Verhinderte Flucht in Diplomatenauto (1)
12. September 1966
Einzelinformation Nr. 681/66 über die verhinderte Schleusung von DDR-Bürgern durch die Westberliner Schleuserorganisation Fuchs unter Beteiligung eines Vertreters des Syrisch-Arabischen Generalkonsulats in der DDR
Aufgrund der vom MfS erarbeiteten Hinweise wurde am 9.9.1966 gegen 20.20 Uhr das als Schleusungsfahrzeug verdächtige CD-Fahrzeug des Generalkonsulats der Syrischen-Arabischen Republik in der DDR, polizeiliches Kennzeichen IU 02–36, CD-Registriernummer 1471, Typ: Mercedes 200, Farbe: weiß, auf seiner Fahrt in Richtung der GÜST Friedrich-/Zimmerstraße in der Friedrichstraße, Höhe Mohrenstraße, durch Mitarbeiter des MfS vermittels Leuchtstab der Volkspolizei gestoppt.
Bei der Durchsuchung des Fahrzeuges wurden, im Kofferraum versteckt, die Bürger der DDR Dipl. Ing. [Name 1, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1936 in Johannisburg, wohnhaft Lauchhammer-Mitte, [Straße, Nr.] (Statiker im VEB Schwermaschinenbau Lauchhammer) und seine Ehefrau [Name 1], geborene [Name 2, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1940 in Wainothen,1 wohnhaft Lauchhammer-Mitte, [Straße, Nr.] (Sprechstundenhilfe beim Chefarzt der Klinik Lauchhammer Ost), die illegal nach Westberlin ausgeschleust werden sollten, vorgefunden.
Das Fahrzeug wurde von dem syrischen Bürger Konsul Kamal Hamdi,2 geboren am [Tag, Monat] 1933 in Damaskus, wohnhaft Berlin, [Straße, Nr.], Diplomaten-Ausweis-Nr.: 2284, tätig als Konsul beim Generalkonsulat der Syrischen-Arabischen Republik in der DDR, gefahren. Als Beifahrer befand sich im gleichen Fahrzeug der jemenitische Bürger Vizekonsul [Vorname Name 3],3 Diplomaten-Ausweis-Nr.: 2285, tätig als Vizekonsul beim Generalkonsulat der Jemenitischen-Arabischen Republik in der DDR.
Beide Insassen wurden aufgefordert, den Pkw sofort zu verlassen. Dieser Aufforderung leisteten sie nicht Folge. Daraufhin wurden sie durch Androhung von Gewalt zum Aussteigen gezwungen. Zur Gewaltanwendung kam es dabei jedoch nicht.
Alle vier Personen wurden festgenommen.
Außerdem wurde am 9.9.1966 gegen 20.40 Uhr der westdeutsche Bürger Heinz, Volker,4 geboren am 23.5.1943 in Kassel, Student der Juristischen Fakultät der »Friedrich-Wilhelms-Universität«5 in Bonn, wohnhaft Bonn, Bachstraße 35, (sein Vater ist nach seinen Angaben technischer Direktor der Glanzstoff AG in Wuppertal), bei seiner Ausreise nach Westberlin (Einreise am gleichen Tage gegen 18.00 Uhr) festgenommen, der vom MfS als Kurier für die Schleusergruppe Fuchs6 ermittelt worden war.
Die bisherigen Untersuchungen ergaben im Einzelnen:
Während der Konsul der Syrischen-Arabischen Republik Kamal Hamdi jede Aussage anderen als seinem Generalkonsul gegenüber verweigerte,7 gab der Vizekonsul der Jemenitischen-Arabischen Republik [Vorname Name 3] an, von den im Kofferraum versteckten DDR-Bürgern – und von der Schleusung überhaupt – nichts zu wissen. Er verurteilte die Schleusung mit der Begründung, an guten diplomatischen Beziehungen seines Landes mit der DDR interessiert zu sein. Seine Anwesenheit im Schleusungsfahrzeug sei auf die Absicht zurückzuführen, gemeinsam mit dem Konsul der Syrisch-Arabischen Republik Hamdi an einer Geburtstagsfeier eines Freundes aus der Syrisch-Arabischen Republik in Westberlin teilzunehmen. Er sei mit Hamdi, den er seit Dezember 1965 kennt und mit dem er gemeinsam im Gebäude des Jemenitischen Konsulats wohnt, bereits in der Vergangenheit zu ähnlichen Anlässen mehrmals nach Westberlin gefahren. Am 9.9.1966 sei er verabredungsgemäß um 20.30 Uhr in seiner Wohnung abgeholt worden und sie seien ohne Halt zur GÜST Friedrichstraße gefahren.
Der Westdeutsche Heinz gab in der ersten Vernehmung zu, Kurier für die Schleusergruppe Fuchs zu sein und bereits in mindestens zehn Fällen je zwei Bürger der DDR einem Schleusungsfahrzeug zugeführt und dort versteckt zu haben.8 (Gegenwärtig wird noch geprüft, welche der dem MfS als geschleust bekannte Personen durch Heinz dem Schleusungsfahrzeug zugeführt und illegal nach Westberlin gebracht wurden.) Das Schleusungsfahrzeug sei in all diesen Fällen das gleiche gewesen wie am 9.9.1966, nämlich ein Pkw einer diplomatischen Vertretung in der DDR, der auch immer vom gleichen Fahrer gefahren wurde. In einzelnen Fällen sei auch der Pkw Mercedes IU 02–45–CD benutzt worden. (Wie die Überprüfung ergab, ist dies ebenfalls ein Fahrzeug des Syrisch-Arabischen Generalkonsulats in der DDR.) Aufgrund der bei den Schleusungen angewandten Methoden und Sicherheitsvorkehrungen könnten jedoch weder er noch die zu schleusenden DDR-Bürger sagen, um welche diplomatische Vertretung es sich dabei gehandelt habe. So seien ihm zu Beginn seiner Kuriertätigkeit von Fuchs in Westberlin das Schleusungsfahrzeug und der Fahrer nur zum optischen Wiederekrennen persönlich vorgestellt worden.
Wie vom MfS festgestellt wurde, war das Schleusungsfahrzeug IU 02–36 bereits öfters an solchen Tagen, an denen nach späteren Feststellungen Schleusungen stattfanden, nach Westberlin gefahren. Dabei wurde neben dem Konsul Kamal Hamdi auch der Vizekonsul der Syrischen-Arabischen Republik [Vorname Name 4]9 im Schleusungsfahrzeug festgestellt, und er ist offensichtlich ebenfalls über die Schleusungstätigkeit informiert.
Durch Bilderkennungsprotokoll wurde dann von Heinz auch der Konsul der Syrisch-Arabischen Republik Kamal Hamdi als Fahrer des Schleusungsfahrzeuges identifiziert. Heinz identifizierte außerdem auch den Vizegeneralkonsul der Syrisch-Arabischen Republik [Name 4] als eine Person, die sich während einiger Schleusungen mit im Schleusungsfahrzeug befand und die in einem Falle das Schleusungsfahrzeug selbst steuerte. (Der Vizegeneralkonsul der Jemenitischen-Arabischen Republik [Name 3], der sich beim Schleusungsversuch am 9.9.1966 mit im Schleusungsfahrzeug befand, war ihm dagegen angeblich nicht bekannt.)
Heinz gab ferner zu, am 9.9.1966 das Ehepaar [Name 1] zum Schleusungsfahrzeug IU 02–36 gebracht und dort versteckt zu haben. Dies wurde von dem Ehepaar [Name 1] in einer Gegenüberstellung mit Heinz auch bestätigt.10
Bei der Schleusergruppe Fuchs handelt es sich um eine bereits seit längerer Zeit existierende Gruppe, die mit besonders raffinierten und hinterhältigen Methoden ihre verbrecherische Tätigkeit gegen die DDR im Auftrage westlicher Geheimdienste ausübt.11
Weitere Untersuchungen zur näheren Aufklärung aller Zusammenhänge und Umstände werden noch geführt.12
Von dem bisher bekannten Sachverhalt wurden durch das MfS der Außenminister der DDR, Genosse Winzer,13 und sein Stellvertreter, Genosse Kiesewetter,14 informiert. Vonseiten des Außenministeriums wurden die Generalkonsule der Syrischen-Arabischen Republik und der Jemenitischen-Arabischen Republik zum Zwecke der Informierung ihrer Regierungen von diesem Sachverhalt unterrichtet. Von den Generalkonsulen wurde eine positive Haltung zur Regelung dieser Angelegenheit durch die DDR bezogen. Im gegenseitigen Einvernehmen haben der Konsul Hamdi und der Vizegeneralkonsul [Name 4] vom Syrischen-Arabischen Generalkonsulat bereits die DDR verlassen, während der Vizegeneralkonsul [Name 3] vom Jemenitischen-Arabischen Generalkonsulat am Abend des 13.9.1966 die DDR verlässt.