Unzufriedenheit unter Beschäftigten der ND-Druckerei
13. April 1966
Einzelinformation Nr. 282/66 über Unzufriedenheit unter den Beschäftigten der Druckerei des »Neuen Deutschland« Werk II
Dem MfS wurde bekannt, dass es im Zusammenhang mit der am 8. und 9.4.1966 bereits erfolgten bzw. der ab 16.4.1966 beabsichtigten zwölfseitigen Ausgabe des »ND« an den Wochenenden im Werk II der Druckerei des »Neuen Deutschland« zu größeren Missstimmungen unter den Belegschaftsangehörigen kam. Nach den bisherigen Feststellungen wurden den betreffenden Werksangehörigen die politische Bedeutung der Erweiterung des Zentralorgans der SED nicht näher erläutert und die Durchführung der organisatorischen Maßnahmen teilweise ungenügend vorbereitet.
Bereits bei der ersten Erweiterung der ND-Ausgabe am 8.4.19661 auf zwölf Seiten zeigten sich im Werk II ernste Mängel in der technisch-organisatorischen Vorbereitung. Besonders aber auf die Ankündigung der Redaktion, die Wochenendausgaben des »ND« ab 16.4.1966 auf zwölf Seiten zu erweitern, kam es unter den Kollegen der Druckerei Werk II zu einer größeren Missstimmung.
Durch die ungenügende Vorbereitung der beabsichtigten Erweiterung der Wochenendausgaben und die noch mangelnde politische Klarheit über deren Bedeutung unter den Belegschaftsangehörigen, wurden durch eine Reihe von Kollegen und Genossen die in der Anlage beigefügten Resolutionen angenommen. Darin wird u. a. die Auffassung vertreten
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dass die Umfangserweiterung eine unüberlegte Maßnahme wäre, die zu einer weiteren Verschlechterung der schon nicht günstigen Arbeitsbedingungen in der Abteilung führen würde;
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dass bereits in der Woche 60 Stunden gearbeitet würden;
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dass es ein Teil der Kollegen unter diesen Bedingungen ablehnt, zu arbeiten.
Begünstigt wird diese Situation noch dadurch, dass auch die Wirtschaftsfunktionäre des Werkes II Diskussionen darüber mit den Genossen und Kollegen vermeiden und Auseinandersetzungen aus dem Wege gehen, weil sie von den geplanten Maßnahmen ebenfalls nicht überzeugt wären. Ferner wurde diese Missstimmung durch Mängel in der Zusammenarbeit zwischen der Redaktion und der Druckerei des »ND« begünstigt.
Zum bisherigen Sachverhalt wurde Folgendes festgestellt:
Am 8. und 9.4.1966 wurde auf Weisung der Redaktion des »ND« wegen der Veröffentlichung von Materialien des XXIII. Parteitages der KPdSU2 jeweils zwölfseitige Ausgabe des »ND« gedruckt. Zu diesem Zweck wurde die Druckerei am 7.4.1966 informiert, dass am 8.4.1966 eine Zwölf-Seiten-Ausgabe mit Rot-Druck hergestellt werden soll. Am 8.4.1966 wurde die Druckerei durch den Zeitungsverantwortlichen der Redaktion des »ND«, Genosse Randau,3 in Kenntnis gesetzt, dass die ND-Ausgabe am 9.4.1966 mit Blau-Druck erscheinen soll.
Ebenfalls am 8.4.1966 äußerte der Leiter der Druckerei, Werk II, vor Schichtbeginn gegenüber den Brigaden »Völkerfreundschaft« und »7-Jahr-Plan«, dass ab 16.4.1966 jedes Wochenende mit einer zwölfseitigen Ausgabe des »ND« gerechnet werden müsse. Diese Ankündigung rief unter den Brigademitgliedern eine ablehnende Haltung gegenüber dem Beschluss hervor. Am 9.4.1966 vormittags wurde der Werkdirektor vom Chefredakteur Genosse Singer4 informiert, dass auch am 10.4.1966 (1. Osterfeiertag) eine Zwölf-Seiten-Ausgabe hergestellt werden soll.
Daraufhin organisierte die Leitung des Werkes II sofort, dass die am gleichen Tage um 19.30 Uhr beginnende Nachtschicht bereits 16.30 Uhr ihre Schicht aufnehmen sollte. Dabei kam es unter den Genossen und Kollegen der Druckerei zu heftigen Diskussionen gegen die Leitung der Redaktion und die verantwortlichen Genossen im ZK der SED.
Gegen 16.30 Uhr fehlten von der vorgesehenen Nachtschicht noch 15 Kollegen, und der Druck der Zeitung musste mit unterbesetzten Maschinen beginnen. Die fehlenden Kollegen erschienen erst zu ihrer normalen Schicht gegen 19.30 Uhr.
Die Diskussion und Stimmung unter den Genossen und Kollegen des Werkes II waren aufgrund der mangelhaften politisch-ideologischen und technisch-organisatorischen Vorbereitung äußerst negativ. Besonders der Obermeister Roder,5 Meister [Name 1] und Abteilungsleiter Müller6 diskutierten in abfälliger Weise gegen die Maßnahmen der Redaktion und des ZK.
Trotz aller Mängel konnte die Ausgabe des ND für den 10.4.1966 termingerecht ausgeliefert werden.
Die negativen Diskussionen über die beabsichtigte ständige Erweiterung der Wochenendausgabe des »ND«, die sich auch im Inhalt der Resolutionen widerspiegeln, halten jedoch noch an und machen eine stärkere politisch-ideologische Aufklärungsarbeit erforderlich.
In diesem Zusammenhang erscheint es jedoch auch notwendig, die gesamten organisatorisch-technischen Voraussetzungen zu überprüfen.
Anlage 1 zur Information Nr. 282/66
[Protest gegen Umfangserweiterung des ND (Abschrift)]
11. April 1966
Die nachstehenden Kollegen der Brigade »Völkerfreundschaft« protestieren auf das Entschiedenste gegen die diktatorisch geplante und gegen die, bereits gegen den Willen der Kollegen, durchgeführte Umfangserweiterung der Tageszeitung Neues Deutschland.
Diese unüberlegte Maßnahme führt zu einer weiteren Verschlechterung der ohnehin schon nicht günstigen Arbeitsbedingungen unserer Abteilung. Wir fordern deshalb schnellstens eine Aussprache mit den verantwortlichen Funktionären, um sie an Ort und Stelle von der Unsachlichkeit ihrer Forderung, von der nicht ertragbaren Zumutung und von der Stimmung der Kollegen zu überzeugen.
Auf vielen Versammlungen wurde und wird immer auf den vorbildlichen und schweren Arbeitseinsatz aller Kollegen des Werkes II lobend hingewiesen. Ob Drucker, Hilfsarbeiter, Packer, Handwerker oder Kollegen der Stereotypie, alle waren sie bei Sondereinsätzen zur Stelle.
Will man die Einsatzbereitschaft durch diktatorische Maßnahmen in Zukunft gefährden? Kommt unser Mitbestimmungsrecht im ND nur bei nebensächlichen Dingen zur Geltung? Ist den angesprochenen Stellen bekannt, dass in der III. Schicht in sieben Tagen 60 Stunden absolviert werden, dass die Kollegen alle drei Wochen einen halben Sonntag zu Verfügung haben? Wer von den betreffenden Wirtschaftsfunktionären übernimmt die Verantwortung, dass, wenn es bei der diktatorischen Maßnahme bleibt, mit der Gesundheit der Kollegen Schindluder getrieben wird? Welchen Wirtschaftsfunktionär können wir zur Rechenschaft ziehen, wenn viele Kollegen ihre Warnung wahrmachen und den Weg des geringsten Widerstandes gehen, indem sie kündigen und somit die Termineinhaltung unserer Tageszeitung »Neues Deutschland« gefährden?
Diese Fragen und noch einige mehr bedürfen schnellstens der Klärung.
Unser Staatsratsvorsitzender, der Genosse Walter Ulbricht, hat in seiner Rede gesagt: »Die Atmosphäre in den Betrieben ist so zu gestalten, dass sich alle Kollegen wie zu Hause fühlen.«7 Wir sagen: »Richtet Euch danach und wir sagen noch mehr.« Lasst die Losung »Regiere mit, plane mit und arbeite mit«8 voll zur Anwendung kommen. Nur so wird das Verhältnis zwischen Regierung und Arbeitern gefestigt und nur so lassen sich hohe ökonomische Erfolge erzielen.
Gezeichnet [Vorname Name 2], [Name 3], Fiddecke, Willi Walter
Anlage 2 zur Information Nr. 282/66
An die Redaktion des ND
9. April 1966
Erweiterung des Zeitungsumfanges
Mit der Erweiterung des Zeitungsumfanges, freitags Druck von zwölf Seiten, können wir arbeitsmäßig aus folgenden Gründen nicht einverstanden sein:
Bisher arbeiteten wir in der Nachtschicht sonntags 8,5 Stunden, Montag bis Freitag je acht Stunden, sonnabends elf Stunden von 16.30 bis 4.00 Uhr, das sind 60 Stunden in der Woche.
Durch die Umfangserweiterung müssten wir freitags auch elf Stunden, von 16.30 bis 4.00 Uhr, arbeiten. Das wären zwei Tage hintereinander elf Stunden und in der Woche 63 Stunden. Die Einführung von der Redaktion, dass sonnabends nur drei oder vier Seiten gewechselt werden und die B-Ausgabe nach der A-Ausgabe weiter läuft,9 ist für uns keine Erleichterung. Denn nach ca. 60 000 Exemplaren A-Ausgabe je Maschine müssen qualitätsmäßig alle Platten gewechselt werden, ob das nun die gleichen Seiten sind wie in der A-Ausgabe oder nicht, ist uns vollkommen egal. Die Spindeln, Tücher usw. müssen sauber gemacht werden. Es ist die gleiche Arbeit, als wenn A- und B-Ausgabe getrennt gedruckt werden. Es ist unmöglich, dass diese Arbeit in acht Stunden geschafft werden kann. Das ist bei der physisch und körperlichen [sic!] Beanspruchung beim Zeitungsdruck eine derartige Belastung der Kollegen, dass wir es ablehnen, unter diesen Bedingungen zu arbeiten. Die Kollegen der Brigade »Völkerfreundschaft« Rotation:
Gezeichnet:
[Unterschriftenliste mit 27 Namen]
Anlage 3 zur Information Nr. 282/66
[Kritik an Betriebsleiter durch ND-Mitarbeiter (Abschrift)]
9. April 1966
Arbeitszeit und Umfangsveränderung bei der Zeitungsherstellung, Rotation Werk II
Meine Meinung zu den Ausführungen des Betriebsleiters, Genossen Hoffmann, ist folgende:
Die Regierung und Partei ermöglichen es durch Gesetze und Verordnungen, dass das Leben für jeden Werktätigen sich bessern soll und darum auch die Schaffung eines freien Sonnabends in jeder zweiten Woche,10 aber wie sieht es dagegen bei uns aus? Dieses Gesetz wird nach meiner Meinung bei uns in verkehrter Richtung angewendet. Es wird immer mehr von uns verlangt, z. B. sollen wir in der Nachtschicht (jetzt schon 60 Stunden) freitags und sonnabends um 16.30 Uhr mit der Arbeit beginnen. In der Spätschicht zieht sich der Sonnabend dann bis 0.30 Uhr hin und der Sonntag nach der Spätschicht dann vielleicht noch kurze Streifen, welchen Sonntag im Monat dürfen wir dann mit unseren Frauen und Kindern zusammen sein? Wenn Feiertags Zeitungen erscheinen, sind wir auch immer da.
Erst wurde mit Bunteindruck begonnen, dann sonnabends zwölf Seiten, nun freitags sollen zwölf Seiten erscheinen, wie weit soll das noch gesteigert werden?
Ich glaube, dass die Genossen, welche die neue Arbeitszeit und Umfangserweiterung gemacht haben, mit unserer Materie nicht vertraut sind und es wäre zu begrüßen, wenn sie erst mal einen dreiwöchigen Turnus bei uns studieren und dann in einer Belegschaftsversammlung mit uns Kollegen über eine Veränderung beraten.
Mit der vorliegenden Veränderung bin ich keineswegs einverstanden, denn mir scheint, hier wurde der dreischichtig arbeitende Werktätige vollkommen vergessen.
Gezeichnet:
[Unterschriftenliste mit acht Namen]
Rotationswerk II