht unwesentlich den vorangegangenen Entwicklungsabschnitt. Auf einige der wesentlichsten Mängel und Schwächen soll daher im Nachfolgenden näher eingegangen werden.

Im Kreis Hagenow bestehen zurzeit 102 LPG Typ I und 108 LPG Typ III.1 Sie bewirtschaften rund 92 300 ha LNF, davon 35 000 ha Grünland. 1965 wurde eine geringe Steigerung in der Getreideerzeugung (24,2 dt/ha auf 24,9 dt/ha) erreicht. Dabei ist zu bemerken, dass LPG Typ III höhere Zuwachsraten erreicht haben als die LPG von Typ I und II. Die Ertragssteigerung bei den verschiedenen Getreidekulturen unterlag gegenüber 1964 bestimmten Schwankungen, ohne jedoch das Gesamtergebnis wesentlich beeinflusst zu haben. Nach den verschiedenen Einschätzungen von Landwirtschaftsexperten aus dem Kreis Hagenow müssten jedoch etwa 28 dt/ha in den LPG Typ I und 26 dt/ha in den LPG Typ III geerntet worden sein. Diese Annahme ist zwar nicht statistisch nachweisbar, aber sie wird von dem notwendigen Kraftfutterverbrauch für die relativ hohe tierische Marktproduktion abgeleitet.

Aus den vorliegenden Hinweisen ist allgemein zu entnehmen, dass in allen LPG – mit wenigen Ausnahmen – eine ausreichende Futtergrundlage und Kraftfutterversorgung gewährleistet werden konnte.

Besondere Schwierigkeiten entstanden im vergangenen Jahr bei der Einhaltung des Anbauplans für Ölfrüchte. Sowohl für den Anbauplan 1965 als auch wieder für den Plan 1966 mussten erhebliche Auseinandersetzungen in den LPG geführt werden, um den Anbau von Ölfrüchten zu sichern. Speziell die LPG in den Elbniederungsgebieten argumentierten gegen die Beauflagung mit solchen Hinweisen, dass der taugliche Boden für den Ölfruchtanbau zwar speziell bei ihnen liege, der hohe Gründlandanteil2 an ihrer LNF jedoch dazu zwinge, möglichst viel Getreide und Hackfrüchte anzubauen, um die Ernährung für die hohen Viehbestände zu sichern.

Die Ergebnisse im Kartoffelanbau sind ebenfalls positiv zu bewerten (Kartoffeln 1964 183 dt/ha; 1965 195,4 dt/ha), während bei Futterhackfrüchten ein bedeutender Rückgang zu verzeichnen ist (525 dt/ha; 457,6 dt/ha).

Die größten Reserven für die Entwicklung der Viehwirtschaft liegen zurzeit in der Nutzung des natürlichen Gründlandes sowohl in den LPG der Elbniederung als auch in den LPG des übrigen Kreisgebietes. In den LPG der Elbniederung wurden durchschnittlich Erträge von 30 bis 35 dt/GE/ha3 erzielt, wobei gute LPG, wie Stixe, Rassau, Vockfey, Zeetze4 Erträge zwischen 50 bis 55 dt/GE/ha erreicht haben. Unter dem allgemeinen Durchschnitt liegen z. B. noch die LPG Feldau5 und Krusendorf. Allgemein wird ein Durchschnittsertrag von 60 dt/GE/ha als möglich eingeschätzt. Alteingesessene Praktiker weisen auf noch vorhandene Möglichkeiten der Ertragssteigerung in der Gründlandwirtschaft um etwa ein Drittel hin.

Die Gründlandwirtschaft im übrigen Kreisgebiet weist ebenfalls noch Reserven auf. Negative Beispiele dafür sind die LPG Picher, Moraas, Strohkirchen, Bresegard, die nur etwa 18 dt/GE/ha ernteten, im Gegensatz zu solchen LPG wie Redefin, die etwa 35 dt/GE/ha erreicht haben.

Die planmäßige Gründlandbewirtschaftung, z. B. durch Düngung usw., ist im Wesentlichen ein ideologisches Problem. Nicht nur in den LPG der Elbniederung, sondern von einem großen Teil der Genossenschaftsmitglieder überhaupt wird die Notwendigkeit nicht erkannt, auch eine gesunde Gründlandbewirtschaftung durchzuführen. Beispielsweise berichtete der Vorsitzende der LPG Typ I aus Laake6 von seinen vergeblichen Bemühungen, die Genossenschaftsbauern von der Notwendigkeit der Gründlanddüngung zu überzeugen.

Die tierische Marktproduktion 1965 wurde bis auf die Position Geflügel im Kreis Hagenow übererfüllt.

Die Milchleistungen je Kuh und Jahr stiegen von 2 975 kg 1964 auf 3 204 kg 1965. Nicht unerwähnt darf dabei jedoch bleiben, dass die Durchschnittsleistungen von den LPG Typ III zurzeit bei 2 679 kg je Kuh und Jahr liegen.

In den örtlich geleiteten VEG Pritzier, Hagenow und Boddin sind die Milchleistungen 1965 um 143 kg je Kuh zurückgegangen. Begründet wird dieser Zustand damit, dass die VEG einen höheren 100 ha-Besatz/LNF und größere Schweinebestände als die LPG hätten.

Mit den individuell gehaltenen Kuhbeständen in den LPG Typ I wurden 1965 Durchschnittsleistungen von 3 717 kg erzielt. Diese Leistungsunterschiede sollen dadurch erreicht worden sein, dass eine rationellere Futterausnutzung und individuellere Leistungsfütterung, eine gründlichere Selektion der Leistungskühe durchgeführt wird und mitunter auch die Futterverteilung in den LPG Typ I oftmals auf Kosten der genossenschaftlichen Viehhaltung vorgenommen wird.

Die Durchsetzung der innergenossenschaftlichen Demokratie und die Verwirklichung des Mitbestimmungsrechts der Genossenschaftsmitglieder hat sich im letzten Jahr wesentlich verbessert. Durch die Zuführung von Hoch- und Fachschulkadern, Meistern und Facharbeitern konnte die politische und fachliche Leitungstätigkeit systematisch verbessert werden. Obwohl keine umfassende Beurteilung möglich ist, sagen die vorliegenden Hinweise aus, dass in den LPG im Wesentlichen regelmäßiger als in der Vergangenheit Mitgliederversammlungen stattfinden und die Mitglieder zu Beratungen hinzugezogen werden. Die Rechenschaftslegungen zum Jahresergebnis 1965 fanden in einer kritischen Atmosphäre statt, und die Genossenschaftsmitglieder brachten offen ihre Probleme zum Ausdruck.

Einzelne negative Beispiele sind aus den LPG Camin, Alt Zachun und Goldenitz bekannt. Wegen Desinteresse an der genossenschaftlichen Arbeit wurde der Vorsitzende der LPG Camin in der Jahresmitgliederversammlung nicht wiedergewählt. Auch der Vorsitzende der LPG Alt Zachun, [Name 1], wurde wegen Mängel an der Menschenführung nicht wiedergewählt.

In der LPG Goldenitz wurden Vollversammlungen und Vorstandssitzungen nur in größeren Zeitabständen und unregelmäßig durchgeführt. Die Mitglieder der Genossenschaft erhielten in der Vergangenheit wenig Einblick in die Jahresplanung und Perspektivplanung. Kritiken und Vorschläge der Mitglieder werden vom Vorsitzenden [Name 2] schon im Keime unterdrückt. Er wird als »absoluter Herrscher« bezeichnet.

Ein weiteres Problem in den Genossenschaften des Kreises Hagenow ist die nicht maximale Zuführung zu den Fonds der Genossenschaften.7 Die größten Widerstände gibt es zurzeit in den LPG Typ I. Wurden im Kreisgebiet 1965 193 MDN/ha dem unteilbaren Fonds zugeführt, so akkumulierten die LPG Typ I bloß 141 MDN/ha, während die LPG Typ III 246 MDN/ha abführten. Obwohl von den leitenden Landwirtschaftsfunktionären im Kreis eingeschätzt wird, dass die Zielstellung in der Zuführungshöhe annähernd erreicht wurde, weisen bekannt gewordene Einzelbeispiele darauf hin, dass noch nicht in jedem Fall die notwendige Bereitschaft und ideologische Klarheit dazu vorhanden ist. In der LPG Typ I Zühr lehnen es die Mitglieder grundsätzlich ab, Geld für die Fonds abzugeben. Überwiegend ältere Mitglieder sind der Auffassung, ohne Investierungen den Landwirtschaftsbetrieb führen zu können. Sie sprachen sich gegen den Kauf von Maschinen und Geräten aus. Der LPG-Vorsitzende half sich dadurch, dass er die Einnahmen aus der Mehrproduktionsprämie dem Fonds zuführte, ohne dass die Mitglieder davon Kenntnis erhielten. In den LPG Dammereez und Laake sind ähnliche Tendenzen feststellbar, da in diesen LPG Einnahmen aus der genossenschaftlichen Viehwirtschaft zur Deckung der laufenden Ausgaben verwandt werden, ohne die anteilmäßige Fondszuführung zu berücksichtigen.

Erscheinungen einer relativ niedrigen Fondsbildung bzw. -zuführung gibt es in den LPG Typ I Belsch, Grammentin,8 Harst, Dreilützow und andere. In diesen Genossenschaften werden Auffassungen vertreten, durch höhere Fondsbildung würden die Einnahmen der Mitglieder »durch Senkung des Wertes der AE« geschmälert.

Ehemalige wirtschaftsstarke Mittelbauern begründen ihre Ablehnung zur höheren Fondsbildung damit, dass es ihnen in der LPG Typ I noch nie so gut gegangen wäre und zweifeln die Möglichkeit an, dass weitere Fortschritte bei einem Übergang zum Typ III noch erreichbar wären, da u. a. auch die erhöhte Fondsbildung eintreten würde. Der jetzige Status der LPG Typ I wäre deshalb ausreichend für ihre Wirtschaftsweise.

Die Entwicklung zwischengenossenschaftlicher Kooperationsbeziehungen im Kreis Hagenow machte in den letzten Jahren nur geringe Fortschritte. Erst im Jahre 1965, so wird eingeschätzt, wurden einige positive Ergebnisse erzielt. In den Genossenschaften entstanden Kooperationsbeziehungen für den Mähdrusch, Fäkalientransport, gemeinschaftliche Nutzung von Dämpferanlagen.

Von der BHG Wittenburg, Hagenow, Brahlstorf9 und Zarrentin wurden gute Beispiele der Kooperation und Dienstleitung auf den Gebieten Be- und Entladen landwirtschaftlicher Erzeugnisse, Transport von Düngemittel, des Kalkstreuens und des Kartoffelsortierens geschaffen. In der tierischen Produktion entwickelten sich die Kooperationsbeziehungen zwischen den Genossenschaften beim Austausch von Läufern10 und Masttieren sowie in der Bildung einer Schafhaltegemeinschaft. Als Problem stellte sich in der Vergangenheit heraus, dass trotz des allgemeinen Bestrebens zur Anschaffung hochproduktiver Landmaschinentechnik in den einzelnen LPG der Ankauf auf der Basis von Kooperationsgemeinschaften ungenügend zur Geltung kommt. Offensichtlich ist noch nicht in allen Genossenschaften ein gewisser Egoismus überwunden. Es sind immer wieder politisch-ideologische Diskussionen und Auseinandersetzungen nötig, um den Genossenschaften, ihren Vorständen und Vorsitzenden nachzuweisen, dass nur der gemeinsame Ankauf von Großmaschinen, Zugmaschinen usw. für die an Kooperationsgemeinschaften beteiligten LPG ökonomisch vorteilhaft ist.

Die Leitungstätigkeit des Kreislandwirtschaftsrates, der Produktionsleitung, der VEAB und der BHG wird allgemein positiv gewertet.

Der Vorsitzende des KLR Genosse Hempelt11 und der Hauptagronom Genosse Ohnedorfer12 werden als befähigte Kader bezeichnet, die mit viel Fleiß und Intensität die Aufgaben zu lösen versuchen. Der Hauptzootechniker Genosse [Name 3] soll bestimmte fachliche Schwierigkeiten haben, um unter dem vorhandenen Kaderbestand in der Viehwirtschaft voll wirksam zu werden. Die Produktionsorganisatoren im KLR arbeiten schwerpunktmäßig in den LPG, können aber wegen unbesetzter Planstellen Im KLR nicht immer eine kontinuierliche Anleitung aller LPG im Kreis Hagenow gewährleisten. Bei vielen LPG-Vorständen ist deshalb auch die Meinung verbreitet, die Produktionsorganisatoren würden zu viel administrieren, ohne jedoch die konkrete Situation zu kennen.

Im Zusammenhang mit den vorher angeführten Problemen der Landwirtschaft im Kreis Hagenow müssen einige grundsätzliche ideologische Fragen, die vielseitigen Einfluss unter der Bevölkerung und speziell unter den Genossenschaftsbauern haben, mit erwähnt werden.

In einem nicht unbeträchtlichen Teil wird von den Bewohnern das Programm des Ersten westdeutschen Fernsehens und zum Teil sogar das Programm des Zweiten westdeutschen Fernsehens empfangen, wodurch ständig vom Gegner ausgestrahlte politische Argumentationen auch unter der Bevölkerung diskutiert werden. Äußerst verschiedenartig sind die Argumente, in denen Unklarheiten bzw. die Argumente des Gegners zum Ausdruck kommen.

Häufig werden Zweifel am Sieg der sozialistischen Gesellschaftsordnung, verleumderische Äußerungen über die sozialistische Landwirtschaftspolitik und ihre Auswirkungen im Kreis Hagenow geäußert. Ein weiterer Diskussionsgegenstand ist die Beschränkung der Einreise ins unmittelbare Grenzgebiet der Staatsgrenze nach Westdeutschland für verwandtschaftliche Besuche aus Westdeutschland bzw. für Verwandte aus der DDR.13 Allgemein wird hierfür kein Verständnis aufgebracht.

In einigen LPG (Bernstorf, Alt Zachun, Rensdorf,14 Schwartow, Lassahn) wurden im 2. Halbjahr Anträge für Austritte aus LPG gestellt. Begründet wurden die Anträge mit

  • schlechter Wohnung,

  • Krankheit, hohes Alter,

  • schlechte Verdienstmöglichkeiten in den LPG.

Besonders zu erwähnen sind acht Anträge auf Ablösung als LPG-Vorsitzender in diesem Zeitraum. Übereinstimmend wurden von den Antragstellern fachliche Schwierigkeiten angegeben, so dass sie angeblich ihre Aufgaben nicht mehr lösen könnten. Von der Mehrzahl der Antragsteller war aber bekannt, dass sie gute landwirtschaftliche Praktiker sind. In Aussprachen im Kreislandwirtschaftsrat wurden die meisten Fälle im positiven Sinne geklärt.

In einigen LPG ist trotz guter Entwicklung und guter ökonomischer Lage noch die Spekulation unter Genossenschaftsbauern verbreitet, dass es eines Tages doch wieder zu einzelbäuerlichen Betrieben kommen würde. (LPG Dreilützow)

Bei einer Rechenschaftslegung in der LPG Kogel, in der es u. a. auch um die Auszahlung der Bodenanteile ging, wurde von einem Genossenschaftsbauern direkt geäußert: »Behaltet die Bodenanteile, aber gebt uns dafür das Land in Pommern zurück.«15

Das Nachwuchsproblem ist auch im Kreis Hagenow im Allgemeinen ungelöst. Jugendliche argumentieren fast stets, dass sie nicht gewillt sind, in der Landwirtschaft eine Arbeit aufzunehmen. Von einem Teil der Eltern, auch Genossenschaftsbauern, werden die Jugendlichen in der Absicht, nicht in der Landwirtschaft zu arbeiten, sogar noch bestärkt, u. a. mit solchen Argumenten: »Unsere Kinder sollen es einmal besser haben und nicht immer im Dreck stecken.«

Unter den Jugendlichen, die sich in der landwirtschaftlichen Lehre befinden und an der Berufsschule Hagenow ihre theoretische Ausbildung erhalten, gab es 1965 negative Erscheinungen, wie z. B. Gleichgültigkeit gegenüber der Ausbildung, häufiger Alkoholgenuss, Verbreitung von Schund- und Schmutzliteratur, Beratungen über Möglichkeiten zum Grenzdurchbruch. (Maßnahmen wurden in Zusammenarbeit mit der Kreisleitung der SED eingeleitet.)

Die Auswahl der »Südkader«16 wird zum Teil kritisiert (LPG Picher, Moraas, Alt Zachun), weil diese Kader nicht immer diszipliniert genug sind. In einigen der genannten LPG fielen sie durch groben Unfug und Arbeitsniederlegungen auf. In Moraas zerschossen sie mit dem Luftgewehr die Dorfbeleuchtung. In Warlitz wurden von ihnen Automateneinbrüche verübt. Diese Erscheinungen treffen jedoch nicht für die Gesamtheit aller »Südkader« zu und wurden zum Teil durch mangelnde Möglichkeiten einer sinnvollen Freizeitgestaltung mitbegünstigt.

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    7. Februar 1966
    Einzelinformation Nr. 104/66 über eine geplante Aktion der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg

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    4. Februar 1966
    Einzelinformation Nr. 96/66 über einen verhinderten Grenzdurchbruch im Bereich der 5. Grenzkompanie bei Sonneberg, Bezirk Suhl