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Synode der Evangelischen Kirchenprovinz Sachsen

3. Mai 1966
Einzelinformation Nr. 347/66 über die Synode der Kirchenprovinz Sachsen vom 25. bis 30.3.1966 in Halle

In der Zeit vom 25. bis 30.3.1966 tagte in Halle die Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen.

Während der Synode wurde durch Bischof Jänicke1 der Bericht der Kirchenleitung verlesen, der zum größten Teil kirchliche Probleme enthielt.

Bischof Jänicke sprach im Bericht der Kirchenleitung den Dank aus für Gespräche, die mit Vertretern der Bezirksleitung Halle, besonders mit Horst Sindermann2 stattgefunden hätten. Diese Gespräche seien in »Freimütigkeit« erfolgt und hätten auch das Feind-Hass-Problem berührt, das in jeder Armee einen Erziehungsfaktor darstelle.3

Zum »Friedensdienst der Kirche« führte Bischof Jänicke aus, die Kirche sei »allen Gliedern«, nicht nur den wehrpflichtigen, Unterstützung schuldig.4 Es müsse dabei auch gesehen werden, dass die Kirche mit einer »schweren Hypothek« belastet sei. In seinen weiteren Ausführungen beurteilte Bischof Jänicke die »Vertriebenen-Denkschrift« als positiv.5 In diesem Zusammenhang führte Jänicke weiter aus, es gebe keinen denkbaren Grund, der einen Krieg rechtfertige, ein Krieg müsse auf jeden Fall verhindert werden. Das gelte auch für Vietnam. Das »Vietnam-Wort«6 vom Februar aus Genf müsse in vollem Wortlaut allen Gemeinden zugänglich gemacht werden. Alle Gemeinden seien von der Mitverantwortung in Vietnam zu überzeugen. »Vietnam« solle auch in den Fürbittengottesdienst aufgenommen werden.

Weiter betonte Jänicke, es solle keineswegs verkannt werden, was an Friedensbemühungen und Gesprächsmöglichkeiten und -angeboten auch gerade vom »Osten« »angeboten« würde. So seien auch die Bemühungen der SU in dem Konflikt Indien – Pakistan7 als konstruktiv zu sehen, da ein friedlicher Weg gefunden worden sei; dafür solle man dankbar sein.

Jänicke sprach sich für eine »entmilitarisierte freie Zone« in Mitteleuropa aus. Eine solche Entwicklung halte er nicht nur für »politisch vernünftig«, sondern sehe sie als »angemessenen Ausdruck für eine Abkehr von den Irrwegen der Vergangenheit« in beiden Teilen Deutschlands. Dies bedeute auch nicht nur »politische Vernunft«, sondern sei Ausdruck einer echten »Bewältigung der Vergangenheit«. Es bereite jedoch Sorge, dass der »Westen« auf alle konstruktiven Vorschläge einer Friedenspolitik entweder negativ reagiere oder sie unbeantwortet ließe.

Bischof Jänicke betonte, ein »Hinderungsgrund« liege aber in diesem Zusammenhang in der DDR-Propaganda zum Hass. Dabei verwies er auf die Zeitung »Volksarmee« vom November 1965.8 Er erklärte: »wo Hass gesät werde, sei aber kein Platz für Liebe, könne kein Frieden werden.«9

In der an den Bericht von Bischof Jänicke anschließenden Diskussion sprach u. a. Pfarrer Hinz/10Merseburg zu Handreichung »Seelsorge an Wehrpflichtigen«. Er forderte auf, in den Gemeinden intensiv darüber zu diskutieren. (Ein Beschluss dazu wurde während der Synode nicht gefasst.)

Präses Kreyssig11 forderte die Synode auf, eine Vorlage zu erarbeiten, um die Todesstrafe für den ehemaligen KZ-Arzt Fischer12 in »lebenslänglich« umwandeln zu lassen. Obwohl Konsistorialrat Ammer13 die Diskussion zu unterbinden versuchte, kam es zur Überweisung dieses Antrages an den Berichtsausschuss. Die dort erarbeitete Beschlussvorlage wurde bei sechs Stimmenthaltungen von allen Teilnehmern der Synode angenommen.

Im Folgenden der Wortlaut dieser Beschlussvorlage:14

Die vom 25. bis 30. März 1966 versammelte Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen ist in den Tagen eröffnet worden, in welchen das Oberste Gericht der DDR den früheren SS-Arzt Fischer wegen Völkermordes zum Tode verurteilt hat. Indem der Staat sein Amt wahrnimmt, nach dem Gesetz zu strafen, dient er dem Recht und dem Leben. Nach dem Unmaß der einmal im deutschen Namen begangenen Verbrechen empfinden wir es als gerecht, wenn auch nach mehr als zwanzig Jahren Schuldige nach dem Gesetz bestraft werden. Indem so Recht geschieht, sind wir anderen aber nicht gerechtfertigt. Jeder von ordentlichen Gerichten, ausländischen oder deutschen, gegen nationalsozialistische Gewalttäter ergehende Schuldspruch trifft vielmehr alle Deutschen, die 1933 bis 45 das ihnen Mögliche nicht gesagt, versucht oder getan haben, dem Unrecht entgegenzutreten.

Aber auch damals Unmündige und Nachgeborene sehen wir mitbetroffen von Scham und mitbehaftet bei der Verantwortung für unser Volk. Wir alle leben nur, weil das Verhängnis über den Gemordeten und die Verlorenheit der Mörder nicht Gottes letztes Wort über uns Menschen sind. Erst seine Vergebung eröffnet dem Leben wieder Sinn und Hoffnung.

Keine Schuld ist davon ausgenommen. In Christi Sühnetod ist das Wirklichkeit für alle. Das gilt auch dem Menschen, der mit schwerster Strafe büßen soll, was er für seine Person zu verantworten hat. Wir bitten Gott, dass er in Beugung unter seiner Schuld die Vergebung ergreife, solange es Zeit ist. Uns allen aber gilt, keiner halte sich selbst für schuldlos. Jeder getröste sich der Vergebung, wohl dem, der in Gewissen dazu getrieben wird, sich wegen begangener Verbrechen auch dem Gericht zu stellen.

Brecht den Bann des Schweigens zwischen Älteren, die damals versagt haben, und Jüngeren, die heimlich nach der Schuld ihrer Eltern fragen, damit Gott das Herz der Väter bekehre zu den Söhnen und das Herz der Söhne zu den Vätern solange es Zeit ist.

(Zitat aus dem Propheten Maleachi 3, Vers 24)

Diese Beschlussvorlage soll allen Gemeindekirchenräten mit der Bitte zugeleitet werden, diese im Gemeindekirchenrat, im Gemeindebeirat und in geeigneten Arbeitskreisen zur Grundlage von Besprechungen zu nehmen. Es wurde nochmals betont, die Vorlage sei keine Kritik am Urteil. Es wurde nach dem Unmaß für gerecht empfunden, wenn auch nach mehr als zwanzig Jahren Schuldige nach dem Gesetz bestraft werden. Bischof Jänicke hatte gegen Präses Kreyssigs Antrag starke Bedenken, bemerkte aber, dem Wortlaut könne er zustimmen.

Diese Information darf aus Gründen der Sicherheit der Quelle nicht publizistisch ausgewertet werden.

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