Direkt zum Seiteninhalt springen

Suizid des Vizepräsidenten des Erfindungs- und Patentamts

6. Januar 1966
Einzelinformation Nr. 15/66 über den Selbstmord des Vizepräsidenten des Amtes für Erfindungs- und Patentwesen Gerhard Rudolph am 5.1.1966

Am 5.1.1966, gegen 17.30 Uhr, wurde der Vizepräsident des Amtes für Erfindungs- und Patentwesen Rudolph, Gerhard,1 geboren 9.2.1920 in Jena, wohnhaft Berlin-Johannisthal-Süd, [Straße, Nr.] von seiner Ehefrau Rudolph, [Vorname], geborene [Name], geboren [Tag, Monat] 1936 in Bad Frankenhausen, wohnhaft wie oben, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Verlag »Die Wirtschaft«, im eigenen »Trabant-Combi« in der Garage (Berlin-Johannisthal, [Straße]) tot aufgefunden.

Der Tote lag bekleidet im Pkw, der mit einer Faltgarage zugedeckt in der obengenannten Garage eingestellt war. Die Garagentür war von innen verschlossen.

Neben dem Toten wurden aufgefunden:

  • eine zerbrochene kleine Glasflasche mit kristalliner Substanz (Zyanid)

  • eine Tasse mit Bodensatz

  • Trinkbecher mit Flüssigkeit

  • ein nach Äther riechender Schwamm

  • ein leerer Gummieimer.

Nach ärztlichen Feststellungen ist der Tod durch Einnahme von Zyanid (hochgradiges Gift) eingetreten. (Untersuchungen, wie R. in den Besitz dieses Giftes gelangte, werden noch geführt.)

Gemeinsam mit der VP eingeleitete Untersuchungen zur Aufklärung der Motive des Selbstmordes führten zu folgendem, bisherigen Ergebnis:

Im Fahrzeug befand sich ein Abschiedsbrief, aus dem sinngemäß hervorgeht, dass die Vorgänge in der letzten Zeit im Amt keinen anderen Ausweg zugelassen haben. Wörtlich heißt es u. a.: »Die Beratung gestern (d. h. 4.1.[1966]) hat mir gezeigt, auf wie lange Sicht alles vorbereitet war und welche Rolle auch die Skodowski-Gruppe2 zu spielen hatte.« (Weitere Hinweise über mögliche Motive des Selbstmordes sind in diesem Brief nicht enthalten; R. bedankte sich lediglich noch bei allen, die ihn in seiner Arbeit und in seinem Leben unterstützt haben, ohne jedoch Namen zu nennen.)

In der Befragung schilderte die Ehefrau, dass R. am 4.1.[1966] abends völlig zerstört nach Hause gekommen sei und als Grund seines Zustandes eine Parteileitungssitzung im Amt wegen seiner Beurteilung angeführt habe, ohne jedoch Einzelheiten zu nennen.

Am 5.1.[1966], gegen 13.00 Uhr, hatte R. noch die Ehefrau angerufen und sich nach ihrem Befinden erkundigt. Aus diesem Gespräch will sie jedoch keine Veränderungen wahrgenommen haben. Als sie gegen 17.30 Uhr nach Hause kam und im Briefkasten neben anderer Post auch die Fahrzeugpapiere fand, begab sie sich zur Garage, wo sie dann ihren Ehemann tot im Wagen auffand.

In Bezug auf die von Rudolph in seinem Abschiedsbrief angeführte Beratung sind folgende Vorgänge beachtenswert:

Im Amt für Erfindungs- und Patentwesen sollten bis zum 15.12.1965 Beurteilungen zwecks Bestätigung als Nomenklaturkader angefertigt werden. Diese Beurteilungen wurden in der Parteileitung des Amtes in Anwesenheit des jeweiligen Vizepräsidenten beraten und auch beschlossen.

Die Beurteilung von Rudolph wurde am 20.12.1965 nach Vorlage der Einschätzung durch den Präsidenten Dr. Hemmerling3 und die Mitglieder der Parteileitung Skodowski4 und Zogbaum5 – Mitarbeiter in der Abteilung des Rudolph – in der Parteileitung beraten. Obwohl in dieser Beurteilung dem R. eine gute fachliche Arbeit bestätigt wurde und auch der Hinweis enthalten war, dass er als Vizepräsident des Amtes geeignet sei, waren zugleich aber auch kritische Bemerkungen zur Leitungstätigkeit enthalten. Die kritischen Hinweise bezogen sich vor allem auf folgende Schwächen:

  • ungenügende Umsetzung der Parteibeschlüsse auf seinem Verantwortungsbereich,

  • fehlerhafte Einstellung zur Parteileitung als kollektivem Organ,

  • ungenügend straffe Anleitung unterstellter Mitarbeiter,

  • teilweises Verzetteln in der eigenen Arbeit.

In dieser Sitzung am 20.12.1965 hatte sich R. in unsachlicher Art und Weise gegen seine Beurteilung ausgesprochen und der Parteileitung sein Vertrauen entzogen. Er verlangte u. a., dass er sich erst persönlich mit der Beurteilung auseinandersetzen und zu einer erneuten Beratung ein Mitarbeiter des ZK hinzugezogen werden müsse.

Am 4.1.1966 wurde im Beisein eines Mitarbeiters des ZK die Beratung über die Beurteilung des R. in der Parteileitung fortgesetzt. Wie über den Verlauf der Beratung festgestellt wurde, ist die Diskussion über die entsprechenden Fragen prinzipiell und sachlich geführt worden. R. brachte seine Einwände gegen die in der Beurteilung genannten Schwächen vor und verlangte entsprechende Beweise und Begründung dafür, was im Wesentlichen erfolgte. Aus seinen Erwiderungen war jedoch zu entnehmen, dass er nur schwer von den vorgebrachten Argumenten zu überzeugen war. Er akzeptierte dann jedoch die Beurteilung in der vorliegenden Form und bedankte sich abschließend bei den Parteileitungsmitgliedern für die kritischen Bemerkungen.

Feststellungen hinsichtlich einer besonderen Erregung des Rudolph, wie sie von der Ehefrau am Abend des 4.1.1966 festgestellt worden sein sollen, wurden während dieser Beratung nicht getroffen. R. verhielt sich während der gesamten Beratung sachlich und den Umständen entsprechend ruhig.

In diesem Zusammenhang ist jedoch beachtenswert, dass am Anfang der Beratung an R. eine Frage nach seinem Ingenieurstudium gestellt worden war, ohne dieses Problem im weiteren Verlauf nochmals aufzunehmen und weiter zu verfolgen. Nach bisherigen Feststellungen besteht der Verdacht, dass die von R. bisher gemachten Angaben über ein abgeschlossenes Ingenieurstudium nicht zutreffend sind, sondern von ihm lediglich ein Ausbildungsstand als Techniker erreicht wurde.6

R. war auch für den Ankauf einer »Tonfrequenz-Steueranlage« aus Frankreich im Jahre 1960 mitverantwortlich, die der DDR einen Schaden von acht Mio. MDN brachte. Er erlag seinerzeit Korruptionsversuchen französischer Firmenvertreter. Aufgrund der besonderen Umstände war auf die Einleitung eines Strafverfahrens verzichtet worden.7

Weiterhin wird darauf hingewiesen, diese Bemerkungen beziehen sich auf Angaben des Präsidenten Dr. Hemmerling, Rudolph hat in der letzten Zeit wiederholt geäußert, er hätte den Eindruck gewonnen, dass die Mitarbeiter Skodowski, Zogbaum und Boecker8 gegen seine Person intrigieren würden. Obwohl zwar seit längerer Zeit gewisse Spannungen zwischen Rudolph und Skodowski bestanden hätten, sei nach Meinung Dr. Hemmerlings die Annahme jedoch unbegründet gewesen. Zu früheren Zeiten waren von Rudolph derartige Auffassungen auch über andere Mitarbeiter vertreten worden.

Rudolph leitete etwa zwei Jahre (1959 bis 1961) als kommissarischer Präsident das Amt für Erfindungs- und Patentrecht. Bereits in dieser Zeit, aber besonders in der danach ausgeübten Funktion des Vizepräsidenten, wurde er wegen wesentlicher Mängel in der Leitungstätigkeit wiederholt kritisiert. Diese Kritiken richteten sich vor allem gegen das mangelnde Vertrauen gegenüber unterstellten Mitarbeitern und gegen die ungenügende Konzentration auf die eigentlichen Hauptaufgaben.

Diese Probleme haben offensichtlich bei R. einen solchen Eindruck hervorgerufen, dass möglicherwiese die Absicht einer eventuellen Ablösung von der jetzigen Funktion besteht.

Begünstigend auf derartige »Überlegungen«, die möglicherweise zu einer Kurzschlussreaktion führten, haben sich mit Sicherheit seine Charaktereigenschaften ausgewirkt. R. war sehr sensibel, empfindlich und kleinlich.

  1. Zum nächsten Dokument Bevorstehende Bischofswahl in Berlin-Brandenburg

    8. Januar 1966
    Einzelinformation Nr. 21/66 über die Synode der Landeskirche Berlin-Brandenburg vom 15. bis 17.2.1966 und die Neuwahl des Bischofs

  2. Zum vorherigen Dokument Kontaktaufnahme von NVA-Soldaten zu Westberliner Polizisten

    6. Januar 1966
    Einzelinformation Nr. 13/66 über Kontaktaufnahmen von NVA-Angehörigen der 1. Kompanie, GR 35, 1. Grenzbrigade zu Angehörigen der Westberliner Polizei