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Verlauf der Leipziger Frühjahrsmesse (4)

13. März 1966
Einzelinformation Nr. 186/66 über den Verlauf der Leipziger Frühjahrsmesse 1966 (4. Bericht)

Bis zum 11.3.1966 sind auf der Leipziger Frühjahrsmesse1 Exportverträge in Höhe von 888,2 Mio. VM und Importverträge in Höhe von 587,3 Mio. VM abgeschlossen worden. Von der Gesamtsumme des Exports entfallen 590,4 Mio. VM und des Imports 231,4 Mio. VM auf Erzeugnisse der metallverarbeitenden Industrie. Damit wurden bis zum sechsten Messetag 92 % der Zielstellung im Export und 83 % im Import erreicht. Die Vertragsabschlüsse im Export liegen um ca. 50 Mio. VM höher als bis zum sechsten Messetag der Vorjahresmesse. Die bisher vorhandenen Rückstände im sozialistischen Wirtschaftsgebiet wurden aufgeholt. Im kapitalistischen Wirtschaftsgebiet ist dagegen ein Rückgang im Vergleich zum Vorjahr auf 85 % zu verzeichnen. Die Ursachen dieser Rückstände sind vor allem darin zu sehen, dass eine Reihe von Waren infolge nicht ausreichender Marktbearbeitung noch keinen Absatz finden. Es ist ferner festzustellen, dass der notwendige Käuferkreis aus einigen Überseeländern (Brasilien und VAR) fehlt. Es wird eingeschätzt, dass die Handelsvertretungen der DDR in den Überseeländern die Messe nicht aktiv genug vorbereitet haben. Besondere Schwächen gibt es auf dem Gebiet des Exports von Chemieanlagen und Erzeugnissen der Elektrotechnik. Bisher wurde noch kein Exportvertrag für Chemieanlagen für das kapitalistische Wirtschaftsgebiet abgeschlossen.

Das Tempo der Ausspezifizierung des Exportplanes ist nach wie vor ungenügend. Die bisherigen Schwerpunkte (Ministerium für chemische Industrie und Ministerien der metallverarbeitenden Industrie) haben mit rund 260 Mio. VM von insgesamt 395 Mio. VM nach wie vor den Hauptanteil am unspezifizierten Volumen. Das im Import noch nicht spezifizierte Volumen betrug am 11.3.1966 noch 221 Mio. VM, davon 143 Mio. VM für das sozialistische Wirtschaftsgebiet. Durch das Ministerium für chemische Industrie sind auf der Messe erst knapp 25 % des unspezifizierten Volumens ausspezifiziert worden.

Bis zum 12.3.1966 wurden insgesamt 91 Devisenkreditanträge genehmigt, die bei einem Importaufwand von 16 Mio. VM zusätzliche Exporte von 108 Mio. VM gestatten. Ein Drittel der Anträge entfällt auf halbstaatliche und Privatbetriebe. Erstmalig sind drei Anträge für den Import auf der Basis von Devisenkreditanträgen aus den sozialistischen Ländern festzustellen. Die Mehrzahl der Devisenkreditanträge entfällt auf die Leichtindustrie.

In der Preisarbeit ergibt sich ein differenziertes Bild. In allen AHU gibt es harte und langwierige Preisverhandlungen. Die Verkaufstätigkeit orientiert stärker auf die Durchsetzung der erhöhten Preise als auf den Absatz des Volumens. Insgesamt kann eingeschätzt werden, dass die Preisvorstellungen der DDR im Allgemeinen realisiert werden, wenn auch auf einer Reihe von Gebieten die Marktlage die Durchsetzung erhöhter Preise nicht zulässt. Das betrifft besonders eine Reihe von Erzeugnissen der Textilindustrie, insbesondere dort, wo traditionelle Ware angeboten wird. Die wachsende Konkurrenz von Chemiefasererzeugnissen schwächt die Preispositionen bei einer Reihe von Erzeugnissen. Eine Anzahl von Außenhandelsorganen und VVB haben nach wie vor keine genauen Vorstellungen über die auf dem Markt der kapitalistischen Länder erzielbaren Preise. Schwierigkeiten gibt es angesichts der Lage auf dem Stahlmarkt bei der Durchsetzung von Preisen für den Export der DSM. Die hauptsächlichsten Auseinandersetzungen auf dem Preisgebiet mit den sozialistischen Ländern sind darin zu suchen, dass eine Reihe von sozialistischen Ländern sich nicht an die Preisklausel des RGW hält und von der DDR Preissenkungen fordert. Hinzu kommt, dass einige sozialistische Länder DDR-Preise unterbieten. Das betrifft z. B. die Kamera-Exporte der Sowjetunion.

Im Rahmen der Export-Import-Koordinierung wurden bis zum siebenten Messetag Vertragsabschlüsse in Höhe von 40 Mio. VM getätigt. Davon entfallen allein 25 Mio. VM auf die drei AHU Nahrung, Textil und DSM. Weitere Anbahnungen sind in Vorbereitung und werden insbesondere nach der Messe zu Abmachungen führen.

Die Verkaufstätigkeit auf der Leipziger Messe wird ungünstig dadurch beeinflusst, dass eine Anzahl von Käuferwünschen aus Kapazitätsgründen nicht befriedigt werden können. Das betrifft u. a. Haushaltsnähmaschinen, Gießereimaschinen, Pressen, Hammermühlen, Wollstoffe, Holz- und Plüschspielwaren, Briefmarken, Porzellan, Kristall und Wirtschaftsglas.

Ungünstigen Einfluss üben auch teilweise zu lange Lieferfristen aus, die von westeuropäischen Einkäufern nicht akzeptiert werden. Das betrifft u. a. Gleichstrommotoren, Generatoren, Gießereinanlagen, Schuhe und Lederwaren.

Sämtliche Außenhandelsunternehmen berichten über ausgestellte Neuentwicklungen, die zum Teil das Weltniveau mitbestimmen.

Die einzelnen Industriezweige sind daran jedoch unterschiedlich beteiligt. So sind im Bereich der VVB Rundfunk und Fernsehen keine Neuentwicklungen vorhanden.

Einige DDR-Exponate sind von hervorragender Qualität und Weltspitzenerzeugnisse. Dazu rechnen das vom VEB Waggonbau Dessau entwickelte achshalterlose Drehgestell für Kühlwagen, Typ B 1, einige Geräte des VEB Carl Zeiss Jena, einige Erzeugnisse der VVB Nagema2 und andere. Es ist jedoch festzustellen, dass die Spitzenerzeugnisse unverhältnismäßig teuer sind, sodass der Valuta-Erlös nicht in angemessener Relation zu den Kosten stehen. Ein weiteres wichtiges Problem besteht in der zu langen Zeitspanne, die für die Aufnahme der Serienproduktion eines neuentwickelten Erzeugnisses benötigt wird. So sollen z. B. Spitzenexponate wie der elektronische Tischrechner und die Optima-Standard-Schreibmaschine erst 1967/68 bzw. 1967 für den Export zur Verfügung stehen.

Es werden weiterhin eine große Anzahl von Exponaten genannt, die nicht dem Weltniveau entsprechen. Dazu gehören das Sortiment der Halbleiterindustrie, Das Typenprogramm bei Widerständen, die Eiskühlwagen der DDR und die Pkw Wartburg und Trabant. Auch auf dem Gebiet der Textilindustrie erreichen viele Exponate hinsichtlich ihrer Qualität und Ausrüstung (Farb- und Mustergebung und andere) nicht das Weltniveau.

Die Formgebung bei Konsumgütern und bei technischen Exponaten der DDR wird zunehmend besser gelöst. Besonders positiv fällt die Farbgebung für Nutzfahrzeuge auf. Demgegenüber ist die Gestaltung des Fahrerhauses beim Lkw W 50 nicht mehr zeitgemäß.

Zu einigen Problemen des Handels mit den verschiedenen Wirtschaftsgebieten werden folgende Fakten bekannt:

UdSSR

Nachteilig auf die Vertragsabschlüsse wirkt sich die Tatsache aus, dass ein erheblicher Teil verantwortlicher Generaldirektoren auf der Leipziger Messe nicht anwesend sind. Wie auch andere sozialistische Länder treten in den Verhandlungen mit der Sowjetunion technische und preisliche Probleme in den Vordergrund, die erst nach der Messe endgültig geklärt und vereinbart werden können.

In den Verhandlungen zeigt sich, dass die Forderungen der Industrie in Mengen, Qualität und Lieferterminen nicht immer realisiert werden können. Das betrifft u. a. Bahnschwellen, verschiedene Papiersorten und Baumwolle. Bei einer Reihe von Rohstoffpositionen lehnt die Industrie den Bezug aus der UdSSR ab, darunter bei Borerz, Chlor und Natriumkarbonat. Bei einer Reihe von Erzeugnissen ist die DDR nicht in der Lage, entsprechend dem Jahresprotokoll zu liefern. Das betrifft insbesondere Textilmaschinen, Weinkühlwagen und andere.

Übrige sozialistische Länder

Auch mit diesen Ländern gibt es Schwierigkeiten auf dem Preissektor. Hier sind eine Reihe von Importen der metallverarbeitenden Industrie, insbesondere aus der Volksrepublik Bulgarien, noch nicht ausspezifiziert. Mit einigen Ländern, insbesondere mit der ČSSR, Rumänien und der Volksrepublik Polen, gab es Schwierigkeiten bei der Sicherung unserer Schwerpunktimporte. Es konnte jedoch durch die taktische Linie des AHU erreicht werden, dass die Importverträge mit einem günstigen Sortiment für die DDR abgeschlossen werden konnten.

Vonseiten der kubanischen Delegation wurden zusätzliche Bezugswünsche von ca. zwei Mio. Peso für Zulieferungen an die kubanische Zuckerindustrie geäußert.

Kapitalistische Länder Europas

Die ungenügende Vertragsbindung für DDR-Importe aus einigen kapitalistischen Ländern Europas wie den Niederlanden, Finnland und Belgien führt bei der Lizenzerteilung für DDR-Exporte sowie bei Verhandlungen über die Erweiterung der Abkommenspositionen zu Schwierigkeiten. Es ist jedoch festzustellen, dass die Außenhandelsunternehmen trotzdem ihre Ziele erreichen werden. In Verträgen mit Großbritannien konnten bei Exporten von Werkzeugmaschinen die Preise erhöht werden.

Besondere Schwierigkeiten gibt es bei der Sicherung der Importe der metallverarbeitenden Industrie aus Finnland. Tempoverluste gibt es trotz plan- und valutaseitiger Sicherung bei den AHU Elektrotechnik, Technocommerz, Transportmaschinen und Maschinenexport. Das führt dazu, dass die finnische Regierungsdelegation die Ernsthaftigkeit der Handelspolitik der DDR bezweifelt. In ähnlicher Weise äußerten sich auch belgische Handelspartner zur Kündigung des Handelsabkommens zwischen der ORE und der Kammer für Außenhandel.3

Überseeländer

Eine Reihe potentieller Kunden wird gegenwärtig noch aus den arabischen Ländern erwartet. Günstige Exportabschlüsse sind insbesondere mit Algerien, Tunesien und dem Irak zu erwarten. Importverhandlungen werden mit Marokko über Südfrüchte, Ölsardinen und Braunstein geführt. Größere Probleme gibt es mit der VAR wegen der Nichtanwesenheit der erforderlichen Partner für Werkzeugmaschinen, Pumpen, Kompressoren, Dieselmotoren und Textilmaschinen.

Westdeutschland

Dem Vorstandsvorsitzenden der Phoenix-Rheinrohr AG, Mommsen,4 wurde am 9.3.1966 von Genossen Behrendt5 das Memorandum der Regierung der DDR über die Erweiterung des Handels zwischen beiden deutschen Staaten übergeben.6 Mommsen sagte zu, das Memorandum am 12.3.1966 an Erhard7 weiterzuleiten. In Gesprächen mit Vertretern der DDR äußern westdeutsche Konzernvertreter nach wie vor ihre Bereitschaft zur Mithilfe bei der Erweiterung des Handels zwischen beiden deutschen Staaten. Es ist jedoch einzuschätzen, dass die Äußerungen die tatsächliche Bereitschaft der Konzernvertreter überbetonen und gemacht werden, um günstigere Voraussetzungen für Handelsgeschäfte mit der DDR zu erhalten.8

Die westdeutschen Konzerne sind nach wie vor nicht bereit, Bezüge in größerem Umfange aus der DDR zu tätigen. So sind die Konzerne der Elektrotechnik im Prinzip nur zu Gegengeschäften mit der DDR im Verhältnis 4: 1 bereit.

Aus einer Reihe von internen und offiziellen Informationen geht hervor, dass die Kooperationsbestrebungen der westdeutschen Konzerne nicht zuletzt dazu gedacht sind, um durch feste Lieferbeziehungen zur DDR Industriegebiete der DDR in Abhängigkeit zu bringen. Das lässt sich eindeutig durch Versuche der Marktbestimmung des »gemeinsamen Auftretens« auf Märkten dritter Länder und andere Punkte der Konzeption der westdeutschen Konzerne belegen.9

Mit den westdeutschen Konzernen wurden die Verhandlungen für einige Anlagenobjekte zum Abschluss gebracht. Es handelt sich dabei um eine Umschmelzanlage von Krupp im Werte von vier Mio. VE, eine Rohbenzoldestillationsanlage von Didier und Ferrostaal im Werte von elf Mio. VE, die Steuerungsausrüstungen für die Erdölleitungen von der AEG im Werte von 2,5 Mio. VE und die Arosolvan-Anlage10 von Lurgi im Werte von 2,5 Mio.11 VE. Die Vertragsabschlüsse erfolgten jedoch noch nicht, da das von der DDR geforderte Volumen von Gegenlieferungen noch nicht erreicht wurde.

Es gibt Anzeichen dafür, dass Genosse Behrendt erneut wie im Vorjahr zur Hannover-Messe12 eingeladen wird. Es gibt ferner Bestrebungen, auch eine Einladung des Stellvertreters des Vorsitzenden des Ministerrates Genossen Balkow13 nach Hannover zu sondieren.

Bemerkenswert das außerordentlich starke Interesse westdeutscher und westeuropäischer Konzerne an den Leipziger Messen ist auch die Tatsache, dass bereits jetzt schon in großer Zahl Voranmeldungen führender Konzerne nach Ausstellungsflächen für die Frühjahrsmesse 1967 vorliegen. Westdeutsche Konzerne streben nach einer starken Erweiterung der gemieteten Ausstellungsflächen. Solche Forderungen wurden von Standard Elektrik Lorenz,14 AEG, den Klöckner-Werken, Siemens-Reiniger vorgetragen. Ein Vertreter der IBM Stuttgart (Büromaschinen) meldete den Wunsch seiner Firma nach einer Ausstellungsfläche von 300 bis 500 qm an. Westeuropäische Unternehmen beantragen gleichfalls größere Ausstellungsflächen bzw. stellten informative Anfragen, wie z. B. die International General Electric, Genf. Westeuropäische Fluggesellschafen wie die Air France und die Swissair erwägen die Einrichtungen von Luftverkehrsbüros zur nächsten Leipziger Frühjahrsmesse.

Die Befragungsergebnisse der Aussteller auf der Messe ergaben, dass ca. 70 % die Geschäftstätigkeit als befriedigend einschätzen. Nur 12,1 % schätzen die Geschäftstätigkeit noch als unbefriedigend ein. Die Befragungsergebnisse zeigen, dass die Aussteller des kapitalistischen Wirtschaftsgebietes sich zwar in erster Linie auf den Markt der DDR orientieren, dass sie aber gleichzeitig große Erwartungen hegen, auch mit den übrigen sozialistischen Ländern ins Geschäft zu kommen.

Bis zum 13.3.1966 sind Messebesucher aus folgenden Gebieten eingereist:

[Staaten]

1966

1965

Sozialistische Länder

5 955

8 143

Imperialistische Paktländer15

6 515

6 131

Antiimperialistische Länder

530

575

Kapitalistische Länder

3 179

2 751

Touristen aus sozialistischen Ländern

19 314

14 978

Westdeutschland

28 250

24 853

Westberlin

7 026

6 786

Westdeutsche Delegationen zur Arbeiterkonferenz

3 491

4 127

Eine Statistik der Ausstellerzahlen aus dem kapitalistischen Ausland und Westdeutschland ergab, dass zur Frühjahrsmesse 1966 1 063 westdeutsche, 147 Westberliner und 2 460 Firmen aus dem kapitalistischen Ausland vertreten sind. Die hohe Besucherzahl und insbesondere die große Zahl von Touristen führte zu einer weiteren Anspannung in der Quartiersituation. In Leipzig wurden zusätzlich Massenquartiere in Schulen geschaffen. Trotzdem konnte kein gründlicher Wandel in der Situation erreicht werden. Ein besonders starker Ausländerandrang herrschte am 11.3.1966. Für den 13. und 14.3.1966 wurden weitere Züge mit bulgarischen Touristen erwartet. Seitens des Reisebüros wird eingeschätzt, dass weitere Möglichkeiten zur Beschaffung von Quartieren nicht vorhanden sind. In Anbetracht dieser Lage gibt es auch von ausländischen Messegästen Klagen über die Unterbringung in Privatquartieren.

Die Information darf aus Gründen der Sicherheit der Quellen publizistisch nicht ausgewertet werden.

  1. Zum nächsten Dokument Stimmungen in LPG in Karl-Marx-Stadt nach dem Bauernkongress

    14. März 1966
    Einzelinformation Nr. 201/66 über einige ideologische Probleme unter Genossenschaftsbauern des Bezirkes Karl-Marx-Stadt

  2. Zum vorherigen Dokument Warnschüsse an der Mauer in Berlin-Treptow

    11. März 1966
    Einzelinformation Nr. 196/66 über eine Grenzprovokation durch eine männliche Zivilperson aus Westberlin im Abschnitt Treptow, Puschkinallee am 11.3.1966