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Synoden der Landeskirchen Greifswald, Dresden und Anhalt

13. Dezember 1966
Einzelinformation Nr. 961/66 über die Synoden des Konsistorialbezirkes Greifswald (Pommersche Landeskirche) und der Landeskirchen Dresden und Anhalt

Dem MfS liegt Material über die Synoden von drei Evangelischen Landeskirchen der DDR vor, die in der Zeit vom 4. bis 8.11.1966 (Konsistorialbezirk Greifswald), am 7.11.1966 (Landessynode Dresden) und vom 11. bis 12.11.1966 (Landeskirche Anhalt)

stattfanden.

Im Folgenden wird eine Einschätzung der wesentlichsten in den Berichten der Synoden und in der darauffolgenden jeweiligen Diskussion angesprochenen Probleme gegeben, wobei [der] Schwerpunkt auf die dort behandelten negativen Punkte gelegt wird:

Die einzelnen Berichte der Synoden waren weitgehendst abgestimmt auf die territorialen Verhältnisse und auf Fragen des zuständigen Aufgabenbereiches, wobei innerkirchliche Probleme den größten Teil der Ausführungen einnahmen.

Besonders die innen- und außenpolitischen Teile der Berichte waren im Wesentlichen geprägt durch die persönlichen politischen Anschauungen der Bischöfe Krummacher/Greifswald,1 Noth/Dresden2 und des Oberkirchenrates Gerhard/Anhalt.3

Es ist einzuschätzen, dass besonders in den Vorträgen des Bischofs Krummacher, aber auch des Bischofs Noth, Passagen enthalten waren, die sich inhaltlich gegen die Politik unserer Regierung und bestimmte staatliche Maßnahmen im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Kirche richteten, wobei die Angriffe der Bischöfe mehrfach auch in versteckter Form erfolgten.

Im Wesentlichen wurde in den Berichten eine unklare Haltung zum Vietnam-Problem eingenommen.4 Während Bischof Krummacher offensichtlich aus Protest zu dieser Frage nicht Stellung nahm, versteckten sich Bischof Noth und OKR Gerhard hinter den vom Zentralausschuss des Ökumenischen Rates und von anderen kirchlichen Gremien abgegebenen Erklärungen.5

Übereinstimmend erfolgte eine gewisse Rechtfertigung der von der evangelischen Kirche in der DDR herausgegebenen »Handreichung für die Seelsorge an Wehrpflichtigen«,6 wobei Bischof Krummacher allerdings einschränkend seine Behauptung, dieses Dokument sei nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, erneut wiederholte.

Inhaltlich in den Hauptpunkten übereinstimmend, wurden auf den drei Landessynoden ferner Probleme in folgender Auslegung angesprochen:

  • Es erfolge eine Beeinträchtigung und Behinderung des kirchlichen Lebens durch staatliche Ablehnungen, die das kirchliche Bauwesen betreffen.7 Kirchliche Bauvorhaben seien aus Gründen, die die Kirche nicht als sachlich anerkennen könne, seit Jahren nicht verwirklicht worden.

  • (Besonders im Bericht von Bischof Krummacher hochgespielt.)

  • Der »ideologische Druck« auf christliche Kinder, Jugendliche und deren Eltern sei zunehmend spürbarer geworden.

  • Hinzu komme die »Last der Propaganda des Hasses und des Freund-Feind-Denkens«.

  • Einheitliche Forderung nach Aktivierung des kirchlichen Lebens und Ausdehnung des Einflusses auf alle territorialen- und Interessenbereiche.

  • Anwendung neuer Mittel und Methoden zur Verwirklichung dieses Zieles.

  • Es solle besonders eine Belebung der kirchlichen Arbeit unter Kindern und Jugendlichen, ferner eine Verstärkung der Laienarbeit, eine Forcierung der Arbeit in ökonomischen Aufbauschwerpunkten der DDR in Form von »Team-Arbeit«, »Hauskreisen«, »Kern-Kreisen«, »Interessen-Gruppen« nach Berufen und Lebensalter, sowie eine Förderung des Religionsunterrichts und der Konfirmation erfolgen.

  • Im Vortrag von Bischof Noth erfolgte ferner eine Unterstützung der religiös verbrämten politischen Veranstaltungen »Gottesdienst einmal anders« und eine Ablehnung der in diesem Zusammenhang verfügten staatlichen Weisungen.8

Im Einzelnen beinhalten die Synoden folgende wesentliche Probleme:

Die Tagung der Synode des Konsistorialbezirkes Greifswald sah folgende Tagesordnung vor:

  • Bericht der Kirchenleitung (Bischof D. Dr. Krummacher),

  • 20 Jahre Landessynode (Präses D. Dr. Rautenberg),9

  • Kirchengesetz über die Ausbildung der Pfarrer und Pastorinnen der EKU vom 2.12.1965 und Ausführungsbestimmungen,10

  • Ordnung des Männerwerkes,

  • Landeskirchlicher Haushaltsplan,

  • Entlastung der Jahresrechnung 1965.

Bezeichnend im Zusammenhang mit der Stellung zur Vietnamfrage durch die Synode ist folgendes Vorkommnis:

Am 4.11.1966 – vor Eröffnung der Synode – wurde dem Präses der Synode Rautenberg durch den Studienrat Affeld11 von der Oberschule Greifswald (gleichzeitig Vorsitzender des christlichen Arbeitskreises der nationalen Front) ein ausgearbeitetes Dokument des christlichen Arbeitskreises zur Vietnamfrage übergeben mit dem Hinweis, auf der Basis dieses Dokuments auf der Synode zur Vietnamfrage Stellung zu nehmen.12 Rautenberg sagte die Behandlung dieses Problems im Bericht der Kirchenleitung oder unter anderen Punkten der Synode zu. Während der Synode wurde jedoch in keinem Tagesordnungspunkt auf das Vietnamproblem und das von Affeld übergebene Dokument eingegangen.

In einer Tagungspause am 8.11.[1966] kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Bischof Krummacher und Vizepräsident Woelke13 einerseits und Superintendent Liesenhoff/Züssow14 und Präses Rautenberg andererseits. Krummacher verbat sich hierbei jegliche Erwähnung des Dokumentes zum Vietnamproblem durch Rautenberg. (Im Kreis der internsten Mitarbeiter von Krummacher wurde die Meinung geäußert, diese Haltung Krummachers zur Vietnamfrage sei eine Auswirkung seiner im Oktober 1966 durchgeführten Rentnerreise nach Westdeutschland;15 mit einer Verurteilung des Krieges in Vietnam wolle er nicht in Widerspruch zur Politik des Bonner Staates geraten.) Auch auf den individuellen Hinweis des zur Synode anwesenden Oberreferenten für Kirchenfragen beim Rat des Bezirkes Rostock, man hätte zum Vietnam-Problem Stellung nehmen sollen, reagierte Krummacher heftig und schrie, er ließe sich keine »Auflagen« und »Zensuren« erteilen.

Bei einer Auswertung der Synode am 11.11.[1966] wurde durch Oberkonsistorialrat Kusch/Greifswald16 Auskunft über den Verbleib des von Studienrat Affeld überreichten Dokuments verlangt. Während sich Krummacher dazu nicht äußerte, erklärte Rautenberg, das Dokument habe sich in seiner Aktentasche verschoben, und er habe es erst nach der Synode gefunden.

Aus dem Bericht von Bischof Krummacher sind neben den rein theologischen Fragen folgende Punkte interessant:

In ziemlich breiter Form spielte Krummacher das Problem des Mangels an kirchlichen Räumen hoch, wobei er zur Begründung der Schwierigkeiten auf diesem Gebiet stark gegen die Haltung des Staatsapparates polemisierte. So führte Krummacher an, dass eine Vielzahl selbst kleinerer Bauvorhaben oft nach zwölf Jahren noch nicht realisiert werden konnten, weil die erforderlichen Genehmigungen staatlicherseits nicht erteilt worden seien, mitunter auch in solchen Fällen, in denen Baumaterial und Arbeitskräfte seitens der Kirche gestellt wurden. Die Begründungen dafür könnten nicht als sachlich anerkannt werden.

Auf der anderen Seite sei Jahr für Jahr kircheneigenes Bauland für öffentliche Zwecke abgegeben und kirchlicher Wohnraum für nichtkirchliche Personen und Nutzung zur Verfügung gestellt worden.

Wörtlich erklärte Krummacher dazu, »dass endlich mit dem Grundsatz der Religionsfreiheit auch auf diesem Gebiet ernst gemacht wird. Andernfalls bleiben öffentliche Äußerungen über freie religiöse Betätigung, die man in der Presse liest, nicht glaubwürdig.« (Nach der Synode wurde aus dem engen Mitarbeiterkreis Krummachers zugegeben, die Anfechtungen seien größtenteils ungerechtfertigt, auftretende Unklarheiten seien jeweils rechtzeitig vom Staatsapparat richtiggestellt worden.)

Krummacher ging in seinem Bericht weiter auf die Probleme der »weltanschaulichen Umwelt« ein. Er führte aus, gerade im Berichtsjahr sei ein immer spürbarer ideologischer Druck auf christliche Kinder, Jugendliche und deren Eltern erfolgt.

Das sei z. B.

  • Druck wegen Nichtbeteiligung an der Jugendweihe17 oder an der »politischen« Jugendorganisation (die ja erklärtermaßen die atheistische Weltanschauung propagiert),

  • Druck, sich an vormilitärischen Übungen zu beteiligen, (obwohl diese als verpflichtend nicht gesetzlich verankert sind und aus pädagogischen und glaubensmäßigen Gründen eine schwere Belastung darstellten),

  • Verhöhnung christlicher Kinder durch Lehrer und Mitschüler in der Klassengemeinschaft, (die zur Folge habe, dass junge Seelen Schaden erleiden).

Dazu käme als eine der schwersten und bedrückendsten Lasten die zunehmende Propaganda des Hasses und des Freund-Feind-Denkens vom Kindergarten bis zur Hochschule und Armee. Eine christliche Gemeinde, die von ihrem Herrn Christus gelehrt ist, ihre Feinde zu lieben, könne dazu nicht schweigen. Dem Satz, dass Humanismus bedeute, miteinander zu leben, sei nicht einfach zuzustimmen, weil er diese schweren und bedrückenden weltanschaulichen Gegensätze verharmlose.

Krummacher verband mit dieser Feststellung den Aufruf, sich unerschrocken und öffentlich zum Glauben zu bekennen. Er erklärte wörtlich: »Wir sichern jedem Jugendlichen und jeder christlichen Familie, die aus weltanschaulichen und ähnlichen Gründen benachteiligt wird, zu, dass wir, soweit es in unserer Macht steht, solchen Benachteiligungen nachgehen werden. Leider wagen aus Angst viele Christenmenschen nicht, sich unter Nennung ihres Namens an uns zu wenden. Wir können allen zusichern, dass wir ihnen beistehen.«

Krummacher erklärte in diesem Zusammenhang weiter, »dass vor wenigen Tagen aus dem berufenen Munde des Staatssekretärs für Kirchenfragen vor einem Kreis von Lehrern zum Ausdruck gebracht worden sei, dass die entscheidenden Artikel der Verfassung unseres Staates nach wie vor in Kraft sind, dass es keine Benachteiligung von Christen in der Schule geben soll und dass kein Zwang zu einem weltanschaulich-atheistischen Bekenntnis in der Schule ausgeübt werden darf.18 Wenn das, was hier aus berufenem Munde erneut ausgesprochen ist, zwischen Kirche und Staat einschließlich des gesamten Volksbildungswesens aufs Neue bestätigt und praktiziert würde, so wäre ein wesentlicher Schritt zur Normalisierung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche in unserem Lande getan.«

Bischof Krummacher betonte weiter, die evangelischen Landeskirchen der DDR nahmen an allen großen und gesellschaftlichen, sozialen und politischen Aufgaben und Sorgen mit eigener kirchlicher Verantwortung teil. Die Kirche würde mit Nachdruck dem Vorwurf widersprechen, sie stehe den gesellschaftlichen und politischen Aufgaben gleichgültig oder passiv gegenüber. »Man« könne offenbar nicht einsehen, dass die Kirche in der Welt nicht dasselbe zu sagen habe wie politische und gesellschaftliche Organisationen.

Krummacher führte zu diesem Punkt weiter aus: »Um des Friedens willen haben wir die Denkschrift der EKD über unser Verhältnis zu den örtlichen Nachbarvölkern ebenso begrüßt wie den Briefwechsel zwischen den römisch-katholischen Bischöfen Polens und Deutschlands.19 Um des Friedens und um der Seelsorge willen haben wir gerade vor einem Jahr eine nur für den innerkirchlichen Dienstgebrauch bestimmte ›Handreichung‹ für die Pfarrer zur Seelsorge an den Wehrpflichtigen und an den gewissensmäßigen Wehrdienstverweigerern erarbeitet.«

»… Wenn wir gelegentlich wegen unseres Beitrages zum Friedensdienst, der in der erwähnten ›Handreichung‹ seinen Ausdruck gefunden hat, im Berichtsjahr verdächtigt wurden, so befanden wir uns in einer bemerkenswerten Parallele zu unseren evangelischen Brüdern in der Bundesrepublik, deren leitende Männer wie die Bischöfe Scharf20 und Lilje,21 wegen der Denkschrift von extrem-nationalistischer Seite angegriffen wurden, ähnlich wie auch die römisch-katholischen Bischöfe Polens, die verdächtigt wurden, weil sie ihre Hand zur Vergebung der Schuld ausgestreckt haben …«

Trotz der »Presseangriffe«, die gegen den Willen der Kirche weites publizistisches Aufsehen erregt hätten, solle die »Handreichung« der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht werden.22

Krummacher äußerte ferner in seinem Bericht »Unverständnis«, dass kirchenleitende Männer, Bischöfe und Präses der EKU und EKD, die in Westdeutschland und Westberlin wohnen, in »diskriminierender Weise« als in der Hauptstadt der DDR unerwünscht zurückgewiesen würden. Er bedauerte weiter den Entzug der Lizenz für das Amtsblatt der EKD,23 sodass der Austausch geistlicher Erfahrungen behindert sei. Die EKiD könnte aber »die einheitliche kirchliche Gemeinschaft in der EKD und EKU nicht aus säkularen, nichtkirchlichen Gründen aufgeben oder spalten lassen, ohne dadurch an der Einheit und Gemeinschaft des Evangeliums schuldig zu werden.«

Während der Tagung der Landessynode Dresden sprach Bischof Noth im Tätigkeitsbericht in sehr breiter Form über eine Notwendigkeit der Verstärkung des kirchlichen Einflusses besonders auf Kinder und Jugendliche.

Eingehend auf die in diesem Zusammenhang bisher erreichten Erfolge, erwähnte Bischof Noth, an einem ephoralen Kindertag in Bad Brambach hätten trotz Regenwetters und »versuchter Behinderung« über 1 000 Kinder teilgenommen. Mehrfach seien in letzter Zeit der Kirche völlig entfremdete Kinder und Jugendliche neu gewonnen worden; in der »Arbeit mit der Landjugend« gäbe es »gute Fortschritte«.

Als Aufgaben nannte Noth u. a. die Gemeindemitglieder müssten mit der Bibelauslegung so vertraut gemacht werden, dass sie auch auf »Angriffe von Kirchengegnern« antworten könnten. Mehr Aufmerksamkeit müsse der Konfirmation gewidmet werden. Diese Frage sei »nach wie vor überschattet von der Jugendweihe und deren Förderung im Bereich der öffentlichen Erziehung«. Die Kirche könne diese Dinge nicht verharmlosen, da die öffentliche Erziehung immer eindeutiger auf eine achristliche Lebenshaltung ziele. Die Reaktion auf die Jugendweihewerbung in den Gemeinden sei nicht einheitlich. Das Ja zur Jugendweihe werde oft nur aus Opportunismus gegeben, um der Kinder Fortkommen Willen und um nicht aufzufallen. In vielen Fällen verzichte man auf Jugendweihe und Konfirmation, um sich Belastungen zu ersparen und Entscheidungen zu entziehen. Kinder und Eltern fühlten sich »einem Druck« ausgesetzt, der sich auch in Richtung Berufs- und Ausbildungsmöglichkeiten erstreckt. Noth führte weiter aus: »Der immer wieder betonte Freiwilligkeitscharakter der Jugendweihe hindert Lehrer und andere Staatsfunktionäre nicht, diejenigen, die sich und ihre Kinder von der Jugendweihe zurückhalten, politisch zu verdächtigen und ihr Fortkommen in Frage zu stellen. … Wenn es keine ideologische Koexistenz gibt, ist hier, bei der Frage nach der Jugendweihe, der Ort, wo allen Betroffenen zu einem klaren Bekenntnis verholfen werden muss. Wir können auch nicht verschweigen, dass christliche Lehrer in dieser ganzen Entwicklung schwere Anfechtungen haben und nicht allein gelassen werden dürfen.«

Die Verschärfung in der ideologischen Beeinflussung der Jugendlichen sei auch im Hinblick auf die vormilitärische Ausbildung und die Erziehung zum Hass festzustellen. Besonders in Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Volksbildung seien Anweisungen enthalten, die in dieser Hinsicht eindeutig wären.

Als weitere Aufgabe nannte Noth die Verbreitung der Christenlehre unter Kindern. Zum Beweis der Notwendigkeit gab er der Synode folgende interne Statistik bekannt: »Die Statistik der Christenlehre des letzten Jahres weist deutlich auf, dass von den vor sieben Jahren Getauften in der Christenlehre zum Zeitpunkt ihrer Einschulung nur reichlich 50 % erfasst werden. Kommen in den noch stärker volkskirchlich geprägten Kirchenkreisen wie Marienberg, Dippoldiswalde, Löbau, Annaberg, Auerbach noch 50 bis 60 % aller vorhandenen Schulkinder zur kirchlichen Unterweisung, so sind das in den Städten Karl-Marx-Stadt und Leipzig-Stadt nur 11,5 und 11,8 % in den Ephorien Dresden-Land und Leipzig-Land nur 17 und 18 %. In der Großstadt sind weniger als 50 % der vor sieben Jahren Getauften in der Christenlehre erfasst. Die Pfarrer und Kirchenvorstände werden sich über die Gründe dieses Notstandes und die Wege der Abhilfe Gedanken machen müssen.«

Bischof Noth erklärte weiter, die Lücke zwischen Taufe und dem Beginn der Unterweisung nach sechs bis sieben Jahren sei zu groß. Es solle intensiver eine »Nachpflege der Taufe« erfolgen, und zwar in Form von Tauf- und Patengesprächen, Taufmütterkreisen und Kinderkreisen für Vorschulpflichtige.

Unter dem Aspekt verstärkter Arbeit unter Kindern und Jugendlichen schätzte Bischof Noth die Veranstaltungen »Gottesdienst einmal anders« als besonders wertvoll ein. Diese »neue Form« des Gottesdienstes sei nicht »Sensation oder Experimentierfreudigkeit«, sondern »ernsthafte Suche nach einer gottesdienstlichen Gestalt«. Wörtlich führte Bischof Noth zu diesem Thema weiter aus: »Es geht bei dem ›Gottesdienst einmal anders‹ darum, den Menschen aufzusuchen, der keinen Sinn hat für Feierlichkeiten und langatmige Reden, der sachliche Information und praktische Hilfe zur Bewährung im Alltag will, dem für lange Ausführungen die Spannkraft fehlt. Darum wünscht sich besonders die Jugend einen Gottesdienst, der kurz ist und zügig abläuft. … Da die Jugend Gottesdienst halten will in der Form, die ihrer Lebenswelt entspricht, bevorzugt sie jazzähnliche Lieder, die mit entsprechenden Instrumenten begleitet werden. … Karl-Marx-Stadt ist nicht der einzige Ort, wo solche Gottesdienste stattfinden, aber hier werden sie besonders sorgfältig vorbereitet und ausgewertet. Das Karl-Marx-Städter Team weiß selbst um nicht wenige Fragen, die auch nach dreijährigem Experimentieren noch keine gültige Lösung gefunden haben. … Gegen diese Gottesdienste sind ganz unerwartet wenige Tage vor dem für den 26. Juni 1966 vorgesehenen Gottesdienst von städtischen und staatlichen Organen Einwendungen gegen ihre Abhaltung erhoben worden.24 Trotzdem in regelmäßigen Abständen Begegnungen zwischen Vertretern staatlicher Organe und Persönlichkeiten des Landeskirchenamtes routinemäßig erfolgen, ist in Karl-Marx-Stadt dabei staatlicherseits niemals die Rede auf diese Gottesdienste gebracht worden; obwohl jetzt erklärt wird, man beobachte diese Dinge schon länger. Man unterstellte, dass es sich nicht um einen Gottesdienst, sondern um eine kulturelle Veranstaltung handle, die der Anmeldung unterliege und die vielleicht gar nicht in den Aufgabenbereich der Kirche falle. … Seitens der Schulbehörden in Karl-Marx-Stadt wurden Schüler verwarnt und unter Druck gesetzt, wenn sie bei diesem Gottesdienst als Instrumentalisten mitwirkten und ihn besuchten. Auch polizeiliche Maßnahmen wurden angedroht, wenn der Pfarramtsleiter die Kirche für diesen Gottesdienst zur Verfügung stelle. …Um die jungen Menschen nicht in Konflikt zu bringen, ist nach den gegen sie erhobenen Androhungen darauf verzichtet worden, sie zur Mitwirkung bei diesem Gottesdienst noch einmal zu bitten.« Von der Kirchenleitung seien schriftliche und mündliche Einwendungen gegen diese »Einmischung« erhoben worden, was jedoch zu keiner sachlichen Klärung geführt habe. Die Kirchenleitung wolle nun weitere schriftliche Eingaben an den Staatssekretär für Kirchenfragen richten und u. a. darauf verweisen, dass es untragbar sei, nach wie vor seitens schulischer Organe in Karl-Marx-Stadt auf Schüler einen Druck ausüben. »Wir sind dankbar, dass alle evangelischen Kirchen in der DDR diese Vorgänge mit gleich großer Sorge beobachten und – obwohl für ihren Bereich, wie auch im Hinblick auf die Vorgänge in Karl-Marx-Stadt – einmütig erklärt haben, dass eine ganz ernste Lage entsteht, wenn es weiterhin zu solchen Versuchen kommen sollte, in das gottesdienstliche Leben der Kirche einzugreifen.«

In einem anderen Teil seines Vortrages behandelte Bischof Noth das Baugeschehen in der Landeskirche. Obwohl er zahlreiche verwirklichte Bauvorhaben anführte, übte er gleichzeitig Kritik an den noch notwendigen Einschränkungen. So seien die Sicherheitsarbeiten der Dreikönigskirche »durch Eingreifen des Rates der Stadt Dresden aufgehalten« worden. Ebenfalls seien Arbeiten am Kirchengemeindehaus der Innenstadt-Gemeinde Dresden u. a. nicht genehmigt und eine Standortgenehmigung für ein Fertigteilhaus – eine Stiftung der schwedischen Kirche zum 60. Geburtstag Bischof Noths – sei nicht erteilt.

Die Herbstsynode der Evangelischen Landeskirche Anhalt hatte folgende Tagesordnung:

  • Bericht des Landeskirchenrates,

  • Aussprache über den Bericht des Landeskirchenrates,

  • Ausführungen über den Gemeindeaufbau, Mittel und Methoden, um unter den jetzigen Verhältnissen wieder mehr kirchlichen Einfluss zu gewinnen.

Im innen- und außenpolitischen Teil des Berichtes des Landeskirchenrates trug Oberkirchenrat Gerhard im Wesentlichen seine persönlichen politischen Anschauungen vor.

Zum Vietnam-Problem wurde keine eigene Position bezogen; die kurzen Ausführungen waren im Wesentlichen der Erklärung des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates angeglichen. Das Problem Kampf um den Frieden wurde nicht berührt bzw. lediglich ein Zusammenhang zur »Handreichung für die Seelsorge an Wehrpflichtigen« konstruiert. Dabei sprach sich OKR Gerhard für die »Handreichung« aus und plädierte für drei mögliche Wege: Wehrdienst mit der Waffe, Wehrdienst als Bausoldat und Wehrdienstverweigerer. Gerhard spielt in diesem Zusammenhang die Inhaftierung des Vikar Gottfried Werner25 hoch. (Wegen Wehrdienstverweigerung 18 Monate).

In breiter Form wurde auch während der Synode der Evangelischen Landeskirche Anhalt die Frage der Intensivierung des kirchlichen Lebens behandelt. Als Aufgaben wurden in diesem Zusammenhang u. a. aufgezeigt: Um dem Mangel an Pfarrernachwuchs zu begegnen, sollten »Großparochien« (große Amtsbezirke der Geistlichen) geschaffen werden, in denen der Pfarrer und die kirchlichen Angestellten mit Fahrzeugen ausgerüstet seien.

Zur intensiveren Durchführung der Christenlehre sollten freiwillige Helfer herangezogen werden.

Eine weitere Aufgabe sei die Entwicklung »neuer Arbeitsmethoden« in den Aufbauschwerpunkten der DDR, wie sie z. B. in Wolfen-Nord bereits demonstriert worden seien. Dort seien mit Erfolg sogenannte Hausagitationen durch kirchliche Mitarbeiter des »Männerwerkes« Dessau und durch »Laienbesuchsgemeinschaften« durchgeführt worden. Außerdem wurde die Gründung von Kreisen »Junger Ehepaare«, »Laienräte« und dergleichen empfohlen. »Team-Arbeit«, Podiumsdiskussionen, Interessengemeinschaften u. ä. sollen gefördert und in den Harzkurorten ein regelmäßiger Kurpredigerdienst eingeführt werden.

Weitere Ausführungen OKR Gerhards befassten sich mit dem Antrag auf Lizenzierung eines »Sonntagblattes«, wobei gleichzeitig kritisiert wurde, dass nur ungenügend Möglichkeiten zur Einfuhr theologischer Literatur bestünde.

In der Aussprache über den Bericht des Landeskirchenrates wurde von mehreren Pfarrern und Synodalen auf das Vietnam-Problem eingegangen, nachdem der anwesende Vertreter des Rates des Bezirkes Halle auf die Notwendigkeit der Behandlung dieses Problems hingewiesen hatte. Im progressiven Sinne traten dabei Pfarrer Natho/Güsten,26 Präses Kootz,27 Dr. Gürteler,28 Pfarrer Schulze29 und LPG-Mitglied Dux30 in Erscheinung.

Der Synodale Dux äußerte sich weiter in seinem Beitrag positiv zur Politik der DDR und zur ökonomischen, wissenschaftlich-technischen und sozialen Entwicklung unseres Staates. Der Kirche warf er dabei vor, sie verstehe die heutige Zeit nicht mehr, stelle sich nicht auf das Neue ein und begreife nicht, dass die Menschen heute andere Interessen als die Kirche hätten.

Ebenfalls sprach sich der Synodale Pfarrer Natho für die Entwicklung, besonders in ökonomischer Hinsicht, aus und zeigte die Vorzüge der DDR gegenüber Westdeutschland auf. Die Kirche habe nicht die Aufgabe, den Menschen mitzuteilen, dass ihnen geholfen werden müsse, sondern die Kirche müsse selbst anderen helfen.

Als Ergebnis dieser Diskussion wurde zusammengefasst:

  • Der Kirchenpräsident solle im Auftrage der Synode an den Nationalrat der Christlichen Kirchen in Amerika schreiben und sich solidarisch erklären mit der Grundhaltung dieses Nationalrates gegenüber ihrer Regierung zum Vietnamproblem.31

  • Eine materielle Hilfe solle in der Form erfolgen, dass ein oder mehrere vietnamesische Kinder zur Erholung in Anstalten der Anhaltinischen Landeskirche aufgenommen werden. Außerdem solle eine Kollekte für Nordvietnam durchgeführt werden.

Pfarrer Schindler32 – Vorsitzender des Gemeindeaufbau-Ausschusses der Landeskirche Anhalt – sprach über den Gemeindeaufbau und über bereits eingeleitete Schritte, mit deren Hilfe unter den jetzigen Verhältnissen der kirchliche Einfluss intensiviert werden soll.

In dieser Richtung seien u. a. folgende Maßnahmen getroffen worden: Verbindungsaufnahme mit der Gossner-Mission33 zum Zwecke der Zusammenarbeit, Bildung von sogenannten Helferkreisen in verschiedenen Gemeinden mit speziellen Aufgaben (Jugendarbeit, Kinderarbeit), Zusammenschluss der sogenannten Werke (»Frauenwerk«, »Jungmädchenwerk« usw.) auch über die jeweilige Kirchengrenze hinaus und Forcierung der Arbeit nach Berufsgruppen nach dem Vorbild der katholischen Kirche und der Kirchenprovinz Sachsen (in vier Gemeinden des Kreises Köthen seien dabei gute Erfolge erzielt worden). In absehbarer Zeit sollten zur Aktivierung der kirchlichen Arbeit 30 Gemeinden im Kirchenkreis Bernburg durch Vertreter verschiedener Ausschüsse der Landeskirche Anhalt aufgesucht werden.

Diese Information ist nicht für eine publizistische Auswertung vorgesehen.

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    15. Dezember 1966
    Einzelinformation Nr. 967/66 über die Tagung der Kirchenkonferenz der Evangelischen Kirche der DDR am 1.12.1966

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    10. Dezember 1966
    Einzelinformation Nr. 953/66 über einen Brand im Druckgaswerk Schwarze Pumpe am 7.12.1966