Verlauf der Leipziger Frühjahrsmesse (1)
7. März 1966
Einzelinformation Nr. 176/66 über den Verlauf der Leipziger Frühjahrsmesse 1966 (1. Bericht)
Bis zum 6.3.1966 trafen in Leipzig 6 876 Messebesucher aus dem Ausland ein.1 Zum gleichen Tag der Frühjahrsmesse 1965 waren 6 321 Messebesucher gemeldet. Im Einzelnen sind Messebesucher aus folgenden Gebieten eingetroffen:
[Staaten] | 6.3.66, 23.00 Uhr | Vergleich zur Frühjahrsmesse 1965 |
|---|---|---|
Sozialistische Staaten | 2 283 | 2 660 |
Imperialistische Paktstaaten2 | 2 945 | 2397 |
Antiimperialistische Staaten | 184 | 181 |
Sonstige kapitalistische Staaten | 1 464 | 1 083 |
[insgesamt] | 6 876 | 6 321 |
Außerdem sind insgesamt 5 166 Touristen aus den sozialistischen Ländern Europas eingetroffen.
Aus Westdeutschland sind bisher 12 446 Personen gegenüber 10 897 Personen zur Frühjahrsmesse 1965 eingetroffen, aus Westberlin 2 819 gegenüber 2 518.
Zur Einschätzung der in Leipzig anwesenden größeren Delegationen und wichtigen ausländischen Persönlichkeiten wird vom Messeamt und vom MAI im Allgemeinen Befriedigung über das Niveau dieser Delegationen ausgedrückt. Es wird hervorgehoben, dass insbesondere die Regierungsdelegationen der UdSSR, der Volksrepublik Polen und der ČSSR den Erwartungen der DDR entsprechen. Gleichzeitig wird festgestellt, dass die ungarische und bulgarische Delegation nicht ganz der Bedeutung des Handelsaustausches mit diesen Ländern entsprechen. Das gleiche wird hinsichtlich der Delegation der KVDR festgestellt. Die Delegationen Jugoslawiens und der Volksrepublik China entsprechen der üblichen Praxis, Jugoslawien hat keine Regierungsdelegation entsandt, da dies im Allgemeinen nicht üblich ist. Weitere Regierungsdelegationen wurden von Finnland, der VAR, Guinea, Tansania, Dahomey,3 Mali und Ceylon4 zugesagt.
Eine Reihe von Regierungsdelegationen überseeischer Länder hat auf die Einladung der DDR nicht reagiert bzw. diese Einladung abgelehnt. Zu einem großen Teil ist die Haltung dieser Länder mit der innenpolitischen Lage motiviert. Das trifft auf Indonesien, Ghana, Uganda, Nigeria und Sambia zu. Eine Reihe von anderen Ländern hat aufgrund der starken politischen und ökonomischen Bindungen zu Westdeutschland abgesagt, darunter Kenia, Madagaskar, Kamerun und Senegal. Sierra Leone hat abgesagt, nachdem die DDR die Übernahme der Flugkosten abgelehnt hat.
Zusagen bedeutender Persönlichkeiten liegen aus Schweden, Finnland, Österreich, Großbritannien (darunter von sechs Parlamentariern), Belgien, den Niederlanden, Frankreich und Griechenland vor. Größere Einkaufsdelegationen werden aus Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden, Italien, Belgien, Finnland, Schweden und Österreich erwartet. Unter den bedeutenden Persönlichkeiten befinden sich leitende Beamte der Regierungen dieser Länder, so der Generalinspekteur der Technischen Hochschulen Frankreichs, Wattebled,5 der Kanzleirat im schwedischen Handelsministerium, Lundberg6 und andere. Hervorzuheben ist auch die Anwesenheit von Generaldirektoren führender Konzerne Großbritanniens und Frankreichs, so der Präsident der französischen Firma Petrolchemie und der Generaldirektor des britischen Leyland-Konzerns.
Bedeutende Persönlichkeiten werden aus den arabischen Ländern erwartet. Aus dem Sudan hat der Vizepräsident der Regierungspartei, Ibrahim El Mufti7 seine Teilnahme zugesagt.
Das zur Jubiläumsmesse 1965 erreichte Niveau der Besucher-Beteiligung aus lateinamerikanischen Ländern wird zu dieser Messe voraussichtlich nicht ganz erreicht werden.8 Hinsichtlich Brasiliens wird jedoch eine Verbesserung des Besucher-Niveaus eingeschätzt. Es wird eine offizielle Delegation des Ministeriums für Planung sowie der Präsident der Staatlichen Kommission zur Förderung der Landwirtschaft erwartet. Den Besuch der Leipziger Messe hat auch der Bruder des chilenischen Staatspräsidenten Frei9 zugesagt.
Die Ausstellungsfläche der sozialistischen Länder ist gegenüber dem Vorjahr um etwa 10 % zurückgegangen. Der Rückgang ist teilweise dadurch bedingt, dass einige sozialistische Länder durch den Übergang von Kollektiv-Ausstellungen zur Branchen-Ausstellungen weniger Platz benötigen, teilweise auch dadurch, dass handelspolitisch nicht interessante Waren nicht mehr ausgestellt werden. Rumänien beteiligt sich entsprechend dem vom Ministerrat festgelegten Zwei-Jahres-Turnus in diesem Jahre nur mit einem Informationsstand.
Besonders positiv ist die Teilnahme der Demokratischen Republik Vietnam und die Verdoppelung der Ausstellungsfläche Kubas zu bewerten. Als unbefriedigend wird eingeschätzt, dass die UdSSR in der Konsumgütermesse keine Stände belegt, obwohl die DDR zahlreiche sowjetische Konsumgüter importiert. Die Volksrepublik China beteiligt sich im selben Umfang wie im Vorjahr mit einer Kollektiv-Ausstellung an der Messe.
Offizielle Kollektiv-Ausstellungen aus den überseeischen Ländern wurden durch Algerien, dem Irak, Kuwait,10 dem Libanon, Marokko, Tunesien, Jemen, der VAR, Ecuador, Mexiko, Uruguay, Ceylon, Indien, Indonesien, Ghana, Guinea und Brasilien errichtet. Argentinien, Chile, Costa Rica, Kolumbien und die Elfenbeinküste sind mit privaten bzw. halboffiziellen Kollektiv-Ausstellungen vertreten. Burma,11 Kambodscha, Kongo-Brazzaville, Tansania, Britisch-Guayana12 und Syrien, die zur Jubiläumsmesse 1965 mit Kollektiv-Ausstellungen vertreten waren, konnten in diesem Jahre trotz intensiver Bearbeitung nicht gewonnen werden. Die Ausstellungsfläche dieser Länder weist gegenüber dem Vorjahr einen geringfügigen Rückgang aus. Die kapitalistischen Industriestaaten Europas haben ihre Ausstellungsfläche gegenüber dem Vorjahr um ca. 10 % erhöht. Wie im Vorjahr sind 21 Staaten vertreten. Eine Reihe bedeutender Konzerne (darunter Shell) sind erstmalig, eine Reihe weiterer Konzerne (Montecatini,13 Ciba,14 Steel Company of Wales und andere) sind nach mehrjähriger Pause erneut auf der Messe vertreten.
Die Zahl der westdeutschen Aussteller und die von ihnen belegte Fläche sind im Wesentlichen gegenüber der Frühjahrsmesse 1965 unverändert geblieben. Die Beteiligung der beiden Automobilkonzerne BMW und Mercedes wurde mit der Begründung »Platzmangel« abgelehnt.
Die Ausstellerbeteiligung aus Westberlin ist etwas gewachsen, kann jedoch in ihrer Zusammensetzung noch nicht befriedigen. Der Anteil von Vertretern und Händlern, die zwar ihren Sitz in Westberlin haben, aber mit Erzeugnissen handeln, die nicht aus Westberlin stammen, ist noch zu groß.
Die japanische Beteiligung ist von 517 auf 624 qm gewachsen. Zu den Ausstellern gehören eine Reihe führender Konzerne, vor allem in den Branchen Elektrotechnik und Elektronik. Die von den USA-Firmen belegte Fläche hat sich nahezu verzehnfacht. Interessant ist, dass der Vertreter des Konzerns Caterpillar (Erdbewegungsmaschinen) ausdrücklich darum gebeten hatte, bei der Führung der Ehrengäste am ersten Messetag den Stand seiner Firma zu berücksichtigen.
Über die Qualität der Ausstellungsgüter kann noch keine Einschätzung gegeben werden. Die Anträge für Goldmedaillen lassen den Schluss zu, dass von den Ausstellern aus den kapitalistischen Ländern Europas Spitzenerzeugnisse angeboten werden.
Erste Gespräche wurden bereits mit Vorstandsmitgliedern westdeutscher Konzerne geführt. Am 5.3.1966 wurde unter Leitung von Genossen Behrendt15 ein Gespräch mit Dr. Mommsen16 (Phoenix-Rheinrohr), Keller17 (Krupp), Kuhlmann18 (Ferrostaal), Hufnagel19 (Mannesmann), Dr. Stepp20 (Röchling), Busch21 (Salzgitter), Lenzner22 (Bochumer Verein), Siering23 (Hüttenwerk Oberhausen) und Rudhart24 (Gutehoffnungshütte) geführt. In diesem Gespräch wurde den Konzernvertretern die Argumentation der DDR hinsichtlich des Handels zwischen beiden deutschen Staaten nahgebracht. Die Konzernvertreter äußerten in diesem Zusammenhang, dass sie über das bekannte Memorandum der Stahlindustrie25 Gespräche mit Staatssekretär Langer26 vom Bundesministerium für Wirtschaft27 geführt hatten. Sie erklärten ferner, dass Pollak28 ihnen gegenüber die Liefermöglichkeiten für Stahl- und Eisenerzeugnisse sowie für Anlagen günstiger als im vergangenen Jahre eingeschätzt habe. Die Konzernvertreter hätten nach ihren Angaben Pollak klargemacht, dass sie durch die Nichtregelung der Fragen des Anlagengeschäftes Aufträge in Höhe von 500 Mio. VE verloren hätten. Die Konzernvertreter äußerten, dass sie angeblich verstanden hätten, dass sie in großem Umfange Bezüge von der DDR vornehmen müssten, wenn sie in der DDR absetzen wollten.
Der Mitinhaber der Fa. Bochako, Brannekämper,29 äußerte, Pollak habe ihm vertraulich mitgeteilt, dass in absehbarer Zeit entsprechende Vereinbarungen über Anlagenlieferungen in die DDR getroffen werden könnten, durch die auch die Widerrufsklausel30 außer Kraft gesetzt wird. Westdeutsche Unternehmen könnten bereits während der Messe Verhandlungen über Anlagenlieferungen im Hinblick auf die zu erwartende Regelung führen. Der an dem Gespräch beteiligte Geschäftsführer der Fa. Otto Wolff, Graf Schulenburg,31 äußerte, dass nunmehr auch der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft32 Einfluss auf die Probleme des Handles mit der DDR nehmen wolle, da die DDR nicht aus dem »Ostblock« auszuklammern sei. Eine bestimmte Rolle in den Gesprächen mit den westdeutschen Konzernvertretern spielte erneut die Frage der Kooperation mit Betrieben der DDR. Dieses Problem wird auch in der Presseberichterstattung durch die in Leipzig anwesenden westdeutschen Journalisten systematisch hochgespielt.
Eine Reihe von führenden westdeutschen Konzernvertretern wird noch für die Zeit nach den Messeveranstaltungen (zentrale Empfänge) angemeldet, offensichtlich um nicht in der Öffentlichkeit auftreten zu müssen. Es handelt sich um den stellvertretenden Vorsitzenden der Gutehoffnungshütte, von Menges,33 das Vorstandsmitglieder Firma Hoesch, Elkmann,34 den Generalbevollmächtigten des Flick-Konzerns und CSU-Bundestagsabgeordneten, Dr. Pohle,35 und den Generalbevollmächtigten der Firma Friedrich Krupp, Beitz.36 Beitz wird vermutlich am 12.3. und 13.3.1966 in Leipzig anwesend sein.
Die FDP-Bundestagsabgeordneten Dorn37 und Opitz38 sind in Leipzig eingetroffen.
Es liegen erste Reaktionen ausländischer Messebesucher auf den Messerundgang des Genossen Walter Ulbricht39 vor. Der Besuch im sowjetischen Pavillon wurde von den sowjetischen Genossen mit großer Befriedigung aufgenommen. Die Äußerung des Genossen Walter Ulbricht im Hinblick auf den Erdölexport Algeriens in die DDR wurde vom Leiter des algerischen Messestandes mit außerordentlichem Interesse aufgenommen. Er teilte mit, dass er unverzüglich dem algerischen Industrieminister von diesem Gespräch telegrafisch Mitteilung machen werde.
Hinsichtlich der Vorbereitung der Messe durch die Außenhandelsunternehmen werden Verbesserungen gegenüber dem Vorjahr festgestellt. Insbesondere die Abstimmung der Länder-Valuta-Preise zwischen Außenhandel und Industrie wurde rechtzeitig vorgenommen. Im Durchschnitt wurden dabei Preiserhöhungen festgelegt. Es wird eingeschätzt, dass die Preise differenzierter entsprechend der jeweiligen Marktlage festgelegt wurden. Auf einer Reihe von Gebieten gibt es jedoch noch ernste Versäumnisse. Das betrifft insbesondere die Spezifizierung der Importe aus dem Handelsvertrag mit der Sowjetunion.40 Eine Reihe von VVB lehnen die Spezifizierung ab.
Unklarheiten gibt es nach wie vor hinsichtlich der Anwendung des neuen ökonomischen Systems in den Beziehungen zwischen Industrie und Außenhandel.41 Nach Einschätzung der Parteiorganisation des Außenhandels gibt es in einer Reihe von VVB Vorbehalte hinsichtlich der Beteiligung an möglichen Verlusten im Außenhandel.
Ungenügend liegen technische Dokumentationen (Standardangebote) in Fremdsprachen vor. Teilweise sind in den Standardangeboten nur Richtpreise angegeben, die für die kommerzielle Tätigkeit nicht geeignet sind.
Als gut wird die Zusammenarbeit zwischen Außenhandel und Industrie auf technischem Gebiet eingeschätzt. Die technische Beratung der Kunden durch die Verkaufskollektive von Außenhandel und Industrie ist gesichert.
Die staatliche Auflage zur Erzielung von Preisverbesserungen ist zurzeit noch nicht gesichert. Die Gründe dafür sind darin zu suchen, dass die Aufgabenstellung des MAI nur als Zielstellung und nicht als konkret abrechenbare Auflage vorgegeben ist und dass die VVB nicht parallel zum Außenhandel mit der Erwirtschaftung von Preisverbesserungen beauflagt sind. Die materielle Interessiertheit42 der Außenhandelsunternehmen und der Exportbetriebe für die Lösung der Auflage für Preisverbesserungen ist nach Einschätzung der Parteiorganisation des Außenhandels nicht ausreichend gesichert.
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