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Verhinderung einer Fahnenflucht am Treptower Weichengestell

14. Februar 1966
Einzelinformation Nr. 124/66 über die Verhinderung einer Fahnenflucht unter Anwendung der Schusswaffe am Treptower Weichengestell (Postenbereich des GR 37/1. GB) am 12.2.1966

Am 12.2.1966 gegen 13.45 Uhr versuchte der Soldat [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1945 in Belgern, wohnhaft Belgern, [Kreis] Torgau, [Straße, Nr.], politisch organisiert FDJ, NVA seit 4.11.1965, Posten der 2. Kompanie, 3. Zug des GR 37 unter Ausnutzung einer Zugüberführung über die Eisenbahndurchlassstelle Treptower Weichengestell nach Westberlin fahnenflüchtig zu werden.

Die durch das MfS eingeleiteten Untersuchungen haben folgendes Ergebnis:

Soldat [Name 1] war gemeinsam mit dem Postenführer Feldwebel Titz, Lothar,1 geboren am [Tag, Monat] 1943, NVA seit 3.5.1961, Zughelfer der 2. Kompanie, 2. Zug und den beiden Posten Gefreiter Becker, Heinz,2 geboren [Tag, Monat] 1938, NVA seit 3.11.1964 und Soldat [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1944, NVA seit 4.5.1965, beide 2. Kompanie, 2. Zug, GR 37, für die Zeit von 13.30 bis 13.45 Uhr zur Zugüberführung eines Güterzuges Görlitzer Bahnhof – Treptower Weichengestell – Westberlin befohlen. Der Güterzug bestand aus etwa 20 Güterwagen. Am Ausgang Görlitzer Bahnhof wurde der Güterzug ordnungsgemäß durch die Postengruppe der NVA Grenze übernommen und befehlsmäßig besetzt. Postenführer Titz fuhr auf der Lok, Soldat [Name 1] in der Mitte des Zuges und die beiden Soldaten am Anfang bzw. Ende des Zuges bis zum Haltepunkt Treptower Weichengestell mit.

Am Haltepunkt angelangt, verließ Titz die Lok, gab Befehl zum Verlassen des Zuges und öffnete das Sicherungstor nach Westberlin (es befindet sich etwa 20 m vor Beginn der Staatsgrenze). Anschließend gab er dem Lokpersonal das Freifahrtzeichen. Die Posten haben weisungsgemäß den Zug bis zur Staatsgrenze zu begleiten, indem sie neben dem Zug herlaufen. Der Postenführer selbst darf sich als einziger vor der Lok herlaufend bis zu unmittelbaren Grenzmarkierung begeben. Nachdem die Lok angefahren war, der Zug zum Teil durch die NVA-Kontrollbrücke (mit zwei weiteren Grenzposten besetzt) durchgefahren war, bemerkte Feldwebel Titz Ruf- und Wink-Zeichen der Posten von der Kontrollbrücke.

Da Titz, der vor der Lok lief, auf der in Fahrtrichtung des Zuges liegenden linken Seite keine außergewöhnlichen Anzeichen einer Grenzverletzung feststellte, begab er sich auf die rechte Fahrseite des Zuges. Dabei stellte er fest, dass der Soldat [Name 1] den Zug nicht verlassen hatte.

Da der Zug sich in diesem Augenblick der unmittelbaren Grenze näherte und die rechte Durchfahrtseite keinen Platz zum Aufenthalt bot, musste Feldwebel Titz auf die linke Durchfahrtseite ausweichen, während sich Soldat [Name 1] in der Mitte des Zuges noch immer in einem Waggon befand. Als etwa die Hälfte des Zuges bereits auf Westberliner Territorium war, erreichte der Wagen, in dem sich [Name 1] befand, die unmittelbare Grenze. Um die Fahnenflucht zu verhindern, gab Titz einen Zielschuss aus seiner MPi ab, ohne jedoch zu treffen. Der Schuss wurde in Richtung Westberliner Territorium abgegeben. Aufgrund der bisherigen Feststellungen schlug das Projektil nicht im grenznahen Westberliner Gebiet ein.

Erst nachdem der letzte Güterwagen die unmittelbare Grenze passiert hatte, lief Feldwebel Titz hinter dem Zug auf Westberliner Territorium hinterher. Dabei gab er Haltesignale für das Lokpersonal. Titz ist gelernter Eisenbahner.

Als der Zug zum Stehen kam, befand sich Titz ca. 50 m und [Name 1] ca. 80 bis 100 m auf Westberliner Territorium.

Bereits beim Nachlaufen forderte Titz den [Name 1] auf, den Zug zu verlassen. Dieser Aufforderung kam [Name 1] jedoch nicht nach. Erst nach Halt verließ [Name 1] den Güterzug und lief zu Titz zurück, der während dieser Zeit die Waffe im Hüftanschlag auf [Name 1] gerichtet hatte.

Als [Name 1] die 50 m bis zu Titz zurückgelegt hatte, führte Titz den Soldaten die restlichen 50 m bis zur Grenzlinie sofort zurück.

Etwa 50 m rechts vom Standort des Feldwebel Titz befand sich zu diesem Zeitpunkt der ständige Posten der Duepo.3 Als [Name 1] bei Feldwebel Titz ankam, rief der Duepo dem Soldaten zu: »Junge, lass Dir Zeit.« Weitere Handlungen führte dieser Duepo-Posten nicht aus.

Nachdem Titz mit [Name 1] das Territorium der DDR wieder erreicht hatte, gab er dem Lokpersonal das Signal zum Weiterfahren. Der Zug setzte seine Fahrt auf Westberliner Gebiet fort.

Die beiden anderen Posten der Postengruppe verblieben während dieses Vorkommnisses an der Kontrollbrücke der NVA Grenze.

Soldat [Name 1], der seit dem 1.12.1965 den Dienst an der Staatsgrenze durchführt, hat seit dem 1.1.1966 an drei Zugüberführungen über das Treptower Weichengestell teilgenommen und ist über die Verfahrensweise genauestens informiert. Am 11.2.1966 nahm er bereits in den Abendstunden an gleicher Stelle an einer Zugüberführung teil. Über ihn gab es in der Vergangenheit keine negativen Hinweise.

Weitere Ermittlungen, besonders zum Motiv der versuchten Fahnenflucht, werden noch durch das MfS geführt.

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    17. Februar 1966
    Einzelinformation Nr. 135/66 über eine Raumexplosion im VEB Elektrochemisches Kombinat Bitterfeld, [Bezirk] Halle

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    10. Februar 1966
    Einzelinformation Nr. 116/66 über die Sitzung der Kirchenleitung der Evangelischen Landeskirche von Berlin-Brandenburg zur Vorbereitung der Provinzialsynode vom 13. bis 17.2.1966 und über die bevorstehende Neuwahl des Bischofs der Landeskirche Berlin-Brandenburg