Verlauf der Passierscheinerteilung an Weihnachten 1965
4. Januar 1966
Abschluss-Bericht Nr. 6/66 über den Verlauf der Besucherperiode vom 18.12.1965 bis 2.1.1966 des Passierscheinabkommens Weihnachten 1965
Für den Besucherzeitraum Weihnachten 1965 des 3. Passierscheinabkommens1 wurden von Westberliner Bürgern 350 524 Anträge für 980 264 Personen und 99 166 Kfz zum Besuch der Hauptstadt der DDR gestellt. (Besucherzeitraum Weihnachten 1964: 351 820 Anträge für 1 111 810 Personen und 121 463 Kfz).
Ausgegeben wurden 595 198 Passierscheine für 970 618 Personen und 98 264 Kfz zum Besuch der Hauptstadt der DDR. (Weihnachten 1964: 618 559 Passierscheine für 1 099 618 Personen)
Von den Westberliner Antragstellern sind 4 204 Passierscheine für 6 768 Personen nicht abgeholt worden.
Abgelehnt wurden insgesamt 1 950 Passierscheine für 2 878 Personen.
Die Ablehnung erfolgte für:
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516 Personen wegen Mehrfachantragstellung,
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926 Personen wegen Beantragung des Besuchs in Orte außerhalb der Hauptstadt der DDR,
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307 Personen wegen Verstoßes gegen die Gesetze der DDR,
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1 129 Personen aus sonstigen Gründen.
Von den Mehrfachantragstellern waren über die zwei vorgesehenen Besuche hinaus folgende Anträge gestellt worden:
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1 × für 58 Besuche,
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2 × für 128 Besuche,
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3 × für einen Besuch,
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4 × für zwei Besuche,
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5 × für einen Besuch,
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6 × für einen Besuch.
Von den zur Einreise erwarteten 970 618 Personen und 98 2642 Kfz machten 824 014 Personen mit insgesamt 85 607 Kfz von dem Besuch der Hauptstadt der DDR Gebrauch = 85 % Personen, 87 % Kfz.
Nicht ausgenutzt wurden 91 0583 Passierscheine für 146 604 Personen (15 %) und 12 657 Kfz = 13 %. Besondere Schwerpunkte waren:
[Datum] | zu erwarten Personen | zu erwarten Kfz | eingerest Personen | % | eingereist Kfz | % |
|---|---|---|---|---|---|---|
18.12.1965 | 109 011 | 11 228 | 96 664 | 88,0 | 10 723 | 95,0 |
19.12.1965 | 87 239 | 8 639 | 80 340 | 92,0 | 7 924 | 92,0 |
25.12.1965 | 87 826 | 7 890 | 83 251 | 95,0 | 7 526 | 96,0 |
2.1.1966 | 87 584 | 8 550 | 71 116 | 81,4 | 7 271 | 85,0 |
Der niedrigste Prozentsatz der Ausnutzung der ausgegebenen Passierscheine lag am 30.12.1965. Erwartet wurden 63 900 Personen und 6 352 Kfz, eingereist sind jedoch nur 46 599 Personen = 72,9 % und 4 886 Kfz = 77,0 %.
Die wenigsten Einreisen erfolgten am 23.12.1965 mit 7 921 Personen = 80,5 % der geplanten 9 823 Einreisen und mit 938 Kfz = 81 % der erwarteten 1 165 Kfz.
Weiter reisten im Berichtszeitraum 586 Westberliner Bürger mit Passierscheinen der Passierscheinstelle für dringende Familienangelegenheiten in die Hauptstadt der DDR ein.
Im gleichen Zeitraum reisten außerdem 77 111 westdeutsche Bürger und 27 894 Ausländer in die Hauptstadt der DDR ein.
Die Abfertigung des Besucherverkehrs an den Grenzübergangsstellen während der Besucherperiode des 3. Passierscheinabkommens verlief im Wesentlichen reibungslos und ohne größere Störungen. Alle Grenzübergangsstellen waren auf einen verstärkten Besucherverkehr eingerichtet und verfügten über die erforderlichen Abfertigungskapazitäten. An allen Tagen war ein reibungsloser und sicherer Ablauf des Besucherverkehrs gewährleistet. Nur in Einzelfällen kam es zu kurzfristigen Stauungen, die jedoch schnellstens behoben wurden. Die in einzelnen Fällen aufgetretenen Wartezeiten betrugen im Höchstfall 40 Minuten und waren auf die Nichtbeachtung der entsprechenden Hinweise der Organe der DDR durch die Westberliner Besucher zurückzuführen. Der Schwerpunkt der Einreise lag in der Zeit von 7.00 bis 11.00 Uhr und betrug 50 % der einreisenden Personen und Fahrzeuge. Die Hauptlast der Rückreise konzentrierte sich auf die Zeit von 23.00 bis 0.30 Uhr, wobei in diesem Zeitpunkt ca. 50 bis 70 % der Westberliner Bürger ausreisten. An allen GÜST war die Ausreise im Wesentlichen gegen 0.20 Uhr abgeschlossen. Grobe Zeitüberschreitungen gab es nur vereinzelt. Die entsprechenden Personen wurden verwarnt oder anderweitig belangt.
Wie in der letzten Besuchsperiode kam es wieder zu einer verstärkten Einreise von Westberlinern mit der U-Bahn. Über die GÜST Bahnhof Friedrichstraße waren 397 785 Westberliner Besucher zur Einreise berechtigt, davon laut Passierschein nur 14 962 mit der U-Bahn. Insgesamt reisten jedoch 78 401 Personen mit der U-Bahn in die Hauptstadt der DDR ein. Aufgrund der eingeleiteten Maßnahmen kam es zu keinen Stockungen oder Behinderungen in der Abfertigung des Besucherverkehrs. Der überwiegende Teil der Westberliner Besucher äußerte sich anerkennend über die zügige, korrekte und höfliche Abfertigung durch unsere Zoll- und Passkontrollorgane.
Außer dem Schleusungsversuch der westdeutschen Brüder Schönberger4 am 26.12.1965 an der GÜST Heinrich-Heine-Straße (kein Übergang für Westberliner Passierscheininhaber) kam es während der Besuchsperiode zu keinen größeren Provokationen an den GÜST. Die Provokationen an der GÜST Heinrich-Heine-Straße wurde insbesondere von Lemmer5 und den Agentenkreisen um Hildebrandt6 mit Wissen und Duldung des Westberliner Senats und der Westberliner Polizei zur Hetze und zu provokatorischen Handlungen gegen die dort stationierten Kontrollkräfte der DDR ausgenutzt.7
Durch die Westberliner Grenzsicherungskräfte wurden während der gesamten Besuchsperiode – an den einzelnen Tagen zu verschiedenen Zeiten und mit unterschiedlicher Intensität – die aus- und einreisenden Personen kontrolliert und zum Teil Befragungen unterzogen.
Durch Angehörige des Westberliner Zolls wurde der Einreiseverkehr in die Hauptstadt der DDR mittels Zähluhren registriert.
Die auf Westberliner Gebiet eingesetzten uniformierten Kräfte versuchten wiederholt Kontakt zu unseren an den GÜST eingesetzten Sicherungskräften aufzunehmen bzw. durch Verletzung unseres Territoriums zu provozieren. Zu Störungen des Besucherverkehrs kam es dabei nicht. Zum Beispiel verletzte am 1.1.1966, gegen 3.00 Uhr ein Kommissar der Westberliner Polizei im angetrunkenen Zustand an der GÜST Sonnenallee das Territorium der DDR, indem er den Grenzmarkierungsstrich um ca. 4 m überschritt. Der Aufforderung unseres Postens, das DDR-Territorium zu verlassen, kam er nur zögernd nach.
Während der Besuchsperiode war im westlichen Vorfeld gegenüber allen GÜST eine rege Tätigkeit von Foto-, Fernseh-, Rundfunk- und Pressereportern festzustellen. Eine Behinderung des Besucherverkehrs oder andere Störungen traten dadurch jedoch nicht ein.
Von 544 272 Westberliner Bürgern = 65,9 %8 wurden im Mindestumtausch 1 641 916 DM (West) und zusätzlich 143 359 DM (West) umgetauscht, sodass 1 785 275 DM (West) vereinnahmt wurden. Lediglich zwei Westberliner Bürger wurden wegen Verweigerung des Mindestumtausches nach Westberlin zurückgewiesen.9
Durch die Ausreise von Westberliner Bürgern mit der U-Bahn wurden weitere 21 459,60 DM (West) vereinnahmt. Während der Besuchsperiode vom 18.12. bis 2.1.1966 wurden von den Zollorganen insgesamt 76 Einziehungen mitgeführter Waren, die nicht dem Protokoll entsprachen, im Wert von 6 410 MDN, 40,00 DBB und 50,00 SFr vorgenommen. (Davon bei der Einreise 47 Einziehungen im Wert von 4 270 MDN und 40,00 DBB und bei der Ausreise 29 Einziehungen im Wert von 2 149 MDN und 50,00 SFr). Dabei handelt es sich insbesondere um von Westberliner Besuchern in Verstecken (z. B. unter dem Futter der Handtasche, im Innern von Pkw) mitgeführte Gegenstände, die nicht in der Erklärung über mitgeführte Zahlungsmittel und Waren für Bürger Westberlins aufgeführt waren und illegal in die Hauptstadt der DDR verbracht werden sollten sowie um in Westberlin eingetauschte MDN-Beträge.10 Unter den illegal eingeführten Waren befanden sich u. a. Textilien, Konverter, Elektroersatzteile und Briefmarken. Briefmarkenalben wurden z. B. in einem Falle in einem im Pkw mitgeführten Kissen transportiert.
Ferner wurden während der Besuchszeit von den Zollorganen insgesamt 1 064 Rückweisungen von mitgeführten Waren vorgenommen. (Davon 602 Rückweisungen bei der Einreise und 462 bei der Ausreise.) Außerdem wurden bei der Ausreise in 1 423 Fällen MDN zurückgewiesen. Bei den Rückweisungen von Waren bei der Einreise handelt es sich vorwiegend um Literatur, gebrauchte Textilien, Medikamente, Schallplatten, Dias, Tonbänder, Elektroersatzteile, Kfz-Ersatzteile, Transistorenrundfunkgeräte, Konverter, Fernsehgeräte und luftdicht verschlossene Behälter. Bei der Ausreise wurden von den Zollorganen besonders Fleischwaren, Textilien, Bleikristall, Porzellan, feuerfestes Glas, Schallplatten und Briefmarken zurückgewiesen.
Während des gesamten Besucherzeitraumes wurden von den Zollorganen insgesamt 6 454 formlose Einziehungen vorgenommen, wobei es sich im Wesentlichen um Zeitungen und Zeitschriften, Schundliteratur, Prospekte und Kalender handelt, die in die Hauptstadt der DDR eingeführt werden sollten. Bei der Einreise führten ca. 85 bis 90 % der Westberliner Besucher Geschenke mit sich, insbesondere Genussmittel (Kaffee, Schokoladenerzeugnisse, Spirituosen, Südfrüchte, Geflügel), Nylonwaren und Seifenpulver. Ca. 70 bis 80 % der Westberliner Besucher führten bei der Ausreise Geschenke mit, vorwiegend Blumen, kunstgewerbliche Gegenstände, Spielwaren, Keramikerzeugnisse, kosmetische Artikel und kleinere Textilien. Am 30. und 31.12.1965 wurde in ca. 300 Fällen festgestellt, dass Karpfen nach Westberlin ausgeführt wurden.
Das Verhalten der Westberliner Bürger bei den Kontrollen und beim Geldumtausch war – bis auf wenige Ausnahmen – korrekt und diszipliniert. Die Westberliner Besucher kamen den Forderungen der Kontrollkräfte fast ausschließlich ohne größere Einwände nach.
An den Kontrollpunkten zu den Randgebieten Berlins wurden während der Besuchsperiode insgesamt 38 Westberliner Bürger beim Versuch, unberechtigt aus der Hauptstadt der DDR in die Randgebiete auszureisen, festgestellt und in das demokratische Berlin zurückgewiesen.
Sechs Westberliner Bürger versuchten unberechtigt in das Grenzgebiet einzureisen und wurden zurückgewiesen.
Während des Besuchszeitraumes waren insgesamt 48 Verkehrsunfälle mit Beteiligung von Westberliner Pkw zu verzeichnen. Davon wurden 17 Verkehrsunfälle von Westberliner Fahrzeugen verursacht. Bei den 48 Verkehrsunfällen entstand ein Sachschaden von insgesamt 36 460 MDN; davon wurden 2 165 MDN Sachschaden von Westberliner Fahrzeugen verursacht. Weiter wurden bei diesen Verkehrsunfällen 19 Personen verletzt, davon acht Westberliner Bürger und elf DDR-Bürger. Während der Besuchsperiode verstarben zwei Westberliner Bürger an Herzinfarkt in der Hauptstadt der DDR; sie wurden nach Westberlin überführt.
In der Berichtszeit wurden durch das MfS folgende Personen festgenommen, die unmittelbar mit der Durchführung des Passierscheinabkommens im Zusammenhang stehen:
Am 19.12.1965 wurde [Name 1, Vorname], wohnhaft Groß Jamno,11 Kreis Forst, [Straße, Nr.], wegen Versuchs des illegalen Verlassens der DDR über die GÜST Bahnhof Friedrichstraße festgenommen. ([Name 1] hatte vor dem Versuch einem Angehörigen der Zollverwaltung einen Geldbetrag von 100 MDN für Beihilfe geboten.)
Am 22.12.1965 wurde [Name 2, Vorname], wohnhaft Berlin-Köpenick, [Straße, Nr.], wegen Verdachts des illegalen Verlassens der DDR über die GÜST Bahnhof Friedrichstraße festgenommen.
Am 2.1.1966 wurde [Name 3, Vorname], wohnhaft Magdeburg, [Straße, Nr.], wegen Verdachts des illegalen Verlassens der DDR über die GÜST Bahnhof Friedrichstraße festgenommen.
Am 26.12.1965 wurde der Westberliner Bürger [Name 4, Vorname], wohnhaft Berlin 42, [Straße, Nr.] festgenommen, da er mit seinem Pkw schuldhaft einen Verkehrsunfall verursacht hatte, in deren Folge insgesamt fünf Personen leicht und zwei Personen (ein Insasse des Westberliner Fahrzeuges und ein Insasse des beteiligten DDR-Fahrzeuges) schwer verletzt wurden. Gegen [Name 4] wurde ein E-Verfahren ohne Haft eingeleitet. Das E-Verfahren wurde an die Westberliner Staatsanwaltschaft zur weiteren Bearbeitung abgegeben.
Am 20.12.1965 wurde die Westberliner Bürgerin Baumann, Charlotte,12 wohnhaft Berlin-Charlottenburg, [Straße, Nr.] wegen dringenden Verdachts der Spionagetätigkeit für den amerikanischen und französischen Geheimdienst festgenommen.
Ferner wurden während der Besuchsperiode gegen 24 DDR-Bürger, drei Westberliner Bürger, vier Westdeutsche und einen Ausländer Ermittlungsverfahren eingeleitet, die jedoch nach bisherigen Untersuchungen nicht unmittelbar mit dem Passierscheinabkommen im Zusammenhang stehen. Dabei handelt es sich um Vorkommnisse an der Staatsgrenze Berlin, bei denen vornehmlich eine Verletzung der Passverordnung13 vorliegt.
(Über eventuelle Zusammenhänge zum Passierscheinabkommen, besonders hinsichtlich einer Ausnutzung des starken Besucherverkehrs, werden die notwendigen Untersuchungen geführt.)