Stimmungen in LPG im Bezirk Dresden nach dem Bauernkongress
14. März 1966
Einzelinformation Nr. 203/66 über einige ideologische Probleme in den LPG und VEG im Bezirk Dresden
Nach den dem MfS vorliegenden Materialien aus dem Bereich der Landwirtschaft des Bezirkes Dresden werden gegenwärtig noch erste Auswertungen des IX. Deutschen Bauernkongresses1 hauptsächlich auf Kreisebene durchgeführt, wobei Auswertungen und Diskussionen unter den Delegierten und Funktionären überwiegen.
In den Bereichen der LPG und VEG haben auswertende Gespräche über die vom IX. Deutschen Bauernkongress aufgeworfenen Probleme noch keine Breite gewonnen. Im Allgemeinen werden die Thematik des Bauernkongresses sowie die Darlegungen zu den einzelnen Fragen begrüßt, wobei mehrfach hervorgehoben wird, dass durch den Bauernkongress die Perspektive der sozialistischen Landwirtschaft und der einzelnen Kategorien landwirtschaftlicher Betriebe aufgezeigt worden sei. Die Diskussionen dazu waren überwiegend positiv.
Trotz der allgemeinen positiven Entwicklung der Landwirtschaft im Bezirk Dresden sind noch eine Reihe skeptischer und teilweise direkt ablehnender Argumente vorhanden, deren Vertreter offensichtlich zum größten Teil durch Abhören westlicher Rundfunk- und Fernsehstationen inspiriert werden.
In diesen »Argumenten« werden neben Zweifeln
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an der Richtigkeit der Politik von Partei und Regierung überhaupt
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an der Richtigkeit der Perspektive der sozialistischen Landwirtschaft und der Landwirtschaft der DDR im Besonderen,
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an der Richtigkeit der zu lösenden Aufgaben wie Schaffung von Kooperationsbeziehungen,2 Erhöhung des Grundmittelfonds,3 Spezialisierung, bessere Auslastung der Technik und Ankauf der Technik durch die landwirtschaftlichen Betriebe,
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an der Richtigkeit der Durchsetzung des Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung4 auf dem Gebiete der Landwirtschaft,
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an der Realität der Perspektive zur Überholung des Niveaus kapitalistischer landwirtschaftlicher Betriebe (USA), und anderes
geäußert.
Aus vorliegenden Materialien geht in diesem Zusammenhang hervor, dass der Einfluss der politisch-ideologischen Diversion5 mittels westlicher Rundfunk- und Fernsehstationen teilweise wesentlichen Anteil an der Verbreitung derartiger »Argumente« hat, zumal von Bürgern aus Landgemeinden mehrfach der Empfang der NATO-Sender6 offen zugegeben wird.
Teilweise ist festzustellen, dass skeptische und ablehnende Argumente aus Bereichen der LPG Typ I gegenüber den LPG Typ III überwiegen,7 mehrfach unter dem Aspekt, die bisherige niedrige Form des genossenschaftlichen Zusammenschlusses aus persönlichen Motiven beizubehalten.
Das gegenwärtig am meisten diskutierte Problem sind im Bezirk Dresden die Kooperationsbeziehungen. Obwohl die zentralen Beschlüsse dazu zurzeit vornehmlich noch auf Kreisebene bis zu den Vorsitzenden der LPG erläutert werden, sind unter Mitgliedern der Genossenschaften und Mitarbeitern von VEG bereits lebhafte Diskussionen im Gange. Sie werden jedoch häufig noch in ungenügender Kenntnis der Problematik geführt. Neben anderen Erwägungen werden vorwiegend finanzielle Nachteile befürchtet. Dagegen versprechen sich wirtschaftlich noch schwache LPG bei entsprechender Kooperation eine Verbesserung ihrer Verhältnisse, wobei sich der betreffende Personenkreis zustimmend zur Thematik äußert. (Zum Beispiel Gemeinden Ebersbach und Ebersdorf/Kreis Löbau)
Im Allgemeinen gibt es in der Diskussion über die Kooperationsbeziehungen folgende Tendenzen:
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Es sei an der Zeit, jeder LPG eine klare Perspektive zu geben; bisher würden sich in der Perspektive noch laufend Veränderungen ergeben.
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Die Durchführung der Kooperation bedeute für wirtschaftlich starke LPG eine finanzielle Belastung. Die Mittel dazu müssten von den Bauern »aus eigener Tasche« bezahlt werden. (Zum Beispiel Cunnersdorf, Kreis Dippoldiswalde, wo der Vorsitzende der LPG Typ I aus diesen Erwägungen bei der Vollversammlung am 2.3.1966 seine Funktion niederlegte.)
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Der aus der Kooperation entstehende Nutzen wird nicht klar erkannt, wobei die Ansicht besteht, dass keine Vorteile zu ersehen seien (zum Beispiel Gemeinde Radewitz, Kreis Riesa).
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Die Bildung von Kooperationsräten sei mit einer Vergrößerung des Verwaltungsapparates verbunden. Die dadurch entstehenden höheren Kosten würden die Mehrproduktionsprämien verschlingen (Kreis Löbau).
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Die Schaffung von Kooperationsbeziehungen wird als Kampagne bezeichnet, wobei Vergleiche mit der »Propaganda« für Offenställe und Maisanbau gezogen werden.8 (Zum Beispiel Kreise Niesky, Kamenz und Riesa; Diskussion in den Pausen der Kreisbauernkonferenz in Bischofswerda.)9
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Ablehnung der Kooperation bei Einsatz der Technik, da sonst höhere Kosten entstünden (Kreis Dippoldiswalde).
Andererseits werden aber auch bisher vorliegende Pläne zur Kooperation der Technik als unzureichend bezeichnet; außerdem würden jetzt erarbeitete Pläne zur Frühjahrsbestellung nicht mehr voll wirksam. - –
Eine Perspektive bestünde sowieso nicht; die LPG würden auf der jetzigen Grundlage noch 20 Jahre und länger auch ohne »Dienstleistungen« auskommen (vornehmlich in LPG Typ I, z. B. Kottmarsdorf,10 Kreis Löbau).
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Man spreche jetzt von Kooperation, um den »Zwang« zum Zusammenschluss zu »verschleiern«.
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Die ungünstigste Preisregulierung zwischen Läufer-Lieferbetrieben11 und Schweinemastbetrieben wirke sich hemmend auf die Kooperation aus.
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In einigen Fällen wollen LPG-Mitglieder Kooperationsbeziehungen selbständig »ohne Bevormundung« der Funktionäre des Kreislandwirtschaftsrates herstellen, wobei noch offen bleibt, in welcher Form das geschehen soll (zum Beispiel in den Gemeinden Bertsdorf und Niederoderwitz, Kreis Zittau).
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Vielleicht käme es doch noch einmal »anders«; deshalb brauche man sich nicht um die Kooperation bemühen (Diskussion nur in geringem Umfang).
Ferner werden verstärkt Diskussionen über den Grundmittelfonds sowie über die Regelung der Mehrproduktionsprämien geführt. Obwohl überwiegend Zustimmung besteht, einen bestimmten Anteil der Mehrproduktionsprämien dem Grundmittelfonds auszuführen, sind Argumente verbreitet, in denen die Forderung erhoben wird, in den vollen Genuss der durch eigene Leistungen geschaffenen Mittel zu gelangen (Kreise Sebnitz und Kamenz).
In anderen Fällen wird behauptet, ehemals schlechte LPG würden jetzt für ihre mangelhafte Arbeit durch Mehrproduktionsprämien noch belohnt; gute LPG erhielten wenig oder keine Prämien, da schon immer hohe Leistungen gebracht würden (Kreis Kamenz).
Andere Genossenschaftsbauerrn behaupten, hinsichtlich einer Mehrproduktion keine Erfolge erringen zu können, da es angeblich nicht mehr möglich sei, die Produktion zu steigern (Kreis Dippoldiswalde).
Weitere Diskussionen werden in den Richtungen geführt:
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Die Ablieferungsnormen für das staatliche Aufkommen seien zu hoch. Durch die neuen Preise für Futtermittel würden LPG und VEG finanziell benachteiligt. An der Schweineproduktion würde nur zugesetzt (Kreis Kamenz).
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Der Plan sei zu hoch.12 Bei höheren Plänen müssten mehr Dünger und andere Produktionsmittel angewiesen werden (Kreis Niesky).
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Eine hohe Akkumulation führe noch stärker zur Abwanderung der Jugend, weil sich die Bezahlung noch verringere (Kreis Pirna).
Vornehmlich in VEG wurden außerdem folgende »Argumente« hochgespielt:
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Die Mitglieder der VEG würden um die Prämien betrogen, sobald das Ist des Vorjahres als Ausgangspunkt für den neuen Plan genommen werde, weil eine Steigerung nicht mehr möglich sei.
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Wieso hat sich die erste Etappe des Neuen Ökonomischen Systems auch in den VEG ausgewirkt, und wie ist die weitere Perspektive bei der nächsten Etappe? Ergeben sich Veränderungen?
Skeptische und ablehnende Diskussionen zur Perspektive der sozialistischen Landwirtschaft werden zum Teil durch noch bestehende Schwierigkeiten genährt. So wird in solchen Gesprächen herangezogen, dass zurzeit Anlaufschwierigkeiten im ländlichen Bauwesen bestehen, wobei es sich besonders um Materialschwierigkeiten handelt. Terminverzüge ergeben sich bereits mit Anlaufen des Planes durch verspätetes Vorlegen der Produktionsunterlagen (zum Beispiel durch den Projektanten »Dresden-Projekt«).13 Durch den VEB Baureparatur Bautzen wurden fehlerhafte Produktionsunterlagen herausgegeben, sodass Überarbeitungen notwendig waren. (Schleusen ohne Abzug, zu kleine Dachkonstruktionen und Räume ohne Türen.)
Im Bezirk Dresden ist nach hier vorliegenden Materialien das Niveau der genossenschaftlichen Arbeit in den über 1 000 LPG Typ I sehr unterschiedlich. Circa 100 LPG Typ I (ca. 9 %) wenden die Prinzipien der sozialistischen Betriebswirtschaft an; der Aufbau der genossenschaftlichen Viehhaltung vollzieht sich planmäßig. Circa 700 LPG (64 %) arbeiten nach den wichtigsten Grundsätzen des Statuts;14 die sozialistische Betriebswirtschaft zeigt dabei aber erst Anfänge und erst in ca. 200 LPG ist mit der genossenschaftlichen Viehhaltung begonnen worden. Circa 200 LPG (18 %) verwirklichen einzelne Grundsätze der genossenschaftlichen Arbeit, wobei jedoch nur die ablieferungspflichtigen Kulturen genossenschaftlich bestellt werden. In ca. 80 LPG (7 %) erfolgt noch keine genossenschaftliche Arbeit; Zweifel an der Richtigkeit der Agrarpolitik der DDR sind verbreitet.
Mehrfach wurde festgestellt, dass besonders in den LPG Typ I der Boden durch ungenügende Düngung und Bearbeitung vernachlässigt und den Fragen der Steigerung der Bodenfruchtbarkeit keine oder zu wenig Bedeutung beigemessen wird. So sind nach Messungsergebnissen des Instituts für Bodenuntersuchungen in der Zeit von 1958 bis 1964 folgende ungünstige Veränderungen im Nährstoffhaushalt des Bodens eingetreten:
Von den Gemeinden des Bezirkes hat sich bei
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392 Gemeinden = 40 %, der Kalkzustand des Bodens,
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487 Gemeinden = 60 %, der Kaligehalt des Bodens und
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238 Gemeinden = 30%, der Phosphorgehalt des Bodens
verschlechtert.