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Treffen der Referenten der Ev. Landeskirchen der DDR

21. September 1966
Einzelinformation Nr. 712/66 über die erweiterte Referentenbesprechung der Evangelischen Landeskirchen in der DDR am 15.9.1966 in Berlin

Dem MfS wurde bekannt, dass am 15.9.1966 in Berlin eine erweiterte Referentenbesprechung für alle Landeskirchen der Evangelischen Kirche in der DDR unter Leitung von Oberkirchenrat Behm/Berlin1 stattgefunden hat.

Als Vertreter der Kirchenkanzlei der »Evangelischen Kirche Deutschlands« in Berlin nahmen an dieser Besprechung teil: Oberkirchenrat Pabst/Berlin,2 Konsistorialrätin Lewek/Berlin,3 Konsistorialrätin Küntscher/Berlin.4 Als Vertreter der Kirchenkanzlei der »Evangelischen Kirche Deutschlands« in Hannover war ein Herr Dr. Kaulitz/Braunschweig5 anwesend.

Auf dieser Referentenbesprechung wurden u. a. folgende Probleme behandelt:

  • Die allgemeine Situation zwischen Kirche und Staat, besonders Auseinandersetzungen im Rahmen der Volksbildung;

  • Der Entwurf des neuen Zivilgesetzbuches;6

  • Vorbereitung der 4. Synode der »Evangelischen Kirche Deutschlands« vom 15. bis 21.4.1967 in Berlin-Weißensee.7

Zur allgemeinen Situation zwischen Kirche und Staat in der DDR gab die Kirchenrätin Lewek, als Vertreterin der Kirchenkanzlei der sogenannten Evangelischen Kirche Deutschlands in Berlin, vor den Vertretern der acht Landeskirchen der DDR einen Bericht. Darin betonte sie, es sei offensichtlich eine »Verschärfung in den Auseinandersetzungen« zwischen Kirche und Staat vorhanden, die sich besonders auf die Volksbildungsprobleme in der DDR beziehe. Es sei beabsichtigt, anlässlich der nächsten Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen, die am 22.9.1966 stattfinden soll, ein Schreiben an den Vorsitzenden des Ministerrats der DDR, Willi Stoph,8 zu verabschieden. Dieses Schreiben solle sich mit dem »ideologischen Druck auf die Schulen« befassen und beinhalte entsprechende Beispiele. Kirchenrätin Lewek erwähnte, den Bischöfen der DDR sei je ein Entwurf dieses Schreibens zugegangen. (In der Anlage dieser Information befindet sich die Fotokopie des vorbereiteten Schreibens mit den dazugehörigen Beispielen.)

Dem MfS wurde dazu weiter bekannt, dass am 21.9.1966 in Berlin eine Vorbesprechung zu diesem Schreiben stattfindet, an der von jeder Landeskirche ein Vertreter teilnehmen soll. Die endgültige Fassung des Schreibens soll am 22.9.[1966] von der Konferenz der Kirchenleitungen beschlossen werden.

Im weiteren Verlauf der erweiterten Referentenbesprechung befasste sich Konsistorialrätin Küntscher mit dem Entwurf des neuen Zivilgesetzbuches. Sie erklärte, es bestehe die Absicht, mit Frau Dr. Fitzner9 vom Staatssekretariat für Kirchenfragen eine Aussprache über die Stellung der Kirche im neuen Zivilrecht zu führen. In Vorbereitung dieses Gespräches solle von den leitenden Kirchenjuristen aller Landeskirchen eine Konzeption ausgearbeitet werden, da sie sich mit dem bereits vorliegenden Entwurf nicht einverstanden erklärt hätten. Die Kirche habe laut den Bestimmungen dieses Gesetzentwurfs Vereinscharakter. Diese »Einstufung« der Kirche würde jedoch einen »Verfassungsbruch« darstellen.

Oberkirchenrat Behm erklärte dazu, demnächst solle eine Fühlungnahme mit der Katholischen Kirche in der DDR erfolgen, um gegensätzliche Auffassungen auszuschalten.

Zum Abschluss der Referentenbesprechung gab Oberkirchenrat Behm bekannt, dass die 1. Sitzung der 4. Synode der »Evangelischen Kirche Deutschlands« vom 15. bis 21. April 1967 in Berlin-Weißensee, Stephanusstift, stattfinden soll. Die Vorbereitungsarbeiten seien bereits im Gange. Es herrsche jedoch Ungewissheit darüber, ob die Synode an dem geplanten Ort stattfinden könne, da die »EKD-feindliche Haltung des Staates« immer offensichtlicher werde. Die Tätigkeit der EKD-Gremien würde immer mehr behindert; lediglich Bibelwochen und Patentreffen seien noch unbehelligt.

Die Information darf im Interesse der Sicherheit der Quelle nicht publizistisch ausgewertet werden.

Anlage zur Information Nr. 712/66

[Entwurf eines Schreibens der DDR-Kirchenleitungen an Stoph]

Entwurf

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident!

In letzter Zeit wurden unsere Gemeinden in zunehmendem Maße von Vorgängen beunruhigt, die den Eindruck erwecken, dass Christen in unserem Staat wegen ihrer Glaubensüberzeugung benachteiligt werden. Denn im Gegensatz zu den amtlichen Verlautbarungen, nach denen alle Jugendliche gleiche Bildungsmöglichkeiten haben, werden jetzt häufig Kinder christlicher Eltern nicht zum Besuch der erweiterten Oberschule zugelassen.10 In den von uns nachgeprüften und jeweils den örtlichen Behörden vorgetragenen Fällen handelte es sich um überdurchschnittlich begabte Kinder mit einem guten bis sehr guten Zensurendurchschnitt, während aus denselben Klassen Kinder mit geringeren Schulleistungen die Zulassung zur erweiterten Oberschule erhielten. Als Grund für die Ablehnung wird in der Regel mangelnde gesellschaftliche Betätigung angegeben, die darin gesehen wird, dass die Betreffenden nicht den Jungen Pionieren angehören oder nicht an der Jugendweihe11 teilgenommen haben.12 In den Einzelverhandlungen wird von den staatlichen Vertretern zwar immer wieder betont, dass die Zugehörigkeit zu den Jungen Pionieren und die Teilnahme an der Jugendweihe freiwillig sei, dass aber eine Nichtteilnahme negativ gewertet werde. Damit wird praktisch der Grundsatz der Freiwilligkeit aufgegeben.

Darüber hinaus mehren sich die Fälle, in denen – entgegen den Zusicherungen der Verfassung13 – Kinder und Jugendliche nach ihrer Glaubensüberzeugung gefragt und, wenn sie sich zum christlichen Glauben bekennen, verspottet und benachteiligt werden. Dadurch werden die Gefühle christlicher Kinder verletzt und schwerer seelischer Schaden angerichtet, selbst wenn nachträglich dieses Verhalten einzelner Erwachsener von den vorgesetzten Stellen missbilligt wird. Aber selbst das ist in zahlreichen Fällen nicht geschehen. Wir werden trotzdem weiterhin die Einzelfälle14 mit den örtlichen Stellen zu regeln versuchen.

Da aber die Zahl der Vorkommnisse ansteigt, können wir in ihnen nicht nur Einzelübergriffe oder Überspitzungen sehen, sondern müssen sie als Symptome einer Entwicklung werten.15 Dies überrascht uns um so mehr, als wir nach der Verabschiedung des Gesetzes über das einheitliche sozialistische Bildungssystem annehmen durften, dass damit auf dem Gebiet der Erziehung und Bildung eine Basis für ein erträgliches Zusammenleben von Christen und Marxisten in unserem Staat gefunden sei.16 Wurde doch in der entscheidenden Sitzung der Volkskammer als Ziel der Schularbeit propagiert, »unserer jungen Generation in voller Freiheit ihrer eigenen weltanschaulichen Entscheidung exakte Kenntnisse des Marxismus-Leninismus zu vermitteln«.17

Wir haben immer betont, dass wir es für richtig und notwendig halten, wenn sich auch junge Christen gründliche Kenntnisse auf dem Gebiet des Marxismus-Leninismus aneignen. Es widerspricht aber dem Grundsatz der Glaubens- und Gewissensfreiheit, wenn man von ihnen ein Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus verlangt. Zu dieser Auffassung fanden wir auch immer wieder die Zustimmung staatlicher Vertreter, besonders z. B., in dem bekannten Kommuniqué über die Besprechung von staatlichen und kirchlichen Persönlichkeiten vom 21.7.1958.18 Wir möchten dringend bitten, einer Entwicklung Einhalt zu gebieten, die für alle Beteiligten unheilvoll sein müsste. Wenn man Jugendliche durch administrative Maßnahmen und Zwang zu Äußerungen und Bekenntnissen veranlasst, die sie nicht wirklich bejahen können, erzieht man eine gefährliche Heuchelei. Damit wird das Bemühen untergraben, Jugendlichen Mut zur eigenen Stellungnahme zu machen und sie zu selbständigen Persönlichkeiten zu erziehen. Daran kann auch der Staat kein Interesse haben.

Noch größere Sorge macht uns die Tatsache, dass Kinder und Jugendliche dazu angehalten werden, in jedem Gegner einen Feind zu sehen, der mit allen Mitteln bekämpft und auf den im Ernstfall auch geschossen werden muss. Schon kleine Kinder werden durch Bilderbücher und militärisches Spielzeug auf die Verwendung von Waffen vorbereitet.19 Unsere heranwachsenden Kinder werden in den Schulen mit Wehrsport und Waffenübungen praktisch bekannt gemacht und denen, die daran nicht teilzunehmen bereit sind, werden erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Wenn unser Staat bei den erwachsenen Wehrpflichtigen auf Gewissensbedenken gewisse Rücksichten nimmt,20 müssen wir erwarten, dass er das vollends bei Kindern, Jugendlichen und deren Eltern tut.

Diese Bemühungen sind zudem mit einer bewussten Erziehung zum »abgrundtiefen Hass« verbunden (vgl. Beschluss des Zentralrates der FDJ vom 31.8.1965).21 Jeder erfahrene Pädagoge wird aber bestätigen, dass Hass, Gemüt und Denken Jugendlicher vergiftet. Weil damit ein negatives Erziehungsziel gesetzt wird, muss das bedenkliche und letztlich unkontrollierbare Folgen haben. Es wird zwar immer wieder versichert, dieser Hass sei nur das notwendige Gegenstück zur Friedensliebe und zur Freundschaft mit allen friedliebenden Kräften. Aber schon Jugendliche erkennen mit sicherem Instinkt, dass die Schwarz-Weiß-Malerei und Simplifizierung, ohne die eine Hasserziehung nicht auskommen kann, mit der Wirklichkeit und der Wahrheit in Widerspruch stehen.

Der Kirche ist es aufgetragen, überall für die Versöhnung einzutreten, für die Versöhnung zwischen den Menschen, den Völkern und den Rassen. Sie würde sich selbst und ihrem Auftrag untreu werden, wenn sie sich nicht dagegen wehrte, dass das Eintreten für den Frieden mit der Erziehung zum Hass verbunden wird.

Das alles, was wir in Umrissen angedeutet haben, bedrückt uns und unsere Gemeinden im Gewissen. Deshalb bitten wir herzlich und dringend, unsere Sorgen zu hören und ernst zu nehmen. Es geht uns um die gesunde Entwicklung unserer Kinder und um den Frieden zwischen den Völkern und Menschen. Um alles zu tun, was dieses Ziel fördert, bitten wir, uns in einem Kreis von Vertretern des Staates und der Kirche die Möglichkeit zu geben, unsere Gesichtspunkte vorzutragen und gemeinsam nach Wegen zu suchen, um die aufgetretenen Spannungen zu beseitigen,22 die Eltern und Kinder gleichermaßen belasten.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Beispiele

I Nichtzulassung von Kindern christlicher Eltern zur erweiterten Oberschule

Aus einer Eingabe vom 19.4.1966:

Im Kreis häufen sich die Fälle, dass Kindern christlicher Eltern die Aufnahme in die Erweiterte Oberschule abgelehnt wird. Die betreffenden Eltern bekamen einen vervielfältigten Bescheid, mit der (faksimilierten) Unterschrift des Vorsitzenden der Aufnahmekommission versehen, der folgenden Abschnitt enthält: »Nach eingehender Prüfung der Unterlagen konnten wir aufgrund der gegenüber den Planzahlen weitaus größeren Zahl von Bewerbern Ihrem Antrag nicht zustimmen«. Schon diese Begründung als solche erscheint wenig glücklich. Die Empfänger fragen sich, ob es wirklich keinen Weg gibt, einen verstärkten Andrang zur Erweiterten Oberschule auf andere Weise abzufangen, zumal die Zahl der Bewerber lange vorher bekannt war und von einer nicht zu bewältigenden Überfüllung bis dahin keine Rede war.

Die angegebene Begründung ist aber offensichtlich nicht die einzige, – und auch nicht die eigentliche. So wurde z. B. I. K. in F., Tochter des dortigen Pfarrers, abgelehnt, obwohl sie mit einem phantastischen Leistungsdurchschnitt (außer zwei Zweien nur Einsen auf dem Zeugnis) die weitaus beste Schülerin ihrer Klasse ist. Als Berufsziel hatte sie Ärztin oder Bibliothekarin angegeben. In einem Gespräch mit einem Mitglied der Aufnahmekommission wurde dem Vater ganz offen erklärt, dass er es sei, der der Laufbahn seiner Tochter im Wege stehe. Der Vater ist, wie mir wohl bekannt ist, kein Gegner des Sozialismus als Gesellschaftsform, kann sich aber wegen der weltanschaulichen, atheistischen Komponente nicht voll dazu bekennen. Darum ist er auch nicht zur Wahl gegangen. Bei dem erwähnten Gespräch wurde er in seiner Haltung noch bestärkt durch die Äußerung des Partners, alles gehe auf den Atheismus zu. Man dürfe sich dieser Entwicklung nicht entgegenstellen.

Auch im Fall von B. M. in E., gab der Kreisschulrat Mängel in der gesellschaftlichen Betätigung an. B. hat nicht an der Jugendweihe teilgenommen und sich nicht um die Aufnahme in die FDJ beworben. Dies wurde der Mutter ausdrücklich vorgeworfen. Der Leistungsdurchschnitt ist bei ihr 1,7. Er liegt aber nur darum so niedrig, weil sie wegen ihrer durch Entwicklungsstörungen bedingten Fettleibigkeit im Sport nur die Note 4 hat. In 14 Fächern, darunter allen Hauptfächern, hat sie eine Eins. Aus ihrer Klasse ist eine Schülerin mit schlechterem Leistungsdurchschnitt zur Erweiterten Oberschule zugelassen worden. Als Berufsziel hatte sie Lehrerin angegeben. Jetzt hat sie sich für das Studium der Theologie entschieden.

Ebenfalls abgelehnt wurde eine junge Baptistin, C. M. in E., zweitbeste Schülerin der Klasse. Auch sie hat nicht an der Jugendweihe teilgenommen. Ihr Berufsziel ist Diplom-Chemikerin.

Hinzuzufügen ist noch der Fall der Schülerin A. W. in B., beste Schülerin ihrer Klasse. Sie hat nicht an der Jugendweihe teilgenommen. Sie wollte Tierärztin werden. Eine schlechtere Schülerin aus ihrer Klasse ist angenommen worden.

Aus einem Bericht vom 29. März 1966:

… In einem Gespräch mit dem Rat des Kreises trugen wir unsere Bedenken gegen die Ablehnung der Oberschulbewerber aus Gründen der Nichtteilnahme an der Jugendweihe vor.

Es wurde vonseiten des Rates des Kreises erklärt, dass für die Zulassung entscheidend sei:

  • 1.

    Leistungen.

  • 2.

    Gesamtverhalten in der Schule.

  • 3.

    Das gesellschaftliche Verhalten der Eltern zu Staat und Wirtschaft.

Unter Punkt 3 fiele auch die Jugendweihe. Sie sei daher auch ein Faktor bei der Beurteilung für die Zulassung.

Es wurde von uns auf die Ungesetzmäßigkeit solcher Beurteilungen hingewiesen und auf den Widerspruch zu den bisherigen Verlautbarungen staatlicherseits.

In dem Gespräch wurde von Herrn M. erklärt, dass die Jugendweihe ein Bekenntnis zum Staat und zur Ideologie sei. Herr P. gab zu, dass im Falle G. und H. allein die Jugendweihe der Grund sei, und dass alle fünf Bewerber ohne Jungendweihe abgelehnt worden seien.

Aus einem Brief vom 2.5.1966:

… Am 22.11.1963 hatte meine Tochter Adelheid zum Entwurf des Jugendgesetzes23 eine Anfrage an das Amt für Jugendfragen wegen des im § 9 des Entwurfes erwähnten »gleichen Rechtes aller Jugendlichen auf Bildung« gerichtet. In der Antwort wird sie gebeten, »von ihrer Auffassung, die Nichtteilnahme an der Jugendweihe wäre der Grund zur Ablehnung, Abstand zu nehmen, weil sie nicht den Tatsachen entspricht.« Nun sind auch in diesem Jahr von Ihnen u. a. alle Schüler, die nicht an der Jugendweihe teilnahmen, ohne Rücksicht auf ihre schulischen Leistungen von der Aufnahme zur erweiterten Oberschule abgelehnt worden. Es ist wirklich kein dialektisches Kunststück zu sagen: »Die Nichtteilnahme an der Jugendweihe ist kein Grund zur Ablehnung« – das vorbehaltlose Bekenntnis zu unserem Arbeiter- und Bauern-Staat aber zeigt sich nur in der Mitgliedschaft zur FDJ und der Teilnahme an der Jugendweihe.

Dieser Standpunkt lässt leider außer Acht, dass wir als Christen aus Gewissensgründen unsere Kinder nicht an einer atheistischen Weihehandlung wie sie die Jugendweihe darstellt, teilnehmen und sie nicht einer Organisation beitreten lassen können, die sich – wie die FDJ nach dem Erfurter Programm24 – eindeutig zum dialektischen Materialismus Marx-Lenins bekennt. Deshalb nun christlichen Bürgern abzuerkennen, dass sie sich für den Staat und für ihre Mitmenschen nach besten Kräften einsetzen und für den Aufbau dieses unseres Staates das Beste leisten, sie zu benachteiligen, indem man ihre Kinder für die erweiterte Oberschule ablehnt, selbst wenn sie bessere Leistungen aufweisen als Mitschüler, die zur erweiterten Oberschule zugelassen werden, ist diffamierend und verfassungswidrig! (Art. 39 der Verfassung).25

Ich versuche, meine Kinder zu Menschen zu erziehen, die ihre Mitmenschen achten, die Arbeit lieben lernen und sich ohne falsches Heuchlertum eine eigene Meinung bilden und vertreten lernen. Sie aber legen durch Ihre Maßnahmen in die Kinder ein Trauma des Zurückgesetzt- und Ungerecht-behandelt-Seins, dass der Entwicklung der Kinder nur abträglich sein kann.

Aus einem Bericht vom 23.7.1966:

Bei einem Gespräch mit Vertretern des Rates des Bezirkes wurde über die Nichtzulassung von Konfirmanden der Kirchengemeinde S. zur Erweiterten Oberschule verhandelt. Der Vertreter des Bezirkes erklärte, er hätte festgestellt, dass die Nichtzulassung der betreffenden Schüler aus S. nicht allein wegen ihrer Nichtteilnahme an der Jugendweihe vorgenommen sei. Es hätten auch sonstige schulische Belange diese Zulassung nicht erlaubt. Die Auswahl sei gewissenhaft nach der Leistung und auch der gesellschaftlichen Einstellung der Schüler vorgenommen. Dabei wurden längere Ausführungen gemacht darüber, dass man die Jugendweihe nicht unberücksichtigt lassen könne. Die Jugendweihe sei, dies wurde nun heute wieder erneut in längeren Ausführungen dargestellt, nicht gegen die Kirche gerichtet, wäre nicht in erster Linie weltanschaulich geprägt, sondern es ginge um die Hineinnahme in die Mitverantwortung des Jugendlichen für den gesellschaftlichen Aufbau. Es würde außerordentlich bedauert, dass die Kirche dies nicht einsehen wolle.

In einer längeren grundsätzlichen Ausführung versuchte ich noch einmal darzustellen, dass die Jugendweihe nach kirchlicher Auffassung sowohl ihrer Entstehungsgeschichte her als auch nach ihrem uns bekannten Inhalt nicht zu trennen sei von einem marxistisch-weltanschaulichen Engagement junger Menschen. Ich stellte dar, dass ein marxistisch-weltanschaulich geprägter Staat immer wieder zu tragischen Konflikten mit den Christen und der Kirche seines Landes kommen müsse, weil diese wohl eine Mitarbeit in einer wirklich rein wissenschaftlichen Schule als auch Pflichterfüllung in öffentlichen Aufgaben des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens leisten könnten, aber sich nicht ideologisch dem marxistischen Fortschrittsglauben anheimgeben könnten. Ich versuchte dann noch deutlich zu machen, dass die Lage in der Gemeinde S. sehr ernst sei. Die große Zahl der Konfirmanden, die nicht zur Jugendweihe gingen, wären natürlich bei solch einer Auffassung der Jugendweihe staatlicherseits beschwerlich für Schule und Partei, andererseits verstünden die Gemeindeglieder nicht, dass man ihre christliche Auffassung nicht anerkennen wolle und sie zu Verpflichtungen drängen wolle, die sie innerlich nicht mitvollziehen könnten und so entstünde leicht eine negative Einstellung gegen die staatlichen Maßnahmen.

Herr H. beteuerte, dass er mit seinen Mitarbeitern dies auf alle Fälle vermeiden wolle, dass man gegen sektiererische Maßnahmen und Vorstellungen von staatlichen Mitarbeitern schärfstens vorgehen müsse. Eine Rückgängigmachung der getroffenen Entscheidungen wäre im Falle S. nicht möglich, obgleich ich immer wieder darum bat, denn die Vertreter in der Schule und Zulassungskommission könnten eindeutig nachweisen, dass bei der großen Zahl der Bewerber um die Aufnahme in die Erweiterte Oberschule die Nichtzulassung der Kinder von S. nicht ausschließlich wegen ihrer Nichtteilnahme an der Jugendweihe erfolgt sei. Ich bedauerte dies und gab noch einmal zu erwägen, ob man diese staatlichen Prestigefragen nicht auch abwägen müsse gegen die negativen Folgen, die in der Stimmung der christlichen Gemeinde in S. entstünden. Die Bereitschaft zur ökonomischen Mitarbeit sei in S. ja gut und die Einstellung der Jugendlichen zur Mitarbeit sei von der Schule als gut anerkannt worden, um so mehr wären sie nun betroffen durch die getroffenen Entscheidungen. Als Gesamtergebnis unserer Aussprache müsste ich leider feststellen, dass die Staatsorgane sich nicht dazu entschließen könnten, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an der Jugendweihe bei den weiteren Zulassungen (auch zur Berufsausbildung) ganz auszuschalten. Andererseits müsste ich zur Kenntnis geben, dass die Landessynode nach wie vor ihre Entschließungen aufrechterhalte, wer an der Jugendweihe teilnehme und wer als Vater und Mutter seine Kinder zur Jugendweihe schicke, verliere von daher gewisse kirchliche Rechte.26

Aus einem Brief vom 29.6.1966:

Für Ihr Schreiben bezüglich meiner Tochter danke ich Ihnen. Ich will versuchen, Ihnen zu berichten, was sich bei der gestrigen Aussprache als Abschluss der Angelegenheit ereignet hat.

Voraus muss ich erwähnen, weshalb ich beim Bezirk vorgesprochen hatte.

  • 1.

    Der Direktor der Schule W.-N. hat meine Tochter gefragt, warum sie denn »glaube«. (Das sei falsch)

  • 2.

    Mir hat er vorgehalten, ich habe mein Kind in der falschen Richtung erzogen.

  • 3.

    Er sagte mir, man könne noch anders entscheiden, wenn es sich um ein Pfarrerkind handele.

  • 4.

    Er zeigte Empörung darüber, dass meine Tochter auf seine Frage hin, wie sie denn dem Staat einmal zurückgeben will, was sie durch Oberschulbesuch und Studium von ihm erhält – antwortete: »ich gehöre der Jungen Gemeinde27 an und diene dort. Auch Christen können dem Staat dienen!«

  • 5.

    Machte man den Oberschulbesuch von der Mitgliedschaft der FDJ und Teilnahme an der Jugendweihe abhängig.

Man kreidete meiner Tochter z. B. an, dass sie an der Gestaltung der Wandzeitung nicht teilgenommen hat, nicht an den Jugendstunden zur Vorbereitung der Jugendweihe teilnahm, am 1. Mai in die Kirche ging statt zur Demonstration (wohlbemerkt: drei Wochen vor der Konfirmation)!

Es gäbe nur eine Jugendorganisation, das ist die FDJ! Was ich allerdings wiederlegen musste, indem ich die Junge Gemeinde nannte.

II.Bedrängung christlicher Kinder wegen ihrer Glaubensüberzeugung

Aus einem Bericht vom 5.7.1966:

Besondere Vorkommnisse in der Schule zu Z. veranlassen mich, nachstehenden Bericht zu erstatten:

Seit Herbst 1963 erteile ich in Z. den kirchlichen Unterricht. Zu meinem Leidwesen habe ich immer wieder feststellen müssen, dass einzelne Lehrerinnen in ihrem Unterricht den christlichen Glauben verächtlich machen bzw. versuchen den Kindern einzureden: »Es gibt keinen Gott!« Die immer wiederkehrenden Sticheleien äußern sich auch in der Weise, dass gefragt wird: »Wer glaubt an Gott?« »Warum glaubt ihr an Gott?« »Wer geht zum Pastor?« »Was macht ihr da?« »Ihr braucht nicht dahin zu gehen; da lernt Ihr nichts für das Leben.«

Es würde zu weit führen, wollte ich alle Dinge aufführen. Ich möchte die Kirchenleitung nur wissen lassen, dass hier in Z. unerfreuliche Verhältnisse bestehen.

Geleitet von den Gedanken, Schwierigkeiten durch persönliche Gespräche zu beseitigen, habe ich die Lehrerinnen aufgesucht. Ich habe den Schulleiter aufgesucht. Leider ohne Erfolg. Für einige Zeit ist Ruhe, dann werden die Kinder erneut belästigt.

Aus einem Bericht über ein Gespräch beim Rat des Bezirkes vom 28.1.1966:

Der Unterzeichnete unterrichtete Herrn B. von einer Eingabe der Kirchengemeinde K., die mit 63 Unterschriften versehen sei. In der Polytechnischen Oberschule in K. habe die Deutschlehrerin von christlichen Kindern der 7. Klasse verlangt, dass sie das Weberlied von Heinrich Heine auswendig lernten und dabei mehrfach auch von den christlichen Kindern ausdrücklich das Aufsagen der 2. Strophe, die eine Verfluchung Gottes enthält, gefordert.28 Als sich die Kinder geweigert haben, haben sie eine entsprechende negative Note bekommen. Im Anschluss daran haben sowohl der Schulleiter wie der Biologielehrer das Aufsagen dieser Strophe durch die christlichen Kinder noch einmal zu erzwingen versucht.

Die Kirchengemeinde hat daraufhin im Gottesdienst eine Erklärung mit 63 Unterschriften unterschrieben.

Ich habe Herrn B. mit großer Entschiedenheit darauf hingewiesen, dass hier erstens eindeutig ein Gewissensdruck der Schule auf christliche Kinder ausgeübt sei und dass zum anderen die Forderung an christliche Kinder, eine Verfluchung Gottes öffentlich anzusprechen, eine unmögliche Forderung darstelle, die die Kirche nicht hinzunehmen bereit sei.

Aus einem Bericht vom 10.3.1966:

In der zehnklassigen Oberschule in S. befinden sich im Internat in der 9. und 10. Klasse mehrere Schüler, die durch unsere Konfirmandenrüsten gegangen sind. Sie haben dem Ortsgeistlichen gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass sie in ihrer freien Zeit (17.00 bis 18.30 Uhr) gern zur Jungen Gemeinde im Ort gehen würden.

Zwei Jugendliche teilten uns mit, dass ihnen die Teilnahme an den Stunden der Jungen Gemeinde verboten sei. Die Begründung des Direktors lautete: »Es ist nicht erwünscht!« Auch für einen persönlichen Besuch beim Pfarrer wurde keine Erlaubnis erteilt.

Wir führten daraufhin mit dem Schulleiter ein Gespräch. Vier Punkte wurden uns als Grund für das Verbot der Schulleitung genannt:

  • 1.

    Im Schulgesetz für Schulen mit Internat sei keine Möglichkeit vorgesehen, die Kinder auch nur eine Stunde ohne Aufsicht der Lehrer zu lassen oder sie gar aus der Hand zu geben.29

  • 2.

    Die Eltern haben das Erziehungsrecht und die Aufsichtspflicht durch Unterschrift an die Schule abgetreten für die Zeit, in der sich die Kinder in der Schule bzw. im Internat befinden.

  • 3.

    Die einheitliche Erziehung soll nicht durch Einflüsse anderer Art behindert werden: (»Sie empfinden also christlichen Einfluss als schädlich? Das habe ich nicht gesagt!«)

  • 4.

    Die Jugendlichen haben sonntags in ihren Heimatorten Möglichkeit »ihren religiösen Verpflichtungen nachzugehen«.

Danach besteht für junge Christen, solange sie im Internat leben, keine Möglichkeit ihren Glauben durch Teilnahme am Leben der Jungen Gemeinde zu praktizieren.

Aus einem Bericht vom 16.6.1966:

Die Tochter unseres Ältesten, eine gute Schülerin, hatte die Zusage, an der Erweiterten Oberschule in N. angenommen zu werden.

Später weigerte sie sich, den ersten Teil der zweiten Strophe der »Internationale« aufzusagen unter Berufung auf ihren christlichen Glauben.30 Daraufhin wurde Herr V. mit seiner Tochter für heute zum Kreisschulrat W. bestellt zu einer »Aussprache über den weiteren Lebensweg seiner Tochter aufgrund von Vorfällen in der Schule.« Dieses Gespräch (von etwa 15 Minuten) wurde vom Kreisschulrat W. in Gegenwart des Klassenlehrers gleich scharf eröffnet mit der Schilderung der genannten Weigerung und der Bitte um Stellungnahme des Herrn V. Dieser erwiderte: Ich kann nicht Sonntag in der Kirche bekennen »Ich glaube an Gott, den Vater …« und Montag sagen: »Es rettet uns kein Höh’res Wesen, kein Gott …«. Daraufhin fuhr W. ihn an, er sei borniert, was Herr V. sich scharf verbat. Die Tochter E. (vor vier Wochen konfirmiert) wurde gefragt, ob sie die gleiche Haltung einnehme wie ihr Vater, was sie sofort eindeutig bejahte. Darauf Herr W. zu Herrn V.: Dann wollen wir Ihre Tochter vor weiteren Gewissenskonflikten bewahren, denn auf der erweiterten Oberschule käme sie ja doch durch die Wissenschaft (Darwinismus,31 Galilei etc.) nur dauernd erneut in Gewissenskonflikte. Die Zusage für Aufnahme in die erweiterte Oberschule wurde also zurückgezogen; der schriftliche Bescheid hierüber wurde für die nächsten Tage zugesagt.

Aus einem Bericht vom 10.6.1966:

Am Dienstag, dem 7.6.1966, wurde in der Klasse 7 zu D. mit der Behandlung des Webergedichts von H. Heine durch die Deutschlehrerin Frau J. begonnen. Frau J. erzählte zunächst von den schlesischen Webern und der Not, in der sich diese damals befanden. Frau J. erzählte sodann, dass sich mit diesem Stoff die Dichter G. Hauptmann und H. Heine befasst haben und besprach nun das Webergedicht. Dabei fragte sie gegen wen die Flüche gerichtet sind. Die Kinder nannten diejenigen, denen geflucht wird, aber Gott nicht. Erst nach mehrmaligen Hin und Her nannte ein Kind Gott. Frau J. wies die Kinder darauf hin, dass gerade dieses Gedicht gelernt werden müsse, weil es eines der wichtigsten ist. Alsdann gab sie das Gedicht auf zu lernen.

Nach dem Schulunterricht standen einige Kinder vor der Schule beisammen und unterhielten sich über das Gedicht. Später begegnete ihnen Herr Lehrer W. und sagte: »Wer das Gedicht nicht aufsagt ist dumm« – »Der Sozialismus wird dennoch siegen«. Am Donnerstag, den 9. Juni 1966, nahm Frau J. die Kinder zum Aufsagen des Gedichtes dran, obwohl sie mehrfach geäußert hatten, dass sie den 2. Vers des Gedichtes nicht aufsagen würden und ein Teil von Kindern wies darauf hin, dass ihnen dies von den Eltern verboten sei. Frau J. nahm nun die Kinder dem Alphabet nach dran. Bis auf ein Kind weigerten sich alle die Strophe mit dem Fluch gegen Gott aufzusagen. Sie wurden um zwei Noten schlechter zensiert. In den folgenden Stunden gingen die jeweiligen Lehrer auf den Vorfall in der Deutschstunde ein. Dabei äußerte Herr J.: »Zwischen Kirche und Staat steht eine Mauer (Kirchhofsmauer). Gott sei Dank, dass diese Mauer steht.« Dieter J. ging nicht schnell genug an die Wandtafel, worauf Herr J. sagte: »Hat dir der Pastor das Rechnen auch verboten?« Zu Anita R. sagte Herr J.: »Darfst du das auch nicht rechnen?« Immer wieder machte er ähnliche Bemerkungen zu den Kindern. Frau P. wies auf die Kreuzritter und anderes hin. »Ich war auch in der Kirche und weiß, dass in früheren Zeiten die Kirche den Menschen das letzte Geld aus der Tasche gezogen hat.« Sie wie alle anderen Lehrer fragte, wer das Aufsagen verboten hätte. Als sie Christa D. mit Fragen bestürmte, begann diese bitterlich zu weinen. Sie sagte ferner: »Wenn ihr nichts zu essen hättet wie die Weber, würdet ihr auch verzweifeln.« Ekkehard R. darauf: »Ich nicht.« Darauf flog er hinaus. Sie sagte dann: »Der Pastor kann euch nicht beweisen, dass es Gott gibt.« Mehrere Lehrer wiesen darauf hin, dass die Kinder ja sonst auch fluchen würden, sie sollten es doch diesmal nicht so genau nehmen. Ein Lehrer erklärte: »Das Gedicht wird deshalb am Ende des Schuljahres behandelt, damit ihr es euch reiflich überlegt, ob ihr noch eine schlechte Note bekommen wollt.« Frau P. fragte Luise B. wer ihr das Aufsagen verboten habe. Luise B.: »Meine Mutter«. Frau P.: »Deine Mutter hat dir gar nicht zu verbieten. Da wirst du eine 5 bekommen.« Luise B.: »Für meinen Glauben nehme ich es hin.« Am Freitag, den 10. Juni wurde auf den Vorfall in fast allen Stunden wieder eingegangen. Herr J.: »Na, Annerose, du machst wohl schon wieder Gebetübungen?« Zu Elfriede H.: »Ist es überhaupt noch erlaubt zu schreiben?« In der Mathematikstunde wurden die Kinder fortwährend gehänselt. Während der Pause mussten drei Kinder an der Glastür stehen. Dabei erklärte Herr K.: »Die Großen sind wieder einmal die Dümmsten; ihr seid so doof (dabei zeigte er mit dem Finger auf den Kopf) und lasst euch vom Pastor überreden und glaubt den Mist. An solchen Mist glaube ich nicht. Vom Pastor hätte ich mich nicht aufhetzen lassen.« Annerose M. lachte, daraufhin sagte er zu ihr »Du kriegst gleich eine gefeuert, dass du durch die Glastür fliegst und dich unten im Sandkasten wiedersiehst.« Zu Dieter B. wurde gesagt: »Pass bloß auf, sonst kriegst du ein paar geknallt.« Herr K. sagt dann noch: »Für die Lehrer tut ihr gar nichts, die euch schreiben und rechnen lehren.« Herr J.: »Ihr werdet es in den nächsten Jahren schon merken, dass ihr heute so dumm gewesen seid. Sowie ihr uns gegenübersteht, werden wir euch gegenüberstehen. Wenn ihr meint, dass ihr von jemandem unterstützt werdet, dann täuscht ihr euch.«

III. Vormilitärische Ausbildung und Erziehung zum Hass

Aus einem Bericht vom 2. Mai 1966

Folgenden und mitgeteilten Vorgang bringen wir Ihnen zur Kenntnis:

»Mein Sohn Johannes besuchte die Klasse 9 der Oberschule Z. Klassenleiter W. teilte dieser Klasse in einer der ersten Stunden nach Ostern mit, dass am 16. April vormittags die »vormilitärische Ausbildung« beginne. Befragt erklärte er, dass dieser Dienst freiwillig sei. Meinem Sohn habe ich die Teilnahme nicht erlaubt.

Am Sonnabend (16.4.) rief mich mein Sohn vom Lehrerzimmer aus an und sagte, dass die Teilnahme »Pflicht« sei. Ich blieb bei meinem Verbot und bat den Klassenleiter an den Apparat, der mir erklärte, dass dieser Dienst für alle Schüler »Pflicht« sei nach einer Verfügung des Ministeriums für Volksbildung vom Mai 1965.32 Ich lehnte weiterhin die Teilnahme meines Sohnes ab, da diese Verfügung uns Eltern nicht bekannt sei. Darauf der Klassenleiter: »Das muss ich mit dem Chef besprechen.« Mein Sohn hat an der Übung nicht teilgenommen, sondern auf dem Sportplatz Sand gekarrt.

Über die Übung selbst berichtete er:

Durchführende: Kampfgruppen.33

Übungszweck: Der Gegner hat Kräfte abgesetzt, die unter der Bevölkerung Unruhe stiften sollten.

Diese »Kräfte« wurden durch Klasse 9 (nur Schüler) dargestellt. Die Schüler mussten sich in den umliegenden Ortsteilen verstecken, wurden von den Kampfgruppen aufgespürt, wurden verhaftet und zum in der Schule liegenden »Stab« gebracht. Sie mussten sich breitbeinig mit erhobenen Händen mit dem Blick zur Wand hinstellen. So wurden sie »durchsucht«. Hinter den Schülern standen Posten mit aufgepflanztem Seitengewehr.

Im Blick auf den Übungszweck und die Durchführung verweigerte ich weiterhin meinem Sohn die Teilnahme.

Eingabe eines Konvents vom 21.3.1966:

Wir haben durch die Zeitung davon Kenntnis erhalten, dass ein vormilitärisches Ausbildungslager für Schüler der Klasse 9 und 10 der Oberschule in W. während der Ferien durchgeführt wurde. In dem Bericht wurde ausdrücklich festgestellt, dass die Schüler eine Ausbildung an Handfeuerwaffen erhielten, mit dem Umgang von chemischen Kampfstoffen bekannt gemacht wurden und das Lager mit der Explosion einer Handgranate »würdig abgeschlossen« wurde.

Wir sind darüber empört, dass 15-jährige Schüler in dem Umgang mit Waffen geübt werden, zumal uns ähnliche Vorgänge aus den faschistischen Wehrertüchtigungslagern in grauenhafter Erinnerung sind, und wir es erlebt haben, wie 15-jährige Jugendliche in den letzten Tagen des Krieges sinnlos verbluteten.

Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass durch eine solche Erziehung und Schulung systematisch der Boden für einen neuen Krieg vorbereitet wird. Wir bitten und hoffen, dass künftig ähnliche Vorkommnisse unterbleiben und unsere Kinder in der Ehrfurcht vor dem Leben (Albert Schweitzer)34 erzogen werden.

Abschließendes Gespräch mit dem Vorsitzenden des Rates (Auszug)

Der Ratsvorsitzende begrüßt die Anwesenden mit dem Hinweis, dass diese Aussprache im Blick auf das Schreiben der Pfarrerschaft notwendig und unumgänglich ist, denn in diesem Schreiben wird der DDR die ideologische und technische Vorbereitung eines Krieges unter[ge]schoben, was besonders der letzte Satz des Schreibens ausdrückt. Der Brief ist eine Diffamierung der Friedens- und Verteidigungspolitik der DDR, wir können das unter keinen Umständen auf uns sitzen lassen. Der Ratsvorsitzende liest den Brief vor.

Er sagt: Mir ist eine sachliche Beurteilung des Schreibens sehr schwergefallen, was sie in ihrem Schreiben ausführen, ist einseitig, unsachlich, Unterstellung. Ich suche in ihrem Schreiben nach Protest gegen das Kindermorden der Amerikaner in Vietnam durch ihren barbarischen Luftkrieg.35 Ich suche in ihrem Schreiben vergeblich nach einem Protest gegen Westdeutschland, denn gerade dort werden Kinder für die Vorbereitung eines Angriffskrieges gegen das sozialistische Lager und besonders die DDR mit ihren Errungenschaften missbraucht. Sie üben an Maschinengewehren und fahren auf Panzern, sie richten ihre Feuerwaffe sogar auf erwachsene Menschen, wenn es auch nur Übung und Spiel ist.

Was wir tun, ja tun müssen, ist Verteidigung dessen, was wir in jahrzehntelanger Arbeit aufgebaut haben, unsere großen sozialistischen Errungenschaften. Wir erziehen nicht im Sinne des Militarismus und Revanchismus. Was wir tun, ist die größtmögliche Stärkung unseres gerechten Friedenslagers. Wir erziehen unsere Kinder nach wie vor zur Ehrfurcht vor dem Leben. Und das Leben unserer Bürger und auch unserer Kinder muss geschützt und verteidigt werden. Wir lernen es jetzt an Vietnam. Wir müssen auf alles vorbereitet sein. Eine militärische Ausbildung, nach dem der Feind bereits die Grenzen überschritten hat, kommt zu spät. Unsere Kinder sollen nicht nur gute hervorragende Leistungen auf dem Gebiet des Wissens und später in ihrem Beruf haben, nein auch dann, wenn es gilt unter Einsatz des Lebens Leben und Errungenschaften gegen einen Aggressor zu schützen. Wir haben schon mehrere Aussprachen geführt. Unsere Aussprache soll ergeben, wie wir einen gemeinsamen Weg finden und gehen können. Ich erinnere daran, viele, sehr viele Christen arbeiten mit uns bewusst an der Stärkung unserer Verteidigungskraft mit. Es müsste sich auch für uns ein gemeinsamer Weg für die sozialistische Wehrerziehung finden lassen.

Superintendent:

Der Anlass unseres Protestschreibens waren die Artikel, die wir in den Zeitungen gelesen haben. Der Artikel berichtet über ein Wehrertüchtigungslager und ein Artikel in der Lehrerzeitung fordert eine umfassende Wehrertüchtigung für die Kinder und Jugendlichen. In diesen Artikeln ist davon geredet [worden], dass die Kinder und Jugendlichen zu einem »Freund-Feind« Denken und zum Hass erzogen werden sollen. Die Kinder werden aufgerufen ihr Leben für den Sozialismus einzusetzen.

Ich bin sehr empört gewesen als ich die Artikel las. Ich möchte deshalb noch einmal in aller Deutlichkeit betonen, wir sind für den Frieden, wir Pfarrer des Kirchenkreises W., wie überhaupt die Kirche, wir sind für den Frieden.

Wir haben hier in der DDR und unsere Amtsbrüder im Westen für den Frieden einzutreten. Wir werden das tun und wir werden nicht aufhören zum Frieden zu rufen. Sagen sie uns, wie sollen wir das verstehen… »mit der Explosion einiger Handgranaten wurde das Lager würdig zum Abschluss gebracht«? Wer das einmal wie ich erlebt und gesehen hat, wie ein Mensch aussieht, der von einer Handgranate zerfetzt worden ist, dem wird es unverständlich sein, wie so etwas in der sozialistischen Presse gesagt werden kann. In den Zeitungen war über die Unterweisung der Kinder in chemischen Kampfstoffen geschrieben. Zugleich aber protestiert man gegen die Anwendung chemischer Kampfmittel durch die Amerikaner in Vietnam.

Wir sind empört, dass die Wehrertüchtigung den ganzen Schulunterricht bestimmen soll. Wir sind empört, dass die Kinder schon in Vorbereitung auf einen eventuellen Krieg missbraucht werden sollen. Wir wenden uns mit unserem Protest diesmal gar nicht gegen die NVA, sondern gegen die Wehrerziehung von Kindern, unseren Kindern! Und was sie tun ist nicht mehr Sport und Spiel, sondern wirkliche militärische Ausbildung. Die Kinder haben nicht nur auf Scheiben, sondern auf Menschenfiguren geschossen. Wir können gar nicht anders im Interesse des Friedens als unseren Kindern immer wieder das ganze Grauen eines Krieges vor Augen zu halten. Wir müssen heute unseren Kindern einhämmern, kein Krieg, weder zu Gunsten der Verteidigung noch zu etwas anderem, ist im atomaren Zeitalter durch nichts gerechtfertigt. Wir dürfen nicht, wie es schon einmal so verderblich geschah, zum Hass erziehen. Für uns Christen bedeutet das, ich darf auch meinen vermeintlichen Gegner nicht als Teufel hinstellen, sondern muss immer wieder nach Möglichkeiten der Verständigung und Versöhnung suchen und das wird letztlich so weit gehen müssen, wie es Christus fordert: »Du sollst deinen Feind lieben!«

Ratsvorsitzender:

Es kommt auf den Standpunkt an, auf den wir uns jetzt zu stellen haben. Wir können doch unmöglich die SS-Verbrecher, Massenmörder und KZ-Ärzte als Menschen betrachten, geschweige sie gar liebhaben. Wir müssen sie hassen und wir hassen sie. Sie und ihre Hintermänner sind zweimal über die Völker Europas hergefallen und haben unsägliches Leid und Elend über die Menschheit gebracht.

Superintendent:

Das ist es ja gerade! Auch der KZ-Arzt wurde nicht als Massenmörder geboren, sondern dazu erzogen und mit dieser Erziehung sein Gewissen zerstört. Er hat ja dadurch geglaubt, dass das was er tut, gut und richtig ist für Deutschland und die ganze Menschheit. – Dagegen wenden wir uns mit aller Schärfe, dass unseren Kindern das Gewissen genauso zerstört wird oder abgetötet, dass sie zum Hass und zur Vernichtung von Menschenleben ausgebildet und erzogen werden.

Pfarrer: Es ist noch gar nicht so lange her, da hieß es, wir nehmen keine Waffe mehr in die Hand. Man sollte dem Menschen die Hand abhacken, der eine Waffe anfasst… Wenn die Kinder zum Hass erzogen werden, darf man sich nicht wundern, wenn sie über sich selbst die Kontrolle verlieren. Wo wird diese Erziehung zum Hass einmal hinführen?

Superintendent:

Es stehen sich doch zwei Machtblöcke gegenüber mit einem ungeheuren militärischen Potential, getrieben von der Angst voreinander. Und diese Angst wird immer mehr durch Hasspropaganda geschürt. Die Folge ist ein grenzenloses Wettrüsten.

Wir fragen uns ernsthaft, welche Ideale oder Errungenschaften sollen bei einem atomaren Vernichtungskrieg der nichts mehr übrig lässt, verteidigt werden? Wir können im atomaren Zeitalter nicht in einem Kriege etwas zu gewinnen oder zu verteidigen suchen, sondern um der Menschheit willen nur mit allen Mitteln für den Frieden und die Verhinderung eines Krieges uns einsetzen.

W.: Wir haben da unsere eigenen Auffassungen und lassen uns auch von ihnen nichts vorschreiben. Bei uns ist durch Gesetze geregelt [sic!].

Für ihre Bedenken und Gewissensbisse haben wir die Möglichkeit des Bausoldaten. Sie brauchen bei uns keinen Waffendienst zu tun. Aber wir wehren uns gegen ihre Behauptungen als ginge von unserem Boden ein Krieg aus. Wir lassen uns auch nicht mit der faschistischen Wehrertüchtigung gleichsetzen. Wir können ihrer Forderung nach ihrer Sicht nicht stattgeben. Wir reden in ihre kirchlichen Belange auch nicht rein. Wir wissen selbst allzu gut, was wir zu tun haben.

Ratsvorsitzender:

Ich verstehe ihre Besorgnis um den Frieden. Aber was gibt uns die Sicherheit im Frieden leben zu können?

Doch nur eine starke Verteidigungsmacht. Wir sind für den Humanismus. Wir bitten auch uns zu glauben, dass wir uns auf unsere Weise und nach unserer Sicht für den Frieden einsetzen. Wir bitten, dass sie sich heraushalten aus Dingen, die durch Gesetze für die Verteidigung, durch Volkskammerbeschlüsse usw. längst festgelegt sind.«

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    24. September 1966
    Einzelinformation Nr. 722/66 über die Konferenz der Evangelischen Bischöfe in der DDR am 22.9.1966 in Berlin

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    21. September 1966
    Einzelinformation Nr. 710/66 über das besondere Vorkommnis im Erntekommando der 5. Grenzbrigade in der LPG Wiebendorf, Kreis Hagenow, und über ähnliche Erscheinungen im Erntekommando der 8. MSD im VEG Dreschvitz, [Kreis] Rügen