Streit unter Jugendlichen im Vergnügungspark Brandenburg
3. November 1966
Einzelinformation Nr. 835/66 über das provokatorische Verhalten einer Gruppe von Jugendlichen auf dem Vergnügungspark Brandenburg, [Bezirk] Potsdam am 29.10.1966
Dem MfS wurde bekannt, dass am 29.10.1966 in der Zeit von 20.30 bis 21.30 Uhr während des »Oktoberfestes« auf dem Vergnügungspark Brandenburg, [Bezirk] Potsdam eine Konzentration Jugendlicher – die zeitweise bis zu 80 Personen zählte – durch rowdyhaftes Verhalten, verbunden mit Landesfriedensbruch und Widerstand gegen die Staatsgewalt in Erscheinung trat.
Aufgrund der Feststellungen der VP-Kräfte am Vorkommnisort und der geführten Ermittlungen wurden durch die VP bisher folgende Jugendliche festgenommen.
[Name 1, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1948, tätig als Schmelzer im VEB Stahl- und Walzwerk Brandenburg, wohnhaft in Brandenburg, [Straße, Nr.], [Name 2, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1949, tätig als Betonierer in VEB Betonwerk Brandenburg, wohnhaft in Brandenburg, [Straße, Nr.], [Name 3, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1948, tätig als Warenbegleiter in der GHG Möbel Brandenburg,1 wohnhaft in Brandenburg, [Straße, Nr.], [Name 4], geborene [Name 5, Vorname 1], geboren am [Tag, Monat] 1935, tätig als Raumpflegerin beim Rat der Stadt Brandenburg, wohnhaft in Brandenburg, [Straße, Nr.].
Bei diesen Jugendlichen handelt es sich um solche, die sich während des Vorkommnisses am 29.10.1966 maßgeblich an den Provokationen beteiligten. Ermittlungen zur Feststellung weiterer beteiligter Jugendlicher werden gegenwärtig noch geführt, wobei diese dadurch erschwert werden, dass sich die Jugendlichen größtenteils untereinander nicht kannten.
Die in Zusammenarbeit mit der VP geführten Untersuchungen zum Vorkommnis ergaben bisher Folgendes:
Am 29.10.1966, gegen 20.30 Uhr, kam es in einem Bierzelt auf dem Vergnügungspark in der Friedensstraße2 zu einer Auseinandersetzung zwischen den Jugendlichen [Vorname Name 4], [Vorname Name 6] und [Vorname Name 7]. Dabei verwahrte sich die [Name 4] gegen angeblich beleidigende Äußerungen seitens des [Name 7], wobei sie von dem [Name 6] unterstützt wurde. Der genaue Sachverhalt des Streites ist keinem der Beteiligten mehr erinnerlich, da sie sich in stark angetrunkenen Zustand befanden.
Nachdem [Name 7] und [Name 6] sich gegenseitig mit Tätlichkeiten bedroht hatten, benachrichtigte der Gastwirt [Name 8], eine Schlägerei befürchtend, die in der Nähe aufhältlichen Streifenposten der Volkspolizei.
Bei Eintreffen der zwei VP-Angehörigen am Bierzelt befanden sich [Name 7] und [Name 6] vor dem Bierzelt und wurden von zehn bis 15 schaulustigen Jugendlichen umringt. Sie hatten sich jedoch trotz der Zurufe der sie umringenden Jugendlichen – die sie zu einer Schlägerei ermunterten – aufgrund ihrer bisherigen freundschaftlichen Beziehungen geeinigt, von Tätlichkeiten abzusehen. Dabei hatte sich [Name 7] bei der ebenfalls vor dem Bierzelt aufhältlichen [Name 4] wegen seiner Beleidigungen entschuldigt.
Die VP-Angehörigen begaben sich in den Ring Jugendlicher – wobei zu dieser Zeit dort völlige Ruhe herrschte – zwecks Feststellung der Personalien der ebenfalls im Ring befindlichen [Name 7] und [Name 6]. [Name 7], der zuerst angesprochen wurde, forderte von den VP-Angehörigen eine Erklärung für diese Maßnahme und verweigerte eine Feststellung seiner Personalien.
Von einem Teil der umstehenden Jugendlichen wurde [Name 7] dabei unterstützt, wobei diese laut durcheinanderrufend zum Ausdruck brachten, dass die Handlungsweise der VP-Angehörigen nicht gerechtfertigt sei. Da [Name 7] sich weiter einer Ausweiskontrolle widersetzte, wurde er von den VP-Angehörigen aufgefordert, zwecks Identifizierung zum VP-Revier mitzukommen. Daraufhin beschimpfte die [Name 4] lautstark die VP-Angehörigen mit provozierenden und unflätigen Ausdrücken, wobei sie diese aufforderte, den [Name 7] »in Ruhe zu lassen«. Die [Name 4] wurde dabei von einem Teil der sich aufgrund des Lärmes angesammelten 30 bis 40 Personen, vorwiegend Jugendliche, ebenfalls lautstark durch Pfeifen und Johlen unterstützt. Circa acht Jugendliche – darunter die Beschuldigten [Name 1], [Name 2] und [Name 3], nach den bisherigen Untersuchungen war ihnen [Name 7] bis zu diesem Vorkommnis nicht bekannt, – drängten sich dabei zwischen die zwei VP-Angehörigen und [Name 7], sodass [Name 7] in dem entstandenen Gedränge von den VP-Angehörigen zunächst nicht mehr gesehen werden konnte.
Während sich danach ein Teil der schaulustigen Personen auf dem Vergnügungspark verteilte, johlten und pfiffen einige Jugendliche weiter und beschimpften die zwei VP-Angehörigen u. a. mit Ausdrücken wie »Lumpen, Strolche« usw., woran auch maßgeblich die [Name 4] beteiligt war, die gleichzeitig tätlich gegen die VP-Angehörigen vorging.
Die VP-Angehörigen, die sich mit der inzwischen von ihnen festgenommenen [Name 4] in Richtung Friedensstraße zu bewegen beabsichtigten, wobei sie von einer Gruppe von ca. 20 lärmenden Jugendlichen begleitet wurden, erkannten den [Name 7] auf dem Gelände des Vergnügungsparkes – ca. fünf Minuten, nachdem sie ihn aus den Augen verloren hatten – wieder und versuchten ihn zu stellen. Dabei wurde [Name 7] die Führungskette angelegt, jedoch wieder abgenommen, nachdem er äußerte, freiwillig zur Kontrolle mitgehen zu wollen.
Während dieser Handlungen bildete sich wiederum eine Ansammlung von ca. 80 Personen, vorwiegend Jugendlicher, von denen ein Teil lärmte und die VP-Angehörigen beleidigte, wobei die Festgenommenen erneut maßgeblich beteiligt waren. Besonders provokatorisch verhielt sich dabei die [Name 4], die unter Lärmen und Schreien auf die VP-Angehörigen einschlug und immer mehr Personen auf die polizeilichen Handlungen aufmerksam machte. Von anderen, bisher namentlich nicht bekannten Jugendlichen, wurde einem VP-Angehörigen die Mütze vom Kopf geschlagen und gefordert, die VP-Kräfte zu entwaffnen. Gleichzeitig trat der Ehemann der [Name 4] erstmalig in Erscheinung und forderte lautstark die Freilassung seiner Ehefrau.
In diesem Gedränge, in dem gleichfalls einige namentlich bisher nicht bekannte Jugendliche tätlich gegen die zwei VP-Angehörigen vorgingen, wurde [Name 7] wiederum, offensichtlich entgegen seinem Willen, abgedrängt, und der [Name 4] gelang es zu entkommen.
[Name 7] – nunmehr hinter dem Ring der Jugendlichen stehend – rief daraufhin den VP-Kräften seine Personalien zu und forderte die Versammelten auf, sich ruhig zu verhalten und den Weisungen der VP Folge zu leisten, fand jedoch mit dieser Forderung im wesentlichen kein Gehör. Lediglich durch Äußerungen eines kleinen Teils der Versammelten wurde die Forderung [Name 7] unterstützt.
Die während dieser Zeit zur Verstärkung angekommene Besatzung des Funkstreifenwagens nahm daraufhin die während dieser Zeit am lautesten auftretenden [Name 1, Vorname] und den Ehemann der bereits genannten [Name 4], [Name 4, Vorname 2], geboren am [Tag, Monat] 1940, wohnhaft in Brandenburg, [Straße, Nr.], Arbeiter, Rückkehrer, Vorstrafen 1959 wegen Körperverletzung drei Monate, 1961 wegen Beihilfe zum Diebstahl drei Monate bedingt, 1963 wegen unberechtigter Benutzung von Kfz 500 MDN Geldstrafe, 1964/65 Verfahren wegen Körperverletzung (eingestellt) fest und brachten sie im Funkstreifenwagen unter.
Ein Teil der Jugendlichen bewegte sich daraufhin unter provozierenden Ausrufen (u. a. »Hunde«, »Gesindel« usw.) ebenfalls auf den Funkstreifenwagen zu. Um die Abfahrt des Fahrzeuges zu verhindern, legte sich der später festgenommene [Name 3] über die Motorhaube des Wagens, während sich ca. fünf Jugendliche vor den Wagen stellten und ca. acht weitere Jugendliche versuchten, das Fahrzeug hinten anzuheben, um einen Leerlauf der Räder zu erreichen. Weitere ca. 80 Jugendliche umstanden im Ring den Funkstreifenwagen.
Der Funkstreifenwagen konnte seine Fahrt erst nach Anwendung polizeilicher Gewalt antreten.
Circa fünf Minuten nach Abfahrt des Funkstreifenwagens löste das auf dem Vergnügungspark eintreffende Überfallkommando der VP gemeinsam mit den am Einsatzort verbliebenen VP-Kräften die Ansammlung der Jugendlichen auf, wobei zum Teil polizeiliche Gewalt angewandt werden musste. Während dieser Handlung blockierten die Jugendlichen für die Dauer von ca. fünf Minuten den Verkehr auf den Friedensstraße.
Im Anschluss an die Auflösung der Konzentrationen, gegen 21.30 Uhr, wurde für den 29.10.1966 die Schließung des Vergnügungsparks verfügt.
Etwa 30 Minuten nach dem Vorkommnis auf dem Vergnügungspark in Brandenburg wurde die [Name 4, Vorname 1] im VPKA Brandenburg mit dem Personalausweis ihres Ehemannes [Name 4, Vorname 2] vorstellig, mit dem Ziel, ihren Ehemann von dort abzuholen. Die [Name 4, Vorname 1] wurde dabei als die maßgebliche Provokateurin wiedererkannt und festgenommen, während [Name 4, Vorname 2] freigelassen wurde, da sich inzwischen herausgestellt hatte, dass er außer der Forderung, seine Ehefrau nicht festzunehmen, in keiner Weise provokatorisch in Erscheinung getreten war. Die Festnahme der Beschuldigten [Name 1] und [Name 2], deren Personalien durch die VP während des Vorkommnisses am 29.10.1966 festgestellt worden waren, erfolgte am 30.10.1966.
Der Jugendliche [Name 7], geboren am [Tag, Monat] 1941, wohnhaft in Brandenburg, [Straße, Nr.], viermal vorbestraft wegen einfachen Diebstahls, unberechtigter Benutzung von Kfz und gewaltsamer Unzucht3 wurde als Zeuge vernommen. Von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wurde Abstand genommen, da er sich lediglich zu Beginn des Vorkommnisses den Handlungen der VP widersetzt hatte, in der Folgezeit aber die VP-Kräfte zu unterstützen versuchte.
Zum Motiv der Handlungen gaben die bisher festgenommenen vier Jugendlichen übereinstimmend an, keine gezielten Provokationen gegen die VP beabsichtigt zu haben. Lediglich aus »Freude am Randalieren« und um »aufzufallen« hätten sie sich gegen die Maßnahmen der VP gewandt, wobei sie sich aufgrund des Alkoholgenusses in der Ansammlung »stark gefühlt« hätten; allein den VP-Kräften gegenüberstehend hätten sie zu diesen Handlungen nicht den »Mut« aufgebracht.
Bei den Festgenommenen handelt es sich um Jugendliche, die aus unregelmäßigen Familienverhältnissen kommen und zum Teil keinen Kontakt mehr zu den Eltern unterhalten. [Name 1] wurde in einem Spezialkinderheim und später in einem Jugendwerkhof4 erzogen, wo er wegen Erziehungsschwierigkeiten häufig anfiel. Seine Mutter hat die Verbindung zu [Name 1] abgebrochen; [Name 1] bevorzugt den Umgang mit zum Teil verwahrlosten Jugendlichen. [Name 2], der das Ziel der 6. Klasse erreicht hat, ist als undiszipliniert und überheblich bekannt, tritt von der äußeren Erscheinung her als Gammler-Anhänger auf. [Name 3] verließ wegen dauernder Zerwürfnisse in seiner Familie das Elternhaus und ist überwiegend mit schlecht beleumdeten Jugendlichen bekannt. [Name 4, Vorname 1] hat das Ziel der 6. Klasse erreicht. Die ehelichen Verhältnisse der [Name 4] sind stark zerrüttet. Der [Name 4, Vorname 2], ist als starker Trinker bekannt.
Die Festgenommenen sind in keiner Weise gesellschaftlich tätig. Die Beschuldigten [Name 2] und [Name 4, Vorname 1] sind im FDGB organisiert. Keiner der Festgenommenen ist vorbestraft.
Die weiteren Untersuchungen werden verantwortlich durch die VP geführt in Zusammenarbeit mit dem MfS, wobei vom MfS die notwendige Unterstützung insbesondere zur Ermittlung weiterer an diesem Vorkommnis beteiligter Person und zur Aufklärung der Motive sowie eventuell gezielter staatsfeindlicher Handlungen gewährt wird.