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Zahlreiche Schadensfälle durch Brände an Dampferzeugeranlagen

23. März 1966
Einzelinformation Nr. 236/66 über Brände an Luftvorwärmern von ölbeheizten Dampferzeugern und einige damit zusammenhängende Probleme

In der Vergangenheit kam es wiederholt zu Bränden von Luftvorwärmern (Luvo), bei denen jeweils Schäden zwischen 30 000 MDN und 400 000 MDN entstanden. Die Luvos wurden in derartigen Fällen zerstört.

Aus diesem Grunde wurden wiederholt verantwortliche und leitende Mitarbeiter des zentralen Staatsapparates, so u. a.

  • Zentralstelle der im VWR – kommissarischer Leiter Genosse Hahn1 (mehrmals persönliche Rücksprachen),

  • Genossen Markowitsch,2 Dr. Pasold3 und Dr. Steinert,4

  • Inspektion des VWR,

  • Direktor der Zentralinspektion der , Genosse Maschke5

durch das MfS informiert, ohne dass bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nennenswerte Änderungen in der Einstellung zum Problem der Luvo-Brände bekannt oder entsprechend wirksame Maßnahmen bisher eingeleitet wurden.

Dem MfS sind seit 1964 insgesamt zwölf Luvo-Brände bekannt geworden, wobei ein Sachschaden von etwa 735 000 MDN entstand. (diese Angaben sind jedoch unvollständig, da besonders über die ersten Luvo-Brände keine vollständige Übersicht besteht.)

Die letzten Luvo-Brände ereigneten sich

  • am 17.10.1965 im VEB Kreidewerk Klementelvitz (Schaden 35 000 MDN),

  • am 26.11.1965 im VEB Zementwerk Bernburg (zweiter Luvo-Brand – Schaden 30 000 MDN),

  • am 15.12.1965 im HKW Berlin-Mitte (zweiter Luvo-Brand – Schaden 50 000 MDN).

Da auch für die Zukunft der weitere Einsatz ölbeheizter Dampferzeuger mit den erwähnten Luvos vorgesehen ist, so u. a.

  • HKW Berlin-Mitte (125 t-Kessel)

  • EVW Schwedt (vier Nachfolgekessel mit je 220 t)

  • Kraftwerk Lützkendorf6 (drei 125 t-Kessel)

  • HKW Rostock (zwei 125 t-Kessel)

  • ca. 34 kleinere Dampferzeugungsanlagen (25 bis 60 t-Kessel) bis 1970 erachtet es das MfS als dringend erforderlich, nochmals auf damit im Zusammenhang stehende Probleme aufmerksam zu machen, damit bei der Konstruktion dieser Aggregate und beim Betreiben zukünftig größere Sicherheitsmaßnahmen ergriffen und derartige Schadensfälle vermieden werden können.

Der Einsatz von Luvos wurde im Zusammenhang mit der Verbrennungstechnologie von Heizöl bei Dampferzeugern notwendig. Im Luvo werden die heißen Abgase des Dampferzeugers für das Aufwärmen der für den Verbrennungsprozess benötigten Frischluft ausgenutzt.

Zunächst wurden für die Technologie des Aufwärmens der Frischluft »Platten-Luvos« gefertigt. Später erfolgte die Konstruktion und der Einsatz von »Röhren-Luvos«, womit ein größerer Wärmewirkungsgrad erzielt wurde.

Aufgrund vieler Schadensfälle beim Betreiben ölbeheizter Dampferzeugeranlagen, besonders der Schadensfälle an Luvos, erfolgten prinzipielle Untersuchungen über deren Ursachen. In der einschlägigen internationalen Fachpresse werden bereits seit 1956/57 die Untersuchungsergebnisse über Schadensursachen veröffentlicht. Dabei wurde eindeutig die Verschmutzung der Luvos durch Ruß und unverbrannte Ölteilchen als alleinige Gefahrenquelle für die folgenschweren Brände dargestellt.

In der DDR wurden seit Ende der 50er-Jahre ölbeheizte Dampferzeugeranlagen hergestellt. Eine Reihe bedeutender Objekte in der Industrie enthielten seit dieser Zeit ölbeheizte Dampferzeuger, die u. a. mit den Röhren-Luvos ausgestattet wurden (IKW im EVW Schwedt, HKW Berlin-Mitte usw.).

An der Projektierung und Errichtung dieser Anlagen sind beteiligt:

  • VEB Großdampferzeuger Berlin7

  • VEB Kesselbau Hohenthurm

  • VEB Vorwärmer- und Behälterbau/Köthen.

Durch den Brand des Luvo vom Kessel I im IKW des EVW Schwedt am 4.6.1964 (Schaden 400 000 MDN), rückte das Problem der Luvo-Brände in der DDR in den Vordergrund.

Eine Expertenkommission untersuchte längere Zeit die Ursachen und kam dabei zu einigen Schlussfolgerungen, die aber offensichtlich bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt seitens der volkseigenen Industrie und den wirtschaftsleitenden Organen nicht genügend beachtet wurden.

Im Einzelnen wurde festgestellt:

  • 1.

    Die Konstruktion der Röhren-Luvos (VEB Dampfkesselbau Hohenthurm) bedingt eine schnelle Verschmutzung durch Ruß und unverbrannte Ölteilchen und erschwert eine exakte Reinigung. Die Röhren-Luvos sind mit enganliegenden Rohren, diagonal versetzt, konstruiert, um eine möglichst große Heizfläche zu erreichen.

  • 2.

    Die schnelle Verschmutzung tritt immer dann ein, wenn ein Dampferzeuger häufig an- und abgefahren wird, wodurch eine ungenügende Verbrennung des Heizöls hervorgerufen wird. (Dieses Problem ist zurzeit in der DDR und zum Teil auch international technologisch noch nicht gelöst.)

  • 3.

    Die im Luvo zur Ablagerung kommenden unverbrannten Rückstände werden dann zu einem bestimmten Zeitpunkt durch direkte Einwirkung der in den Abgasen mitgeführten Funken oder Flammen aus dem Feuerraum des Dampferzeugers oder durch einen Hitzestau nach dem Abfahren des Aggregates gezündet. Die als zweite Variante dargestellte Ursache für derartige Schadensfälle wird am häufigsten in der internationalen Fachliteratur genannt.

Dem Problem der Luvo-Reinigung wurde von Beginn der Projektierung und der Inbetriebnahme wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Der Generalprojektant für das EVW Schwedt, VEB Ingenieurtechnische Zentrale Böhlen, hat dem Bearbeiter des Grundprojektes IKW Schwedt, dem VEB Dampfkesselbau Hohenthurm (DKH), keine bindenden Forderungen hinsichtlich der Luvo-Konstruktion und der Art der Reinigung gestellt. Als Reinigungsverfahren wurden deshalb vom VEB DKH das Waschen, die Verwendung von Rußbläsern und die Anwendung einer Kugelregenreinigung vorgesehen.

Keine dieser Reinigungsverfahren konnten jedoch in der konstruktiven Durchbildung und Fertigung vom VEB DKH beim Generalprojektanten IZ Böhlen durchgesetzt werden, so dass bei Beginn des Dampfkesselerprobungsbetriebes im IKW Schwedt keine wirksame Reinigung vorhanden war. Beispielsweise konnte die Waschung des Luvos nicht erfolgen, weil IZ Böhlen die erforderlichen Voraussetzungen – getrennte Abteilung der aggressiven Spülwasser – nicht geschaffen hatte. Die Kugelregenreinigung wurde ohne Erprobung von der IZ Böhlen eingesetzt, hat sich dann auch nicht in der Praxis bewähren können, weil die konstruktive Lösung der Rohranordnung im Luvo diesem Reinigungsverfahren widersprach. Die Druckluftreinigung wurde wenig wirksam – zu wenig Pressluft – und deshalb von allen Beteiligten nur als Provisorium angesehen.

Weiterhin begünstigten oder beeinflussten u. a. nachstehende Faktoren das Entstehen des Luvo-Brandes:

  • Nichteinhaltung der vorläufigen Bedienungsanweisung während der Bereitschaftskonservierung,

  • mangelnde und fehlerhafte Ausarbeitung der vorläufigen Dampferzeuger-Bedienungsanweisung (unzulässige Art der Fahrweise beim Abfahrvorgang, mangelnde Temperaturbeobachtung, unzweckmäßige Art der Bereitschaftskonservierung),

  • Abnahme nicht voll ausgerüsteter Anlagenteile (Fehleinschätzung der Abnahmekommission über den Gefahrengrad beim Betreiben des Dampfkessels I mit dem Luvo, ohne entsprechend wirksame Reinigung),

  • unzureichende Messgeräte (Messgeräte für CO + H2 – Gase ungeeignet; Fehlen der notwendigen Temperaturmessstellen im Luvo; Fehlen von Rauchgastrübungsmessgeräten).

Diese Probleme sind aber auch allgemein zutreffend für die Mängel und Unsicherheiten beim Betreiben der ölbeheizten Dampferzeugeranlagen.

Nach Ansicht der Expertenkommission, die den Schadensfall im EVW Schwedt untersuchte, werden schlussfolgernd aus den Untersuchungsergebnissen folgende allgemeinzutreffende Maßnahmen empfohlen:

  • 1.

    Verbesserung der Zusammenarbeit aller Beteiligten vom Generalprojektanten bis zum Betreiber, insbesondere zur rechtzeitigen Klärung und Durchsetzung der technischen Lösung und zur rascheren Klärung der Auftragserteilung im Falle von Nachtragsprojekten.

  • 2.

    Gründlichere Auswertung der Literatur die ölgefeuerten Dampferzeuger betreffend.

  • 3.

    Betrachtung des Luftvorwärmers, des Reinigungsverfahrens und der Reinigungseinrichtung als eine funktionelle Einheit zwecks besserer gegenseitiger Anpassung von Luvo-Konstruktion und Reinigungsverfahren.

  • 4.

    Rechtzeitige Vorkehrungen, damit die Leitungsfunktionäre und das Bedienungspersonal des Kraftwerkes mit den Eigenheiten des Heizölbetriebes eingehend vertraut gemacht werden.

  • 5.

    Vermeidung von Betriebsunterbrechungen im Dampferzeuger-Feuerungsbetrieb, d. h., es ist eine durchgehende Betriebsweise bis zur maximal zulässigen Reisezeit anzustreben.

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    25. März 1966
    Einzelinformation Nr. 238/66 über den Verdacht der Vorbereitung zur Republikflucht durch zwei Leistungssportler

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    22. März 1966
    Einzelinformation Nr. 230/66 über die Generalsynode der Evangelischen Kirche in Deutschland