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Verhinderte Flucht einer Gruppe Jugendlicher in Grabow

27. April 1966
Einzelinformation Nr. 333/66 über den verhinderten Grenzdurchbruch im Kreis Ludwigslust, Bezirk Schwerin, am 23.4.1966

Am 23.4.1966, gegen 3.00 Uhr wurden die Jugendlichen [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1946 in Düpow, wohnhaft Wittenberge, [Straße, Nr.], beschäftigt bis 15.4.1966 als Kraftfahrer in der Spedition, zuletzt ohne Beschäftigung, [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1949 in Bischofswerda, wohnhaft Wittenberge, [Straße, Nr.], beschäftigt als Packer im VEB Nähmaschinenwerk Wittenberge,1 [Name 3, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1948 in Perleberg, wohnhaft Wittenberge, [Straße, Nr.] , beschäftigt als Maschinenarbeiter im VEB Nähmaschinenwerk Wittenberge, [Name 4, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1949 in Perleberg, wohnhaft Perleberg, [Straße, Nr.], beschäftigt als Raumpflegerin im VEB Ölwerke Wittenberge, [Name 5, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1947 in Perleberg, wohnhaft Perleberg, [Straße, Nr.], ohne Beruf, ohne Beschäftigung (als HWG-Person2 bekannt), am Ortsausgang von Grabow, Kreis Ludwigslust, bei einer Fahrzeugkontrolle durch Angehörige der VK/VPKA Ludwigslust gestellt, weil sie mit dem von ihnen benutzten Fahrzeug – ein Lkw H 6, polizeiliches Kennzeichen BT 18 – 51 mit überhöhter Geschwindigkeit (90 bis 100 km/h) fuhren.

Die Befragung der betreffenden Jugendlichen ergab, dass der Lkw H 6 vom Hof des VEB Kraftverkehr Wittenberge entwendet worden war, um mit diesem Fahrzeug die Staatsgrenze West beim KPP Horst gewaltsam zu durchbrechen.

Die vom MfS geführten weiteren Ermittlungen führten zu folgendem bisherigem Ergebnis:

Als Initiator des versuchten gewaltsamen Grenzdurchbruchs wurde der [Name 1, Vorname], ermittelt.

Nach eigenen Angaben verfolgte [Name 1] seit 1962 die Absicht, die DDR illegal zu verlassen. In letzter Zeit habe er sich intensiver mit der Verwirklichung seines Vorhabens beschäftigt.

Zur Möglichkeit der zweimaligen Entwendung von Lkw vom Gelände des VEB Kraftverkehrs Wittenberge wurde ermittelt, dass der Fuhrpark nachts nur mangelhaft bewacht wird. Durch die Pförtner (einen nachtblinden älteren Mann und eine ältere Frau) erfolgen keine Kontrollen der das Betriebsgelände betretenden Personen. Der am Eingang zum Betriebsgelände befindliche Schlagbaum war in letzter Zeit ständig geöffnet und gestattete ein ungehindertes Durchfahren. Alle Fahrzeuge befinden sich zur Nachtzeit in fahrbereitem Zustand – mit Zündschlüssel und teilweise mit Fahrzeugpapieren – auf dem Hof des Werkgeländes. [Name 1] wurde sowohl am 19. als auch am 22.4.1966 von den diensthabenden Pförtnern gesehen. Da er dem Pförtner vom Ansehen her bekannt war –, konnte er unkontrolliert mit dem Lkw den Hof verlassen, wobei lediglich von dem Pförtner die Stammnummern der Fahrzeuge in das Kontrollbuch eingetragen wurden. [Name 1] kannte aus seiner Tätigkeit beim VEB Kraftverkehr die ungenügende Kontrolle des Wachpersonals und nutzte diese bewusst aus.

Als Motiv des beabsichtigten Grenzdurchbruchs gab [Name 1] an, er vermute, dass ihm wegen seiner von ihm begangenen strafbaren Handlungen (Fahrraddiebstahl, Gelddiebstahl, Briefmarkendiebstahl im März 1966) in der DDR ständig »Schwierigkeiten« bereitet würden. Außerdem sei ihm die bevorstehende Verhandlung wegen eines Briefmarkendiebstahls »unangenehm«.

Die anderen vier Beschuldigten sagen übereinstimmend aus, keinen konkreten Grund für ihr Verhalten angeben zu können. Sie hätten sich lediglich aus »Begeisterung« für den Plan des [Name 1] am gewaltsamen Grenzdurchbruch beteiligen wollen. Konkrete Vorstellungen über ein Leben in Westdeutschland bestehen bei den Jugendlichen nicht. [Name 2] und [Name 3] gaben ferner an, »bei dieser Gelegenheit« ihre in Westdeutschland lebenden Eltern »einmal besuchen« zu wollen.

Zur Person des [Name 1] muss erwähnt werden, dass es sich bei ihm um ein arbeitsscheues Element3 handelt. [Name 1] arbeitete bereits in mehreren Betrieben und wurde auch auf seiner letzten Arbeitsstelle, dem VEB Kraftverkehr Wittenberge, häufig wegen Arbeitsbummelei gerügt. Seit dem 15.4.1966 läuft in diesem Betrieb gegen [Name 1] ein Kündigungsantrag wegen mangelhafter Arbeitsmoral. Seit diesem Tag erschien [Name 1] nicht mehr in seinem Betrieb.

Auch die übrigen Jugendlichen mussten bisher auf ihren Arbeitsstellen wegen Arbeitsbummelei mehrmals kritisiert werden, ohne dass sich bisher an ihrem Verhalten etwas änderte. Besonders die [Name 4, Vorname] wird von ihrem Betrieb als Bummelant eingeschätzt. Die [Name 5, Vorname] ging bisher mehrmals ein Arbeitsverhältnis ein, ohne jedoch auf den Arbeitsstellen zu erscheinen. In politischer Hinsicht traten die fünf Jugendlichen bisher weder in positiver noch in negativer Hinsicht in Erscheinung.

Die Beschuldigten sind beim MfS inhaftiert.

Zurzeit werden weitere Ermittlungen zum versuchten gewaltsamen Grenzdurchbruch, zu den Motiven und zur Person der Beschuldigten geführt. Besondere Bedeutung wird dabei der Untersuchung auf eventuelle Verbindungen nach Westberlin/Westdeutschland gelegt.

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    27. April 1966
    Einzelinformation Nr. 334/66 über die Lage in Markee, Kreis Nauen, [Bezirk] Potsdam

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    27. April 1966
    Einzelinformation Nr. 327/66 über eine verhinderte Fahnenflucht mit tödlichem Ausgang im Abschnitt Berlin-Johannisthal, Wredebrücke am 25.4.1966