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US-amerikanischer Theologe zu Besuch in der DDR (2)

3. Oktober 1966
Einzelinformation Nr. 737/66 über den Aufenthalt von Prof. Dr. Charles West, Prof. für Christliche Ethik am Princeton Theological Seminary/USA, in der DDR

Wie vom MfS in der Einzel-Information 671/66 mitgeteilt wurde, hielt sich Prof. Dr. Charles West1 in der Zeit vom 8. bis 22.9.1966 in der DDR auf. (West war von Carl Ordnung/CDU,2 nationaler Sekretär der Prager Christlichen Friedenskonferenz,3 zu einer Studienreise in die DDR eingeladen worden.)

Über den Aufenthalt von Prof. Dr. Charles West in der DDR wurde Folgendes bekannt:

West reiste am 8.9.1966 (bereits einen Tag vorher, als im Programm festgelegt war), aus Westberlin kommend, in die DDR ein.

Während seiner »Studienreise« durch die DDR suchte West hauptsächlich folgende Orte bzw. Personen auf:

Am 8. und 9.9.1966 hielt er sich im Gebäude des »Ökumenischen Dienstes Berlin«,4 Johann-Georg-Straße, auf, wo er zu persönlichen Gesprächen mit Carl Ordnung zusammentraf. (West wollte sich durch Gespräche mit Ordnung einen weiteren Überblick über die Kirchen in der DDR und in Deutschland verschaffen.)

West hielt am 9.9.1966 im Gebäude des »Ökumenischen Dienstes« einen Vortrag zum Thema »Die Ohnmacht der Mächtigen«. Am 10.9.1966 sprach er vor 15 Mitgliedern des Abrüstungsausschusses der Prager Christlichen Friedenskonferenz im Gebäude der Gossner Mission.5 (Vorsitzender des Ausschusses ist Pfarrer Bruno Schottstädt,6 Leiter der Gossner Mission in der DDR.)

Am 11.9.1966 traf West in Cottbus mit dem evangelischen Pfarrer Willibald Jacob7 – Leiter der Stadtmission und Gossner Mission Cottbus zusammen, der ihm am 12.9.1966 ein Gespräch mit zwölf Mitgliedern seines Pfarrkreises vermittelte.

Nach der Zusammenkunft wurde West vom Rundfunkstudio Cottbus interviewt. (Der Text des Interviews wurde am 12.9.1966 um 22.00 Uhr über Radio DDR I gesendet.)

Gemeinsam mit Willibald Jacob besichtigte West einige evangelische Pfarrämter im Bezirk Cottbus. (Hoyerswerda/Altstadt, Hoyerswerda/Neustadt, Großräschen Kreis Hoyerswerda,8 Schwarze Pumpe, Wilhelm-Pieck-Stadt-Guben)

In Eberswalde traf West am 13.9.1966 mit Generalsuperintendent Schönherr9 zu einem Gespräch zusammen.

West nahm ferner am 15. und 16.9.1966 an der Regionalkonferenz der DDR der Prager Christlichen Friedenskonferenz in Berlin teil.

Mit Bischof Jänicke10 und Pfarrer Orphal11 traf West am 17.9.1966 im Evangelischen Konsistorium in Magdeburg zusammen. (Teilnehmer dieses Gespräches waren außerdem Oberkonsistorialrat Ammer,12 Oberkonsistorialrat Preisler,13 Propst Fleischhack,14 Oberkonsistorialrat Dr. Koch,15 Prov. Pfarrer Schicketanz)16

Gemeinsam mit Carl Ordnung führte West am 20.9.1966 ein Gespräch mit Prof. Dr. Olof Klohr,17 Lehrstuhl für Atheismus an der Universität Jena. Von Jena aus begab sich West nach Naumburg, wo er ein Gespräch mit Pfarrer Dr. Hamel18 führte.

Am 21.9.1966 kam er zu einem Gespräch mit Pfarrer Dr. Frielinghaus19 in Dresden zusammen.

Zu einem weiteren ausführlichen Gespräch mit Pfarrer Bassarak,20 Internationaler Sekretär der Prager Christlichen Friedenskonferenz, Berlin, kam es am 22.9.1966, nachdem bereits am 10.9.1966 eine Zusammenkunft zwischen West und Bassarak stattgefunden hatte.

Im Anschluss daran verließ Charles West die Hauptstadt der DDR nach Westberlin.

Dem MfS wurde bekannt, das West neben Gesprächen über theologische Fragen seinen Aufenthalt in der DDR besonders dazu benutzte, sich über die kirchenpolitische Situation in Deutschland und über Probleme der Entwicklung der DDR zu orientieren. Er war bestrebt, mit einem möglichst großen Kreis von Geistlichen aller Kirchenkreise einen »Gedankenaustausch« zu führen. Dabei war zu erkennen, dass er die Meinungen seiner Gesprächspartner zu Problemen, die besonders den Vietnam-Krieg,21 die USA-Politik in Vietnam und das »Deutschlandproblem« betrafen, offensichtlich liberalisieren wollte.

Zum Inhalt der von West geführten Gespräche wurde dem MfS Folgendes bekannt:

In allen von West geführten Gesprächen wurde von ihm meist in sehr breiter Form zum Vietnam-Problem Stellung genommen. Dabei war er bestrebt, seine als »Sachverständiger« in Vietnam-Fragen vorgetragenen »Ansichten« als »glaubhaft« und »unumstößlich« darzustellen, die keine andere Einschätzung zuließen. Mehrfach betonte er, seine Einschätzung sei »real«, basiere auf gründlichem Studium der gegebenen Verhältnisse und trage den »eigentlichen Interessen« des Volkes und aller Christen Rechnung. Überwiegend sprach sich West in seiner »Einschätzung« für eine Weiterführung des Vietnam-Krieges aus, wobei er die Position der USA in den Vordergrund zu rücken und zu befürworten versuchte.22 West war bestrebt, diese »Ansichten« einem möglichst großen Kreis zugänglich zu machen. So benutzte er z. B. seine Anwesenheit während der Regionalkonferenz der Prager Christlichen Friedenskonferenz Berlin – obwohl er lediglich als Gast teilnahm – zu einer »Stellungnahme« zum Vietnam-Krieg. Darin befürwortete er im Wesentlichen die reaktionäre Vietnam-Politik der USA und war bestrebt nachzuweisen, dass die DDR-Publikationen zum Vietnam-Problem unglaubhaft seien.

Eine durchweg reaktionäre Haltung sowohl zum Vietnam-Problem als auch zu Problemen der Entwicklung der DDR, zur Politik der europäischen und nichteuropäischen Staaten und zur Politik der USA bezog West während seines Gesprächs im Evangelischen Konsistorium Magdeburg in Anwesenheit des reaktionären Jänicke und anderen. Zu bemerken ist, dass sich West – der als überdurchschnittlich intelligent und außerordentlich anpassungsfähig eingeschätzt wird – in jedem Falle sehr geschickt auf die politische Haltung seiner Gesprächspartner einstellte.

West vertrat im Wesentlichen bei allen Gesprächen – mit Ausnahme des Gesprächs bei Prof. Olaf Klohr (Universität Jena) – übereinstimmend folgende Linie:

Die nichteuropäischen Staaten, dabei besonders China und Nordvietnam, richteten ihr Hauptaugenmerk auf die »kommunistische Infiltration«, die Organisierung von Bürgerkriegen und die »Unterwanderung« der Nachbarstaaten.

Die USA müssten den Krieg gegen Nordvietnam im Süden und Norden in der Eskalation weiterführen, um die Kräfte Nordvietnams, in gewisser Hinsicht auch Chinas, so zu binden, dass deren Infiltrationsabsichten in Laos, Kambodscha, Thailand wegen Kräftemangels unmöglich würden. An einen Truppenanzug der USA sei deshalb nicht zu denken. Es gehe nicht um Vietnam – das sei nur noch der Ort der Kräftebindung des Gegners – es gehe um Südostasien. Dabei stabilisiere sich die Lage in Südvietnam. Ky23 sei zwar kein seriöser General, aber er habe in letzter Zeit immerhin Verhandlungserfolge.

Die USA würden in nächster Zeit das sogenannte Kennan-Modell24 in den Vordergrund spielen. Danach würden sich die US-Truppen in Südvietnam in die Städte zurückziehen, die Bombardierung des Nordens würde fortgesetzt und Verhandlungen mit der nationalen Befreiungsfront Südvietnams25 würden begonnen werden. In den Verhandlungen solle es außerdem darum gehen, dass sich Nordvietnam verpflichtet, seine Aktivität in den Nachbarstaaten einzustellen.

West charakterisierte Nordvietnam als einen totalitären Staat. Der Präsident Ho Chi-Minh26 sei nur mit Gewalt und Terror an die Macht gekommen. Eine Lösung des Vietnam-Problems ließe sich nur über eine Veränderung der Verhältnisse in Nordvietman erreichen. Wenn in Nordvietnam ein »etwas liberalerer Staat« nach dem etwaigen Muster des ungarischen, polnischen oder tschechoslowakischen sozialistischen Staates entstehen würde, könne sich Amerika aus Vietnam zurückziehen.

Gleichzeitig dazu müsste die UNO mehr »ins Spiel gebracht« werden. Das mache erforderlich, dass U Thant27 unbedingt in seinem Amt bleibt. Im Rahmen der UNO wären die USA bereit, mit der Sowjetunion über Vietnam zu verhandeln. Allerdings müsse die Initiative dazu von der Sowjetunion kommen.

Seiner Meinung nach sei der Ausgang des Krieges in Vietnam ungewiss, da vonseiten der USA-Militärs die Gesetze des Partisanenkampfes ungenügend erforscht seien. (Ausführungen Wests u. a. vor Angehörigen des »Ökumenischen Dienstes Berlin« und vor Angehörigen des Abrüstungsausschusses der Prager Christlichen Friedenskonferenz in Berlin.)

West wies in weiteren Gesprächen darauf hin, in Vietnam seien die Meinungen zwischen den Buddhisten, dem Ky-Regime, den Katholiken und den anderen Sekten sehr differenziert. Alle wären sich jedoch einig, dass sie nicht kommunistisch werden wollten. Keine dieser Richtungen habe sich an die nationale Befreiungsfront gewandt, auch nicht die aufständigen Buddhisten. Die Bevölkerung wende sich im Großen und Ganzen gegen die »Vietcong«,28 weil sie den »Hauptterror« ausübten. Lediglich in dem Versuch, die Bevölkerung vor diesem Terror »zu schützen«, verübten die Amerikaner und die Vietnamesen jetzt den gleichen Terror. Ky wäre in Wirklichkeit nicht der »Diktator«, als [der] er immer hingestellt werde. (Gespräch bei Jänicke u. a.)

Der Krieg in Vietnam sei immer mehr zu einem amerikanischen Krieg geworden. Es käme darauf an, zu überzeugen, dass diese Position die richtige sei. Dadurch könne ein Vietnam entstehen, dass nicht kommunistisch sei. Es wäre schwer, sich vorzustellen, dass Vietnam eine hoffnungsvolle Zukunft haben könne, falls es unter kommunistische Herrschaft geraten würde. (aus dem nicht gesendeten Teil des Aufnahmetextes des Studios Cottbus/Interview mit West)

West entwickelte in einem anderen Zusammenhang die Variante, es wäre »günstiger« gewesen, wenn 1956 in Vietnam die Wahlen stattgefunden hätten und Ho Chi-Minh »alles übernommen« hätte.29 Zwar wäre dann eine »kommunistische Regierung« entstanden, aber man hätte in der Folgezeit »verhandeln« können und sich gegen jeglichen Einfluss Chinas gewehrt. Jetzt wäre die Lage so, dass die USA als Hauptverantwortliche angesehen würden. (Gespräch bei Jänicke u. a.)

Es müsse zugegeben werden, dass die USA durch die Bombenangriffe zwar einen psychologischen Druck ausübten, andererseits aber an Prestige verloren hätten, da die Angriffe den Standpunkt Ho Chi-Minhs stärken würden. In Vietnam werde von zwei Seiten »Unheil« angerichtet.

Auf die oppositionellen Kräfte in den USA im Zusammenhang mit dem Vietnam-Problem eingehend, äußerte West, die öffentliche Meinung in den USA sei sehr verworren. Jahrelang hätte man die Außenpolitik dem Präsidenten überlassen. Der »Schutz« der nichtkommunistischen Welt wäre wichtig, man müsse jedoch die »Grenze« kennen.

Auf Fragen aus dem Kreis um Bischof Jänicke, »ob es stimme«, dass die Wahlen in Südvietnam unter Druck stattgefunden hätten, gab West zu, dass der amerikanische Geheimdienst dort von Anfang an eine »verhängnisvolle Rolle« gespielt hätte. Der Geheimdienst CIA würde hinter dem Rücken der Regierung und der amerikanischen Botschaft eine eigene Politik betreiben. In Südvietnam sei das besonders »verhängnisvoll«, weil die amerikanische Politik etwas »zweideutig« sei und die Bevölkerung das spüren würde. Ein Politiker, der von irgendeiner Sache des Geheimdienstes »überspielt würde«, vertraue dann dem CIA nicht mehr.

Zum Resolutionsentwurf zur USA-Aggression in Vietnam, den Generalsuperintendent Schönherr auf der Regionalkonferenz der Prager Christlichen Friedenskonferenz der DDR am 16.9.1966 verlas,30 ergriff West – der lediglich als Gast an der Konferenz teilnahm – das Wort. Dabei führte er aus, entscheidend seien in der heutigen Situation nicht Resolutionen einer Masse, wie z. B. auch zur Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft in Genf,31 sondern »prophetische Reden« einzelner Persönlichkeiten. Bei Resolutionen käme es lediglich zu Kompromissen, die tatsächlichen Fronten würden verwischt. In Vietnam wäre die Lage nicht mit Truppenabzug geklärt, da die verschiedensten Ideologien und Mächtegruppierungen zurückblieben. Es müsse vielmehr eine »moralische Macht« entstehen, die in der Lage sei, die Regierungen zu »beeinflussen«. Das »künftige Vietnam« könne er sich nur so vorstellen, dass die »verschiedenen politischen Gruppen« tätig sein könnten. Bei einer solchen »Entwicklung«, die auch unter Mitwirkung der DDR-Christen erreicht werden könnte, bestehe die Möglichkeit, das Terror-Regime unter Ho Chi-Minh auszuschließen.

Später erklärte West in dem Gespräch mit Jänicke u. a. zur gleichen Resolution, in dieser Erklärung würde nicht das »zweiseitige Dilemma« erkannt. Werde eine Situation » nicht real« geschildert, könne man auch keinen »realen Rat« geben.

Zur öffentlichen Erklärung der DDR-Regierung zur Vietnam-Frage bezog West die Meinung, sie spiegele die Ansichten der »Russen« wider.32 Er – West – schätze die Lage so ein, dass die Sowjetunion einen diplomatischen Erfolg erringen könnte, falls sie die Nordvietnamesen zu Verhandlungen mit den USA veranlassen würde. Falls dann ein sozialistischer Staat zustande käme, hätte die Sowjetunion den Beweis, dass sozialistische Staaten nicht nur auf chinesischem Wege entständen.

Insgesamt ist zum Auftreten Wests festzustellen, dass er sich auf die Haltung seiner Gesprächspartner geschickt einstellte und in einigen Fällen – bei politisch positiv eingestellten Gesprächspartnern – direkte reaktionäre Stellungnahmen unterließ bzw. abschwächte. Durch diese Taktik Wests sind teilweise auch Widersprüche in seinem Auftreten entstanden. Offensichtlich wurde das in der Unterredung, die West mit Prof. Olof Klohr (Lehrstuhl für Atheismus an der Universität Jena) führte. West schwächte z. B. einleitend Behauptungen, die er in seinem Buch »Communism and the Theologians«33 über die DDR aufgestellt hatte mit der Bemerkung ab, dass seine damaligen Kenntnisse aus der Zeit des Stalinismus stammten.

Zum Vietnam-Problem äußerte er u. a., es sei von der amerikanischen Regierung »falsch« gewesen,

  • diesen Konflikt zu beginnen,

  • die Regierung in Vietnam überhaupt zu unterstützen,

  • 1954 das Vietnam-Abkommen zu boykottieren.

Er befürwortete im Gegensatz dazu die amerikanische Politik in Indonesien und erklärte, der Krieg in Vietnam könne nur mit einer Niederlage der USA enden. Ferner sprach sich West für die Aufnahme von Verhandlungen in Vietnam aus. Im Verlaufe des weiteren Gesprächs musste er zugeben, dass auch in den USA Veranstaltungen gegen den Vietnam-Krieg stattfänden, an denen er teilweise selbst teilgenommen habe.

Ein weiteres Thema – außer dem Vietnam-Krieg –, das West in fast allen Gesprächen interpretierte, waren Probleme der Entwicklung in der DDR, besonders »aus der Sicht des Christen«. Durch entsprechende Fragen war West offensichtlich bestrebt, unter seinen Gesprächspartnern Befürworter seiner Auslegung zu finden, die meist darin bestand, dass die DDR-Bürger in »Unfreiheit« lebten und die Christen »einen gewissen Druck« bzw. einem »ideologischen Druck« ausgesetzt seien. West gab jedoch auch mehrmals zu, dass er seine bisherigen Ansichten über die DDR teilweise »korrigieren« müsste.

Im Wesentlichen vertrat West folgende Linie:

Er führte an, er sei 1961 das letzte Mal in der DDR gewesen. Durch den »Mauerbau« am 13.8.1961 hätten sich die Möglichkeiten des innerkirchlichen Kontaktes, der Information und des Austausches verringert.

Namenhafte Geistliche, die sich vor 1961 in der DDR in einer gemeinsamen Gruppierung befunden hätten – z. B. Oberkirchenrat Ringhandt/Berlin,34 Pfarrer Hamel/Naumburg,35 Generalsuperintendent Jacob/Cottbus,36 Generalsuperintendent Schönherr/Eberswalde und andere – seien zersplittert und bildeten keinen »gemeinsamen Block« mehr. Es müsse ein Weg gefunden werden, wie sie wieder zusammenzuführen seien.

In der DDR sei der Dialog zwischen Christen und Marxisten zurückgegangen, was sich wohl daraus erkläre, dass die dafür geeigneten Marxisten entweder »emigriert« (Bloch),37 »liquidiert« (Havemann,38 Harich)39 oder »eingesperrt« seien. Es hätte vor und nach 1961 eine Reihe von kirchlichen Einrichtungen gegeben, die »ideal« gewesen wären für den Dialog zwischen Christen und Marxisten, z. B. die Hauskreise. Eine existierende Nachfolgeorganisation sei zurzeit die Gossner-Mission – das »dialogische Phänomen« nach Ansicht von West. Für die Christen in der DDR gebe es weniger Freiheit als für die Christen anderer sozialistischer Staaten. Er habe das Gefühl, dass sich diese Dinge z. B. in der ČSSR günstiger entwickelt hätten. (z. B. in Vorträgen vor Angehörigen des »Ökumenischen Dienstes« und vor Angehörigen des Abrüstungsausschusses der Prager Christlichen Friedenskonferenz in Berlin)

Ferner brachte West zum Ausdruck, die DDR-Regierung müsse in vielen »kleinen Dingen«, wie z. B. Reiseverkehr, großzügiger werden, dann würden auch verschiedene Länder die DDR anerkennen.

In einem Gespräch mit Pfarrer Bassarak (Internationaler Sekretär der Prager Christlichen Friedenskonferenz) betonte West, die Anschauungen der DDR-Bürger seien sehr differenziert. Die Jugendlichen würden sich überwiegend nicht politisch betätigen. Die christliche Jungend sei vor allem in der Schule einem Druck ausgesetzt. Zum Beispiel sei den Söhnen von Generalsuperintendent Schönherr/Eberswalde und Oberkirchenrat Fleischhack/Magdeburg der Besuch der erweiterten Oberschule verwehrt worden. West befürwortete die in Karl-Marx-Stadt durchgeführten Experimente mit »Gottesdienst einmal anders«.40 Den Christen in der DDR wäre es möglich, den ökumenischen Aufbau in der DDR in jeder Weise zu unterstützen, auf ideologischem Gebiet hätten sie jedoch große Schwierigkeiten.

In anderen Gesprächen, vor allem in denen mit Prof. Klohr, aber auch gegenüber Bassarak und Carl Ordnung erklärte er seine »Übereinstimmung« mit den Vorschlägen Walter Ulbrichts,41 Fragen der Sicherheit in Deutschland und in Europa betreffend.42 Es wäre notwendig, dass Bonn von seinem Alleinvertretungsanspruch Abstand nehme.43 Er habe auch eine fast »einheitliche Meinung« über die »Notwendigkeit« der »Mauer« feststellen können.

Zu seiner »Analyse« der Innen- und Außenpolitik der europäischen und der nichteuropäischen sozialistischen Staaten erklärte West, es wären zurzeit »große Unterschiede« zu erkennen. Die europäischen Staaten konzentrieren sich nach Chruschtschows44 »Sturz« auf den Aufbau des Sozialismus in ihren Ländern und beachteten das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten ihrer Nachbarstaaten. Ein bedeutendes Beispiel dafür sei die DDR in ihrem Verhältnis zu Westdeutschland und Westberlin.

In seiner reaktionären Argumentation zur Entwicklung der DDR wurde Prof. West hauptsächlich von Bischof Jänicke sowie weiteren DDR-Geistlichen, die am Gespräch zwischen West und Jänicke teilnahmen, bestärkt. (Oberkonsistorialrat Ammer, Oberkonsistorialrat Preisler, Propst Fleischhack, Prov. Pfarrer Schicketanz) Jänicke äußerte z. B., man wolle die Stellung der Kirchen in der DDR davon abhängig machen, wie sie sich zum Vietnam-Problem verhielten. Das Vietnam-Problem würde jedoch in der DDR-Presse massiv in »Schwarz-Weiß-Malerei« gebracht; die Christen könnten sich nicht hinreichend orientieren. Propst Fleischhack bezog dazu die Meinung, eine erwartete Zustimmung der DDR-Kirchen zur Erklärung der Volkskammer zum Vietnam-Krieg könne nicht erfolgen, das wäre ein »Rückfall der Christen in alte Zeiten«.

Zu Fragen der Entwicklung der DDR brachte Jänicke nach den Ausführungen Oberkonsistorialrats Ammers, die Deutschen wären mit der jetzigen Regelung nicht einverstanden und resignierten, zum Ausdruck, man dürfe »keine Ruhe geben«; man müsse die politisch Verantwortlichen immer wieder darauf hinweisen, dass man sich mit dem Bestehen zweier deutscher Staaten nicht abfinde. Es müsse eine »Liberalisierung« beginnen, die eine Existenz der Christen in der DDR ermögliche. Die Marxisten hätten in Kirchenfragen schon einmal fehlkalkuliert als sie proklamierten, in 20 Jahren würde es keine Kirche mehr geben.

Jänicke bestätigte den »Druck«, der auf die Christen in der DDR ausgeübt werde und betonte, im Zusammenhang mit der »Liberalisierung« der DDR, hier würde unter dem Aspekt »Politik gemacht«, einer der beiden deutschen Staaten könnte den anderen »verschlingen«. Diese Politik sei jetzt festgefahren und werde sich vermutlich erst nach Abtritt der »Generation Ulbricht-Erhard«45 ändern.

Dazu wandte Oberkonsistorialrat Preisler ein, Walter Ulbricht sei jetzt »maßvoller« geworden; es sei noch nicht entschieden, ob nach ihm ein weicherer Kurs eintreten würde. In einem anderen Zusammenhang äußerte Preisler, nicht die Teilung Deutschlands wäre das Schlimmste, sondern die Beraubung der Glaubens- und Gewissensfreiheit im östlichen Teil Deutschlands.

Auch Oberkonsistorialrat Ammer betonte mehrfach den »ideologischen Druck«, dem die Christen in der DDR ausgesetzt seien; es gehe immer wieder um die Frage, wie der Christ auch in der Öffentlichkeit bestehen könne. Eine Klärung dieser Fragen wäre noch nicht erreicht worden; die Kirche werde vertröstet auf die Zeit zu der die Bundesregierung bereit sei, mit der DDR zu verhandeln. Es sei aber auch zu verzeichnen, dass Menschen in der Öffentlichkeit den Mut fänden, sich als Christen zu bekennen.

Propst Fleischhack unterstrich den »Druck«, der auf dem Schulsektor zu verzeichnen sei. In der Wirtschaft sei die Lage »anders«. Die verantwortlichen »Leute« in der Industrie seien vor allem Fachleute und Manager.

Prov. Pfarrer Schicketanz führte aus, die »Bürokratisierung des Sozialismus« bringe einen gewissen »Pluralismus« mit sich. Niemand würde hier mehr »die Dinge« übersehen können. Kafka46 habe mit der Theorie »Wenn die Wellen der Revolution verebbt sind, bleibt der Schlamm der Bürokratie übrig«47 recht.

Prof. Dr. West brachte zum Abschluss seiner »Studienreise« durch die DDR gegenüber Pfarrer Bassarak zum Ausdruck, er werde bei der Auswertung seiner Eindrücke besonders folgende Komplexe erfassen:

  • Leben und Stellung der Jugend in der DDR

  • Meinungen verschiedener Bevölkerungsschichten zu politischen und religiösen Problemen

  • Probleme des Aufbaues des Sozialismus, besonders der ökonomischen Basis und des ideologischen Überbaus

  • Wirken und Möglichkeiten der Christen in der DDR

Als seine nächsten Reiseziele noch im Jahre 1966 nannte West:

Westberlin, Westdeutschland, VR Polen, VR Bulgarien (Teilnahme am »Fortsetzungsausschuss« der Prager Christlichen Friedenskonferenz in Sofia)48 und ČSSR. Die VR Ungarn beabsichtigte er nicht aufzusuchen, da er dort 1956 während der Konterrevolution aktiv gewesen sei und nicht wüsste, wie er heute dort aufgenommen werde.

Dem MfS wurde bekannt, dass Landesbischof Dr. Beste/Schwerin49 an Bundestagspräsident Dr. Gerstenmaier50 zu dessen 60. Geburtstag ein Glückwunschschreiben übersandt hat.

Das Schreiben hat folgenden Inhalt:

»Sehr geehrter Herr Präsident,

Lieber Bruder Gerstenmaier!

Zu der Vollendung des 60. Lebensjahres denke ich an Sie mit herzlichen Segenswünschen. Gott gebe Ihnen einen schönen Tag zu Beginn des neuen Lebensjahrzehntes. Meine Gedanken gehen um 32 Jahre zurück, als ich Ihnen zuerst in Rostock begegnete, wenn ich mich recht erinnere, bei unserem lieben Professor Dr. Brunstäd.51 Wir haben uns dann in Berlin während der späteren Kirchenkampfzeit gesehen, und ich erinnere mich besonders an die Besprechungen im Winter 1942/43, die allerdings besonders mit Freund Bachmann52 geführt wurden und die eine etwaige Neuordnung der Verhältnisse in Deutschland zum Inhalt hatten.

Gott, der Herr, hat Ihnen vielerlei Aufgaben in unserer Kirche und später auch in unserem Volk und auch in der Politik gegeben. Möge Ihnen auch weiterhin Kraft geschenkt werden, die Aufgaben zu erfüllen.

Ich wünsche Ihnen darüber hinaus viele innere Freude an unserem Herrn und bleibende Verbundenheit auch mit denen, die zu sehen Ihnen oft nicht möglich ist.

In herzlicher Verbundenheit grüße ich Sie

Ihr Beste«

Die Information darf im Interesse der Sicherheit der Quelle nicht publizistisch ausgewertet werden.

  1. Zum nächsten Dokument Überprüfung eines humoristischen Stücks im Friedrichstadtpalast

    3. Oktober 1966
    Einzelinformation Nr. 739/66 über das Palastical Nr. 3 »Kleiner Mann auf großer Fahrt« im Friedrichstadtpalast

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    28. September 1966
    Einzelinformation Nr. 726/66 über besondere Vorkommnisse durch NVA-Angehörige während des Ernteeinsatzes im Bezirk Rostock am 25.9.1966