Stimmungen in LPG in Karl-Marx-Stadt nach dem Bauernkongress
14. März 1966
Einzelinformation Nr. 201/66 über einige ideologische Probleme unter Genossenschaftsbauern des Bezirkes Karl-Marx-Stadt
Aus den Materialien, die dem MfS aus dem Bezirk Karl-Marx-Stadt vorliegen, ergibt sich, dass es unter den Genossenschaftsbauern dieses Bezirkes auch nach dem IX. Deutschen Bauernkongress1 zu grundsätzlichen Fragen der Entwicklung der sozialistischen Landwirtschaft noch eine Reihe weitverbreiteter ideologischer Unklarheiten und Vorbehalte gibt, die in ihrer Tendenz starken Einfluss der Feindsender erkennen lassen.2
Wie sich schon auf den Jahresabschlussversammlungen der LPG und auf den Kreisbauernkonferenzen des Bezirkes zeigte, bestehen diese ideologischen Unklarheiten und Vorbehalte vor allem zu Fragen der Entwicklung von Kooperationsbeziehungen und der Weiterentwicklung der genossenschaftlichen Arbeit überhaupt.
Gegenwärtig erfolgt die Auswertung des IX. Deutschen Bauernkongresses durch die Kreislandwirtschaftsräte im Bezirk Karl-Marx-Stadt noch in einem ungenügenden Maße. Verschiedentlich äußerten Landwirtschaftsfunktionäre, sie wollten für die Auswertung des IX. Bauernkongresses erst noch die konkrete Aufgabenstellung der Bezirksbauernkonferenz abwarten.3
Vereinzelt gibt es aber auch bei Mitarbeitern der Kreislandwirtschaftsräte solche Meinungen, dass die Aufgaben immer komplizierter würden und man sich rechtzeitig nach anderer Arbeit umsehen müsse. So erklärte z. B. der Mitarbeiter Perschmann4 vom Kreislandwirtschaftsrat Rochlitz, dass er lieber von selbst aus dem Landwirtschaftsrat ausscheiden würde wollen, bevor ihm die Entlassung ausgesprochen werde.
Da außerdem in zahlreichen Genossenschaften die Auswertung der IX. Deutschen Bauernkongresses mit dem Hinweis auf Zeitmangel nicht umfassend durchgeführt wird, können sich die vorhandenen Unklarheiten und Vorbehalte durchaus hemmend auf die Verwirklichung der Beschlüsse des IX. Deutschen Bauernkongresses im Bezirk Karl-Marx-Stadt auswirken.
Am verbreitetsten sind unter den Genossenschaftsbauern des Bezirkes Karl-Marx-Stadt die ideologischen Unklarheiten und Vorbehalte zu den Fragen der Kooperationsbeziehungen.5 In den vorliegenden Materialien wird eingeschätzt, dass diese Unklarheiten und Vorbehalte bei einem nicht zu unterschätzenden Teil Genossenschaftsbauern des Bezirkes, besonders in der LPG Typ I6 der Kreise Plauen, Hohenstein-Ernstthal, Karl-Marx-Stadt, Rochlitz und Werdau, direkt in ablehnende Haltung münden. Diese Genossenschaftsbauern, die größtenteils noch nicht restlos von der sozialistischen Entwicklung unserer Landwirtschaft überzeugt sind, bringen ihre Vorbehalte in solchen, zum Teil der Propaganda des Gegners entlehnten Argumenten zum Ausdruck, wie:
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Die Kooperationsbeziehungen seien ein »kalter Weg zum Übergang zur LPG Typ III«;
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durch die Kooperationsbeziehungen würden Verbindungen geschaffen, womit man sie in der Folgezeit zum Übergang in die LPG Typ III zwingen wolle;
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man spreche nur von Kooperation, um »den Zwang zum Zusammenschluss zu verschleiern«;
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da wir eine Perspektive in den LPG Typ I nicht haben, brauchen wir keine Kooperation;
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wir haben genug Technik und Arbeitskräfte, deshalb brauchen wir keine Kooperation;
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wozu Kooperation? Vielleicht kommt es doch einmal anders.
In allen diesen und ähnlichen Argumenten und Vorbehalten kommt direkt oder indirekt auch mit zum Ausdruck, dass die Genossenschaftsbauern der LPG Typ I unter allen Umständen ihre bisherige Form der genossenschaftlichen Arbeit beibehalten wollen und die Kooperationsbeziehungen mit anderen LPG deshalb ablehnen, weil sie darin eine Einschränkung ihrer individuellen Wirtschaft sehen. Mit solchen »Begründungen« wie, dass dafür »keine Finanzen« vorhanden seien, viel »Aufwand erforderlich« sei und ähnliches, wird dabei vor allem der genossenschaftlichen Viehaltung Ablehnung entgegengebracht.
Ausgehend von solchen Auffassungen ist es auch in einzelnen LPG Typ I bereits zur Auflösung genossenschaftlich betriebener Viehhaltung gekommen. So z. B. in den LPG Typ I »Heimatland« in Leubnitz und »Syratal« in Kauschwitz, beide im Kreis Plauen. Begründet haben die Vorstände die Beschlüsse zur Auflösung mit angeblicher Nichtrentabilität.
Im Kreis Rochlitz erklärten Genossenschaftsbauern unter Hinweis auf die Ausführungen Walter Ulbrichts7 auf dem IX. Deutschen Bauernkonkress, der Kreis sei bisher an den Abschluss von Kooperationsbeziehungen »zu scharf« herangegangen und habe »voreilig gehandelt«.
Weitere ideologische Unklarheiten und Vorbehalte zu Fragen der genossenschaftlichen Entwicklung finden in Erscheinungen der Missachtung der Beschlüsse des IX. Deutschen Bauernkongresses und zu einem Teil auch noch immer in Passivität gegen die genossenschaftliche Arbeit überhaupt ihren Ausdruck.
Berichtet wird über solche Erscheinungen in LPG Typ I aus den Kreisen Reichenbach, Marienberg und Hainichen.
In den LPG Typ I »Isolde« in Oberheinsdorf und LPG Typ I »Tempo« in Hauptmannsgrün, beide im Kreis Reichenbach,8 findet die Missachtung der Beschlüsse des IX. Deutschen Bauernkongresses und die Passivität z. B. darin ihren Ausdruck, dass die Genossenschaftsbauern in beiden LPG alles daran setzen, in kürzester Zeit die Frühjahrsbestellung auf individuelle Weise zu beenden, um einer Flächenzusammenlegung und somit der genossenschaftlichen Arbeit aus dem Wege zu gehen. Die gleiche Erscheinung ist in der Gemeinde Ottendorf im Kreis Hainichen festzustellen.
Auch im Kreis Marienberg arbeitet ein großer Teil der Genossenschaftsbauern der LPG des Typ I nach wie vor individuell. Zur Rechtfertigung ihres Verhaltens argumentieren sie, solange als Bauern des Typ I durchhalten zu wollen, bis man sie in die LPG Typ III bzw. zur genossenschaftlichen Arbeit überhaupt zwinge.
Während sich die Genossenschaftsbauern dabei auf die Erklärung Walter Ulbrichts berufen, dass alle Entscheidungen der Genossenschaften auf freiwilliger Basis zu treffen seien und niemand die Bauern dazu zwingen könne,9 gibt es andererseits Erscheinungen, wo Genossenschaftsbauern, die der LPG Typ III beitreten oder gefasste Beschlüsse zur Verwirklichung der genossenschaftlichen Arbeit, der Aufnahme von Kooperationsbeziehungen und anderes verwirklichen wollen, durch Drohungen und Beeinflussung davon abgehalten wurden. Beispiele dieser Art wurden aus den LPG Typ I »Neue Saat« in Hallbach10 und »Aufbau« in Neuhausen, beide im Kreis Marienberg, berichtet.
Im Kreis Hainichen zeigt sich die Missachtung der Beschlüsse des IX. Deutschen Bauernkongresses besonders bei zurückgebliebenen LPG Typ I in der mangelnden Bereitschaft, die Grundmittelfonds zu erhöhen.11 Die Mitglieder dieser LPG lehnen eine höhere Zuführung zum Grundmittelfonds ab und fordern vielfach eine restlose individuelle Aufteilung des erwirtschafteten Gewinns. Auch in diesen LPG wird die Ablehnung der Erhöhung der Fonds damit begründet, dass die Erhöhung des Grundmittelfonds den ersten Schritt zur Aufgabe der individuellen Viehwirtschaft darstelle und damit der Übergang zum Typ III vorbereitet werde. In den LPG Typ I in Sachsenburg12 und Goßberg im Kreis Hainichen beträgt die Fondszuführung z. B. pro Hektar nur 80,00 bzw. 150 MDN, während im Kreisdurchschnitt die Fondszuführung im Kreis Hainichen pro Hektar 350 MDN beträgt.